Michelin Frankreich: Krisen, Prozesse, Korruptionsverdacht | BISS

Michelin Frankreich: Krisen, Prozesse, Korruptionsverdacht

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Sternendämmerung

Der Michelin hat schon

bessere Zeiten erlebt

 

Von Jörg Zipprick

 

Die letzten 12 Monate waren keine gute Zeit für den Guide Michelin. Die Auswahl 2019 blieb eher wegen der Sterneverluste im Gedächtnis. Erstmals wandten sich Köche ostentativ vom Guide ab und zogen den Kenntnisstand der Inspektoren in Zweifel. Alain Dutournier vom Carré des Feuillants gab eine Reihe aufsehenerregender Interviews. Es folgte ein Prozess mit den früheren Drei-Sterne Koch Marc Veyrat. Natürlich ging auch dieser Koch nicht davon aus, Sterne einklagen zu können, vielmehr suchte (und sucht) Veyrat nach einem Weg, den Guide zu zwingen seine Kriterien und Besuchszyklen offen zu legen.

Unterdessen brodelte es in Asien: Der Koreanische Fernsehsender KBS widmete mehrere Sendungen einem mutmaßlichen Sterneverkauf. Eine Zusammenfassung in englischer Sprache findet sich hier:

https://www.youtube.com/watch?v=f_QjuBOgXzo&app=desktop

Pikant: Verdächtig ist neben dem Weinhändler und Wine-Advocate Mitarbeiter Ernest Singer auch Alain Fremiot, der für Michelin die Märkte Asiens erschließen sollte. In der Szene ist Fremiot kein Unbekannter: Sein Name fällt im Zusammenhang mit dem Ostend Queen-Skandale von 2005, bei dem ein im Bau befindliches Lokal mit einem „Bib Gourmand“ ausgezeichnet wurde. Alain Fremiot hat den Guide inzwischen verlassen, war aber zum fraglichen Zeitpunkt im Amt. Und auch der Wine Advocate gehört inzwischen dem Unternehmen Michelin. Und: Auch in Korea sind jetzt Prozesse anhängig.

Es folgten die Unruhen um die Sterneverluste von Vissani in Italien und Bocuse in Frankreich. Auch Gianfranco Vissani, ein Urgestein der italienischen Küche, kritisierte den Guide lautstark in der Presse. Im Hause Bocuse hält man still, Schüler, Vertraute und Geschäftspartner des Meisters reden hinter verschlossenen Türen jedoch von einem „Verrat des Guide Michelin an der französischen Küche“.  Besonders zügig versicherte das Unternehmen GL Events aus Lyon, das unter anderem die „Bocuse d’Or“ Wettbewerbe veranstaltet, seine Unterstützung. Mit einem Umsatz von über einer Milliarde Euro ist GL Events nicht nur in Lyon eine Größe. Périco Legasse, ein französischer Restaurantkritiker, meinte gar, der Guide Michelin habe vor aller Augen Selbstmord begangen.

3 Sterne Chef Kei

Kurz danach erklärte Spitzenkoch Alain Dutournier dem Magazin Paris Match, dass seine Fehde mit dem Guide Michelin ihm nicht weniger als sechs Steuerprüfungen eingebracht habe. Früher hätte die Branche über so etwas gelächelt. Heute hält man einen Zusammenhang zumindest für möglich, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass der junge Patron des Guides über einen Spitznamen verfügt. „Le Jivaro“ lässt er sich nennen. Frei übersetzt: Der Kopfabschneider.

Bereits im Oktober 2017 hatte die Washington Post das neue Finanzierungsmodell des Guide Michelin einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Länder und Tourismusbehörden von Ländern wie Singapur, Südkorea und Thailand zahlen Millionen für „ihren“ Guide. Die Region Kalifornien zog 2019 nach. Doch würden Tourismusbehörden den Guide bezahlen, wenn die Sterne eher spärlich funkeln? Etliche Insider fragen sich, wie hier wohl die Verkaufsgespräche aussehen.

Hier klicken: (https://www.washingtonpost.com/news/food/wp/2017/10/24/south-korea-paid-big-money-to-commission-its-michelin-guide-does-that-mean-u-s-cities-could-do-the-same/)

Wer hat nun beim Michelin 2020 gewonnen, wer hat verloren? Die neuen Drei-Sterne-Häuser heißen Christopher Coutanceau in La Rochelle, Glen Vieil und Jean-André Charial vom L’Oustau de Baumanière in Les Baux und Kei Kobayashi vom Kei in Paris (Bild oben rechts).

Weiterführende Lektüre: www.michelinscars.com

Photocredit: Relais & Châteaux La Rochelle, Kei Kobayashi

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