Gäste sind Störenfriede, Terrassen Krachmacher
Jetzt werden die Bürgersteige hochgeklappt
Frankfurts fotogenes Vorzeige-Revier, die sogenannte Neue Altstadt, hatte von Anfang an Probleme und zeigt immer mehr Risse. Jetzt werden dort die Bürgersteige hochgeklappt, gibt es ab 22 Uhr kaum noch Leben. Die Lokale schließen nicht nur ihre Terrassen, sondern gleich ganz. Und das ausgerechnet jetzt, wo die Sommersaison bei bestem Wetter startet und Menschen Lust aufs Flanieren, Plaudern und Trinken im Freien haben. Das Quartier ist nun abends das, was es schon immer war: Eine Kulisse. Das Ordnungsamt will es so. Der eine oder andere Anwohner auch. So wird alles zu Tode beruhigt.
Dabei gibt es in der Innenstadt Lärm ohne Ende. An der Hauptwache, im Bahnhofsviertel und in Alt Sachsenhausen tobt die Party-Meute. Auf dem Römerberg finden mehrmals die Woche lärmende Veranstaltungen und Demonstrationen statt, nicht selten mit über 120 Dezibel wie jetzt beim Paulskirchenfest. Das Recht der Anwohner auf Ruhe interessiert dabei niemand. Die Neue Altstadt aber, in der abends ohnehin nicht allzu viel los ist, soll zu Tode beruhigt werden. Erstes Opfer ist die Weinbar vom Weingut Ress. Diese soll um 22 Uhr keinen Terrassenbetrieb mehr führen und auch innen für Ruhe sorgen. Nach den Worten des Betreibers Christian Ress sollen „soziale Geräusche“ wie „Unterhaltungen und Gelächter“ sogar im Innenbereich unterbleiben, bei Verstößen gegen genau definierte Lärmgrenzen drohen Bußgelder oder sogar die Schließung des Lokals. Demnach sollen selbst im Sommer Fenster und Türen geschlossen bleiben. „Wir müssen leider bis auf weiteres, auch am Wochenende, pünktlich um 22 Uhr schließen“, lässt Christian Ress wissen, wobei es da ja im Sommer fast noch hell ist. Offenbar haben sich Anwohner beim Ordnungsamt beschwert. Davon ist die gesamte Gastronomie in der Neuen Altstadt betroffen, doch keines der anderen Lokale wurde nach 22 Uhr so gut besucht wie die Weinbar von Ress und kann die Restriktionen des Ordnungsamts daher vielleicht eher verschmerzen.
Christian Ress kann nicht verstehen, dass die Stadt einerseits rund 125 Millionen Euro aus dem städtischen Haushalt investiert, um einen „Besuchermagnet mit internationaler Relevanz“ zu erschaffen und dann anderseits die Gäste am späten Abend wieder vertreiben lässt, wenn diese die einmalige Atmosphäre der Neuen Altstadt bei einem Glas Wein genießen wollen. Nach den Vorstellungen der Stadt Frankfurt sollte aus der historisch mal mehr, mal weniger glücklich nachgebauten Neuen Altstadt „ein zentraler Ort der Begegnung für die Menschen“ werden. Dem widerspricht der Starrsinn des Ordnungsamts mit seinem weltfremden Vorgehen. Man kann Menschen nicht aus einem vergnüglichen Viertel verbannen, schon gar nicht nach 22 Uhr und in lauen Sommernächten. Vor allem am Wochenende beginnt für viele erst am späten Abend der vergnügliche Teil des Tages, gerade in der Hitze des Sommers. Auch internationale Gäste, zumal wenn sie aus Spanien oder Italien kommen, wissen die Gunst des späten Abends zu nutzen und werden solche Maßnahmen zu recht als provinziell empfinden. In der Gastronomie wird abgesehen davon nach 22 Uhr besonders viel Getränkeumsatz gemacht. Vor allem aber: Belebung ist nicht nur für die Stimmung gut, sie trägt auch zur Sicherheit bei – tote Viertel dagegen sind ein Sicherheitsrisiko.
Die Mieter, die mit voller Kenntnis über die Gastronomie in die Neue Altstadt einzogen, hätten wissen müssen, dass es in einem solchen Quartier, der von internationalem touristischen Interesse ist, auch lebhaft zugehen kann. Außerdem ist ein Großteil einer gewissen Geräuschkulisse nicht den Besuchern der Gastronomie anzulasten, sondern volltrunkenen Horden, die vom Saufquartier Alt-Sachsenhausen durch die Altstadt ziehen. Außerdem kommen auf dem Hühnermarkt auch gackernde Jugendliche zusammen, die sich ihre Vodkaflaschen selbst mitbringen, um Geld zu sparen, aber den Hühnermarkt als Kulisse zum Feiern beanspruchen.
Die Neue Altstadt. Schon der Name ist ein unsinniges Konstrukt. Besucher, die sich vor allem der Optik wegen einfinden, kennen das Viertelchen eigentlich nur im Vorbeigehen. Ein Blick hinter die hübschen Fassaden zeigt Risse im Gemäuer. Eine Schwachstelle ist ein Teil der Gastronomie, die sich zu sehr an Touristen orientiert. Drei Adressen aber heben sich positiv hervor, das Café von Hoppenworth & Ploch, die Weinbar vom Weingut Ress aus dem Rheingau und die Metzgerei Dey, die ihren Kunden einige Stehtische gönnt, wo früher die Schirne zu Hause waren, und deren Fleischwurst auch wirklich lobenswert ist.
Die Geschäfte in der Neuen Altstadt? Vor allem die Hunde scheinen geschäftig. Eine der wenigen Konstanten ist die Apotheke. Kopfschmerzmittel helfen aber nicht gegen das Gedränge, wenn viele Gruppen und ihre Tour Guides sich in den schmalen Gassen breit machen. Man muss jedenfalls ein rustikales Gemüt haben, um sich hier wohl zu fühlen. Hunde und leider auch Menschen schätzen die Neue Altstadt als Toilette. Die Toiletten am nahen Paulsplatz sind den Besuchern offenbar zu weit, wobei Ortsfremde den Weg nicht kennen. Es stinkt in diesem Viertelchen jedenfalls vieles derart zum Himmel, dass Gott schon längst aus allen Wolken gefallen sein müsste.
Ludwig Fienhold
Photocredit: Barbara Fienhold
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