Kritiker & Köche stehen gemeinsam in Teufels Küche | BISS

Kategorie | 2016, Aktuelles, Archiv, Mai 2016

Kritiker & Köche stehen gemeinsam in Teufels Küche

Die Genusswelt bröckelt

 

Restaurantkritiker geraten oft in Teufels Küche. Bislang aber waren in der Genusswelt die Grenzen zwischen Himmel und Hölle erkennbar, konnte man sich auf beide Seiten verlassen. Inzwischen sind die Leistungen in der Gastronomie so schwankend, dass sie auch die Gäste zum Straucheln und um jegliche Orientierung bringen. Sie scheinen sich damit den Börsenkursen anzugleichen und lassen den kulinarischen Index immer mehr als abstrakte veränderliche Größe erscheinen – auf kaum noch etwas ist Verlass, selten waren die Zeiten so instabil. Die enorme Fluktuation bei Küche und Service schafft große Unsicherheit. Restaurants, die gerade noch auf Gourmetkurs waren, widmen sich flink zum Bistro um. Köche, die sich über viele Jahre in einer Stadt eine große Fangemeinde aufgebaut haben, wechseln in unsteter Suche. Konzepte ändern sich im Handumdrehen und geben Gästen erst gar nicht die Chance, sie als solche wahrzunehmen und sich auf sie einzustellen. Die Qualität der Küchenprodukte lässt im gleichen Umfang nach, wie sich die Preise dafür im Restaurant erhöhen.

Ratatouille ParisWer Weine grundsätzlich mit 300 Prozent und mehr Aufschlag kalkuliert, macht sich nicht berechenbar. Köche klagen über stetig steigende Kosten, Gäste kritisieren nicht mehr nachvollziehbare Preise. Trotz großartiger Leistungen bei der Küchenelite, war das Verhältnis zwischen Gast und Gastronom in seiner Breite noch nie so gestört wie heute. Gerade deshalb wächst die Sehnsucht nach Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Authentizität. In der Politik, in der Wirtschaft, in der Gastronomie. Der Restaurantkritiker ist nicht nur ein Trüffelsucher, er sollte auch ein Vermittler zwischen den Ansprüchen der Köche und den Wünschen der Gäste sein. Es hat noch nie so viele Publikationen gegeben, die sich mit Essen und Trinken beschäftigen, keine Zeitung, keine Zeitschrift kann und will heute ohne kulinarische Rubriken auskommen. Das könnte eigentlich begrüßenswert sein, doch tummeln sich dort viel zu viele Laiendarsteller und irrlichternde Kritiker und Kritikerinnen, deren einzige Legitimation es zu sein scheint, dass sie Messer und Gabel halten können und von allem möglichen angetrieben werden, nicht aber vom Genuss. Meist ziehen ahnungslose Geschöpfe von Lokal zu Lokal und mühen sich ab, Sachkenntnis vorzutäuschen. Heraus kommen dabei lustlose, leblose und erkenntnisferne Zeilen. Niemand, der nicht im Sport oder in der Literatur zu Hause ist, dürfte zu diesem Thema auch noch schreiben. Aber beim Thema Essen & Trinken wollen sie alle mitreden.

RatatouilleIn Wien und auch in München gibt es unter den Gastronomiekritikern einige angenehm spitzfindige Zungen, in Frankfurt dagegen schlurfen schreibende Hausfrauen von Fettnapf zu Fettnapf und texteln, als würden sie Frotteebademantel und Lockenwickler nie ablegen.

Ein so komplexes Thema wie die Kultur des Essens und Trinkens setzt Geschmackstalent, Erfahrung, Wissen, Stilgefühl und eine erhöhte Wahrnehmungsgabe voraus. Qualität kann man schmecken, auch die von Restaurantkritikern.

Ludwig Fienhold

 

Photocredit: Disney

 

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