
Im Hinterhof der
Frankfurter Kneipenkultur
Erinnerungen an das Lokal
Zu den drei Steubern
Wolfgang Wagner, der älteste Apfelweinwirt im süffigen Sachsenhausen, hatte vor drei Jahren mit 89 den Tresen für immer verlassen. Seine Ebbelwoiwirtschaft Zu den drei Steubern war das authentischste Lokal dieser sehr speziellen Spezies. Zu den Gästen gehörten nicht Touristen oder Flirtfuzzies, sondern Einheimische mit Durst aufs Wesentliche. Der selbstgekelterte Apfelwein war strikt gut, der Handkäs mit Musik einfach solide. Das Glas mit den Soleiern mochte eher an die Gerichtsmedizin erinnern, gehörte aber unbedingt dazu.
Jedes Apfelwein-Lokal hat seine ganz eigenen Gesetze. Natürlich fällt man überall unangenehm auf, wenn man Handkäs mit der Gabel ist. Und selbstverständlich ruft man nicht nach einem Kellner, sondern wartet, bis er am Tisch vorbeikommt, weil ein echt Frankfurter Apfelweinkellner ohnedies schon zur Stelle ist, bevor man ihn herbeizitiert. Bei den Drei Steubern in der Dreieichstraße in Sachsenhausen fiel auf, wer in irgendeiner Form zu schnell ging, Bestellungen hektisch aufgab, und erwartete, dass diese auch noch umgehend kommen. Sachte, hieß hier das Leben, das unsere französischen Nachbarn mit Laisser-faire bezeichnen, die Jamaikaner durch „cool runnings“ gleichsetzen, während unsere ostafrikanischen Freunde dafür ein schönes „pole, pole“ anzubieten haben. Also bitte, ganz langsam hereinschlendern, in aller Ruhe abwarten, bis die Speisekarte kommt, und dann bedächtig bestellen – nur so war man bei den Drei Steubern an der richtigen Adresse. Hektische Business-Luncher mochten sich ihren Herzinfarkt woanders besorgen, hier wurde die Kontemplation eines Klosters gepflegt.
Die Drei Steuber waren eine der wenigen touristenfreien Zonen in Sachsenhausen und schotteten sich vorsichtshalber am Wochenende durch Schließung ganz ab. Dieses Lokal lag und liegt noch immer am Anfang (oder Ende, je nachdem, von welcher Seite man kommt) der umtriebigen Pfade. Es wirkte völlig unscheinbar wie eine Eckkneipe ohne Gesicht, und gab sich auch keine Mühe, irgendwie interessant auszusehen. Die Schankstube war eine Schankstube – und kein Stuhl mehr. Um die Theke herum standen die, die sich gerne unterhielten und keine Scheu hatten, wenn sich wer dazugesellte. Man war hier weder freundlich, noch unfreundlich, sondern bewegte sich zunächst in einer neutralen Zone. Nach einigen Minuten konnte es in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Die Gesichter verrieten mehr Neugierde als Misstrauen. Mal sehen, was da auf uns zukommt, ließen die erahnen, die schon dasaßen, bevor das Lokal überhaupt seine Pforten öffnet, während man selbst geglaubt hatte, der erste zu sein.
Hinterhof mit Wäscheleinen-Romantik
Viele blieben im Schankraum, weil sie sich dadurch der Theke und der Küche näher glaubten. Im Hinterhof und seiner Wäscheleinen-Romantik sah man sich einer okkulten Verschrobenheit ausgesetzt, und rief in sich ungläubig-glücklich hinein: meine Güte, das es so was noch gibt! Keine Heimatfolklore, kein Hauch Originalitätsputz. Eher Schrebergartenidylle mit einem Schuss Straußwirtschaft. Der Schoppen kam, wie es sich gehört, sehr schnell, alles andere hatte Zeit. Auch der schön durchgezogene Handkäs mit Musik wurde flink gebracht. Die warmen Speisen gaben allerdings vor, als würden sie erst noch aufwändig zubereitet. Wenn dann nach einer knappen Stunde das Presssäckchen mit Brot und Kraut kam, durfte man sich nicht wundern, dass dabei nicht mehr herausgekommen war als eine warme Wurst.
Die atmosphärische Verwehtheit zwischen Bescheidenheit und einer nahezu unwirklichen Jenseitigkeit, verlieh den Drei Steubern einen Kultstatus, nach dem andere ringen, obwohl sie nie eine solch unwillkürliche Authentizität erreichen können. Der wie ein Kunstwerk von Beuys dramatisch in Schieflage hindrapierte Garderobenständer im himmelsoffenen Hinterhof war reinste Lyrik. Und der Text daneben beste Prosa: „Für entwendete Garderobe, zerrissene Strümpfe, Vogelschiss und ähnliches Unbill, haftet der Wirt nicht.“
Ludwig Fienhold
Photocredit: Christian Schiller
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