Die ungewöhnliche Pizzeria
bleibt eine Genuss-Bastion
im Frankfurter Bahnhofsviertel
Ein Jahr nach der Eröffnung hat Frankfurts ungewöhnlichste Pizzeria noch an Qualität gewonnen. Ciccione bietet kreative Beläge von Qualität und serviert dazu so viele handverlesene Weine wie kein einziges Lokal dieser Spezies.
Luftige, leichte Pizza, die saftig und knusprig gerät, ist eine Seltenheit. Wenn sie dann noch originell und stimmig belegt ist, hat man es mit einer absoluten Ausnahmeerscheinung zu tun. Unsere beiden aktuellen Favoriten im Ciccione sind: „Carbonara“ mit sehr krossem Rinderspeck, Mozzarella, softem Eigelb und Parmesan. Und Nduja mit Tomaten, Oliven, Caciocavallo-Käse sowie Nduja, wunderbar würziger kalabrischer Streichwurst aus Salami. Diese wird in Kalabrien eigentlich aus Schweinefleisch hergestellt, doch das Ciccione lässt sich eine Rindervariante liefern. Der Grund: Das Lokal wird auch stark von Moslems und Juden besucht, die beide aus religiösen Gründen Schwein ablehnen. Deshalb wird auch die Pizza „Carbonara“ nicht authentisch mit Guanciale, sondern mit Rinderspeck zubereitet. Wenn dies alles so gut schmeckt wie hier, führt das auch zu keinen Diskussionen.
An den besten Orten im Bahnhofsviertel scheint ein Miteinander möglich zu sein, religiös, sozial und kulinarisch. Wer im Ciccione auf der lebhaften Straßenterrasse sitzt, wird gefühlt hundert Nationalitäten an sich vorbeiziehen sehen und hören. Gegenüber sieht man mit dem Miele Waschsalon und der Fleischerei Göbel, wo man auch Kaffee trinken kann, archaisch anmutende Relikte eines Viertels, das nur noch an wenigen Stellen so bemerkenswert bunt und spannend erscheint.
Im Gegensatz zur neopolitanischen Pizza wird die römische länger gebacken und fällt dünner und knuspriger aus. Sie ist auch nicht rund und wird in viereckigen Stücken serviert. Im Ciccione teilt man sich am besten zwei Slices zu jeweils 7 € und erhält dadurch zwei verschiedene Pizzavarianten, die völlig ausreichend sind. Die Weinauswahl ist gut, für eine Pizzeria erstaunlich gut. Der gerade ins Sortiment aufgenommene Riesling von Becker Landgraf aus Rheinhessen ist ein puristischer, klarer und frischer Riesling, den man nicht nur als Aperitif trinken kann.
Der Spumante Brut „Ombra“ vom Ausnahmewinzer Nicola Gatta aus der Franciacorta-Region zeigt auf ganz individuelle Art Klasse. Feine Perlage, cremige Struktur, Aromen von Äpfeln, Brotkruste und Gebäck. Immer eine sichere Bank sind die Champagner von Gimonnet (hier ein Pinot Noir/Chardonnay), die wie ganz selbstverständlich zur Pizza passen. In der Pizzeria stehen sechs Wein-Offerten glasweise parat, die den Sommer und das Essen bereichern: Der Gris de Grenache von der Domaine de Vigier ist saftig und wunderbar trocken.
Auch beim Service hat man nicht das Gefühl in einer Pizzeria zu sein. Dominik berät so gastorientiert, freundlich und sachkundig als wäre er einem Toprestaurant entsprungen. Man trifft im Ciccione nur angenehme Servicekräfte, was angesichts des allgemeinen Personaldefizits in der Gastronomie ein kleines Wunder ist.
Andrei Lipan und sein Partner Michele Heinrich (den man als Kind „Ciccione“, den kleinen Dicken nannte) betreiben zusammen mit dem gegenüberliegenden Lokal Yaldy neben dem Ciccione auch noch die beste Adresse im Bahnhofsviertel. Sie halten die Fahne im Quartier hoch, gerade in einer Zeit, wo die hippe Ära vorbei ist und der Verfall erschreckende Formen annimmt. So lange es Adressen im Bahnhofsviertel wie Yaldy und Ciccione gibt, gibt es Hoffnung.
Ludwig Fienhold
Ciccione, Frankfurt, Münchner Str. 41, Mo-Fr. 12 – 22 Uhr, 18 – sold out, Sa 17 – 22 Uhr, So zu. Tel.069 9498 4340.
Fotos: Barbara Fienhold
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