Auf der Suche nach der ehrlichen Küche
Wer in Teufels Küche gerät, darf keine Angst vor Hitze haben. Insofern ist Jörg Zipprick ein Teufelsbraten. Er hat jetzt ein ganz heißes Eisen angefasst. Der Restaurantkritiker spießt jene Kochpraktiken auf, die den Gästen etwas vorgaukeln und nahezu unbekannt sind. Seinen Recherchen nach arbeiten viele in der Gastronomie mit Aromen und Zusatzstoffen, die illegal, schädlich und vor allem die reine Heuchelei darstellen. Vor allem Spitzenköche haben eine Vorbildfunktion und sollten sich handwerklich nur auf saubere Qualitäten besinnen. Wenn aber schon diese mit fragwürdigen Stoffen arbeiten, wie soll es dann erst in normalen Lokalen aussehen? Das neue Buch von Jörg Zipprick, der auch für den stern besonders kritische kulinarische Berichte schreibt, bietet auf 288 Seiten viel Stoff, vor allem Zündstoff.
Jörg Zipprick erzählt in dem Buch auch über seine kulinarische Laufbahn als Gastronomie-Journalist (Vif, Feinschmecker, Wein-Gourmet, Financial Times) Der Autor lebt seit vielen Jahren in Paris, der angeblichen Hauptstadt der Gourmets. Jörg Zipprick liebt seine Wahlstadt zwar, betrachtet sie aber viel kritischer als rosarot verliebte Eiffelturmbesucher. Das 288 Seiten starke Buch beginnt noch recht vergnüglich mit guten Restauranterlebnissen, wird dann aber zunehmend spitzer. Die sogenannte Molekularküche ist offenbar ein hochexplosives Gemisch. Im Zentrum der Kritik steht dabei die damit einhergehende Industrialisierung der Küche. Nach Zippricks Einschätzung wird es auch bei Spitzenköchen immer selbstverständlicher künstliche Aromen, Zusatzstoffe und bequeme Industrieprodukte einzusetzen, einige werben ja auch ganz offen dafür. Sehr viel beschäftigt hat sich der Autor nicht nur mit Johann Lafer oder Alfons Schuhbeck, Gegenstand ist vor allem immer wieder Ferran Adrià, der große spanische Molekular-Mogul.
Viele Köche, die Hilfsmittel oder Texturas einsetzen, betonen immer wieder, dass diese nicht gesundheitsschädlich sind. Jörg Zipprick aber möchte, dass trotzdem auf derlei Gaukelei verzichtet werden soll, weil damit ein Stück ehrliches Handwerk verloren ginge. Jörg Zipprick geht auch mit Kritikern ins Gericht, weil zu viele einfach zu unkritisch wären und sich bei Köchen nur beliebt machen wollten. Auch für die Lobredner der Molekularküche hegt Jörg Zipprick keine Sympathie. Unschwer zu erkennen ist dabei vor allem der frühere Freestylemusiker und jetzige Gastro-Anatom Jürgen Dollase aus dem Ruhrgebiet.
Wenn die Gourmet Guides Gault Millau und Michelin erscheinen, ist das Geschrei bei den Köchen immer groß. Bei dem Buch „In Teufels Küche“, das in diesen Tagen im Frankfurter Eichborn erscheint, wird dies ebenfalls so sein. Laut Zipprick hat es massive Einschüchterungsversuche gegeben, mit dem Ziel das Buch zu verhindern. Beschimpfungen ist er ohnehin gewohnt. Manchmal wird eben doch so heiß gegessen, wie es gekocht wurde.
Interviev mit Restaurantkritiker
Jörg Zipprick
BISS Zeitung: Bis jetzt hieß es doch immer, man habe noch nie so gut in Deutschland essen können wie heute. Und plötzlich sitzen wir in Teufels Küche?
Jörg Zipprick: Es gibt einen Sittenverfall in der Gastronomie. Gerade Spitzenköche haben als hochrangige Vertreter ihrer Zunft eine Vorbildfunktion. Wenn diese für Industrieprodukte werben und in ihrer Küche Zusatzstoffe, künstliche Aromen und Geschmacksverstärker verwenden, wird sich das weiter nach unten fortsetzen und verbreiten.
BISS Zeitung: Durch Hilfsmittel lässt sich sehr schnell ein Geschmack herstellen, der mit konventionellen Methoden mühsamer ist. Das könnte die Arbeit am Herd grundsätzlich verändern.
Jörg Zipprick: Am Ende dieser Entwicklung steht, dass die Handwerklichkeitverloren geht. Es ist ja viel einfacher in die Trickkiste zu greifen. Es gibt eine spanische Firma, die allein 190 verschiedene Aromastoffe und andere Helferlein verkauft. So geht das Wissen um Produkte verloren.
BISS Zeitung: Stickstoff beispielsweise wird inzwischen auch in Szenelokalen und Bars verwendet. Vieles, was gestern undenkbar gewesen wäre, wird unbekümmert auf allen Ebenen eingesetzt.
Jörg Zipprick: Die Nahrungsmittelindustrie versucht über die Topgastronomie Zusatzstoffe salonfähig und für alle vertretbar zu machen.
BISS Zeitung Wir haben in Deutschland sehr viele Topküche, deren Können unbestritten ist.
Jörg Zipprick: Aber man muss sich Sorgen um die Produktqualität machen. Große Köche, die beste Zutaten versprechen, kaufen drittklassige Ware oder tricksen ihre Gäste aus. Eine Kliesche (Art Rotzunge) wird als Seezunge serviert, Abfälle werden als Stopfleber verkauft, veredelt wird mit glutamathaltigen Gewürzmischungen. Während früher ein Koch ein guter Handwerker war, muss er heute ein Medienprofi sein, der Kochen vielfach nur noch vorspielt. Köche, die Produktqualität selbst nicht mehr erlebt und zerlegt haben, sind auch leichter Opfer skrupelfreier Lieferanten.
BISS Zeitung: Etikettenschwindel scheint ein beliebter Sport zu sein. Einen falschen Trüffel kann man eher erkennen als versteckte Zusatzstoffe, die bislang auch nicht deklariert werden müssen.
Jörg Zipprick: Es muss eine klare Kennzeichnung aller verwendeten Zusatzstoffe und Labor-Aromen geben, auch und gerade auf den Speisekarten der Spitzengastronomie.
BISS Zeitung: Es ist doch die Aufgabe von Journalisten und vor allem der Restaurantkritik auf solche Missstände hinzuweisen.
Jörg Zipprick: Es gibt zu wenige kundige Vorkoster und zu viele Claqueure gernegroßer Herdmeister, bei denen Private Equity Fonds (außerbörsliches Eigenkapital) eingestiegen sind, die als Anzeigenkunden Einfluss auf die Berichterstattung nehmen wollen. Internationale Hotelketten, die Spitzenköche beschäftigen, oder Industriepartner, – deren Würste, Saucen, Süppchen – der Koch gegen einen ordentlichen Obolus rühmt, drohen bei kritischer Berichterstattung den Redaktionen schnell mit einem Anzeigenboykott.
BISS Zeitung: Malen Sie nicht den Teufel an die Wand? Heißt das sogar am Ende, dass Sie nicht mehr Gourmetrestaurants besuchen und nur noch Würstchenständen vertrauen?
Jörg Zipprick: Es gibt sie noch, die erstklassige Gourmetküche. Und die muss auch nicht immer teuer sein. Auch das steht in diesem Buch.
Jörg Zipprick
In Teufels Küche
Ein Restaurantkritiker packt aus
Eichborn Verlag
288 Seiten
19.95 €
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