Gefährdet ein Gerichtsurteil die freie Meinung in Deutschland?
Von Jörg Zipprick
Wird jetzt Restaurantkritikern der Mund gestopft? Eine im Grunde recht harmlose Kritik an einem Restaurant wurde von einem Gericht verurteilt und löst bei Gastronomiejournalisten Magenbeschwerden aus. Diese Rechtsprechung könnte die gesamte Spezies der Restaurantkritiken gefährden und aufweichen.
Am Anfang war das Wort: „Enttäuschte“. Niemand hört gern, dass er enttäuscht. Das ist menschlich. Es folgte eine negativ untersetzte, aber recht harmlose Kritik:
„ Das traditionsreiche Gasthaus hat zwar eine schicke neue Lounge mit glasumrahmter Theke und blauem Lichtdesign, und die Holzterrasse ist im Sommer noch immer der beliebteste Platz. Dem holzgetäfelten Gourmetrestaurant täte eine Auffrischung allerdings ebenfalls gut.
Die Variation von der Gänseleber mit Eis auf säuerlichem Himbeergelee, Mousse-Röllchen und einem arg festen Würfel in Schokolade hatte einen leicht bitteren Nachgeschmack, der Hummer auf Kalbskopf war dagegen nahezu aromafrei. Zum Maibock servierte der sehr altmodisch-steife Service („bitte sehr, gnädige Frau“) ein mehliges Haselnuss-Kartoffel-Püree, und auch das mächtige Soufflé mit Panna Cotta zum Rhabarber-Dessert war ausdruckslos. Einziger Lichtblick: der geschmorte Schenkel vom Milchferkel auf Spitzkohl mit Kreuzkümmeljus. Und warum nach der Vorspeise die (trockenen) Brötchen im Brotkorb gegen ebenso trockene neue ausgetauscht wurden, haben wir auch nicht verstanden.“
Ähnliches steht dutzendfach in Restaurantführern. Der Text folgt dem Standard des Genres: Ein optisches Detail erwähnen, das beweist dem Leser, dass jemand vor Ort war. Die verkosteten Gerichte mit ihren Stärken und Schwächen beschreiben, das obligatorische Wort zum Service nicht vergessen.
Einem jedoch lag diese Kritik aus dem Restaurantführer des deutschen Magazins „Der Feinschmecker“ besonders schwer im Magen: Hans-J. Brogsitter vom derart kritisierten Restaurant Brogsitters Sanct Peter in Bad Neuenahr. Er zog vor Gericht. Dort anhängig waren jetzt nicht nur die oben genanten Textpassagen. Brogsitter wollte dem Feinschmecker-Guide auch untersagen, ihn von drei „F“ auf zwei „F“ herunterzustufen.
Wer sich länger und ernsthaft mit dem Thema Restaurantkritik beschäftigt hat, der könnte vielleicht schon Deftigeres zu lesen bekommen haben als die erwähnten Zeilen. Texte wie diesen: „Ein Besuch hier braucht guten Grund: Fettes Lachen, Sauflieder und laute Obszönitäten gehören zu unserem Kulturgut. Kommen sie deshalb tunlichst mit ihren Kindern in diese Hochstatt der Gastronomie….“ Oder diesen hier „Eigentlich wollten wir die hiesige Küche nicht mehr kritisieren, sondern lieber vom Charme des Kellers aus dem 17. Jahrhundert mit sanftem Kerzenlicht schwärmen. Leider können wir das nicht, denn hier serviert man eine ebenso prätentiöse wie nichtssagende Küche, die in Gold aufgewogen wird….“
Beide Texte stammen aus dem Pariser Guide Julliard und wurden Mitte der 1960er Jahre, also vor dem Aufkommen des Kultes um Political Correctness, von Christian Millau und Henri Gault geschrieben. Die Namen der Lokale habe ich jetzt mal verschwiegen, sonst werde ich nachher noch an die Wand gestellt, Verzeihung, vor Gericht gestellt.
Es waren verbale Schläge in die Magengrube. Toleriert wurden sie, weil Kritisierende und Kritisierte sich an ein Gentleman’s Agreement hielten, das nicht nur für Restaurants gilt: „Kritik, auch harte, ist in Ordnung. Falsche Tatsachenbehauptungen und Beleidigungen sind es nicht.“ Auch Anmerkungen zum Aussehen der handelnden Personen verbieten sich, außer vielleicht bei ganz eklatanten Verstößen gegen allgemeine Hygieneregeln.
Inzwischen haben sich die Zeiten geändert: Vor drei Jahren lauschte ich im spanischem Saragossa einem Vortrag des Soziologen Jean-Pierre Poulain von der Universität Toulouse. Die Köche, sagte er, entfalten verstärkte Bemühungen ihre Branche selbst zu klassifizieren. Konventionelle Restaurantkritiker würden als störende Eindringlinge wahrgenommen. Poulain sieht die „San Pellegrino 50 Best Restaurants“, bei dem viele etablierte Köche über ihre Berufskollegen richten, als Beispiel für seine These. Im Zuge des allgemeinen Kochbooms bemerkt man bei vielen Köchen eine oft diffuse Abneigung gegen Kritiker, obwohl die neben (wenig) Kritik ja auch (viel) Lob ausschenken.
Es ist die Art der Köche, den Medienvertretern zu zeigen, wer gerade „oben“ steht. Nun hat die Branche von unabhängiger Kritik ja auch einen Nutzen: Sie erhält Feedback, dass der normale Gast höchstens anonym und im Internet hinterlässt. Außerdem gibt es für jeden Kritisierten Schlimmeres als ein paar böse Worte: Was wäre, wenn niemand seine Arbeit zur Kenntnis nehmen würde? Nicht umsonst leben die Amerikaner nach der Devise „Any promotion is good promotion“. Alle Werbung ist gute Werbung.
Bei Brogsitters in Bad Neuenahr teilt man diese Meinung nicht: In erster Instanz folgte ein lustiger Justizschwank um den angeblichen Alkoholkonsum der Testerin: „einen Aperitif Blanc de Noir, drei Gläser Wein und einen Espresso.“ Das Landgericht Köln sprach sich für die Pressefreiheit der Restauranttester aus. Doch Brogsitter ließ nicht locker und erreichte vor dem OLG Köln ein wahrhaft epochales Urteil, über das sich gerade die schwarzen Schafe der Branche freuen können. Die beanstandete Kritik darf in Verbindung mit einer Abwertung von 3 auf 2 „F“ nicht mehr verbreitet werden. Sonst droht ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 Euro oder für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann – Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten. Sprengkraft entfaltet das Urteil, weil es auch für eine eher gemäßigte Kritik den Testern einige kostspielige Pflichten auferlegt
Zitieren wir doch einfach mal aus der Begründung:
„…Dabei mag es zwar zutreffen, dass im hier betroffenen Bereich der gehobenen Gastronomie an jedem Tag und zu jeder Zeit das auch werblich in Anspruch genommene hohe Niveau erwartet wird und zu realisieren ist. Angesichts der erheblichen negativen Auswirkungen der Kritik, die das Restaurant der Klägerin für die Dauer bis zum Erscheinen der Folgeauflage des Restaurantführers in einem negativen Licht erscheinen ließ, legten jedoch nicht nur die Gebote der Objektivität und des Bemühens um Richtigkeit die Überprüfung nahe, ob die vorgelegte Kritik sich als das Ergebnis nur eines einmaligen Besuchs einer einzigen Testesserin darstellte, sondern geht auch der von der Beklagten angesprochene Adressatenkreis davon aus, dass die auf die beschriebene Weise zeitlich perpetuierte schlechte und in ihren Auswirkungen schwerwiegende Restaurantkritik auf der Grundlage nicht nur eines einzigen Besuchs, sondern auf gesicherter Grundlage, beispielsweise nach wiederholtem Besuch derselben Testperson im Restaurant der Klägerin, getroffen worden ist. Eben diesen Anforderungen hat die Beklagte hier indes nicht genügt, weil die streitgegenständliche Kritik das Resultat nur des einmaligen Besuchs der von ihr dazu abgestellten Redakteurin in dem Gourmetrestaurant der Klägerin ist“.
Im Klartext: Ein einmaliger Besuch einer einzigen Person reicht also nicht, um ein Restaurant zu kritisieren.
Dieses Urteil dürfte den Finanzrahmen der wenigen verbliebenen seriösen Guides und Magazine bei Weitem sprengen. Das Gericht erwartet von Restauranttestern eine Leistung, die weder Staat noch Verbraucherzentralen erbringen. Flächendeckende Tests von Restaurants gibt es weder durch Verbraucherschützer noch durch Lebensmittelkontrolleure: Es gibt zu wenig davon, in vielen Regionen muss ein Kontrolleur 1200 Betriebe überwachen. Unter den offiziellen Gründen für diese Zustände firmieren natürlich die Kosten solcher Tests.
An Tester werden jetzt Anforderungen gestellt, die weder von offiziellen „Staatstestern“, noch von Gästen im Lebensalltag oder von „Hobby-Testern“ im Internet eingehalten werden. Und die von den Guides nicht eingehalten werden können. Dazu ein Rechenbeispiel: Der Guide Michelin, der einigen Personen immer noch als Referenz der Branche gilt, beschäftigt in Frankreich derzeit 15 Tester (Quelle: Michelin France). Diese bewerten 4000 Hotels, 500 Gästehäuser und 3300 Restaurants. Jeder Tester muss pro Jahr also 520 Hotellerie- und Gastronomiebetriebe besuchen. Wie viel Zeit da wohl für Mehrfachbesuche bleibt? Und wie viel Geld? Denn ebenfalls nach offiziellen Angaben werden inklusive preisreduzierter Sonderverkäufe vom Michelin France gerade mal 108.000 Exemplare verkauft (Quelle: Livre hebdo). Ein Michelin France kostet 24 Euro. Die Hälfte davon geht an den Buchhändler, auch Druck und Vertrieb kosten Geld. Inklusive Druck, Vertrieb, Auslieferung, Honoraren und Reisekosten würde der Michelin Frankreich, das Flaggschiff der testenden Branche, pro Etablissement über ein Budget von 166,15 Euro verfügen, um gerade eben so kostendeckend zu arbeiten. Das wird knapp.
Die reiche Reifenfirma wird’s schon richten und „aus Liebe zur Gastronomie“ beliebig Geld nachschießen? Eher nicht. „Le guide n’est pas une danseuse“ betonte schon vor Jahren Firmenchef Edouard Michelin „ Der Guide ist keine Tänzerin“, also kein kostspieliges Hobby.
An den Anforderungen des OLG Köln würde der Michelin France also mit einiger Wahrscheinlichkeit scheitern. Schließlich werden ja gerade die besseren Hotel und Restaurants beschrieben und getestet.
Ganz kritisch wird es, wenn das OLG Köln eine Restaurantkritik einem Warentest gleichstellt.
„…Äußerungen über die Bewertung der Qualität getesteter gewerblicher Leistungen eine der spezifischen Eigenart der Warentests – und um einen solchen handelt es sich bei einer das Angebot eines Speiselokals bewertenden Restaurantkritik…“
Nicht umsonst beruft sich das OLG in seiner weiteren Argumentation auf das Skibindungs-Urteil des Bundesgerichtshofes. Skibindungen sind zweifelsohne nach objektive Kriterien wie z.B. Belastbarkeit prüfbar. Und gerade das gilt bei Restauranttests nichts. Ein Restaurant ist ein Gesamterlebnis, das eben nicht nur aus Küchenleistung besteht. Anders als ein Handy oder eine Stereoanlage kann ich dieses Erlebnis nicht durch objektive Messgeräte erfassen.
Doch es kommt noch schlimmer: „In dieser Situation lag es für die Beklagte aber nahe, vor der Veröffentlichung eine weitere Überprüfung zu veranlassen um festzustellen, ob die bereits vorliegende Kritik nicht lediglich das Ergebnis einer womöglich sogar noch durch subjektive Befindlichkeiten der Testesserin beeinflussten bloßen Momentaufnahme widerspiegelt.“
Hier wird dem Tester die „subjektive Befindlichkeit“ ebenso untersagt wie die Momentaufnahme.
Jeder, absolut jeder Restauranttest ist jedoch eine Momentaufnahme. Kein Tester behauptet, dass man in einem rezensierten Lokal tagtäglich mittags und abends gleichmäßig schlecht ist. Und welcher Restaurantführer würde Platz für „schlechte Tipps“ opfern?
„In dieser Situation vertraut der angesprochene und erreichte Empfängerkreis auf die Objektivität des der zum Ausdruck gebrachten subjektiven Bewertung zugrundeliegenden Verfahrens bzw. der Art des Zustandekommens der Wertung.“
Sagt das OLG und erhebt damit ein Gebot der Objektivität. Dieses gerichtlich festgestellte Gebot stellt das Lebenswerk von Marcel Reich-Ranicki, Wolfram Siebeck, Henri Gault, Christian Millau und Roger Ebert sowie zahlloser weiterer bekannter Kritiker in Frage. So schreibt Filmkritiker Ebert vollkommen ungestraft in der „Chicago Sun Times“: „Transformers: Dark side of the Moon“ sei ein „visuell hässlicher Film mit inkohärenter Handlung, hölzernen Charakteren und dümmlichen Dialogen.“ Und das ist nur der allererste Satz. Ich und sehr viele andere werden sich „Transformers“ jetzt ganz bestimmt nicht anschauen. Hat Ebert also Hollywood geschädigt? Und ist, da ich ja Deutscher bin, nicht ein heimischer Kinobetreiber ebenfalls unter den Geschädigten, weil er von Ebert um das Geld für meinen Platz gebracht wurde?
Wie steht es um die Kunstkritik? Ist die objektiv? Und die Musik-Kritik? Ein Experte für elektronische Musik wird sich selten lobend über die Volksmusikanten der „Zillertaler Spatzen“ äußern. Damit ist er nicht objektiv. Ich zumindest erwarte das nicht von ihm: Subjektive Kritik ist die beste Kritik. Ich kenne in jedem Bereich einen Kritiker, einen Blogger oder ein Magazin mit dessen Meinung ich mich halbwegs identifizieren kann.
Nebenbei stärkt das OLG Köln, die primitivste Form der Restaurantkritik: Ich verleihe ein, zwei oder drei Sternchen ohne Text und Begründung. Denn für Text und Begründung kann ein Autor ja vor Gericht landen. Willkür ohne Argumentationsansatz wird belohnt, ein Argumentationsansatz im Text jedoch bestraft. Und wie es bei Michelin um das „Zustandekommen der Wertung“ steht, weiß kein Mensch. Ich erinnere nochmals daran, dass die Lebensgefährtin von Ex-Generaldirektor Jean-Luc Naret während seiner Amtszeit eine Beratungsagentur für die Gastronomie betrieb. Böse Zungen könnten jetzt über „objektive Bemerkungen auf dem Kopfkissen“ lästern, was mir natürlich fern liegt. Nahe liegt hingegen die Frage wie Herr Brogsitter wohl seine Klage begründet hätte, wenn der Feinschmecker ihn einfach textlos von drei „F“ auf zwei „F“ gestuft hätte?
Ein Restaurantkritiker ist, im besten Fall, eine Art gelernter Gast. Er verfügt über die notwendige Erfahrung, Restaurants zu vergleichen – vielleicht sogar über mehrere Jahrzehnte und verschiedene Kontinente. Er ist jedoch nicht nur Berichterstatter, sondern betrachtet das Lokal aus der Gästeperspektive. Zu jeder Zeit haben unzufriedene Gäste ihre Erfahrungen weitergegeben. Oft wählten sie dafür Worte, die einen Pressevertreter sofort vor Gericht gebracht hätten. Heute kann ich als unzufriedener Einzelgast durch Postings im Internet, vielleicht sogar mit wechselnden Pseudonymen, eine regelrechte Kampagne gegen ein Restaurant entfesseln. Ich muss dazu nicht einmal dort gegessen haben. Und wenn Leute mit Pseudonymen wie „Conan der Barbar“, „Cuisinieros“, „Vlad der Pfähler“ oder „Foie Gras Prolet“ ihre Restaurantbewertungen ablassen, durfte der Gang vor den Kadi wenig Erfolg versprechen.
Das gilt übrigens nicht nur für Kritik, sondern auch für Eigenlob oder Lob im Allgemeinen. Dazu wieder ein Beispiel: Wer die Versionsgeschichte des Wikipedia-Profils eines bekannten deutschen Kritikers aufruft, sieht mit Verblüffung, dass die erste, überschwänglich lobende Version aus der Feder eines gewissen „Alain Ducasse“ stammt. Und dieser eminente Autor nahm sich sogar die Zeit, den Wikipedia-Eintrag neunmal zu verändern.
Alain Ducasse, Spitzenkoch in Paris und Monaco, hat diesen Beitrag nach eigenen Angaben nicht verfasst. Schlimmer noch: Er empfindet die Verwendung seines Namens für Kritikerlob nicht als amüsanten Witz. Doch das Wikipedia-Profil des Nutzers Ducasse ist inaktiv, wie soll der rechtmäßige Inhaber des Namens heute feststellen, wer da im Jahre 2005 als „Alain Ducasse“ getextet hat? Manchmal ist das Internet eben doch ein rechtsfreier Raum.
Im Falle der Feinschmecker-Kritik hat die Testerin ohne Hinweis auf ihre Tätigkeit reserviert und ihre Rechnung bezahlt. Dies ist in der Branche fast schon eine löbliche Ausnahme. Es hat ihr nicht geschmeckt, teilweise. Schließlich war das Milchferkel ja gut. Vielleicht hatte sie für 108 Euro auch anderes erwartet. Einem Gast hat es nicht geschmeckt und dieser Gast hat besagte Information weiter gegeben. So etwas passiert jede Woche in allen Lokalen, vom Louis XV in Monaco bis zu „Harry’s Frittenbude“ am Stadion. Schlimmer noch, solches Verhalten tritt sogar zwischen Organen der Rechtspflege auf: In meiner Jugend, also vor mehr als 20 Jahren, kam ich einmal in das Vergnügen, an einem Oberlandesgericht ein kurzes Praktikum ableisten zu dürfen. So war es im Rahmen des Studiums vorgeschrieben. „Mein“ OLG lag in Düsseldorf und nicht in Köln. Wahrscheinlich ist nur durch die Geografie zu erklären, dass ich als Ohrenzeuge erlebte, wie leibhaftige Richter ihren Berufskollegen gelegentlich vom Besuch der Kantine abrieten. Schlimmer noch, auf Gerichtsfluren wurden Restauranttipps in der Umgebung ausgetauscht. Tipps waren es eigentlich weniger, mehr Kritiken. Mehrfach fielen böse Worte wie „Schweinefraß“, die in Restaurantkritiken eigentlich weniger vorkommen.
Hätten die Richter als Organe der Rechtspflege nicht mit gutem Beispiel voran gehen sollen? Vielleicht hätten sie die Orte mit „Schweinefraß“ so lange besuchen müssen, bis es dem Wirt gelingt, eine halbwegs anständige Mahlzeit auf den Tisch zu bringen? Zumindest, wenn sie die Absicht hegten, einem Kollegen, der ja ebenfalls ein wichtiges Organ der Rechtspflege ist, einem Restauranttipp auszusprechen? Darf man Restauranttests von Richtern und Tipps von Profitestern wirklich auf eine Stufe stellen? Nun, zeigen sie mir einen Menschen, der nicht auf die Restaurantempfehlungen von Freunden und Kollegen hört.
Kurioserweise scheint das OLG Köln gleichzeitig eine hohe Meinung vom Beruf des Restauranttesters zu haben. Zumindest billigt es ihnen zu, Existenzen an den Rand der Vernichtung treiben zu können. Ein Bild der Branche, das aus Filmen wie „Brust oder Keule“ mit Louis de Funès stammt.
„…lag es auch für die Beklagte erkennbar anhand der oben aufgezeigten Umstände nahe, dass die Auswirkungen der in ihrem Restaurantführer über das Gourmetrestaurant der Klägerin veröffentlichten Kritik ganz erhebliche Nachteile nach sich ziehen konnten, die bis an die Grenze einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz gehen konnten. Dass andere Restaurantführer das Gourmetrestaurant der Klägerin positiv beurteilten, steht dem nicht entgegen. Denn jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil des auf die beschriebene Weise sensibel auf negative Beurteilungen reagierenden Interessentenkreises wird seine Entscheidung nicht lediglich auf der Grundlage nur eines Restaurantführers treffen. Selbst wenn dieser Kreis in einer Publikation auf eine durchweg positive Beurteilung des Gourmetrestaurants der Klägerin stößt, wird er bei Kenntnisnahme der sich mit dem nämlichen Restaurant befassenden, hier zu beurteilenden abwertenden Restaurantkritik der Beklagten aber in seiner Einschätzung „irritiert“, was geeignet ist, die Neigung zu fördern, sich gegen das besprochene Restaurant der Klägerin zu entscheiden, zu fördern.
Eine negative Kritik im „Feinschmecker Guide“ geht nach Ansicht des OLG Köln potenziell also an die Grenze der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz von Brogsitters Sanct Peter. Das sind starke Worte, die nur wenige Gastronomen als wirklich schmeichelhaft empfinden würden.
Außerdem entscheidet nach Ansicht des OLG Köln ein nicht unerheblicher Kreis von Feinschmeckern nach der Lektüre von mehreren Guides, abweichende Bewertungen könnten sie „irritieren“.
Eine Forderung nach verbindlichen Absprachen zwischen konkurrierenden Guides zwecks kohärenten und einvernehmlichen Urteils ist hier nur noch einen Federstrich entfernt. Die nächste Generation von Richtern könnte auf die Idee kommen, Wirten und Gästen die irritierende und zweifelsohne traumatisierende Erfahrung abweichender Werturteile zu ersparen.
Sind Feinschmecker entmündigte Leser, willenlos einer Vielzahl von Testberichten ausgeliefert? Mir scheint, dass der aufgeklärte Esser von heute noch nie so viele Möglichkeiten hatte, sich über Restaurants zu informieren: Die Speisekarte auf der Homepage des Restaurants, die Einschätzungen von Guides, Tagespresse, Magazinen, Internetportalen, Food-Bloggern und und und.
Die negative Kritik – ist sie ein Existenzvernichter? Nun, Millionen Menschen lieben und lesen „Harry Potter“-Bücher. Eine Liebe, die nur von wenigen Literaturkritikern geteilt wird. Auf dem hoch konkurrenziellen Buchmarkt hätten die bösen Kritiker also Frau Rowling längst in den Ruin schreiben müssen. Aber das OLG hat gesprochen. Fügen wir uns also, folgen wir seiner Meinung, stufen wir die Restaurantkritik als Warentest ein und ziehen wir ein paar Schlussfolgerungen. Kann der Tester vielleicht jetzt eine Reihe von Informationen einfordern, die seinen Warentesterkollegen selbstverständlich zustehen? Jeder Hersteller von Waschmaschinen informiert über Strom- und Wasserverbrauch seiner Geräte. Nokia, HTC, Samsung und Apple übergeben Testern selbstverständlich die technischen Spezifika ihrer Smartphones: Prozessortyp und Taktfrequenz, Speicher, Display und Auflösung, Betriebssystem, Strahlung und vieles mehr.
Im Zuge der neuen Einstufung des Testens halte ich es für unverzichtbar, dass Wirte fortan Restaurantkritiker verpflichtend mindestens zu folgenden Punkten informieren: Verwendung von Zusatzstoffen und Labor-Aromen, mit Nennung der Substanz, Menge und Hersteller. Verwendung von Convenience-Food und Vorgekochtem aus der Fabrik. Aussagekräftige Bestätigungen zum Wareneinsatz (Rechnungen, eidesstattliche Versicherungen, dazu natürlich Abrechnungen über Löhne und Sozialabgaben) zwecks sachkundiger und neutraler Bewertung des Preis-Leistungs-Verhältnisses.
Wahrscheinlicher ist leider, dass die Entscheidung des OLG Köln jetzt jede Form der Restaurantkritik weich machen könnte. Die Fixierung der Branche auf das Positive, unter Kritikern ohnehin verbreiteter als Erkältungskrankheiten an einem Wintertag, wird exponentiell zunehmen. Die Clowns der Branche, die Kumpel-Kritiker, die Korrumpierbaren und Windigen werden jetzt Aufwind bekommen. Aber auch die Leser von Kritiken könnten dadurch weniger ehrlich, offen und aufrichtig informiert werden. Es muss keineswegs so weit kommen, das letzte Wort dazu ist noch nicht gesprochen.
Kommentar von Manfred Kohnke
Chefredakteur Gault Millau Deutschland
„Ich bin sicher, dass in der causa Abwertung von Restaurants das letzte Urteil noch nicht gesprochen ist und möchte mich deshalb als Nichtjurist in der Bewertung der OLG-Entscheidung zurückhalten. Außerdem will ich mich weder direkt noch indirekt zu den Tests von Kollegen einlassen, was ich ja täte, wenn ich mich im Zusammenhang mit dem erwähnten Urteil zu Testkriterien äußere. Unsere finden Sie übrigens unter www.gaultmillau.de in der Rubrik „Über uns“ unter RestaurantGuide.“
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