Mit dem Geigerzähler ins Restaurant? | BISS

Mit dem Geigerzähler ins Restaurant?

Reaktionen der Köche auf die japanische Atom-Katastrophe

Japanische Lebensmittel stehen unter Verdacht. Die Atom-Katastrophe von Fukushima hat auch die Hotellerie und Gastronomie erreicht. Nicht nur in Japan, auf der ganzen Welt. Der Pazifik wird verseucht, Tausende Tonnen radioaktives Wasser wurden ins Meer geleitet. Cäsium und Jod im Fisch sind die Folge. Die Strahlenbelastung kennt aber auch sonst keine Grenzen. Was ist mit Reis, Gemüse, Pilzen, Tee oder Soja? Die Situation ist unübersichtlich, zumal die Informationspolitik in Japan aus Halbwahrheiten und Lügen besteht. Das erzeugt überall größtes Misstrauen. Sollen wir jetzt ständig mit dem Geigerzähler einkaufen und essen gehen? Die EU hat bislang keine Hinweise, dass radioaktiv kontaminierte Lebensmittel aus Japan nach Europa gelangt sind. Eine Momentaufnahme durch Stichproben indes, die auf viele Jahrzehnte gesichert werden muss. Höchste Vorsicht ist angebracht, doch darf man nicht in Hysterie verfallen und jetzt alles Japanische meiden. Man bringt sich damit um ein Stück Lebenskultur. Gerade die japanische Küche, die weit mehr als Sushi zu bieten hat, gehört zu den besten und interessantesten auf der Welt.

Das Lokal Sushiko in Frankfurt-Sachsenhausen kann nicht über Gästeschwund klagen und gehört nach wie vor zu den In-Plätzen der Stadt. Dort ist man auch ganz richtig in die Offensive gegangen und nennt alle Produkte und ihre Lieferanten. Unter dem Titel „Die Angst vor verstrahlten Produkten aus Japan ist groß“ wird vernünftig aufgeklärt. „Es häufen sich die Fragen unserer Gäste nach unseren Bezugsquellen. Sie wollen wissen, ob man Fisch und Sushi noch essen kann“, erklärt Geschäftsführer Phil-Ro Yoon. Deshalb präsentiert er im Lokal und auf der Internetseite eine Liste mit den Rohstoffen und den Ländern aus denen sie kommen: Aal aus Tawain, Shrimps aus Thailand, Ingwer aus Südkorea, Lachs aus Norwegen, Reis aus den USA, Sojasauce aus Südkorea, Steinbutt aus Holland, Thunfisch aus Spanien. Die Jakobsmuscheln, die von der Insel Hokkaidō aus mit 40 000 Tonnen in großer Menge geliefert werden, können derzeit nicht als unbedenklich gelten. Das Lokal Sushiko bezieht sie deshalb lieber aus Kanada. Dennoch muss man wissen, dass jährlich insgesamt gerade einmal 60 Tonnen Fisch aus Japan nach Deutschland importiert werden.

Die Fischerei im Pazifik beschert uns in Deutschland vor allem Seelachs, Schwertfisch, Kabeljau, Scholle und Lachs. Der Seelachs gehört zu den meistverkauften Fischen und wird in Deutschland vor allem zu Fischstäbchen verarbeitet, die gerne von Kindern gegessen werden.  Hochgiftiges Plutonium und radioaktives Jod verteilen sich auch im Wasser über große Flächen und werden von den Fischen aufgenommen. Für die Vergiftung durch den atomaren Crash kann es derzeit keine Entwarnung geben. Meint auch der Greenpeace-Konsumexperte Jürgen Knirsch, der eine Beobachtung und Kontrolle auf sehr lange Sicht sieht. Japanische Lebensmittel, die zum großen Teil auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt eintreffen, werden zwar stichprobenweise untersucht, doch bietet dies keine ausreichend umfassende Sicherheit. Nach Ansicht von Greenpeace müssen auch Industrie und Handel Kontrollen ausüben. Gesunde Appelle, aber wer wird letztlich aktiv, bevor Schäden eintreten? Wie so oft, ist der Mensch auf sich selbst gestellt und kann nur seinen eigenen Informationen, Instinkten und den Gastronomen und Händlern seines Vertrauens Glauben schenken.

Mario Lohninger

Mario Lohninger

Der Gault Millau „Koch des Jahres“, Mario Lohninger aus Frankfurt (3 Lokale: Silk, Micro, Lohninger) liebt Japan und seine Küche. Er hat mit Kawano Hirofumi aus Sapporo seit sechs Jahren auch ein Talent in der Küche im Restaurant Silk, das sich hervorragend auf Sushi und Sashimi versteht, die zu den besten der Stadt gehören. Mario Lohninger bestätigt, dass es wegen der Japan-Krise eine Verunsicherung gäbe – bei Gästen und Gastronomen. Er hat aber auch schon vor dem Japan-Desaster den weitaus größten Teil der Produkte aus dem Mittelmeer, von Kanada oder Kalifornien bezogen. Lohninger meint, dass es zu den meisten japanischen Rohstoffen Alternativen gäbe, die er auch entsprechend einsetzen würde. Lohningers japanisches Sake-Dinner im Micro war so oder so die am schnellsten ausverkaufte Veranstaltung seit Bestehen der Restaurants.

Tim Raue

Tim Raue vom gleichnamigen Restaurant in Berlin arbeitet wie kaum ein anderer deutscher Spitzenkoch asiatisch. Er lässt sich vor allem von Japan und China inspirieren und setzt entsprechende Produkte ein – Ingwer, Algen, Miso, Galgant, Wasabi, japanischen Salat oder Sake. Er verlässt sich dabei nach wie vor auf seine Lieferanten in Tokio, denen er vertraut. Er versteht die Hysterie in Deutschland nicht und fühlt sich durch ständige Fragen von Gästen nach verstrahlten Lebensmitteln genervt. Tim Raue kocht auch gerne mit dem Diamond Label Beef der japanischen Rinderrasse Wagyū. Doch dieses oft falsch als Kobe bezeichnete Fleisch kommt zumeist aus Australien.

Das Restaurant Taku im Excelsior Hotel Ernst in Köln gilt als eines der besten asiatischen Lokale in Deutschland. Küchenchef ist indes ein Deutscher mit österreichischen Wurzeln – Nicolas von Auersperg. Er arbeitet im Grunde panasiatisch und lässt auch China, Thailand, Malaysia, Vietnam, Korea und Indien kulinarisch einfließen. Doch gerade die japanisch beeinflussten Speisen verstehen sich als Signature-Gerichte, etwa in Sake und Soja pochierte Steinbeißerbäckchen auf mariniertem Algensalat und Tempuragemüse oder Seeteufel mit Wasabikruste und Sobanudeln. Auch die Auswahl an hochwertigem Sake ist vorbildlich. Wie aber wirkt sich im Excelsior Hotel Ernst die Japan-Krise aus? Jedenfalls nicht mit Gästeschwund. Die Gäste bestellen auch nach wie vor japanische Gerichte, stellen aber verstärkt Fragen, wo genau die Rohstoffe dafür herkommen. Küchenchef von Auersperg hat dafür Verständnis. Er vertraut jedoch auch den Kontrollsystemen und kann sich nicht vorstellen, dass verstrahlte Waren nach Deutschland kommen können. Auch er arbeitet seit langem zum größten Teil mit Produkten aus anderen asiatischen Ländern, zumal es nahezu zu allem Japanischen Alternativen gibt – bei Fisch, Reis, Soja und vielem mehr. Von Auersperg überlegt, ob er dies jetzt nicht auch auf der Internetseite des Restaurants kommunizieren sollte.

Nicolas von Auersperg

Vielleicht noch tiefgreifender als die konkrete Angst vor verstrahlten Lebensmitteln wirkt im Bewusstsein die emotionale und mentale Begleitung, die mit einem Besuch in einem japanischen Lokal einhergeht. Es drückt derzeit aufs Gemüt, wenn man japanisch essen geht und gleichzeitig die deprimierenden Bilder aus diesem Land vor sich sieht. Spätestens aber, wenn die ersten verseuchten Lebensmittel irgendwo entdeckt würden, könnte der atomare Super-GAU auch katastrophale Folgen für die japanische Gastronomie  haben – überall auf der Welt. Noch kocht das Misstrauen von Gästen und Konsumenten auf kleiner Flamme. Weitere schlechte Nachrichten könnten aber leicht Öl ins Feuer gießen.

LF

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