Wenn Männer zu viel kochen | BISS

Wenn Männer zu viel kochen

Männer können auch kochen

Mundwinkeldeformation mit

Eiweißgerinnungsgrenze

 

Ludger Fischer wurde als Autor zum Thema „Küchenirrtümer“ bekannt. Jetzt hat er nachgelegt. In seinem neuen Werk „Mann kocht!“ wird kochenden Herren reiner Wein eingeschenkt.

Früher stellten sich kochende Männer im Sommer an den Grill. Im Kühlschrank wartete ein Sixpack, die Herren der Schöpfung nestelten an der Schürze und fanden sich dann in einer Rolle wieder, die ihnen seit Urzeiten zustand: Sie waren Hüter der Flamme. Anschließend kehrten sie wieder auf den Fernsehsessel zurück. Oder Mann kochte ein Sonntagsmenü, wenn möglich aus der Rezeptsammlung eines „Spitzenkochs“, um die Küche dabei in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Frau durfte anschließend aufräumen, schließlich war sie doch gerade kulinarisch auf Profi-Niveau verwöhnt worden.

Dann kam der Koch-Boom und spülte in Büchern, Magazinen und TV-Sendungen eine neue Generation von Männern nach oben. Zum Beispiel solche, die in der Garung „extrem hart an die Eiweißgerinnungsgrenze heranfahren“. Oder solche,  die sich am Herd ohne Thermomix, Pacojet oder Gefriertrocknungsanlage geradezu impotent fühlen. Solche, die durch verstärkten Glauben an Aphrodisiaka auf den Teller eben gerade diesem Zustand entkommen wollen. Und  solche, die quasi als kulinarische Daseinsberechtigung gleich ein eigenes gedrucktes Magazin benötigen, um die Welt um ihre Sicht des Kochens zu bereichern.

Sie alle und noch viele andere Männertypen werden mit Sinn fürs Detail vom Autor Ludger Fischer aufgespießt. Köstlich, wie er die Inhaltsstoffe eines sehr Methylcellulose-lastiges Menü des spanischen „Spitzenkochs“ Paco Roncero zerpflückt. Das Zeug ist der Hauptbestandteil von Tapetenkleister, kostet fast nichts und ist schon deshalb bei einigen Küchenkünstlern hoch beliebt. Besorgniserregend, wie er die gesundheitlichen Nebenwirkungen eines Rezeptes von „Spitzenkoch“ Quique Dacosta erläutert. Amüsant, wie er die spanische Tendenz zur verbalen Intellektualisierung ihrer Techniken parodiert: Der Spherificación und ähnlichen -caciónen fügt Fischer die Dickificación (für „eindicken“) hinzu; jeder sollte diese Worte drei Mal laut aussprechen, um zu hören, wie lächerlich sie klingen.

Gerade dieses Kapitel sollte man ruhig zwei mal lesen, schließlich ist Ludger Fischer, Jahrgang 1957, auch Mitglied der „Beratenden Gruppe für die Lebensmittelkette“ der Europäischen Kommission, des Beratungsgremiums der Interessenvertreter bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und anderer EU-Gremien zu Fragen der Lebensmittelsicherheit.

Ohnehin versteckt sich im Buch eine stramme Anzahl Seitenhiebe: Da wird Anthony Bourdain zum „Bukowski der Kombüsen“, da attestiert Fischer einem bekannten Fernsehkoch, seine „Mundwinkeldeformation“ könne den Anschein einer freundlichen Miene erwecken. Und, ja, auch die Griller bekommen ihr Fett weg; wie so oft geht es auch hier um den – typisch männlichen – Aufrüstungswahn in Einbau- und Profiküchen.

Molteni-Herd

„Mann kocht!“ können Mann und Frau auf zwei Arten lesen: Als Sammlung von Anekdoten zum Thema Geschlechterkrieg am Herd. Oder als ironisches Portrait der derzeit vorherrschenden Protagonisten der Gastronomie, sei es in der Küche oder in den Medien, für die gute Küche einen „Intensifier“ und einen Zusatzstoff-Zoo braucht. Besonders Aufrüstungsverweigerer am Herd werden das Buch gern lesen. Publikationen, die sie als rückwärtsgewandte Steinzeitgourmets klassifizieren, gibt es schließlich schon genug.

Jörg Zipprick

 

Dr. Ludger Fischer, Mann kocht! Eichborn 2012, 14,99 €

 

 

 

 

 

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