The World´s 50 Best Restaurants: Kohle statt Küche | BISS

Kategorie | 2016, Aktuelles, Archiv, Mai 2016

The World´s 50 Best Restaurants: Kohle statt Küche

Unknown

Die Fifa der Köche

 

Nordkorea als Veranstaltungsort?

 

Ex-Chef Petrini lässt nichts Gutes erahnen

 

Dass es quer durch die Medien immer noch Journalisten gibt, welche die 50 Best Listen völlig unkritisch und unterbelichtet bringen, zeigt auch etwas vom Stand der Presse in diesem Land. Wir interessieren uns mehr für die Hintergründe und die Hintermänner dieser so offensichtlich fragwürdigen Hitparade des freien Unsinns.

Chairman der „50 Best“ zu sein, das verspricht kein Geld. Der Posten ist ehrenamtlich – und dennoch begehrt. Die Erwählten werden hofiert, beachtet, erhalten Einladungen, geben Interviews. Kurz vor der Premiere der umstrittenen Klassifizierung hat der ehemalige Chairman France Andrea Petrini das Wort ergriffen und sich zu den 50 Best und seinem Nachfolger Nicolas Chatenier geäußert: „Das ist ein undurchsichtiger Typ (quelqu’un d’occulte), der ein Restaurant hat, Pressesprecher (für Köche) ist, die Kommunikation der Grandes Tables du Monde verwaltet.Wenn das kein Interessenkonflikt für seine Mission ist, heiße ich Genevieve! Wissen Sie, es gibt alle fünf Jahre einen Wechsel des Chairman. Es war ganz normal, dass ich die 50 Best verlassen habe, zu denen ich 12 Jahre gehörte. William Drew, der Chefredakteur des Restaurant Magazine, rief mich an und sagte mir: Sie wissen, es ist kompliziert, mit Imageproblemen in Frankreich, mit Relais & Châteaux Köchen und 3-Sterne-Leuten, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Andrea Petrini

Andrea Petrini

Chatenier persönlich hat den Eigentümer der Gruppe (William Reed Business Media, Verleger von Restaurant Magazine) kontaktiert und sich selbst als Spin Doctor präsentiert, als richtigen Mann der Lage, um ihn mit den Profis in Frankreich zu versöhnen. Im April 2015 organisierte er eine Fete in kleinem Kreis zwischen den Köchen und der Führung der 50 Best. Dabei waren Adeline Grattard, Jean Sulpice, ein Vertreter von Yannick Alléno, Jean-François Piège, Mauro Colagreco. Im Mai kam dann die Pressekonferenz in Paris. Zur ersten wurde ich nicht eingeladen. Bei der zweiten war ich wohl der einzige Journalist in Frankreich, der nicht von der Durchführung der Veranstaltung unterrichtet war. Ich wurde gefragt, ob ich nicht abstimmen möchte, ich sagte „Nein danke“, aus offensichtlichen Gründen. Jenseits von Chatenier ist bei den 50 Best unglücklich, dass wirtschaftliche Fragen alles in den Schatten stellen. „Wenn Nordkorea mehr auf den Tisch legt als Thailand, dann findet das Ganze in Nordkorea statt.“ (zitiert nach Ezéchiel Zérah auf atabula.com). Glaubt man dem ehemaligen Chairman Petrini, geht es bei den 50 Best also um Kohle und nicht um die Küche.

Jörg Zipprick

 

Unbestechlich oder lupenreine Klüngelei?

 

Stellen wir uns mal vor, ein Sportreporter wäre Berater von Bayern München, ein Automobiltester stünde bei VW unter Vertrag und ein Filmkritiker würde seine eigenen Drehbücher vermarkten, die später von ihm Top-Noten erhalten. Was würde man vom Urteil dieser Autoren halten? Nicht so viel? Dann lesen Sie besser nicht die Liste der sogenannten 50 weltbesten Restaurants von William Reed Business Media, in der Köche, PR-Agenten und Berater über andere Köche abstimmen.

Zur Erinnerung:“Die 50 weltbesten Restaurants“ stützen sich auf ein System von Chairmen, die Wähler ernennen, welche anschließend für Restaurants stimmen. In der Vergangenheit berichteten wir über diverse Exzesse des Systems – eine Kritik die damals auch von führenden Köchen und der New York Times geteilt wurde.

Solcher Kritik pflegt William Reed Business Media inzwischen mit dem Mantra zu begegnen, die 50 Best seien durch die Wirtschaftsprüfer des weltweit verzweigten Unternehmens Deloitte zertifiziert. Die französische Presse zitierte die Führungsriege der Briten gar mit den Worten „Deloitte verifiziert, dass die Stimmberechtigten keine finanziellen Interessen an den Betrieben haben.“ Das klingt nach einer sinnvollen Maßnahme.

Boris Yu

Boris Yu

Wir wollten es aber genauer wissen und starteten im vergangen Jahr ein kleines Experiment: Deloitte London bekam eine freundliche Mail mit der Frage, ob sie tatsächlich die Stimmberechtigten der 50 Best nach Interessenkonflikten überprüfen. Dann ging es zur Sache: „Einer dieser Chairmen ist Herr Boris Yu aus Hongkong. Yu ist der Besitzer von „Bo Innovation“, einem Top-Restaurant in der „50 Best“. Ist dies ein Fall von „finanziellen Interessen“, wie von Deloitte definiert? Wenn nicht, wie definieren sie „finanzielle Interessen“?

Die spanische „Chairwoman“ Roser Torras ist der Inhaberin einer PR-Agentur, die für führende spanische Köche wie Andoni Luis Aduriz oder Martin Berasategui und viele mehr arbeitet. [die aktuelle Kundeniste ist unter www.grupgsr.com einsehbar]. Der französische Chairman Andrea Petrini veranstaltet Events mit 50 Best-Köchen. Während seiner nächsten Veranstaltung werden 37 dieser Köche für ihn gratis arbeiten. Ist das ein Fall von „finanziellen Interessen“, wie von Deloitte definiert? Wir wiesen Deloitte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Gratisarbeit der Köche, legt man ihren normalen Tagessatz zu Grunde, einem Wert von etwa einer Million britischen Pfund entspricht.

Nicolas Chatenier arbeitet zumindest gelegentlich mit Charles Reed, Group Managing Director von „William Reed Business Media“, Inhaber der „Welt 50 Best Restaurants“. Chatenier arbeitet auch als Agent für mehrere Köche, die von den 50 Best gut eingestuft werden und besitzt eine Agentur, die Köche vermarktet. Ist dies ein Fall von „finanziellen Interessen“?

Mehrere sogenannte „Partnerländer“ wie Südkorea, Peru oder Singapur sind sehr gut in dieser Liste vertreten. Hat Deloitte Unternehmen diese Fälle bezüglich Interessenkonflikten überprüft? Deloitte-Mitarbeiter Ben Jun-Tai antwortete ein paar Tage später: „Vielen Dank für Ihre Fragen, aber ich befürchte, dass wir nicht in der Lage sind, Kunden-Angelegenheiten zu kommentieren…“ Die Wirtschaftsprüfer wollten weder bestätigen noch dementieren, dass sie tatsächlich nach Interessenkonflikten gesucht hatten.

Nicolas Chatenier

Nicolas Chatenier

Abschließend lehnten wir uns entspannt ein Jahr zurück und schauten mal, was hinter den Kulissen passiert: Boris Yu wurde in die Asien-Jury versetzt, Roser Torras gab nach nur einem Jahr ihre Aufgaben an die Journalistin Cristina Jolonch weiter. Andrea Petrini gehört nicht mehr zu den Chairmen.

Das klingt beim ersten Lesen nach einem gehörigen Aufräumen. Doch Yus Restaurant liegt in Asien, wo er abstimmt. Cristina Jolonch arbeitet eng mit Torras zusammen, unter anderem in der Plattform „7canibales“. Und der neue Franzose Nicolas Chatenier? Auf der Website der 50 Best heißt es „der Autor und Consultant Nicolas Chatenier ist seit 10 Jahren in die Welt der französischen Küche eingetaucht. Im Jahr 2012 veröffentlichte er „Mémoires de Chef“, eine detaillierte und lebendige Beschreibung der Nouvelle Cuisine-Bewegung im Frankreich der 1970er Jahre. Er schreibt regelmäßig über Essen und Restaurants in Monde, Vanity Fair und GQ.“

Roser Torras

Roser Torras

Tatsächlich hat er dort einige Beiträge veröffentlicht. Sein Geld verdient Nicolas Chatenier jedoch mit dem Management von Köchen. Der ehemalige Vorstand von „A. Decat“, einem Hersteller von Medaillen und Abzeichen, der nach einem Liquidationsverfahren aus dem Handelsregister gelöscht wurde, startete mit dem Fernsehkoch Cyril Lignac und arbeitete später für Drei-Sterne-Köchin Anne-Sophie Pic aus Valence sowie ihren Mann David Sinapian. Diesen beiden soll er einen prominenten Patz bei der Vereinigung Grand Tables du Monde verdanken. Zu seinen Kunden gehört auch der Ein-Sterne Koch Alexandre Gauthier aus Nordfrankreich, der von diversen Publikationen in England und Deutschland extrem hoch gehandelt wird. Mit Starkoch Yannick Alleno jettete er nach Asien, auch zu Alain Ducasse soll er gute Beziehungen unterhalten. Anders als seine Kollegen kommuniziert Chatenier keine Liste seiner Kunden, posiert manchmal als Berater, dann wieder als Spin Doctor und schließlich als Journalist. Allein das bezeichnet man in der Medienbranche gemeinhin als Interessenkonflikt.

Insider fragen sich jetzt, wie die Köche Pascal Barbot und Inaki Aizpitarte, zwei enge Freunde des Chairman Petrini, die stets an seinen Events mitwirkten, in diesem Jahr im Vergleich zu Chateniers Kundenkreis abschneiden. Wir werden jedenfalls auch in diesem Jahr die Wirtschaftsprüfer von Deloitte fragen, wie man dort solche Fälle einschätzt. Die Küchen-Serie „The Untouchables“ läuft weiter.

Jörg Zipprick

 

Artikel der New York Times zum Thema

http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9803EFD71438F930A25757C0A9679D8B63&pagewanted=all

 

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