Starker Start von
Julian Stowasser
Von Ludwig Fienhold
Das Restaurant Weinsinn in Frankfurt hat innerhalb kurzer Zeit gleich zwei Küchenchefs verloren: André Rickert arbeitet jetzt im Bidlabu nahe der Freßgass, Alexandre Sadowczyk wurde nach nur drei Monaten ausgewechselt. Für ihn steht jetzt mit Julian Stowasser ein hochmotiviertes Talent am Herd, das gleich am ersten Tag einen fabelhaften Eindruck machen konnte.
Die Speisekarte im modischen Stakkato gibt sich eher verschwiegen, dafür sind die Gerichte selbst vielsagend. Filigrane Detailarbeit auf kleinstem Raum, das Rote Bete Baiser mit gepoppter Aalhaut als Amuse wird mit Dill-Mayonnaise, Räucheraalcreme, Kräutergelee und Röstzwiebel zubereitet und ist eine so köstliche Delikatesse, dass man sich schon auf den nächsten Appetithappen freut. Und der fällt ganz anders aus, was intelligente Dramaturgie verrät. Die feine saftige Rinderzunge mit Bayrisch Kraut und Wasabischaum ist Weltküche mit regionalem Charakter. Einen solch lustvollen Happen hätten wir auch gerne als Hauptgang. Beim zarten Oktopus mit Artischocke wird die Passionsfrucht als Gel und Schaum eingesetzt, mit dienender Süße wie alte Winzer sagen würden. Der kleine Urwald aus Blättern und Kräutern überlädt den Teller etwas und offenbart einen gewissen Spieltrieb, zeigt sich aber geschmacklich stimmig. Die Makrele kann ein ziemlich fieser Fisch sein, mit mürbem Gewebe und Brackwasser-Duft. Im Weinsinn aber kommt eine pralle Makrele mit klarer Struktur auf den Tisch. Rotkraut, Dashi-Sud und wunderbar schmelzige sardische Fregola-Pasta-Kugeln fließen mit Souplesse zusammen. Man kann auch den Sommer perfekt auf einem Teller einfangen, im Weinsinn gelingt dies mit einem punktgenau gebratenen Saibling mit rosa Kern, Holundcercreme, marinierten Gürkenwürfeln und in Holunder eingelegtem Chicorée. Jedes Gericht zeichnet sich durch Finesse und Stilsicherheit aus. Bis hin zu den Desserts darf man als Gast ein Highlight nach dem anderen erleben. Wie man aus nicht gerade vielversprechenden Zutaten etwas Großartiges kombinieren kann, beweisen Sandorn-Eis, Gewürzkuchen, Karotte, Nougat und Ziegenkäse.
Der Küche wohnt eine Raffinesse inne, die zwar intelligent gesteuert und überlegt erscheint, aber auch viel Herz spüren lässt. Jedes Detail sitzt, doch sollte man es mit dem Gelen, Tüpfeln und Schäumen nicht übertreiben. Die Küche lässt gerne asiatische Aromen einfließen, aber so, als wäre dies bei den Gerichten schon immer so gewesen. Diese Stilsicherheit basiert auf allerbester Lernfähigkeit. Julian Stowasser (im Bild oben und unten rechts) war vier Jahre Souschef von Jan Hartwig, der im Bayerischen Hof mit dem Atelier ein veritables 3-Sterne-Restaurant führt. Stowassers Souschef Moritz Stauber ist ebenfalls gut geschult, hat im legendären Bareiss und auch in Bangkok gearbeitet. Das Küchenteam wurde völlig neu aufgestellt und hat mit dem im alten Weinsinn nichts mehr gemein – außer dem erstklassigen Ergebnis. Von Julian Stowasser und seiner Crew ist allerdings noch mehr zu erwarten, hier baut sich wahrscheinlich etwas ziemlich Großes auf.
Das Restaurant Weinsinn wird zwar von Matthias Scheiber geführt, der gemeinsam mit seiner Frau Milica auch noch das großartige Gustav betreibt, doch hält er sich im Service zurück und überlässt ganz richtig zwei anderen Protagonisten die Bühne: Sommelier Dietmar Fritz und Wheena Roisch. Das Weinsinn zeichnet sich nach wie vor durch Weinkompetenz aus, die Karte hat gerade in Deutschland und Frankreich viel zu bieten. Dietmar Fritz kommt zudem ohne das nervige Sommeliergehabe aus und weiß einfach kurzweilig zu beraten. Während das vorherige Weinsinn im Westend recht klein war, breitet sich nun an neuer Stelle eine Großzügigkeit aus, wie sie selten zu erleben ist. Die Tische, von denen man auf die offene Küche blicken kann, stehen in angenehmen Abstand zueinander. Das Restaurant zeigt Design und Kunst, schafft aber vor allem durch seine enorme Raumhöhe und eine sonst kaum zu erlebende Luftigkeit eine sehr angenehme und entspannte Atmosphäre. Die kleine und bescheidene Hinterhofterrasse wird derzeit nur zum Aperitif genutzt, im nächsten Jahr sollen dort 22 Gäste Platz finden. Das Lokal befindet sich im Bahnhofsviertel, aber nicht im wuseligen Bereich, sondern am Rande und näher zum Theaterplatz.
Weinsinn, Frankfurt, Weserstraße 4, Tel. (069) 56 99 80 80.
Dienstag bis Samstag, ab 18.30 Uhr, Sonntag + Montag geschlossen.
Photocredit: Barbara Fienhold
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