Erneuerung zum 50. Jubiläum
Einer der ganz großen Köche Deutschlands verlässt die kulinarische Bühne: Das Tantris in München verabschiedet im Dezember 2020 seinen Chef de Cuisine Hans Haas nach neunundzwanzig Jahren in den Ruhestand. Danach schließt das Restaurant für vier bis fünf Monate, um sich neu zu präsentieren. Zum fünfzigsten Jubiläum wird das Restaurant im Frühjahr 2021 wieder eröffnen und will als kulinarische Avantgarde Akzente setzen. Ein Nachfolger für Hans Haas steht noch nicht fest.
Puristische Klarheit
Seit achtundzwanzig Jahren verwöhnt Hans Haas mittags wie abends über einhundert Gäste. In seiner Zeit als Küchenchef des seit Jahrzehnten mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants schrieb er Küchengeschichte. Seine Kreationen sind zu echten Klassikern geworden und haben in der ganzen Welt Liebhaber gefunden.
Ob Lauchpüree mit Nussbutter, die Hechtnockerl oder der lauwarme Kalbskopf im Ciabatta – Hans Haas ist kein Effekthascher. Er schafft mit vermeintlich Einfachem stets den Spagat zwischen regional inspirierter Produktküche und kulinarischer Avantgarde. Alles Überflüssige wird vermieden. Hans Haas besinnt sich in puristischer Klarheit auf das Wesentliche. Ein Stil, der die kulinarische Haltung des Hauses seit beinahe 50 Jahren widerspiegelt.
Witzigmann, Winkler, Haas
Seit 1971 hatte das Tantris nur drei Küchenchefs: Den Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann, den Drei-Sterne-Koch Heinz Winkler und seit neunundzwanzig Jahren Hans Haas. So lange wie Haas aber stand hier niemand am Herd. Mit Eckart Witzigmann hatte Tantris- Gründer Fritz Eichbauer den Posten von Beginn an grandios besetzt. Auch sein Nachfolger Heinz Winkler bescherte dem Restaurant eine lange Phase höchster Auszeichnungen und internationaler Bekanntheit.
Als Winkler 1991 weiterzog, gab es für die Familie Eichbauer viele gute Gründe, die vakante Position gerade mit Hans Haas zu besetzen: „Er hatte bereits unter Eckart Witzigmann gearbeitet und auch bei Paul Haeberlin gelernt. Ich war fest überzeugt, dass Haas perfekt zur Philosophie unseres Hauses passt und dass wir kulinarisch dieselbe Sprache sprechen“, bringt es Seniorchef Fritz Eichbauer auf den Punkt.
Wagemut & Wandlung
Mit dem Abschied der Kochlegende Hans Haas im Dezember 2020 endet ein bedeutendes Kapitel in der Geschichte des Tantris – und ein spannendes neues wird aufgeschlagen. Bei allen Akteuren herrscht Aufbruchstimmung.
Bald neunundzwanzig Jahre Partnerschaft und fruchtbare Zusammenarbeit: eine Erfolgsbilanz, wie sie gerade in der Spitzengastronomie selten geworden ist. Seit der Eröffnung vor achtundvierzig Jahren ist das Tantris ein ganz besonderer Ort, der sich durch den Wagemut der Familie Eichbauer immer wieder neu erfindet. Auf die nächste Wandlung darf man besonders gespannt sein:
“Nach einer kurzen Pause läuten wir im Tantris im Frühjahr 2021 einen kulinarischen Neubeginn ein. Eine Renaissance des Restaurants, die definitiv Tantris-like sein wird: überraschend und dennoch mit einer gewissen Kontinuität“, versprechen Sabine und Felix Eichbauer.
Restaurantkritik Tantris
Die Küche von Hans Haas
bietet selten gewordenen entspannten Genuss
Von Ludwig Fienhold
Ein vollbesetztes Spitzenrestaurant am Samstagmittag? Ein Gourmet-Tempel in dem nicht geflüstert, sondern gelacht wird? Ja, wo gibt´s denn das? In München, der einzigen Stadt in Deutschland mit südländischem Charme. Das Tantris mag sich in den letzten 40 Jahren optisch kaum verändert haben, doch sonst ist sein Auftritt ein anderer.
An jedem Tisch wohl gelaunte Menschen, die nicht nur mal so nebenbei verkniffen am Wein nippen. Es wird gut getrunken, und man geniert sich auch nicht, etwas Besonderes im Glas zu haben. Aber auch Wassertrinker werden nicht mit Weihrauch bespritzt, die Ära der gestrengen Sommeliere Paula Bosch ist nach 20 Jahren vorbei (wobei Weinfreunde bei ihr ja ihren Spaß haben konnten). Längst trifft im Tantris feiner Zwirn auf Jeans, hat der Service das Operettenhafte und Allzufestliche der alten Tage abgelegt. 16 Mitarbeiter im Service und 14 in der Küche (insgesamt im rotierenden Wechsel) halten das alte und noch immer geschmeidige Uhrwerk am Laufen.
„Wir sind keine Kirche, sondern ein Gast-Haus“, meint Küchenchef Hans Haas trocken. Man hat vor allem beim Service nachgebessert, die Mitarbeiter sind eine gute Mischung aus alter Schule und jungem offensivem Charme. Beim Betreiber gab es längst ein Handover von Fritz an den Sohn Felix Eichbauer, was keinen spürbaren kulinarischen Einfluss hatte und sich vor allem in der Verjüngung einer allgemeinen Haltung und der mitgehenden wohltuenden Leichtigkeit ausdrückt. Zum Wohlgefühl trägt nicht unwesentlich die Platzierung der Tische bei – sie stehen in einem würdevollen Abstand. Es gibt nicht viele Restaurants, wo dies der Fall ist, in den meisten kann man beim Nachbarn die Suppe mitlöffeln.
Das Restaurant Tantris liegt nicht gerade zentral in München, sondern in einer unscheinbaren Nachbarschaft, die Appetit auf anderes weckt. Man befindet sich zwar geografisch in Schwabing, aber nicht dem mit der heiteren Cappuccino-Bohème. Das Interieur vom Tantris wirkte schon vor über vierzig Jahren ziemlich schrill und schien eher zur asiatischen Spa-Abteilung eines Hotels zu gehören. Heute ist das alles cooles Retrodesign. Das hummerrote und orangefarbige Restaurant wirkt ein klein wenig, als hätte die Berliner Cannabis-Gemeinde von Steglitz-Zehlendorf gemeinsam mit den der Farbe Orange völlig verfallenen Shaolin-Mönchen und einem balinesischen Wellness-Designer die Idee vom ultimativ kosmischen Urlaut-Om-Tempel verwirklicht. Der Tantris-Architekt Architekt Justus Dahinden kommt zwar aus der Schweiz, lässt sich aber gerne asiatisch inspirieren (Pagodisches Ferrohouse Zürich) und will mit seiner Gestaltungsphilosophie das „surrealistische Potential“ ausschöpfen, das in unserer Umwelt verborgen ist. Die Farben schmerzen höchstens auf den ersten Blick, spätestens beim Glas Rotwein spürt man die Harmonie, auch mit dem Wein. In einer leicht dämmrigen Atmosphäre, gerade wie hier mit einem solchen Bar-Gefühl, konsumiert man mehr Alkohol. In Rotlichtvierteln und Hafenkneipen weiß man das schon sehr lange, im Tantris immerhin auch seit über vier Jahrzehnten, wobei der flotte Weinumsatz hier doch wohl mehr der exzellenten Weinkarte und ihrer Interpretation durch die Sommeliers geschuldet ist.
Auf der Weinkarte stehen 700 Positionen, wobei im Keller mehr als 50.000 Flaschen der Entkorkung harren. Frankreich und Deutschland sind hervorragend vertreten, auch Italien, Österreich und Spanien glänzen. Noch etwas schüchtern finden inzwischen mehr amerikanische Flaschen den Weg ins Tantris. Lustfördernd ist die Idee, neben bekannten Champagnerhäusern verstärkt kleine Champagnerwinzer zu offerieren – manchen schenkt man gleich aus der Magnumflasche aus.
Als Eckart Witzigmann im Tantris war, blieb gerade das Mittagsmenü am Samstag unvermittelbar, in den siebziger Jahren wollte man in Deutschland mittags nicht mehrere Gänge essen. Jetzt ist das Samstagmittagmenü der Renner, es gibt vier Gänge inklusive Wein für überschaubare 130 Euro. An solchen Tagen gehen spielend 100 Couverts heraus, kommen auch verstärkt junge Pärchen zum Zug. Sah man früher mehr Herrschaften der Generation Dry Aged, sind im Tantris zunehmend anspruchsvolle und neugierige Nachwuchsgourmets zu Hause. Mehr noch als das magere Portemonnaie hielt einst viele jüngere Leute eine große Schwellenangst vor einem Besuch im Tantris ab. Jene, die sich in der Rushhour des Lebens zwischen 30 und 40 Jahren befinden, kennen heutzutage zwar viele Ängste und vor allem Versagensängste, die Furcht vor Restaurants gehört nicht dazu. „Die Gäste sind gut gemischt, der Preis stimmt“, kommentiert Hans Haas den Stand der Dinge.
Hans Haas mischt so munter heimatliches Tirolerisch und gelerntes Münchnerisch, dass man ihm sehr genau zuhören muss, um ihn zu verstehen. Aber das, was er zu sagen hat, kommuniziert er ohnehin über die Teller. Und die müssen klar strukturiert sein. Und verständlich. „Zu viele Tellerchen, Schüsselchen und Krimskrams machen müde. Das langweilt schnell“, meint Hans Haas, der über all die Jahre seinem Stil treu geblieben ist, aber dennoch verfeinern konnte. Damals wie heute ist er einer der Garanten der großen, aufrichtigen und absolut blendfreien Küche. Hans will nicht, wie so viele spielen, schon gar nicht mit dem Essen. Hans will kochen. Das Ergebnis ist dem Michelin zwei Sterne und dem Gault Millau 18 Punkte wert.
Die Menükarten werden von Hans Haas schwungvoll handschriftlich geschrieben und signiert, das bringt eine persönliche Note. Den Gerichten wohnt eine große Ruhe und Ausgeglichenheit inne. Schon beinahe tiefgründige Kontemplation. Im Buddhismus bedeutet „Tantris“ Suche nach Vollkommenheit. Diese wird im Restaurant durch die Küche eingelöst. Die sautierten Langustinen auf marinierten Steinpilzen sind ebenso wie die konfierten Calamari auf Nudeln mit weißen Trüffeln intensiv, ausdrucksstark und dabei von federnder Leichtigkeit. Der pralle saftige Seeteufel im Ganzen mit schwarzem Auberginenpüree und flirrend schönem Röstsud bringt noch mehr Vitalität ins Spiel. Das pochierte Ei mit pochierter Gänseleber in Périgord-Trüffeljus ist von selten delikater Süffigkeit. Und beim Kotelette vom Lammrücken mit Artischocken spielt vor allem präzises Handwerk die Hauptrolle. Die Küche von Hans Haas und seinem eingespielten Team ist dem reinen Geschmack und prononcierten Aromen verpflichtet. Hans Haas kocht zwar sehr entspannt und sekundengenau, doch bei allem sind Temperament und Finesse zu erleben.
Man spürt, dass Hans Haas ein Handwerker und kein Künstler sein will, wobei er ganz sicher ein Kunsthandwerker ist. Er könnte auch anders und jenen Rufern entgegenkommen, die von ihm mehr „Kreativität“ und „Erneuerungsfreude“ fordern. Wäre das dann aber noch der Hans Haas, wie ihn die meisten mögen -und vor allem, auch er sich selbst? Wir brauchen mehr Köche wie ihn, die sich dem ganzen Zirkus entziehen und sich nicht auf Mätzchen und Moden einlassen. Zu viele Köche verpflichten, verdingen und verkaufen sich. In unterschiedlichster Form, auch an den verschiedensten Marktplätzen der Industrie. Ginge es um Auszeichnungen für die Distanz zur branchenüblichen Verführbarkeit, wäre Hans Haas wohl einer der wenigen im Olymp der Köche.
Tantris, München, Johann-Fichte-Str. 7, Tel. 089 361 959 0. Geöffnet Dienstag bis Samstag 12 – 15 Uhr und 18.30 – 1 Uhr (Küchenschluss 13.30 und 22.30 Uhr). www.tantris.de
Hans Haas ist jetzt seit 28 Jahren Küchenchef im Tantris in München. Er trat nur zögerlich die Nachfolge von Eckart Witzigmann und Heinz Winkler an, die dort zusammengenommen in 20 Jahren riesige Spuren hinterließen. Der kernige, drahtige und bescheidene Tiroler hat es souverän geschafft, das Restaurant im Bewusstsein der Gourmets zu halten. Sein gelassener, auf den reinen und ursprünglichen Geschmack konzentrierter Küchenstil mag nicht spektakulär erscheinen und erzielt seine Wirkung nur bei jenen, die das Reduzierte und Produktbezogene schätzen.
Hans Haas ist ein echter Witzigmann-Schüler und keiner von denen, die sich so nennen, obwohl sie dort nur Karotten geputzt haben. Hans Haas kochte einst auch im Frankfurter Brückenkeller, damals war das inzwischen völlig versackte Restaurant noch eine Institution. Hans Haas setzte seinerzeit als neu und ungewohnt für die Spitzengastronomie geltende Produkte wie die geschmorten Ochsenbäckchen ein, die jetzt inflationär über die Teller der Republik kullern. Bereits von 1987 bis 1992 kochte er in einer geschmacklichen Klarheit, die ihn über all die Jahre auszeichnet.
Photo Credit: Tantris
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