Ein neuer Gastro-Komet im Rheingau? | BISS

Ein neuer Gastro-Komet im Rheingau?

Graues Haus - Titel

Das legendäre Graue Haus

könnte wieder als Lokal

eröffnet werden

 

Von Ludwig Fienhold

 

Was gab es einst Schöneres als das Graue Haus im Rheingau, das Restaurant in Deutschlands wohl ältestem Steinhaus? In diesem würdevollen, zwischen heiter und melancholisch changierendem Anwesen am Fuße der Weinberge in Oestrich-Winkel, spürte man die Seele des Rheingaus. Dort traf ich zum letzten Mal Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau, diesen so pointierten, zu ehrbewussten und tragischen Gutsherren von Schloss Vollrads, der sich auf einer Bank im Weinberg aus dieser Welt schoss. Ihm gehörte auch das Graue Haus, das einst Stammsitz der Familie von Greiffenclau war –  erbaut 850 und von Weinlaub wie ein mythischer Faun umgrünt. Bewirtschaftet wurde es knapp 15 Jahre lang von dem emotional und handwerklich feinfühligen Egbert Engelhardt, dessen hochwertige Landhausküche mit Milchlammkeule in Zitronen-Thymian-Sauce, gebratenem Zicklein, einem immer noch seltenen Färsenrückensteak und dem famosen Sauerampfer-Dickmilch-Sorbet auf Rhabarbersauce unvergessen ist. Auf der Weinbergsterrasse war einem ganz lyrisch zumute, von Tisch elf im Haus selbst hatte man einen dramatisch schönen Blick über die Rheinauen.

Gutsausschank Im Baiken

Egbert Engelhardt führte das Restaurant gemeinsam mit seiner Frau Christa bis 1997. Das kurze Gastspiel von Ralf Zacherl danach, einem heutigen Fernsehkoch, blieb ohne Spuren. Nach dem Abschied von Greiffenclau im August 1997 verwaiste das Graue Haus und war nurmehr eine tote Immobilie. Inzwischen wurde das Graue Haus von dem Unternehmer Kurt Simon gekauft, der es wiederbeleben möchte. Da das historische Gebäude unter Denkmalschutz steht, muss jeder Handgriff mit den Behörden abgesprochen werden. Diesen sei geraten, den neuen Besitzer zu unterstützen, denn bislang war das Graue Haus ohne ihn ja regelrecht der Verwahrlosung ausgeliefert. Durch dieses einzigartige Haus hätte der Rheingau durchaus eine Legitimation als Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. Es wäre aber auch so eine schöne und leise Sensation, wenn es gelänge, aus dem Grauen Haus wieder eine besondere Stätte der Gastlichkeit zu machen.

Der Gastronom Egbert Engelhardt ist in all den Jahren seinem Stil treu geblieben. Er steht zwar nicht mehr selbst so oft am Herd, führt aber als Spiritus Rector unter anderem drei zwingend lohnenswerte Ziele im Rheingau: Gutsausschank im Baiken und Anleger 511 in Eltville sowie Schwarzes Häuschen in Hattenheim. Sauerampfer setzt er übrigens wie in alten Zeiten immer noch gerne und gut ein.

Im Baiken

In der Weinlage Baiken hält man einen Logenplatz im Rheingau. Man lässt den Blick spazieren gehen und liest zwischen den Rebzeilen. Dieser Ort führt einen unmittelbar zum bloßen Dasein. Dösen mit Genuss. Geschmorte Lammstelze, Filet vom Jungschwein, Wildbratwurst. Und dann diese saftige, würzige, pralle, sexy Frikadelle, diese Marilyn Monroe unter den Klopsen. Man schwelgt und wird erst wieder durch das nächste Glas Riesling von Servicechefin Eva Förster geweckt. Sie darf das, denn ihr herzhaftes Lachen passt zur Frikadelle.

Im Schwarzen Häuschen in der berühmten Steinberglage von Kloster Eberbach wächst man als Gast geradezu mit dem Wein zusammen. Die Atmosphäre ist so beseelend, dass man sogar mit Menschen ins Gespräch kommt, die man sonst wahrscheinlich übersehen würde. Das Weinbergshäuschen selbst ist kleiner als die Toilette im Tantris.

Während die Gäste auf langen Bänken mitten im Weinberg sitzen, drängen sich die Servicemitarbeiter im Schwarzen Häuschen, wo alles gelagert wird. Man darf deshalb keine richtige Küche erwarten, die Vesperplatte und der Ochsenmaulsalat im Gläschen sind aber gut genug, zumal die grandiose Aussicht kaum Ablenkungen zulässt. Der Steinberg ist eine der wertvollsten Lagen der Welt, die 30 Hektar gehören ganz dem Riesling. Die Mauer wurde im 18. Jahrhundert zum Schutz vor Traubendieben gebaut und schirmt jetzt vor Kaltluft ab.

Anleger 511

Der Anleger 511 bringt den Gast zwar auch an genau den Rheinkilometer 511, vor allem aber in eine andere Welt. Dieses historische Kleinod wurde so nah ans Wasser gebaut, dass man sich wie auf einem Schiff fühlt. Die Servicemitarbeiter tragen auf ihren Shirts auch den Titel „Crew“. Rheingauer Weine und selbst Champagner sind so preiswert, dass man sich vor dem Ertrinken schützen muss. Es gibt viele gute Gerichte auf der kleinen Karte. Die mit frisch gemahlenen Gewürzen und Gartenkräutern abgerundete Bratwurst ist ein saftig-würziger Naturbursche ohne künstliche Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker. Irgendwann ist Zeit zu gehen, meist später. Wenn man dann davonzieht, hat man das Gefühl, das einem irgendwer zurückwinkt.

Selbst nach vielen Stunden Rheingau fällt der Abschied schwer. Es gilt, was einst auf meinem Grabstein stehen soll: Ich wäre noch gern auf ein Glas geblieben.

 

Gutsauschank Baiken, Eltville, Wiesweg 86, Tel. 06123 900345. Geöffnet April bis Oktober: Di-Fr ab 17.00 Uhr · Sa ab 15.00 Uhr · So und feiertags ab 11.30 Uhr. November bis März: Do-Sa ab 17.00 Uhr · So und feiertags ab 11.30 Uhr Februar – Urlaub.

Anleger 511, Eltville, Platz von Montrichard 2, Tel. 06123 689168. Geöffnet Montag bis Freitag 12 – 22 Uhr, Samstag und Sonntag 10 – 22 Uhr.

Schwarzes Häuschen,  Domäne Steinberg, Eltville, zwischen Kloster Eberbach und Hattenhein. Freitag ab 14 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen ab 11 Uhr. Geöffnet je nach Wetter zwischen März und Oktober.  Die abendlichen Schließzeiten richten sich nach der Witterung. Informationen beim Betreiber des Schwarzen Häuschens, der 11. Generation GmbH Tel. 0611 17 43 7-18

 

Bild oben rechts: Graues Haus in Oestrich-Winkel (Archiv), alle anderen Bilder Barbara Fienhold

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