Ein Bett im Weinberg | BISS

Kategorie | 2016, Aktuelles, Archiv, Juli 2016

Ein Bett im Weinberg

Quinta de Santana

Quinta de Sant´Ana:

Poesie zum Trinken

 

Das historische Weingut

bietet eine traumhafte Kulisse

für Feste und Urlaub

 

Von Ludwig Fienhold

 

Die weißen Tauben flattern wie bestellt um das Hochzeitspaar. Über 100 sind dabei, um mitzufeiern, denn bei solchen Festen fallen mehr als nur ein paar Krümel für sie ab. Die lautlosen blitzsauberen Täubchen gehören zur Quinta de Sant´Ana wie Esel Stringflower, Münsterländer Chicca und Rhodesian Ridgeback Abelha sowie namenlose Hühner, Schweine und Schafe. Die Quinta ist inzwischen als Eventlocation weltbekannt und beschert der Gemeinde über 40 Hochzeiten im Jahr. Gradil, ein bis zur Leblosigkeit verschnarchtes Nest 30 Kilometer nördlich von Lissabon, fällt nur durch seine stattliche Kirche São Silvestre und das ansichtskartenschöne Weingut auf. Der Ort selbst hat gerade einmal 1000 Einwohner, die fast alle so wirken wie hundert Jahre verheiratet. Ohne das Weingut würden in Gradil nur selten Hochzeiten stattfinden. Doch Padre Paulo Serra kann sich Dank der Quinta über enormen Zuwachs freuen, auch im Klingelbeutel.

Quinta de Sant AnaKaren Creed aus Irland und Peter Charmant aus Ghana haben die Quinta de Sant ´Ana wegen ihrer „poetischen Schönheit“ ausgewählt. Sie und ihre 120 Gäste wollen es so natürlich wie möglich, mit Taubengeflatter, aufgeregten  Hühnern und herumpurzelnden Kindern. Sie möchten Gäste sein in diesem organischen Betrieb, wo alles lebt und arbeitet, und jederzeit ein Schwein auf die Schleppe treten könnte. Die Geschichte dieses alten Adelsitzes hat noch mehr zu bieten als Ferkeleien, wenn sie auch nicht ganz davon befreit ist. Immerhin basiert sie auf einer erotischen Romanze zwischen Dom Luis, König Ludwig I. von Portugal aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha, und seiner Geliebten, der Sängerin und Schauspielerin Rosa Damasceno, der er Ende des 19. Jahrhunderts die Quinta de Sant ´Ana samt einem Theater dort schenkte. Heute finden dort Feiern mit bis zu 200 Gästen statt. Das Landgut thront mit der milden Würde eines greisen Patriarchen über dem von Eukalyptushainen, Korkeichen und Orangenbäumen umgebenen Dorf Gradil. Es gehört zu den Casa Nobres, jenen Adelssitzen und Herrenhäusern, die ihre Tore für zahlende Gäste öffnen und sie an ihrem privaten und geschichtsvollen Leben teilhaben lassen. Die Kapelle der Quinta, ein Kleinod aus dem Jahr 1743 mit wertvollen Kacheln und einer Statue der heiligen Ana, hat manche Gäste zur Heirat verführt. Mag sein, dass dort der Sitz der Seele des Landguts ist, doch findet sich an so vielen Stellen ein guter Geist.

Ann Frost

Ann Frost

Ann von Fürstenberg und ihr Mann James Frost haben die Quinta de Sant ´Ana von Gustav Baron von Fürstenberg übernommen. Das Erbe wäre beinahe verloren gegangen, denn der Baron wurde während der portugiesischen „Nelken“-Revolution im Jahre 1974 mit anderen Großgrundbesitzern aus dem Land vertrieben. Weil ein portugiesischer Freund den Besitz treuhänderisch weiter führte und für ihn rettete, konnte Baron von Fürstenberg aber bald wieder mit Frau und sieben Kindern einziehen. Der Flintenexperte und Sportschützenlehrer wurde in Fachzeitschriften wie „Wild & Hund“ als einer der Besten der Branche gefeiert, in einem Nachruf im Jahr 2007 hieß es standesgemäß, er sei „im Pulverdampf ergraut“. Es ist sicher kein Zufall, dass die ebenfalls sehr forsche und sprachlich zielsichere Tochter Ann heute wieder mit genau sieben Kindern, allesamt Söhne, auf der Quinta lebt, seit nun fast 30 Jahren.

Die Hausgäste und schon gar nicht die Hochzeiter ahnen etwas von den Mühen und dem harten Kampf von Ann ums wirtschaftliche Überleben in den Anfangsjahren. Sie genießen eine unbeschwerte Atmosphäre an einem Ort, bei dem an der schönsten Stelle des Lebens die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Die Gäste wohnen einige Meter separat vom Haupthaus der Familie. Von dem Balkon des Caseirohauses schauen sie auf den beschaulichen Hof des Landguts und die sich dahinter hochziehenden Weinberge. Man riecht vor dem Caseirohaus hocharomatische Walderdbeeren und wird dabei an der Nase herumgeführt. Der unwiderstehliche Duft stammt von blauen Erdbeertrauben, die sich durch die Pergola ziehen. Man kann sie sich pflücken und zum Frühstück essen oder als Marmelade genießen, ebenso wie den selbstgemachten Eukalyptushonig. Auf dem Landgut wird nicht nur die gute Luft geteilt, auch der Pool mit Ausblick auf die Weinberge. Das nahe Hühnergehege sieht man nicht, hört aber einen von schweigsamen Hennen umgluckten Hahn, der mitunter kräht als müsste er Tarzan synchronisieren.

QuintaAlles auf der Quinta de Sant ´Ana lebt, atmet und duftet. Auch der Wein, dessen Flaschenetikett die zwei mächtigen Palmen aus dem Garten des Landguts zieren. James Frost taut beim Thema Wein auf. Er ist auf einer Farm in der ländlich geprägten englischen Grafschaft Dorset groß geworden und träumte immer davon Weinbauer zu werden. Während seiner Armeezeit kam er ins deutsche Münster und lernte dort Ann kennen, ohne zu wissen, dass sich damit gleich zwei Liebschaften erfüllen würden. Ann studierte seinerzeit Grafik-Design, wovon noch zahlreiche Bilder in der Quinta Zeugnis geben. Heute, sagt die inzwischen 48 Jahre alte und künstlerisch talentierte Ann, sei ihr als einzig Kreatives die Pflege von Garten und Blumen geblieben.

Quinta-de-Sant-Ana-7Der Basiswein der Quinta de Sant ´Ana und ihrer 14 Hektar Rebland ist die autochtone Sorte Fernão Pires. Ein grundehrlicher Tropfen, der hier einmal nicht wie so oft in Portugal nach Kohl und welken Blumen riecht, sondern frisch und leicht zitrusfruchtig. Noch mineralischer, mit typischen Johannis- und Stachelbeeraromen ausgestattet und vom leichten Meersalz des nahen Atlantik spürbar aufgefrischt, schmeckt der Sauvignon Blanc. Völlig ungewöhnlich für die Region Mafra und auch sonst fürs Land ist der Riesling, dessen Jahrgang 2010 reife Petroltöne aufweist, wie man sie in Deutschland bei eher älteren Rieslingen erleben kann. Weinkritiker Robert Parker findet diesen Wein „einfach fantastisch“ und bewertete ihn mit 90 Punkten. Unter den Roten ist die Reserva 2006 am markantesten – eine elegante Cuvée aus Touriga Nacional und Aragonez. Von den Weinen gibt es jeweils nur wenige tausend Flaschen. Hausgäste können sich rund um die Uhr im Weinladen bedienen und notieren ihren Verbrauch auf einem Zettel. Ehrlich trinkt am längsten.

Wer auf der Quinta de Sant ´Ana wohnt, sitzt beim Wein an der Quelle. Beim Essen muss man auf bestimmte Tage in der Woche warten, an dem ein Dinner angeboten wird. Es lohnt sich. Hauskoch Marco Moura ist einer der talentiertesten jungen Köche Portugals, der eine Gabe für sehr gute verfeinerte Landhausküche hat. Dass er mit der berühmten Fado-Sängerin Ana Moura befreundet ist, die von Mick Jagger und anderen Showgrößen als musikalische Begleitung gefragt ist, sieht er nicht als Trittbrett in eine bessere Welt. Er will durch seine Küche wahrgenommen werden und keinen Promibonus bekommen. Er bringt mit seinen Gerichten die Aromen Portugals auf den Teller, aber eben eine sehr entscheidende Prise feinfühliger als oft. Das fließende Risotto mit zartem Pulpo, geräucherter Alheira-Wurst und Koriander hat ebenso Klasse wie der Kabeljau mit Kichererbsenmousse. Ein Dessert von der Güte des Karottenkuchens mit Mandeln, Orangen-Zitronen-Mousse, Vanille-Eis und warmem Schoko-Kirsch-Kuchen mit flüssigem Kern wird man nicht oft in Portugal finden.

Die Weinfamilie

Die Weinfamilie

Während die normalen Hausgäste der Quinta ein eher unscheinbares Dasein führen, sind die Hochzeitsgäste kaum zu übersehen. Clubbesitzer aus London, Unternehmer aus Lissabon oder Models aus Paris bringen Glamour in ein Dorf, in dem die Frauen beinahe schon putzend mit ihren Schlappen übers klobige Kopfsteinpflaster schlurfen und die Männer gerne so uneitel so aussehen, als kämen sie gerade vom Feld. In Gradil trinkt man in den Lokalen Wasser, Wein und Bier aus einer einzigen Art von klobigem Glas, der Wunsch nach einem anderem stößt auf Irritation. Im Café Joãozinho am alles umfassenden Kirchplatz schenkt der wie ein etwas niedlich gefälschtes Porträt von Pablo Picasso aussehende Wirt Wein aus Wasserflaschen aus – als Gast hofft man, es gut zu überstehen. QuintaIn der Bar do Adro daneben treffen sich die, die lieber im Dunklen als auf einer Terrasse sitzen. Das benachbarte Lokal Faisão beginnt wieder aufzuleben, der Mann der Wirtin wurde von seinem Reitpferd zu Tode geschleift, was zur längeren Ruhezeit führte. Im Café Delicia gibt es den einzigen frisch gepressten Orangensaft im Ort und eine Leckerei aus Schokolade und Keksen, die im alten Deutschland „Kalter Hund“ hieß. Der Dorfmetzger führt mit seinem Caçador ein kompromisslos fleischlastiges Lokal, in dem die Größe der Portionen beeindruckender als deren Zubereitung ist. Das beste Lokal von Gradil ist das Take Away mit Papiertischdecken und ständig laufendem Fernseher, in dem eine adrette Köchin mit wie festgewachsen wirkendem Hygieneplastikhäubchen ganz allein hinter der Theke wunderbare Schlichtheiten zubereitet: Fisch, Hühnchen, Hackfleischbällchen, Schweinebraten, Knoblauchreis. Nur wenige Gäste bleiben zum Essen, die meisten holen sich ihre Bestellungen ab und halten während der Wartezeit ein Schwätzchen.

Gradil sonnt sich, wolkenlos und zartblau. Über der Quinta de Sant ´Ana schweben wie Schutzheilige die weißen Tauben, ganz sanft und so leise, als wollten sie niemand aus den Träumen wecken.

Quinta de Sant ´Ana, Gradil, Mafra, Portugal, Tel. 00351 261 963 550. www.quintadesantana.com

 

Photocredit: Quinta de Sant ´Ana, Barbara Fienhold

 

 

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