Durch die Szene der Weinläden geht leider kein Ruck, sondern ein Riss. Immer mehr kleine Geschäfte sitzen auf dem Trocknen. Jetzt macht auch Michael Risse Schluss und lässt den Vorhang zu seinem Wein & Food Laden an der Humboldtstraße im Frankfurter Nordend fallen. Dieser war mehr als ein Geschäft und schon eher eine kleine Theaterbühne mit denkwürdigen Protagonisten und eigenwilligen Charakteren.
Michael Risse ist seit vielen Jahren einer der markantesten Vertreter der Frankfurter Weinszene. Mit seinen Reitstiefeln erscheint er, als würde er die Weinfässer noch mit dem Pferdefuhrwerk ausliefern. 1977 fing er auch mit einem Fasshandel an und füllte Flaschen mit eigenem Etikett ab. Später folgte das Geschäft im Nordend, wo Risse ausgesuchte Weine, edle Gläser und Havannas verkaufte, während sich seine Frau Sabine um das Sortiment an Feinkost und Lebensmitteln kümmerte.
Nach dem Abitur wollte Michael Risse eigentlich in einem der Frankfurter Luxushotels anfangen, was aber nicht klappte. Deshalb absolvierte er zunächst ganz brav eine Banklehre und studierte später Jura. Beides keine schlechten Voraussetzungen für ein Geschäftsleben. Ernüchtert muss Michael Risse heute feststellen: „Das Geschäft rentiert sich nicht mehr.“ Seine Kunden würden „überaltern oder verarmen“. Hinzu kommen der Druck von den Discountern, die immer stärker auf den Weinmarkt drängen, sowie das Internet-Weingeschäft. Risse, Jahrgang 1948, zog jetzt die Reißleine, denn er muss nicht nur mit den Finanzen, sondern auch mit den eigenen Kräften haushalten. Letzter Weg: Sein Betrieb ging in die Insolvenz. Ob sich Michael Risse so ganz aus dem Weinhandel und der Gastronomie zurückziehen wird, bleibt abzuwarten. Sein schelmisches Pokerface mag vielleicht verraten, dass er doch noch ein Ass im Ärmel hat.
Bei einem guten Tropfen erinnern wir uns mit Wehmut: Diese Verschwommenheit aus Weinladen, Lebensmittelhandel und Comedy Club gab es kein zweites Mal in Frankfurt. Die Tante Emma hieß hier Michael Risse, sah aus wie ein Berufsbösewicht der Filmbranche, der sich dann aber im wirklichen Leben als herzensguter Hartschalen-Verwandlungskünstler erwies, welcher zwar mit dem immergleichen Gesichtsausdruck auskam, aber ansonsten die allerfeinsten Facetten offenbarte. Der Herr Risse verkaufte auf 20 Quadratmetern 1002 Produkte. Unübersichtlicher ging es kaum, spannender aber auch nicht. Irgendwo entdeckte man eine ziemlich gute Flasche, ein schönes Glas, eine amüsante Antiquität, merkwürdigen Trödel. Im hintersten Eck bei den Lebensmitteln warteten Wildschwein-Mortadella, Maultaschen mit Kalbfleisch und Bärlauch, Semmelknödel mit Speck, Tafelspitzsülze, grobe Bratwürste mit Fenchel, Mangos aus Pattaya.
Michael Risse versorgte die Gastronomie, doch am liebsten kamen jene Individualisten in seine Villa Kunterbunt, die ein persönliches Gespräch mit bissigen Pointen und ungenauem Ziel schätzten. Seine als Kundeninformation gedachten Faxe und Mails galten als Kult-Briefe. Dort richtet er seine Gedanken an „geeichte Zecher, Prosecco-Geschädigte und appetitlose Frauen“. Und verkaufte so nebenbei ein Füllhorn an Flaschen und guten Worten. Wer das blaue Wunder suchte – dort konnte er es erleben.
Ludwig Fienhold
Foto: The Last Man Standing
Angelika von Lintel
Ausgetrunken: Das Sterben der Weinläden
Ernüchternd: Michael Risse hört auf
Durch die Szene der Weinläden geht leider kein Ruck, sondern ein Riss.
Immer mehr kleine Geschäfte sitzen auf dem Trocknen. Jetzt macht auch Michael Risse Schluss und lässt den Vorhang zu seinem Wein & Food Laden an der Humboldtstraße im Frankfurter Nordend fallen. Dieser war mehr als ein Geschäft und schon eher eine kleine Theaterbühne mit denkwürdigen Protagonisten und eigenwilligen Charakteren.
Michael Risse ist seit vielen Jahren einer der markantesten Vertreter der Frankfurter Weinszene. Mit seinen Reitstiefeln erscheint er, als würde er die Weinfässer noch mit dem Pferdefuhrwerk ausliefern. 1977 fing er auch mit einem Fasshandel an und füllte Flaschen mit eigenem Etikett ab. Später folgte das Geschäft im Nordend, wo Risse ausgesuchte Weine, edle Gläser und Havannas verkaufte, während sich seine Frau um das Sortiment an Feinkost und Lebensmitteln kümmerte.
Nach dem Abitur wollte Michael Risse eigentlich in einem der Frankfurter Luxushotels anfangen, was aber nicht klappte. Deshalb absolvierte er zunächst ganz brav eine Banklehre und studierte später Jura. Beides keine schlechten Voraussetzungen für ein Geschäftsleben.
Ernüchtert muss Michael Risse heute feststellen: „Das Geschäft rentiert sich nicht mehr.“ Seine Kunden würden „überaltern oder verarmen“. Hinzu kommen der Druck von den Discountern, die immer stärker auf den Weinmarkt drängen, sowie das Internet-Weingeschäft. Risse, Jahrgang 1948, zog jetzt die Reißleine, denn er muss nicht nur mit den Finanzen, sondern auch mit den eigenen Kräften haushalten. Ob sich Michael Risse so ganz aus dem Weinhandel und der Gastronomie zurückziehen wird, bleibt abzuwarten. Sein schelmisches Pokerface mag vielleicht verraten, dass er doch noch ein As im Ärmel hat.
Bei einem guten Tropfen erinnern wir uns mit Wehmut: Diese Verschwommenheit aus Weinladen, Lebensmittelhandel und Comedy Club gab es kein zweites Mal in Frankfurt. Die Tante Emma hieß hier Michael Risse, sah aus wie ein Berufsbösewicht der Filmbranche, der sich dann aber im wirklichen Leben als herzensguter Hartschalen-Verwandlungskünstler erwies, welcher zwar mit dem immergleichen Gesichtsausdruck auskam, aber ansonsten die allerfeinsten Facetten offenbarte. Der Herr Risse verkaufte auf 20 Quadratmetern 1002 Produkte. Unübersichtlicher ging es kaum, spannender aber auch nicht. Irgendwo entdeckte man eine ziemlich gute Flasche, ein schönes Glas, eine amüsante Antiquität, merkwürdigen Trödel. Im hintersten Eck bei den Lebensmitteln warteten Wildschwein-Mortadella, Maultaschen mit Kalbfleisch und Bärlauch, Semmelknödel mit Speck, Tafelspitzsülze, grobe Bratwürste mit Fenchel, Mangos aus Pattaya.
Michael Risse versorgte die Gastronomie, doch am liebsten kamen jene Individualisten in seine Villa Kunterbunt, die ein persönliches Gespräch mit bissigen Pointen und ungenauem Ziel schätzten. Seine als Kundeninformation gedachten Faxe und Mails galten als Kult-Briefe. Dort richtet er seine Gedanken an „geeichte Zecher, Prosecco-Geschädigte und appetitlose Frauen“. Und verkauft so nebenbei ein Füllhorn an Flaschen und guten Worten. Wer das blaue Wunder suchte – dort konnte er es finden.
Ludwig Fienhold
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