Abserviert: Service & Personalkrise in der Gastronomie | BISS

Kategorie | 2023, Aktuelles, Juni 2023

Abserviert: Service & Personalkrise in der Gastronomie

Abserviert

Die Gründe, Hintergründe

und Problemlösungen

 

Von Ludwig Fienhold

Die Abwanderung aus der Hotellerie und Gastronomie hat teilweise groteske Formen angenommen. Einer der besten deutschen Küchenchefs, Hendrik Otto, verließ während der Corona-Krise das 2-Sterne-Restaurant Esszimmer im Berliner Hotel Adlon und wechselte ausgerechnet in die Krankenhausbranche, um dort „Qualität und kulinarische Entwicklung“ voranzubringen. Nicht minder ungewöhnlich ist der Abschied des erstklassigen Sommeliers Benjamin Birk, der die Villa Rothschild in Königstein verließ und fortan lieber Schuhe im Familienbetrieb verkauft. Einem Koch war die Gastronomie so unsicher, dass er es vorzog im Gefängnis als Schließer anzufangen und somit ein zweifelhaftes Höchstmaß an Sicherheit gewann. Die Branche hat aber nicht nur Talente verloren, auch Minijobber oder Spüler wurden weggeschwemmt.

Eines muss klar sein: Die Gastronomie hat sehr viel Personal verloren, wird aber auch weiter an Gästen verlieren, wenn sie nicht gegensteuert. Bislang ist es leider oft nur so: Die Leistungen bei Küche und Service sind schwächer geworden, die Preise aber gestiegen. Während die Gastronomen noch überlegen, wie sie mit dem Problem fertig werden sollen, haben die Gäste längst entschieden und gehen weniger essen, kochen zu Hause oder lassen sich liefern. Drei Fragen brauchen eine Antwort: Wohin sind die Gastrokräfte abgewandert, warum ist dies geschehen und wie können die Lösungen für den gravierenden Personalmangel aussehen?

Flucht aus der Gastronomie

In den Städten sind die Fensterscheiben der Lokale mit Stellengesuchen übersät. Selbst Vorzeigebetriebe müssten inzwischen schließen oder zusätzliche Ruhetage einlegen, weiß Thomas Geppert, Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in Bayern. Hotels könnten aus Personalmangel ihre Zimmer nicht mehr voll auslasten. Keine andere Branche hat in der Pandemie so viele Beschäftigte verloren wie die Gastronomie. Allein im Jahr 2020 haben bundesweit 216.000 Beschäftigte das Gastgewerbe verlassen, heißt es in der Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Die Wahrscheinlichkeit, dass diese für immer verloren gegangen sind, liegt sehr hoch. Rund 35.000 haben der Studie zufolge im Verkauf einen neuen Job gefunden. Was anfangs meist als vorübergehende Lösung gedacht gewesen sein mag, hat sich längst gefestigt. Als Gründe dafür werden familienfreundlichere Arbeitszeiten und Einstiegslöhne von mindestens 14 Euro genannt (Mindestlohn 12 Euro), wie dies beispielsweise bei den Discountern Aldi und Lidl der Fall ist.

Die Abwanderung aus der Gastronomie erfolgte zwar besonders stark in den Einzelhandel, aber mit 27.000 Menschen auch deutlich in das Verkehrs- und Logistikgewerbe, unter anderem als Fahrer für Paketdienste. Ähnlich viele haben ganz allgemein in unterschiedlichen Unternehmen einen Platz gefunden. Dabei haben der Studie nach nicht nur Minijobber die Gastronomie und dabei vor allem Kneipen und Bars verlassen, sondern von Juni 2020 bis Juni 2021 auch knapp 60.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das Gastgewerbe ist jedenfalls der große Verlierer der Corona-Krise, deren Auswirkungen erst jetzt zu dramatischen Auswirkungen führen.

Die Gründe für den Branchenwechsel

Die Gründe für den Branchenwechsel sind eindeutig. Sicherheit ist eines der Schlüsselworte, denn die Corona-Krise hat dramatisch gezeigt, wie sehr die Politik eine ganze Branche letztendlich im Stich lässt, wobei auch schon zuvor die Wertschätzung gerade von dieser Seite fehlte. Ob gesundheitlich oder wirtschaftlich definiert, eine instabile Lage wie zur Zeit der Corona-Krise, kann jederzeit wieder eintreten. Ein sicherer Arbeitsplatz ist der Hauptgrund der Beschäftigten für den Wechsel. Wichtiges Motiv ist ferner der Wunsch, mehr Zeit für sich, den Partner und der Familie zu haben. Zu den Ursachen gehören außerdem zu viel Stress im Beruf, die mangelnde Wertschätzung der Arbeitgeber und der Gäste sowie eine bessere Entlohnung. Nicht zu unterschätzen ist dabei auch das schwindende Trinkgeld, mit dem die Branche die Servicekräfte früher locken konnte und das nun durch vermehrte Kartenzahlung und die erzwungene Sparsamkeit der Gäste deutlich minimiert wird.

Was könnte die Probleme lösen?

Durchhalteparolen und Phrasen wie „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, gehen an der Wirklichkeit vorbei uns helfen niemand. Wo aber liegen die Lösungen für die Gastrokrise und den Personalmangel? Eine 4-Tage-Woche? Flexiblere Arbeitszeitmodelle? Mehr Kräfte aus dem Ausland? Küchenchef Maximilian Moser vom Hotel Vier Jahreszeiten am Starnberger See hält die 4-Tage-Woche nicht nur für seine Mannschaft als sinnvoll, sondern als Modell der Zukunft, wobei die 40-Stunden-Woche lediglich auf vier Tage verteilt wird statt auf fünf (wenngleich sich dadurch der Urlaubsanspruch reduziert).

Stärkere Rekrutierung durch Personal aus dem Ausland? Speziell für die gehobene Hotellerie & Gastronomie kaum praktikabel, weil Sprachbarrieren und fehlendes Fachwissen eine Schulung langwierig machen und zusätzlich Arbeit sowie Personal erfordern, die dafür wieder abgestellt werden müssen und an anderer Stelle fehlen. Bei ethnischen Betrieben und Szene-Lokalen ist das wegen der höheren Akzeptanz an möglichen Fehlleistungen weniger ein Problem und wird ja dort auch schon längst so gehandhabt.

Vielleicht muss man noch viel radikaler denken. In New York eröffnet das erste Café, in dem ein Roboter hinter der Theke steht. Er kann 24 Stunden ohne Pause arbeiten, braucht kein Trinkgeld und arbeitet angeblich präziser und zuverlässiger beim Zubereiten von Kaffee und Cocktails als jeder Mensch. In der Botbar in New York werden durch den Roboter Personalkosten gesenkt, als Jobkiller sieht man die futuristische Technik aber nicht, denn es werden trotzdem noch Menschen benötigt, alleine schon damit die Technik auch funktioniert.

Weniger Köche, kein Service

Ebenso interessant ist die Antwort des Spitzenrestaurants Seestern in Ulm auf die Personalknappheit. Klaus Buderath und Benedikt Wittek kommen ohne Küchenbrigade aus und stehen nur zu zweit in der Küche, was für ein Sterne-Restaurant ungewöhnlich ist. Auch sie haben an nur vier Tagen in der Woche geöffnet.

Die Vision vom kürzlich verstorbenen österreichischen Sternekoch Alfred Friedrich ging noch weiter. Er träumte schon vor zwanzig Jahren davon, ganz ohne Service auszukommen. Die Gäste sollten sich in seinem kleinen Lokal auf Zuruf das Essen selbst am Pass abholen. Er wollte weiterhin auf Sterneniveau arbeiten, aber ohne Umwege den Gast persönlich erreichen.

Das erinnert an Marianne „Mamuschka“ Kowalew, die legendäre Köchin, die kurz vor ihrem 100. Geburtstag starb. Mitten in ihrem Kellerlokal Scarlet Pimpernel in der Frankfurter Krögerstraße stand ein Herd mit Töpfen und Pfannen, an denen sich die Gäste selbst bedienen mussten, nachdem ihr Schlachtruf „Eesst Kiindärchen, eesst“ ertönte. Ihre „Kinderchen“ waren viele prominente Gäste, die Rolling Stones, die Beach Boys und die Eagles, Harry Belafonte, Ray Charles, Elton John, der junge Michael Jackson und Ella Fitzgerald sowie der gleich um die Ecke am Eschenheimer Turm arbeitende Regisseur Rainer Werner Fassbinder, der mit seiner Schauspieltruppe immer sehr spät eintraf. Sie alle kamen nur wegen Mamuschka und ihrer deftigen Küche, es gab keine anderen Köche oder gar einen Service, nur diese schon archaische Form des geselligen Essens. Manchmal können gerade die ganz alten Rezepte den Weg in die Zukunft weisen.

 

Der Autor ist seit über 30 Jahren als Hoteltester und Restaurantkritiker weltweit in der Branche unterwegs.

 

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