Das Methusalem Kompott:Molekularküche für Alte & Kranke | BISS

Kategorie | 2015, Aktuelles, Archiv, Januar 2015

Das Methusalem Kompott:
Molekularküche für Alte & Kranke

Methusalem-Kompott-Titel

Vom Labor auf den Tisch 

 

Molekular malade. Die Molekularküche ist jetzt dort gelandet, wo man sie schon immer vermutete: in Krankenhäusern und Altenheimen. Schäumchen, Gelees und Pulver muss man nicht groß kauen und sind einfach zu schlucken. Nachdem die Köche das Interesse an Molekular weitgehend verloren haben, konnte die Firma Texturas Care einen neuen Absatzmarkt ausfindig machen. Das Unternehmen in Icking bei München, das Ferran Adriàs Gelier- und Bindemittel vertreibt, beliefert inzwischen Alten- und Pflegeheime in ganz Deutschland.

Es sind wieder die üblichen Verdächtigen beisammen, von Agar bis Xantana. Texturas Care meint, dass mit ihren Mitteln zubereitete Gerichte von Menschen mit Kau- und Schluckbeschwerden, mit Demenz oder Parkinson „problemlos und mit Genuss“ gegessen werden können. Die verwendeten Produkte seien gesundheitlich völlig unbedenklich. Der Schweinebraten wird mitsamt der Bratensauce püriert und mit einer Metil-Geliertmittel-Grundmischung verrührt. Beim Abkühlen wird das Ganze wieder zähflüssig, unterscheidet sich aber spürbar von der Konsistenz eines echten Sauerbratens.

Die Molekularküche hat also jene erreicht, die sich nicht mehr wehren können. Die Vertreiber von Texturas Care sehen sich eher als Heilsbringer, die Avantgardeküche in Pflegeheime bringen und eine neue Speisenvielfalt bieten. Molekular-Schaumschläger Ferran Adrià soll sich gerührt zeigen und freut sich, dass dadurch ältere Menschen „ein Stück Genuss und Lebensfreude“ erfahren. Jörg Zipprick, Autor des Buchs „In Teufels Küche“ und Verfasser des stern-Artikels  „Dünnpfiff für fünf Personen“ über Molekularküche warnt seit jeher vor einer „Lebensmittelchemie“, für die Ferran Adrià & Co stehen. In Bezug auf Texturas Care meint Zipprick: „Auch Köchen gegenüber wurde argumentiert, dass diese Zusatzstoffe Zeit und Geld sparen. Natürlich handelt es sich nicht, wie die Website behauptet, um völlig neue Geliermöglichkeiten aus der Werkstatt eines Spitzenkochs, sondern um handelsübliche Zusatzstoffe, deren Einsatz von Verbraucherschützern regelmäßig kritisiert wird.“ Außerdem moniert Jörg Zipprick die Preispolitik: „Wer diese Mittel in einer Kantine oder ähnlichen Einrichtungen einsetzen möchte, sollte wissen, dass er absolut identische Substanzen anderswo weit günstiger bekommt. Auf den Namen „Adrià“ und die hübsche Verpackung muss man dann freilich ebenso verzichten, wie auf die Behauptung, man würde in der Gemeinschaftsverpflegung von der Avantgardeküche lernen.

Wo werden „Molekular-Texturen“ demnächst noch auftauchen? In Krabbelstuben, wo der Nachwuchs ohnehin auf dem Zahnfleisch kriecht, und in Milchzahn-Kindergärten, in denen man auch keine harten Brocken kauen und schlucken soll? Vielleicht noch in Gefängnissen, um mit Sphären und Air die Luft von Freiheit vorgaukeln zu können? Oder im Kasino des Deutschen Bundestags, wo man sich ja laut Joschka Fischer bevorzugt flüssig ernährt und der geistige Dünnpfiff nach geeigneter Gesellschaft sucht?

Ludwig Fienhold

 

 

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