Amador goes Classic
Von Ludwig Fienhold
Es ist vielleicht kein Zufall, dass Juan Amador in wirtschaftlich schwacher Zeit besonders stark in der Küche ist. Er hat seinen Stil spürbar geändert und kocht jetzt vitaler und ausdrucksvoller. Kein Nebel mehr am Tisch, kein Kampf der Texturen. Nicht Dynamit führt zu Geschmacksexplosionen – eine Gänsefeder kitzelt die Sinne. Kurzum: Juan Amador hat den Hexenkessel verlassen und kocht wieder mit Wasser.
Der juvenile Schabernack ist passé, die Küche ist erwachsener geworden. Das zeigen bereits die Appetithappen, bei Amador leger „Tapas & Snacks“ genannt: Mannheimer Schweinsbraten, Himmel & Erde und Caesar Salad sind mit viel Empfinden für Optik entworfene delikate Miniaturen. Der Taschenkrebs mit Erbsen-Gazpacho, Ziegenkäse und Olivenkrokant ist ebenso von Raffinesse, wie der Blumenkohl mit kühler weißer Schokolade, Imperial-Kaviar und Arganöl. Die feinfühlige Kombination aus Entenlebermousse, Räucheraal, Grünem Apfel und Holzkohleöl sieht ihre Aufgabe weniger darin, einen Akkord zu erzeugen, sondern schmeckt einfach saugut. Ein energetisches Gericht, das auch auf dem Rezeptzettel von Medizinmännern stehen könnte, ist das leicht asiatisch gewürzte Weiderind mit einer im Sake-Becher servierten mitreißenden Emulsion aus Beef-Tea, Limettensaft, Ingwer und altem Balsamico. Einen solchen Trunk möchte man sich für zu Hause in Flaschen abfüllen lassen und pur trinken oder über alles gießen, was in der Küche steht.
Nach diesem Auftakt an Maulbelustigern könnte man als Gast bereits glücklich, zufrieden und gesättigt sein. Alles andere ist jetzt Völlerei, aber eine ganz herrliche. Die pralle Seezunge mit feiner Grillnote, Röstzwiebel, Rindermark und deutlich reduzierter Safran-Jus ist im Vergleich zum früheren Amador schon klassisch zu nennen. Bei einer so wunderbaren und in buddhistischer Balance schwebenden „Herbstschnee“-Essenz aus intensiv duftigen Tomaten sowie zarten Königskrabben, hauchdünnem Joselito-Schinken und fermentiertem Knoblauch setzt ein alle Sinne belebender Effekt ein, der ziemlich sexy wirkt. Dazu gibt es eine Bisque aus Krustentierkarkassen, die mit ordentlich Butter hochgezogen wurde, und im Grunde schon ein Gericht für sich ist. Carabinieros, bei Juan Amador schon immer von bester Machart, finden auf der aktuellen Karte zu einer deutsch-spanischen Freundschaft. Die Riesengarnelen werden mit iberischem Speck und Zuckerrüben zubereitet und baden in einer Nage aus Sauerkraut, die dem Gericht eine schöne und erfrischende Säurestruktur verleiht.
Der Teller namens „Laubfrosch“ ist wirklich unglaublich grün und springt einem geradezu an – erst ins Auge und dann auf die Zunge. Es existieren dabei keine Komparsen, jeder ist ein Hauptdarsteller und führt in der Gemeinsamkeit zu einem guten Stück: Jacobsmuscheln, Kalbsbries, Petersilie, Spinat. Die Muscheln sind von allererster Güte und auf den Punkt gegart, wären aber ohne die packende Aromen-Aussage von Petersilie und Spinat auf Beurre Blanc Basis weniger spannend. Längst ist die Mieral-Taube bei Juan Amador zum Evergreen geworden, niemand will und sollte darauf verzichten. Mieral ist keineswegs eine Rasse, sondern basiert auf dem Namen des Elite-Züchters Jean-Claude Mieral aus dem burgundischen Geflügelparadies, der Bresse. Das makellose zartrosa Fleisch wird bei Amador von einer saftigen Schicht von Purple Curry eingehüllt, die aus Zimtblüten, Ingwer, Gewürznelken, Kreuzkümmel, Hibiskusblüten und vielem mehr besteht. Mango- und Kokos-Applikationen setzen dezente Pointen. Juan Amador kann sich auf seine rechte Hand, Moses Ceylan, und ein junges Küchenteam stützen.
Dry Aged ist keine neue Bezeichnung für Senioren, sondern das sehr trendige Gütesiegel für perfekt und lange gereiftes Fleisch. Das neueste Gericht bei Juan Amador nimmt dieses Thema auf und setzt es mustergültig um. Das saftig-geschmeidige Rinderfilet mit Rote-Bete-Jus und Meerrettich-Kick hat ein Format, wie es nur noch in den letzten Tempeln der Haute Cuisine zu erleben ist. „Brick in the Wall“ nennt sich ein ebenfalls häufiger bei Amador zu erlebendes Dessert aus Gewürzmilch, Himbeere, Joghurt und Roter Bete. Es ist, wie die ganze Küche, von ausgeprägtem Charakter und beinahe schon stürmischem Aroma. Bei der Patisserie kann dennoch nachgebessert werden, vielleicht auch in dem Sinne, dass nicht jeder Nachtisch süß zu sein hat. In der kulinarischen Bilanz haben wir es mit einem anderen Juan Amador als in Langen zu tun. Die Küche hat mehr Tiefgang erreicht und konnte sich von der neckischen „Ich-will-ja-nur-Spielen-Attitüde“ befreien.
Im besten Sinne gut aufgelegt und engagiert zeigt sich die gesamte Servicemannschaft aus sehr jugendlichen weiblichen und männlichen Mitarbeitern. Restaurantleiter Martin Berg und Sommelier Ivan Monreal Herrera besitzen jenen Humor, der die Gäste vom Formellen herkömmlicher Luxusrestaurants befreit. Diese Lockerheit trägt auch entscheidend zur Atmosphäre bei, nie zuvor konnte man so viele lachende Gäste und Mitarbeiter wie jetzt bei Amador erleben. Die Weinkarte setzt voll und ganz auf Deutschland und Spanien, auch zu relativ angenehmen Einstiegspreisen (Flaschen ab 30 €). Es finden sich empfehlenswerte Weingüter wie Wagner-Stempel aus Rheinhessen oder Grandioses von Vega Sicilia aus Ribera del Duero, aber die Weinkarte könnte insgesamt mehr Gesicht zeigen und auch Newcomern und Entdeckungen Platz geben. Es gibt vorzügliche Champagner, doch die spanischen Cava haben längst eine ganz große Qualität erreicht, die man bei Amador entdecken kann.
Das Restaurant gleicht einem Kunstraum, Stalagmiten ragen wie rot lackierte Finger aus dem Boden und schrauben sich in einen puristisch-weißen Raum von ruhiggestellter Eleganz. So angenehm weit voneinander platzierte Tische erlebt man nur selten in Restaurants, was Zweisamkeit oder auch Truppenstärke am Platz in Befreiung ermöglicht. Die Tischkultur ist fabelhaft, die Gläser sind so leicht, dass sie zu schweben scheinen. Auf der abgeschlossenen und luftdichten Galerie dürfen Raucher in stilvollem Ambiente mit Blick aufs Restaurant qualmend pausieren. Das Haus erscheint wie eine Kunstgalerie und wird auch entsprechend genutzt. Backsteinfassade und Pool im Grünen signalisieren den Hauch Extravaganz eines individuellen Industrie-Designs, das von fader Metro-Langweile umzingelt ist (aber für ausreichend Parkplätze sorgt). Dazu passt die schwere Eingangstür des Restaurants, die in einer sonderbaren Mischung aus Kunst und Knast Einlass und Sperre zugleich ist.
Restaurant Amador, Mannheim, Floßwörthstr. 28, Tel. 0621 85 47 496 (Reservierungen 12-18 Uhr)
Geöffnet Dienstag – Samstag ab 19 Uhr
Photo Credit: Barbara Fienhold
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