Nur kein Essen, das
man streicheln könnte
Gestern waren wir wieder einmal mit Fritzi essen. Da sie trotz langer Überlegungen meist irgendwelche Salate bestellt, fragten wir uns, warum sie überhaupt einen Restaurantbesuch auf sich nimmt. Nun, weil sie oft mit uns ausgeht, ist sie vielleicht an netter Gesellschaft interessiert: das wenigstens zeigt guten Geschmack. Gewisse Gerichte, wie Gänsestopfleber und Kalbsbries lösen bei Fritzi heftige Reaktionen aus. Auch der von mir favorisierte Kaninchenrücken mit Thymiankruste brachte mir Vorwürfe ein: „Diese süßen Tierchen!“ Fritzi besitzt einen kleinen Terrier. Und jegliches Lebewesen, das auch nur annähernd eine Ähnlichkeit mit ihrem Hündchen besitzt, ist für sie streichelwert und unverzehrbar. Sie ist in der Lage, sich selbst über eine Tafelspitzsülze zu echauffieren, weil das Wort „Spitz“ Erinnerungen an die vielgeliebten Vierbeiner wachruft. Dabei ist Fritzi keineswegs eine Vegetarierin. Ente beispielsweise isst sie gerne. Denn die sehen für sie nicht „so liebenswert“ wie andere Geschöpfe aus.
Zoobesuche sind entspannter
Fritzi schaute sich die Karte lange und mich fragend an: „Ist das Perlhuhn ein eher kleines Tier?“ Ich erklärte ihr, dass es zumindest fleischiger ist als der dazu servierte Eichblattsalat. Nachdem Fritzi mit uns allen jedes einzelne Gericht durchgesprochen hatte, wagten wir den Kellner herbeizurufen. Gunter hatte zwar noch immer nicht das Studium der Weinkarte beendet und beschäftige sich ausgiebig mit der Frage, ob wohl ein Pinot Noir von Gantenbein mit dem Kotelette von der Taube korrespondieren würde, war sich aber wenigstens schon der Speisewahl bewusst. Fritzi bestellte als ersten Gang die Variationen vom Kalb mit Dreierlei vom Kürbis, „aber bitte ohne Kalb“. Dann wollte sie vom Kellner wissen, ob beim Hummer im Safransud nicht vielleicht doch noch irgend etwas vom Schwein mit verwendet worden wäre. Während der Kellner diese Frage zu verdauen versuchte, setzte ich Fritzi vorausschauend davon in Kenntnis, dass bei den Himbeeren auf Joghurtschaum ganz bestimmt kein Tier vorkommen würde.
Gefahrenquelle Bachsaibling
Längst aber hatte Fritzi den Kellner in ein ausgiebiges Gespräch über das Angebot an Mineralwasser verwickelt. Nein, zu viel sprudeln durfte es nicht, salzig sollte es sowieso nicht sein, und wenn möglich auch natriumfrei. Während der Kellner die verschiedenen Flaschen herbeischaffte, um die Angaben auf dem Etikett präsentieren zu können, überlegte Fritzi laut die Tischrunde fragend, ob sie nicht vielleicht doch besser nur den Blattspinat und die Schnittlauchsauce nehmen sollte, wobei sich einer von uns hätte bereit erklären müssen, den dazugehörigen Bachsaibling zu verputzen, weil sie von diesem Tier noch nie etwas gehört hatte. Ich schlug vor, einen Gipfel einzuberufen und den Rat der Weisen einzuholen. Da eilte schon der Kellner mit vier Wasserflaschen herbei. Fritzi hatte keine Lust, das Kleingedruckte mit den detaillierten Angaben zu lesen und fragte Gunter, welches Wasser denn wohl am besten zum Salat passen würde, worauf diesem beinahe die Weinkarte aus der Hand gefallen wäre. Der Kellner machte beherzt einen Vorschlag, den Fritzi nach mehrminütigem Überlegen schließlich akzeptierte. Allerdings erst, nachdem wir ihr allesamt zu demselben Wasser geraten hatten, das uns zwar unbekannt war, aber den Eindruck einer Fritzi kompatiblen Marke machte.
Streichelzarter Terrier
Gunter suchte verzweifelt vom Wasser wieder den Weg zur Weinauswahl zu finden, was ihm einen bissigen Blick von Fritzi bescherte, die es „ganz und gar nicht“ verstand, wie man nur so lange über derartige Fragen nachdenken konnte. Barbara hatte unterdessen den Kellner in ein Gespräch über Suppen verstrickt. Eigentlich hasste sie Suppen, verspürte jedoch an diesem Abend Lust auf etwas „Suppiges“. Meinen Vorschlag, einfach einen Pinot Grigio zu trinken, fand sie schlichtweg degoutant. Auf der anderen Seite konnte sie sich auch nicht zwischen der Erbsencremesuppe mit Steinbutt und der Rinderconsommé mit Markklößchen entscheiden. Mein eher beiläufiger Rat, doch den Koch am besten selbst zu fragen, stieß auf ungewolltes Verständnis. Binnen fünf Minuten stand uns neben dem Kellner auch der Küchenchef beratend bei. Inzwischen waren sogar die anderen Gäste am Schicksal unserer Runde interessiert. Der Herr vom Nachbartisch riet Fritzi dringend zum Kürbis „ohne Kalb“, während seine Begleitung Barbara empfahl, die Langostinos mit Himbeeren zu bestellen. Gunter versteckte sich unterdessen hinter der Weinkarte und gab mir seine peinliche Berührheit mit heftigen Fußtritten unter dem Tisch zu verstehen. In den Wirren des Abends verlor ich den geschmacklichen Überblick und orderte Variationen vom Terrier in streichelzarter Sauce, verließ aber das Lokal, ohne das Resultat meiner Bestellung abzuwarten. Was mich im nachhinein die Strafandrohung von Fritzi kostete, nie wieder mit mir essen gehen zu wollen.
Ludwig Fienhold
Banquet von Adriaen van Utrecht im Rijksmuseum Amsterdam
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