Eine flüssige Kunstbetrachtung
von Ludwig Fienhold
Kunst ist brotlos? Nicht für den, der auf Vernissagen geht. Dort gibt es feinste Häppchen, fließend Sekt und ausgewählte Weine. Die Frankfurter Galeristin Barbara von Stechow ist für ihren Käse bekannt. Damit ist keineswegs ihre Kunst gemeint, sondern der erstklassige Rohmilchkäse, den sie zu ausgesuchten Weinen bei ihren Ausstellungen serviert. Jacky Strenz, die einst mit der Emma Metzler ein Spitzenrestaurant am Frankfurter Museumsufer betrieb, trinkt selbst viel zu gern guten Wein und will sich und ihren Gästen nichts Gewöhnliches zumuten. Topwinzer wie Peter Jacob Kühn oder Querbach aus dem Rheingau tauchen selbst Bilder von düsteren Künstlern ins heiter Blaue. Wer zu den Vernissagen zu Peter Femfert ins noble Westend kommt, der mit seiner Frau in der Toskana ein eigenes Weingut betreibt, darf mit deren Nittardi Chianti Classico rechnen.
Wo immer eine Vernissage aufgerufen wird, ist eine besondere Spezies zu Gast: Die Galerien-Schnorrer. Sie geben sich oft nicht einmal die Mühe, die ausgestellten Kunstwerke zu betrachten, sondern stürzen sich gleich auf die Häppchen und den Wein, der als nette Begleitung gedacht ist. Die Profis unter den Galerien-Schnorrern heucheln indes Interesse vor, bleiben gelegentlich und stets in Begleitung eines Glases kurz vor einem Bild stehen, um sich dann alsbald wieder den Kanapees und dem Sekt zu widmen. Kunst-Manager Harald Bont, der in Frankfurt und Dubai in großem Stil Vernissagen feiert, serviert seinen Gästen gerne Weine von seinem Lieblingswinzer Rainer Schnaitman aus Baden-Württemberg, dessen Qualität längst nicht nur bei Weinkennern bekannt ist. Als die Bethmann Bank noch ihren Stammsitz im Bethmannhof in der Nähe von Römer und Rathaus hatte, gab es dort erstklassige Kunstausstellungen mit generösen Eröffnungsfeiern, bei denen ausgesuchte Weine und feines Fingerfood gereicht wurde. Inzwischen ist dort eine Art Künstler-WG untergebracht, die das ehrwürdige und wunderschöne Häuserensemble scheußlich grell gestaltet.
Die in neun deutschen Städten sowie auf Sylt und in Palma vertretene Galerie Mensing ist ein Hotspot für Liebhaber von Pop-Art (siehe Bilder) und zieht die unterschiedlichsten Gäste an. Natürlich auch die Galerien-Schnorrer, die mit Sekt und Fingerfood rechnen dürfen. Bei der Ausstellung von Charles Fazzino aus New York in der Frankfurter Galerie auf der Kaiserstraße rückten sie sogar in Familienbande mit Zwillingskinderwagen an.
Viele Galerien-Schnorrer tarnen sich erst gar nicht als Kunstkenner, sondern glauben nur einfach ihren Platz auch ohne jede Daseinsberechtigung einnehmen zu dürfen. Den rundlichen Typen, der bei der Vernissage der Galerie Exler reichlich Riesling vom Kloster Eberbach und Fingerfood genoss, hätte man wahrscheinlich gerne gleich zum Teufel gewünscht, doch er hatte sich gut vorbereitet und lobte die tiefe Spirualität und die Adinkra-Symbolik des aus Ghana stammenden Künstlers Owusu-Ankomah. Er bemühte sich jedenfalls, um nicht gleich als Galerien-Schnorrer entlarvt zu werden. Doch im Laufe des Abends machte er einen groben Fehler und griff in seinem angetrunkenen Übermut gleich nach einer ganzen Flasche, mit der er sich vor der Tür vergnügte. Die Galerie ließ es geschehen, schloss aber hinter ihm ab, um fortan nur noch Einlass mit Gesichtskontrolle zu gewähren. Inzwischen ist auch die Galerie ganz geschlossen.
Die Galerien-Schnorrer sind keineswegs ein Frankfurter Phänomen und in jeder Großstadt in Deutschland anzutreffen. Doch Frankfurt darf sich nicht nur als Hauptstadt der Kriminalität sehen, sondern ist auch eine Hochburg der Galerien und deren Nassauer-Gefolge.
Unter den über 60 Galerien in Frankfurt scheinen vor allem jene bekannt, die häppchen- und schluckweise Kanapees, Wein und Sekt zur Kunst servieren. Im Westend und im Altstadtrevier von Fahrgasse und Braubachstraße sind sie so massiv vertreten, dass man sich viele schöne Abende zum Nulltarfif gönnen kann, irgendwo wartet immer eine Vernissage.
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