Neuer Trend: Junge Küche in alten Gasthäusern | BISS

Kategorie | 2015, Aktuelles, Archiv

Neuer Trend: Junge Küche in alten Gasthäusern

Der Garten ist die Krone der Gasthausschöpfung

Neueröffnung:

Zur Golden Kron

Ballmann is coming home

 

Während die Gasthäuser auf dem Land aussterben, erfahren sie in den Städten eine Renaissance. Jedenfalls dort, wo sich junge Köche ihrer annehmen und sie individuell beleben. Manche setzen dabei wie die Väter und Urgroßväter auf Klassiker, andere interpretieren alte Gerichte etwas moderner. Vor allem aber sollen die Gäste in lockerer Atmosphäre Spaß am Essen haben. All dies gelingt mal mehr und mal weniger, zeigt aber einen schönen Trend. Wir stellen drei Lokale vor, die einen Besuch lohnen: Zur Golden Kron in Alt-Eschersheim, Gickelschlag und Henscheid in Bornheim.

Johannes „Joe“ Ballmann, der viele Jahre Küchenchef im Frankfurter Städel-Restaurant Holbein´s war und danach in den Airport Club am Rhein-Main-Flughafen wechselte, steht jetzt im Gasthaus Zur Alten Kron am Herd. Der Wechsel vom schicken Museums-Restaurant und dem privaten Club in das urige Fachwerkhaus in Alt-Eschersheim mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen, folgt aber der Leidenschaft Ballmanns, der jetzt mehr denn je seine Lieblingsküche serviert: „Mutters Küche ohne Schnickschnack.“

Johannes Ballmann

Johannes Ballmann lugt aus der Küche

Seinem Ideal ist Johannes Ballmann näher gekommen, denn zuvor musste er eher Luxushäppchen für die Frankfurter Gesellschaft auftischen. Doch egal, wo er arbeitete, er stand unter Volldampf und konnte selbst 100 Teller auf anspruchsvollem Niveau an einem Abend über den Pass schicken, wie zuletzt auch 15 Punkte im Gourmet Guide Gault & Millau dokumentierten. Ballmann kocht jetzt nicht mehr mit Edelprodukten und keineswegs so aufwendig wie zuvor, aber rein geschmacklich deshalb nicht anspruchslos. Mit der geschmorten und speckbesetzten Rinderroulade nebst Speckerbsenstampf und Rotwein-Schalotten gelingt „Mutters Küche“ prächtig. Auch das Tatar-Trio zeigt, wie gut hessisch nouvelle gehen kann: Schlotziger Handkäs mit Äpfelchen und Schmand; feines Rinderfilet mit Ei; Seligenstädter Räucherforelle. Klasse. Eine schöne Idee ist auch das gebackene Bio-Ei vom Freilandhuhn mit Frankfurter Grüner Soße.

Die gute Stube

Die gute Stube

Beim durchaus passablen Tiroler Backhendl mit sehr gutem Kartoffel & Beluga-Linsen-Salat vermissten wir den Geschmack von Butter und Pfanne beim Hühnchen, das wohl nur frittiert wurde. Nicht so ganz glücklich waren wir mit dem Golden Kron Burger vom australischen Black Angus Beef. Alle Bestandteile erschienen tadellos, doch die gutgemeinte Überdosis an geschmorten Zwiebeln, Gurken, Paprika und Zucchini weichte das an sich gute Brötchen auf und wäre knackiger eher eine Bereicherung gewesen, wobei man den Grundsatz „Weniger ist mehr“ auch hier berücksichtigen sollte. Nun gut, Johannes Ballmann hatte just bei diesem erneuten Besuch seinen freien Tag und wird die kleine Crew noch weiter schulen müssen. Sympathisch, dass einige Hauptgerichte auch als Vorspeisenportionen serviert werden. Auf der kleinen Weinkarte findet man gute Rieslinge vom Rheingauer Weingut Trenz oder Diehl von der Nahe sowie Knipser aus der Pfalz.

Dreierlei Tatar

Dreierlei Tatar

Das alte Fachwerkhaus, in dem noch ein Tanzboden aus vergangenen Tagen vorhanden ist und Mieter hin und wieder durch den lauschigen Sommergarten zu ihren Wohnungen laufen, ist von besonderer Eigenheit. Thorsten Silz ist zwar der eher unbekannte Inhaber, hat sich aber mit Johannes Ballmann in der Küche und Hendrik Korkuter im Service zwei alte Bekannte der Frankfurter Szene mit ins Boot geholt. Korkuter kennen viele noch aus dem einst ruhmvollen Brückenkeller oder Mario Lohningers Micro und schließlich auch Meyers Catering, bei dem er mit Johannes Ballmann zusammenkam. Das Team wird sich noch weiter einspielen, doch ist das Lokal in jedem Fall eine Bereicherung und belebt einen längst totgeglaubten Appendix im dörflichen Alt-Eschersheim. Das Gasthaus Zur Golden Kron ist eines der ältesten Lokale Frankfurts und liegt ganz in der Nähe der unvergessenen und ebenso wunderlichen wie großartigen Apfelweinkneipe Scherer, in dem heute eine Polsterwerkstätte ihr Zuhause hat.

Ludwig Fienhold

Zur Golden Kron, Frankfurt, Alt-Eschersheim 58, Tel. (069) 26941174. www.goldenkron.de

 

 

Gasthaus Gickelschlag

Mit den Hühnern essen gehen

 

Gickelschlag Die Alte Berger Straße in Frankfurt scheint im Grunde nur aus Kneipen zu bestehen, wobei einige Lokale herausragen: Der umwerfend schrullige Wein-Dünker mit seiner großen Weinauswahl, das traditionelle Apfelweinlokal Solzer, der Spanier Weiße Lilie, das böhmische Kegelbahn-Lokal Gambrinus und der Gickelschlag. Das Fachwerk-Gasthaus wird von Oliver Selzer betrieben, der zuvor bei Weidemann in Niederrad, im Restaurant Francais im Frankfurter Hof, bei Zarges auf der Freßgass und in Bruno Lauffenburgers Maaschanz in Sachsenhausen am Herd stand.

Oliver Selzer

Oliver Selzer

Der Gickelschlag hat keine einfache Stellung, denn er muss neben vielen Betrieben bestehen, die ihr Publikum nur deshalb finden, weil sie billig sind. Nach Qualität suchen in Bornheim leider zu wenige Gäste. Der Gickelschlag mag deshalb als „teuer“ gelten und versucht dies mit einer Tapas-Offensive abzufedern, die hier Frankitas´s genannt werden (2,50 – 7 €). Diese machen auch Spaß, sei es Mini-Handkäs; Wan Tan mit Spanferkel und Weißkohl; Blutwurst mit Kartoffelstampf, Apfel und Blaubeere oder cremige Graupen mit Grapefruit, Radieschen und Petersilie. Der gebratene Thunfisch gehört zu den besten Gerichten, es gibt ihn als Vorspeise und Hauptgericht. Gleiches gilt für die Wan Tan mit Spanferkel. Oliver Selzer ist kein Dekorationskünstler, würzt aber so beherzt, dass den Gerichten Freude einverleibt wird. Dass Backhändl würden wir uns in einer gebutterten Pfanne und nicht frittiert wünschen. Gerade bei einem Lokal mit dem Namen Gickelschlag sollte Hühnchen sogar das Signature Gericht sein. Der sehr pfiffige und selbstbewusste Oliver Selzer wäre im Grunde selbst sein bester Vertreter bei den Gästen, wobei er hin und wieder auch Zeit findet, aus der Küche zu kommen. Der eigentliche Service ist wechselhaft, die junge asiatische Bedienung macht ihre Sache ganz zauberhaft.

Flagge zeigen möchte Oliver Selzer auch mit seiner Weinauswahl. Dies beginnt schon beim Apfelwein, bei dem er keine der herkömmlichen Marken einsetzt, sondern das Geiselbacher Gold der Kelterei Herkert. Beim Wein setzt er unter anderem auf Stahl (Franken), Pfannebecker (Rheinhessen), Weil (Rheingau), Kuhn und Knipser (Pfalz) – allesamt gut. Beachtliches Gin- und Vodka-Sortiment. Auf der kleinen Straßenterrasse sitzt man recht nett, in diesem Teil der Berger Straße herrscht mehr Rad- als Autoverkehr.

Wir wünschen dem Gickelschlag, dass er sich durch kritische Gäste noch weiterentwickelt. Eine Empfehlung ist er allemal, besonders im etwas dumpf gewordenen alten Bornheim.

Gickelschlag, Frankfurt, Berger Str. 257, Tel. (069) 94 59 85 22.

LF

 

Der Satire-Dorfkrug Henscheid

Witzische Küche & satirische Lesungen

Henscheid

Aus dem Klabunt ist längst an anderer Stelle das Henscheid geworden, doch noch immer gilt der Aufruf des seligen Harry Rowohlt: „Alles stehen und liegen lassen, hin!“  Er lobpreiste das Lokal wegen seiner hessischen Parodien auf die Nouvelle Cuisine, wie Garnelencurrywurst mit hausgemachtem Apfelketchup. Niemand darf Harry Rowohlt widersprechen, auch nicht posthum, weswegen wir uns nach wie vor seiner Huldigung anschließen. Mag sich auch hier und da etwas verändert haben, das Lokal für „Junge Frankfurter Küche, Satire & Schnaps“ hat immer noch Charakter. Dass es nach dem Umzug zu einer Neutaufe kam, war nur konsequent, denn der Name (Eckhard) Henscheid steht für das ganze Satireprogramm des Lokals, in dem oft schöne Lesungen stattfinden. Überall im Lokal und auch an der Fassade grüßen kunstfertige große Wackeldackel und nicken zustimmend dem klabunten Treiben zu.

HenscheidDie Speisen passen zum ironischen Habitus des Lokals. Es gibt handgestampftes Kartoffelpüree mit Apfel-Zwiebelschlonz, fangfrischen Kräutern und Bauernblutwurst oder Chili-Ingwer-Frikadellen in Grüne Soße-Pesto-Rahm. Es wird oft geschlonzt, womit die hessische Variante der schwäbischen Schlotzigkeit gemeint ist, die im Henscheid jedoch vor allem beim Essen gemeint ist. Ofen-Schäufelchen in Schwatzbiersauce gehört zu den fast schon seriösen Gerichten, das Bratwurstschnitzel ist deutlich mutiger. Immer noch zu haben, der Hausklassiker „Frankfurter Fraas“: Hackauflauf mit Apfelweinsauerkraut und Linsen nebst Karotten-Kartoffel-Gemies und Zwiebel-Pfeffer-Creme. Klingt nicht nur originell, schmeckt auch so. Zu trinken gibt´s einige gute Weine von Pfannebecker, zischfrischer Apfelwein von Herkert, Bier aus der Bügelflasche und Schnäpse vom Altmeister Arno Dirker aus Mainfranken. Das Henscheid ist ein Lokal wie kein anderes. Und niemand ist hier drei Drinks zurück.

Henscheid, Frankfurt, Bornheim, Mainkurstr. 27, Tel. (069) 43051888.

LF

 

 

 

 

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