Endlich wieder nur saugut essen gehen | BISS

Kategorie | 2016, Aktuelles, Archiv, Januar 2016

Endlich wieder nur saugut essen gehen

Baiken

Warum auch Spitzenköche kindlicher werden sollen

 

Von Peter Hilgard

 

Für die Sterne-Küche war ich immer zu haben. Kein Umweg war zu groß oder keine Route zu kompliziert, um zu einem der gelobten Restaurants in Europa zu gelangen. Natürlich war immer eines der Kriterien, ob es an dem Ort dazu auch gute Weine gab. Die gelungene Verbindung von beidem hat mich oft genug ins gastronomische Nirwana entführen können. Dass das alles nicht für Peanuts zu haben war, ist mir immer erst bei der Kreditkartenabrechnung aufgefallen. Gelegentlich kam ich mir ein wenig vor wie der Angehörige einer gastrosophischen Religionsgemeinschaft, der sich an bestimmte Speisevorschriften und -rituale hält und damit allen Sterneclub-Mitgliedern ein sonderbares „Wir-Gefühl“ vermittelt. An die Kosten eines Essens zu denken, die eine arme fünfköpfige Familie vermutlich einen Monat ernährt hätte, war allein schon wegen der eingebauten Spaßbremse tabu.

Kabeljau mit Blutwurst im Baiken im Rheingau

Kabeljau mit Blutwurst im Baiken im Rheingau

Erstaunt hat mich immer wieder, dass ich mich nach den gastronomischen Erlebnissen, die ich zugegebenermaßen genossen habe, sehr schnell einer Erinnerungslücke gegenüber konfrontiert sah. Bis auf sehr wenige Ausnahmen habe ich die kulinarischen Schöpfungen der großen Köche nie sehr lange memoriert. Die Weine hatten es da meist viel leichter, denn sie prägten sich oft genug tief in mein sensorisches Gedächtnis ein. Zu der fehlenden Nachhaltigkeit der Sinneseindrücke kam langsam auch eine Reizübersättigung. Vielfach waren die sogenannten Amuse Gueules so dominant, dass das nachfolgende Essen fast ein wenig nebensächlich wurde. Die Spielereien mit den Texturen, flüssig – fest – crunchy – cremig – gallertig – luftig – oder mit den Temperaturen warm – kalt – lau – heiß – eisig – wurden zu viel. Mein einziger Kommentar und der meiner jeweiligen Tischgenossen, der zu diesen Häppchen immer passte war: „sehr interessant!“, aber nur selten „saugut“. Irgendwie machten auch alle Sterne-Köche mehr oder weniger das Gleiche: Gefüllte Pralinen und Kügelchen, knusprige Stäbchen und schaumbeladene Tütchen. Ganz anders als früher, drohte mir in der letzten Zeit beim Besuch hochdekorierter Häuser gähnende Langweile – und ich begann mich schon bei der Vorspeise nach Grünkohl mit Pinkel oder einem Bauernomelette zu sehnen.

Ente bei Jean im Rheingau

Ente bei Jean im Rheingau

Einmal das Stichwort „Aromen“ zu googeln ist enorm aufschlussreich. Auf der ganzen Welt gibt es Firmen, die sie herstellen und vermarkten. Gelegentlich findet man auch die Namen von sogenannten „Starköchen“ als Berater dieser Unternehmen. Für wen machen die das? Ich befürchte, dass sich die „gehobene“ Gastronomie mit unter den Abnehmern dieser Aromen befindet und schon manche davon an meinen Geschmacksnerven kleben geblieben sind. Bin ich gegenüber der kulinarischen Prachtentfaltung der Restaurants schon so abgestumpft, dass meine einzige Alternative „Zurück zur Natur“ sein kann? Ich glaube, dass alle Genießer dieser Welt ihr bestes Essen in der Kindheit erlebt haben. Nicht umsonst schwärmen sie auf allen fünf Kontinenten von Großmutters Küche. Sie war immer und überall bodenständig und schmackhaft und sie hat unsere späteren Vorlieben geprägt. Ist es nicht an der Zeit, dass sich auch die Spitzenköche wieder an die Kindheit erinnern und vom teuren Schischi Abschied nehmen? Übrigens, auch zur Hausmannskost kann man mit Riesenvergnügen die ganz großen Weine dieser Welt trinken! Ich empfinde es auch als ein Unding, dass Sterne für Restaurants immer einen bestimmten Luxus voraussetzen. Sehr gut essen kann man auch an Holztischen, bedient von Kellnerinnen und Kellnern ohne weiße Handschuhe.

Bild ganz oben. Schweinsbraten im Baiken in Eltville im Rheingau

Photocredit: Barbara Fienhold

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