Schöner Spuk
Warum das Grand Hotel
Heiligendamm gespenstisch
bleiben wird
Von Ludwig Fienhold
Vor dem kniehohen Zaun am Hotel-Ensemble stehen Gaffer, die wie Touristen aus einer Haderer-Karikatur gekleidet sind: „Da wohnen die Reichen“, meinen sie abschätzig und weit mehr abgrenzend als es der Gartenzwergzaun sein könnte. Das Grand Hotel Heiligendamm wird besichtigt, als würde dort Ex-Bundespräsident Wulff residieren. Es stehen zwar keine Protestler mit Tröten davor, doch der Argwohn vieler Beobachter ist offensichtlich. Ähnlich wie Schloss Bellevue hat auch das Hotel Heiligendamm gelitten, das nicht nur um Gäste, sondern auch um die Akzeptanz des Umfelds ringen muss. Die Schwierigkeiten der exklusiven Hotelanlage liegen am falschen Konzept und seiner speziellen Location – genau genommen ist das Grand Hotel Heiligendamm der weiße Elefant in einer grauen Welt.
Es konnte nicht gut gehen, dass ein solches Luxushotel in einer Gegend errichtet wurde, die eher bescheiden bis ärmlich erscheint und einfach nicht mitwachsen will. Die Gäste selbst können sich so nicht wohlfühlen und erleben ihre Situation wie in einem Ghetto. Das Nobelhotel wirkt wie ein Schloss in Berlin-Marzahn, aber wer will schon als Prinz zwischen Plattenbauten leben? Durch den jetzigen Konkurs wird Heiligendamm vielleicht endgültig zum Spukschloss.
Das Grand Hotel Heiligendamm an der Ostsee wird es auch weiterhin mehr als schwer haben und kann mit dem jetzigen Konzept und Umfeld nicht gewinnen. Die Ostsee hat als Destination kein gutes Image, schon gar nicht bei dem Publikum, das mit dem Grand Hotel Heiligendamm angesprochen wird. Dieser Teil der Republik muss nach wie vor gegen einen schlechten Ruf ankämpfen, denn er steht eher für spröde und billig als für charmant und luxuriös. In einer solchen Region ist es doppelt schwer, Flair entstehen zu lassen und mit Weltklassehotellerie zu werben. Wer reist, will etwas zu erzählen haben. Man kann von der Karibik oder den Malediven schwärmen, selbst noch vom längst gesellschaftsfähigen Sylt. Doch man vermag nicht unbedingt beim Gedanken an die Ostsee ins Schwärmen zu geraten.
Das Grand Hotel Heiligendamm liegt isoliert und ist mühsam zu erreichen, da hilft auch der Shuttle-Service zwischen Rostock und Bad Doberan wenig. An der Uferpromenade stehen noch immer zu viele Ruinen, die das Bild trüben. Der ganze Auftritt ist problematisch. Das Haus gibt sich wie ein edles Stadthotel, müsste aber ein nonchalantes Urlaubsdomizil sein. Das Formelle kommt auch in den steifen Uniformen des Personals und deren Habitus zum Ausdruck – Feriengefühl erfordert aber eine saloppe Grundstimmung und Gangart. Personal und damit auch die Gäste wirken nicht entspannt. Der häufige Direktorenwechsel belegt die nervöse Stimmung. Kempinski stieg 2009 als Managementgesellschaft aus, weil sie mit dem Betreiber in Person von Anno August Jagdfeld keine gemeinsame Strategie entwickeln konnte. Manko waren bislang auch zu viele junge, unerfahrene und nicht optimal geschulte Mitarbeiter in allen Bereichen. Die von Anfang an instabile Lage motivierte die 300 Mitarbeiter keineswegs ausreichend, die ständig um ihre Jobs bangen mussten.
Der G8-Gipfel im Jahre 2007 machte das Hotel weltberühmt und brachte kurzfristig Aufmerksamkeit. Dann verschwand Heiligendamm wieder für viele aus dem Blick. Die Jahresauslastung erreichte nie die 60 Prozent, sondern lediglich 44 bis 50 Prozent, im Winter kamen stets nur wenige Gäste. Jetzt fehlen rund 30 Millionen Euro, man hofft auf neue Investoren, der Betrieb läuft weiter. Der noch amtierende Geschäftsführer Anno August Jagdfeld macht der Kommune schwere Vorwürfe, weil sie die Hotelanlage mit der Eröffnung im Jahre 2003 zum öffentlichen Gelände erklärt habe und damit Scharen von Spaziergängern und Radfahrern den Weg ebnete. Die geringfügige Umzäunung hat dies kaum eindämmen können, hält aber ein wenig auf Distanz. Dennoch stoßen hier zwei Welten aufeinander, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben möchten.
Dabei hat das blütenweiße Ensemble am Meer einiges zu bieten. Die erhabene Gelassenheit der Architektur und das aufbrausende Meer gehen eine ungewöhnlich schöne Verbindung ein. Attraktive Zimmer, gutes und vor allem langes Frühstück, ein Spitzenrestaurant und eine angenehm kultivierte Zigarren-Bar in der Burg Hohenzollern sind erhebliche Pluspunkte. In den windgeschützten Strandkörben perlt der Champagner, auf der großen Freiterrasse kommt man leicht in Feierstimmung.
Im Gourmet-Restaurant Friedrich Franz herrscht zwar mitunter Flüsteratmosphäre, doch die Küche von Ronny Siewert macht gute Laune: Haute Cuisine mit regionalen Kicks. Die gebratene Gänsestopfleber ist ein Musterbeispiel an Produktqualität und Handwerklichkeit. Die perfekt zubereitete Leber zeigt extrem sauberem Anschnitt und ist prall und fest. Die ausdrucksvolle orientalische Gewürzjus begleitet nicht nur so nebenbei, sondern hebt sie. Petersilienwurzelmousse und leicht marmeladiger Granatapfel setzen zusätzlich Akzente. Die lauwarmen Krebse mit fruchtigen Gurken und essbaren Landschaften sind von einer heiteren Duftfülle, wobei jedes Detail prononciert ineinandergreift. Die als „Essbare Landschaften“ bekannten Wildkräuter und Blüten sind auch der Firmenname von Koch Ralf Hiener aus dem Schwarzwald und dem Gärtner Olaf Schnelle aus Thüringen, die sich als Lieferanten für kreative Restaurants einen Namen gemacht haben. Als hoch verfeinertes Regionalgericht haben wir den geräucherten Ostsee-Aal in guter Erinnerung, mit luftigem Lachskaviar-Rührei, Meerrettichschaum und einem Boden aus glasierten, dünnen Apfelfilets vom Granny Smith. Die imponierende Bresse-Taubenbrust mit einer Reduktion und wunderbar konzentriertem Trüffelgeschmack – sowie Rotkohlmousseline und Schaum von gebräunter Molke – offenbart große Klassik. Der Michelin quittierts mit einem Stern, der Gault Millau vergibt 17 Punkte.
Die vielen gute Leistungen im Bereich Food & Beverage und die spannende Optik werden das Grand Hotel kaum überleben lassen, die Chancen bleiben gering. Vielleicht droht das gleiche Schicksal wie den legendären Schweizer Stuben in Wertheim, vielleicht wird eine Senioren-Residenz daraus. Trotz seiner geradezu unwirklichen Schönheit wirkt „Die weiße Stadt am Meer“ gespenstisch – als hätte es hier nie Leben gegeben.
Grand Hotel Heiligendamm, Prof.-Dr.-Vogel-Straße 6, Bad Doberan – Heiligendamm, Tel. 038203 740-0. Zimmer ab 190 €, Menü mit 4 Gängen 105 €, mit 6 Gängen 145 €. www.grandhotel-heiligendamm.de