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Welch ein wunderlicher Weinkeller!

13 Stufen zum Glück

Der Dünker ist besser denn je


Von Ludwig Fienhold

Der Weinkeller Dünker ist Bornheimer Urgestein. 13 Stufen führen hinab ins düstere Gewölbe, wo man glaubt, nur noch mit der Grubenlampe weiterzukommen. Doch hier unten herrscht ein ganz besonderes Leuchten, das nicht blenden, sondern erhellen will. Man trifft auf eine fast vergessene Art der unangestrengten Gastlichkeit. Auf das ungespreizt Klare, wie es höchstens in einigen Apfelweinlokalen zu erleben ist. In einer Welt der komplizierten Kommunikation freut man sich auf diese Unterwelt, in der man ganz einfach nur miteinander redet. Dünker ist zudem eine Fluchtstätte für alle, die dem ewigen Spuk des Zeitgeistes entgehen wollen. Auf diesem archaischen Terrain fühlt man sich wie in einer Höhle. Auch manche Gäste wirken wie fossile Erscheinungen und harren nahezu versteinert am Weinfass. Dünkers Stehschoppen, ein halbtrockner Müller-Thurgau, verhilft offenbar dazu.

In Wein-Dünkers Keller ist Bacchus Stammgast

Die Alten aus dem noch immer dörflichen Bornheim schätzen den frühen Schoppen, der erste geht schon um 17 Uhr, bei manchen auch früher. Man sollte allein schon deshalb zeitig kommen, um die Ablösung der Garde mitzubekommen. Der Besucherwechsel verläuft in jeder Hinsicht fließend, je später der Abend, desto jünger die Gäste. Irgendwann, in einer chronographisch kaum festzulegenden Mitte, erlebt man alle Generationen. Das ist vielleicht der interessanteste Teil eines Abends in Dünkers Weinkeller. Rentnerbeige trifft auf Designerrot, Sandalen blicken vertreten auf Pumps.

Der Grundstein für das Haus in der Berger Straße 265 wurde 1780 gelegt. Lange Zeit war der Keller ein Apfelfasslager, erst 1948 eröffnete Peter Dünker seinen Weinkeller für Gäste. Gut 40 Jahre lang führte er ihn, bevor er diesen an seinen Sohn Christoph übergab. Der junge Kaufmann musste erst einmal mit dem Erbe klarkommen, das geschmacklich sehr auf eine ältere Kundschaft aufbaute. Im Laufe der Jahre ist Christoph Dünker jedoch ein erstaunlicher Spagat gelungen, der die alte Kundschaft nicht verschreckte und neue Gäste hinzugewann. Entschieden unterstützt von seiner beschwingten Frau Susanne, die auch am Ausschank steht, wo sich fast jeder seinen Wein selbst holt. Beide haben sich durch ihre ebenso weltoffene wie bodenständige Art viele Freunde geschaffen. Der Dritte im Bunde ist „der Mann ohne Namen“, der seine Haare noch so lang trägt, wie das in den guten Rockzeiten üblich war. Friseure und schlechte Weine meidet er, er kennt sich im Keller bestens aus, weshalb Gespräche mit ihm oft einige interessante Glaslängen dauern können.

Susanne & Christoph Dünker im Kreis ihrer Freunde

Dünker gilt als die älteste Weinhandlung der Stadt, der Keller ist eine unumstößliche Bastion, doch wird daneben Handel im größeren Stil betrieben. Der Bretzelbub zieht nach wie vor im Lokal seine Runden, sonst hat sich einiges drastisch verändert. Das ist weniger daran auszumachen, dass es keine Buletten mehr gibt, aber immer noch Käse und das Menü 1: Nüsse. Der größte Unterschied besteht im Weinsortiment, das alles andere als unterirdisch ausfällt. Wer den Dünker lange nicht mehr auf seinem Plan hatte, wird jetzt sehr überrascht sein. Das Angebot hat sich qualitativ und quantitativ erheblich erweitert. Über 300 verschiedene Flaschen stehen parat, allein 60 offene Weine sind zu haben. Das wäre so nie denkbar gewesen.

Die bei Alt und Jung beliebten unkomplizierten Zechweine von Bretz aus Rheinhessen (ab 2,20 € das Glas 0,2l) zeigen noch in alle Richtungen. Manch andere Angebote wollen ebenso gefällig sein. Doch es geht auch anspruchsvoller. Von Fred Prinz aus dem Rheingau sind gleich drei Rieslinge gelistet, für menschenfreundliche 8,50 bis 11,50 € die Flasche. Franken ist mit Rudolf Fürst gut vertreten, die Pfalz mit Lergenmüller und die Ahr durch Adeneuer. Christoph Dünker, inzwischen 44 Jahre, zeigt aber auch Entdeckerfreude. Bei ihm gibt es mit dem Chat Sauvage ein relativ junges Weingut aus dem Rheingau, das nur wenige Ausgepichte kennen. Was dort an roten und weißen Burgundern auf sieben Hektar in Johannisberg gezogen wird, ist sehr beachtlich. Der saftige Pinot Noir schmeckt beerig, würzig und leicht rauchig. Neu im Programm sind die Weine vom Margarethenhof von der Saar. Ebenso süffige wie feingliedrige Rieslinge, aber auch ein wunderbar erfrischender Elbling für die Sommerterrasse zum äußerst sozialverträglichen Preis.

Susanne Dünker ist kein Weg zu schwer

Im Dünker, früher unvorstellbar, sind außerdem Grüner Veltliner, Barolo oder Brunello zu haben. Sogar gute Tropfen aus Mallorca. Ohlig-Sekt, Brut Rosé von Chat Sauvage und ein Champagner von Legras & Haas für nette 31,50 € die Flasche komplettieren prickelnd das Programm. Bei Sonnenschein schenkt man im schrulligen Hinterhofgarten ein. Doch der Keller hat einfach mehr Tiefe.

Wein Dünker, Frankfurt, Berger Straße 265, Tel. 069 45 19 93. Geöffnet Montag bis Donnerstag 12 – 1 Uhr, Freitag und Samstag 12 – 2 Uhr, Sonntag 18 – 1 Uhr.

 




Billigheimer kauft Hotelschloss Velden

Das Haus von Gunter Sachs könnte zum Luftschloss werden

 

Im Poker um das Schloss Velden am Wörthersee ist nun der letzte Trumpf ausgespielt worden: Karl Wlaschek, Gründer der österreichischen Handelskette Billa und reichster Mann des Landes, hat das Hotel gekauft. Der 94 Jahre alte Wiener Unternehmer setzt damit auch eine schöne Lebenspointe, denn just dort trat er nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen Charly Walker als Bar-Pianist auf. Seinen damaligen Traum, ein eigenes Tanzcafé zu betreiben, konnte er mangels ausreichender finanzieller Mittel nicht verwirklichen. Inzwischen wird das Vermögen von Wlaschek auf über vier Milliarden Euro geschätzt, die er vor allem mit seinem Immobilienbesitz erwirtschaftet. Die Billa-Discounter (Billa steht für billiger Laden) hat er längst an Rewe verkauft. Ein legendärer Spruch von ihm ist: „Beim G’schäft bin i guat, bei de Weiber bin i a Depp“  – Wlaschek war viermal verheiratet und führte lange Zeit ein Leben als Salonlöwe.

Über den Kaufpreis wurde zwar Stillschweigen vereinbart, doch gilt eine Summe von 50 Millionen als wahrscheinlich. Mit dem Besitzerwechsel wird auch der Hotelbetreiber ausgewechselt. Schloss Velden wird vom 1. September an kein Capella-Hotel mehr sein. Das Management soll dann in den Händen der Falkensteiner Group in Wien liegen, die ansonsten auf normale Urlaubshotels spezialisiert ist und damit ihr erstes Luxushotel führt. Der dagegen seit Jahrzehnten mit Nobelherbergen arbeitende Capella-Chef Horst Schulze hat nun letztlich eine Sorge weniger – Schloss Velden war lediglich in den Sommermonaten rentabel, während der Wörthersee im Winter wie ausgestorben scheint (siehe auch Biss-Artikel „Das Hotelschloss von Gunter Sachs & Roy Black“).

Restaurant Schlossstern

Für die Bank Hypo Alpe Adria, deren Engagement bei Schloss Velden sich auf 130 Millionen Euro beläuft, steht zwar längst ein großer Verlust fest, doch geht der Ärger noch weiter. Immerhin hatte sie in diesem Jahr mit dem italienischen Unternehmer Ugo Barchiesi Verkaufsverhandlungen geführt, wobei dieser bereits vier Millionen anzahlte. Barchiesi sieht sich weiterhin als Käufer und lässt sein Interesse und seine Streitwilligkeit über einen Rechtsanwalt verkünden.

Das märchenhafte Schloss Velden kann auf eine bewegte Geschichte blicken. In den fünfziger Jahren entdeckte die Film- und Fernsehwelt die großartige Kulisse vom Schloss am See, besonders bekannt wurde die TV-Serie „Ein Schloss am Wörthersee“ mit dem Schlagersänger Roy Black. Der erst kürzlich verstorbene Gunter Sachs kaufte 1990 das Schloss und ließ es aufwendig renovieren, wobei er sich auf Lebenszeit eine Suite sicherte. Knapp 13 Jahre später verkaufte er das Schloss für geringe 22 Millionen Euro an die Kärntner Hypo Alpe Adria Bank, welche die amerikanische Hotelgruppe West Paces mit dem Management beauftragte, die es seit 2007 unter ihrer Nobelmarke Capella führt.

Schloss Velden

Mit dem neuerlichen Verkauf wird ein anderes Kapitel aufgeschlagen. Die Frage ist, ob ausgerechnet eine Hotelgruppe, die bislang nicht durch herausragende Hotels auffiel und mehr auf Ferienhotels in Kroatien, Tschechien, der Slowakei, Österreich und Italien setzt, ein solch problematisches Prestigeobjekt führen und in die Gewinnzone bringen kann. Das Märchenschloss könnte sich schnell als Luftschloss erweisen.

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Wein & Erotik
Vom Duft der Verlockung

Warum Casanova Frauen auf Rosen bettete

 

Von Guy Bonnefoit

Liebe geht durch die Nase. Was wir gerne riechen, mögen wir auch. Viele Düfte wirken stimulierend. Vor allem im Wein finden sich solche Lockstoffe. Manche Rebsorten sind aber besonders sexy.

Euripides (400 v.Chr.): „Wo aber der Wein fehlt, da stirbt der Reiz der Venus, da ist der Himmel der Menschen wüst und leer“ (aus dem Buch „Doctor Bacchus“ Wein und Gesundheit Erkenntnisse und Ratschläge“ von Friedrich A. Cornelssen u. Wolfgang Albath)

Aus altägyptischen Gräberfunden geht eindeutig hervor, dass man schon vor über 5000 Jahren Duftgärten anlegte. Viele Krankheiten wurden durch Einatmen von Heilkräutern kuriert. Die Aromatherapie war bei den alten Mayas, Inkas und Azteken ebenfalls bekannt. Die Römer waren Experten auf diesem Gebiet. Sie benutzten in ihren Thermen Kräuter wie z.B. Lavendel (ethym. von lavare = waschen) und viele andere Pflanzen und Gewürze. Besonders geschätzt war der Veilchenduft, den man u.a. in Rotweinen aus den Rebsorten Lemberger, Spätburgunder (besonders im Rheingau) findet. Bei Weinen aus anderen Provenienzen, die diesen Veilchenduft von Natur aus nicht hatten, wurde eifrig nachgeholfen. Schwertlilienknollen z. B., die man in der Sonne trocknete und zu Pulver verarbeitete, wurden während der Gärung in den Traubenmost gegeben. Die Zugabe des Veilchenduftes hatte zwei Gründe. Zum einen Mal verzögerte er die Wirkung der Benommenheit durch den Alkohol im Getränk und zum zweiten wirkte er im Sinne Aphrodites.

Es lohnt sich bestimmt, die aromatherapeutischen Auswirkungen des Weines zu nutzen. Seit Jahrtausenden gilt der Wein in vernünftiger Menge getrunken als psychischer Befreier von seelischem Druck, der über das Wohlbefinden die Liebeslust weckt, ganz im Sinne der alten Römer „Ohne Ceres und Bacchus friert Venus“.

Die Kenntnisse über die Aromatherapie, ihren Einfluss auf Erkrankungen oder Wohlbefinden durch Einatmen von Heildüften sind uralt. Die Ägypter waren bereits vor 5000 Jahren Experten in der Parfümherstellung. Kurz vor unserer Zeitrechnung, als man im Traum noch nicht an Duftsprays dachte, ließ Kleopatra in den Räumen ihres Palastes durch flatternde Tauben, deren Flügel mit Parfüms eingerieben waren, Wohlgerüche verbreiten. Besonders beliebt war vor allem der Duft der Rose, die Lieblingsblume Aphrodites. Rote Rosen sollen zusätzlich beruhigende Eigenschaften aufweisen, dies vor allem bei eifersüchtigen Frauen. Giacomo Casanova, anerkannter Meister in Sache Liebe und Verführung, pflegte bei amourösen Rendezvous das Bettlager mit Rosenblättern zu bedecken.

Casanova wusste wohl auch, dass sowohl das Wort Wein (vinum) als auch Liebe (Venus) den gleichen Ursprung haben, ”ven” (in der Sanskrit-Sprache) bedeutet lieben, begehren. Auch war er der Überzeugung, „ein Roquefort und ein Chambertin seien am besten geeignet, eine keimende Liebe zur Vollendung zu bringen“. Der Grund liegt wohl zum Teil im animalischen Geruch dieses Schafkäses, der bei vielen Männern wie auch Frauen sexuell besonders anregend wirkt. Vielleicht wollte Casanova eine Ergänzung zum Rosenduft, da der Chambertin nicht nach Rosen, sondern eher nach Weißdorn duftet. Sonst hätte er einem Muskattrollinger wegen seines feinen Duftes nach roten Rosen den Vorzug gegeben. Zahlreiche Weine duften nach weißen, gelben, oder rosa Rosen, seien sie frisch erblüht oder fast am Verblühen, beispielsweise Gewürztraminer und Traminer.

Mit Vorschusslorbeeren als besonders aphrodisierend versehen sind, ob weiß oder schwarz, die Trüffel. Selbst wenn diese von Plinius dem Älteren, der sich deren Entstehung nicht zusammenreimen konnte, als „eine Verirrung der Natur“ bezeichnet wurden. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb die Trüffel zu einer Verwirrung der Sinne führen sollen. Besonders reich an schwarzen Trüffelaromen ist der Duft von alten roten Weinen, wie z.B. Spätburgunder oder Lemberger. Der Ton von weißen Trüffeln ist vereinzelt in alten Rieslingen, Traminer, Kerner und Grauburgunder anzutreffen. Im Sinne der Signaturenlehre (similia similibus curantur) stellt sich der Spargel eindeutiger dar. Man findet seinen Duft und Geschmack in zahlreichen Weinen aus der Rieslingtraube.

Nicht vergessen werden darf der Sellerie, im Mittelalter Geilwurz genannt, zur Römerzeit Zeichen für die „Maison de Plaisir“. Selleriearomen findet man in der Familie der weißen Burgunder-Rebsorten, etwa Weißburgunder, Grauer Burgunder, Chardonnay, Auxerrois und ab und zu auch in Rieslingen (vor allem im Rheingau und am Mittelrhein). Die Duft- und Geschmacksstoffe des Selleries findet man ebenso im württembergischen Traminer, Kerner und vereinzelt auch Samtrot.

Nicht unerwähnt dürfen Banane, Granatapfel, Haselnuss und Walnuss bleiben. Banane findet man in alten Scheurebe-Weinen, die außerdem durch ihren typischen Duft nach Frauenachselschweiß auf manche ebenfalls aphrodisierend wirken. Gleiches gilt für die weißen Weine aus der Chardonnay-Rebe, wenn die Gärung bei niedriger Temperatur (11-13° C) stattgefunden hat.

Der Granatapfel ist die Frucht Aphrodites und soll von ihr zum ersten Mal auf der Insel Kreta angepflanzt worden sein. Seine Duft- und Geschmacksstoffe finden wir in älteren Rheingauer Spätburgundern aus Assmannshausen, Lemberger, Samtrot und Portugieser. Die Haselnuss ist das typische Attribut von Chardonnay-, Grauburgunder-, Weißburgunder-, Chardonnay-, Auxerrois-Weinen, vor allem wenn diese in neuen Barrique-Fässern gekeltert wurden. Die Walnuss findet man in Duft und Geschmack von Weinen aus den Rebsorten: Chardonnay, Weißburgunder, Grauburgunder sowie vereinzelt Spätburgunder.

Bis zum 12. Jahrhundert n. Chr. wurden alle Kochrezepturen nach den Richtlinien der Diät geschrieben. Diese hatten die Aufgabe, die Schönheit des Menschen zu erhalten – als Ebenbild Gottes war dies seine Pflicht – sowie sein Leben zu verlängern und die Potenz bis ins hohe Alter zu erhalten. In diesem Sinne, wie auch gegen eine Vielzahl von Krankheiten, wurde eifrig gewürzt. Allen voran fand der Pfeffer trotz seines hohen Preises vielfach Verwendung. Er liegt im Duft von Spätburgunder, Lemberger sowie in zahlreichen spätgelesenen Gewürztraminern.

Anis findet man bei einer Vielzahl von Chardonnay-Weinen sowie bei einigen Rieslingen, z.B. an der Saar oder bei Auslesen bis Trockenbeerenauslesen. Zimt wurde aus dem Orient eingeführt. Er besitzt eine starke Stimulationskraft. Man findet Zimt in zahlreichen Weißweinen aus sehr spätgelesenen Trauben, vor allem bei Gewürztraminer (dessen Name von Gewürze kommt!), Traminer, Rieslinge mit hohen Prädikaten (Beerenauslese, Trockenbeerenauslese, Eiswein). Kakao ist in alten Scheurebe Beeren- und Trockenbeerenauslesen zu entdecken in Rotweinen aus der Rebsorten: Spätburgunder, Lemberger und Dornfelder.

Moschus trifft man vor allem in alten Muskateller, Morio-Muskat, Gewürztraminer. Aus Platzgründen müssen leider viele Duft- und Geschmacksstoffe unerwähnt bleiben. Zuletzt sei noch der „animalische Ton“ angeführt, der meistens in sehr alten Rotweinen enthalten ist. Und der für viele besonders anregend ist.

 

 

 

 

 

 

 

 




Genf für Genießer

Kaviar, Zigarren und Elvis

 

Genf ist deshalb eine so erstaunliche Stadt, weil sie ausgesprochen elegant die Balance zwischen Geschäftigkeit und Genussfähigkeit hält. Zeit ist zwar auch hier Geld, doch in einer noblen Ausprägung durch berühmte Uhrmacher wie Patek Philippe, Rolex und Piaget. Ein Großteil der 190 000 Einwohner scheint sich entweder in Banken, luxuriösen Geschäften oder Restaurants aufzuhalten. Bei einem Stadtbummel begegnen Namen wie Davidoff, Caviar House und Elvis Presley.

Das Hôtel de la Cigogne liegt strategisch sehr günstig im Zentrum und erspart manche Taxifahrt – die Stadt gehört ohnehin dem Flaneur. Dieses um die Jahrhundertwende entstandene Haus, ein Relais & Châteaux, hat einen ganz merkwürdigen Charme. Es changiert zwischen charmant und schwül, ist elegant und doch bourgeois. Die Preise sind so unbescheiden wie ganz Genf. In das verwegen geschnittenes Hinterhofzimmer dringt kaum Tageslicht. Das gibt einen Hauch Verruchtheit. Eine halbe Flasche Wasser aus der Minibar kostet so viel wie eine halbe Flasche guten Weins im „Boulevard du Vin“. Die von Robert und Julien Guelpa betriebene Vinothek zählt zu den sympathischsten Lokalen der Stadt. Man kann unter einem Dutzend offener Weine und über 200 Flaschen wählen, die nur ein Korkgeld von zehn Schweizer Franken auf den Ladenverkaufspreis erfahren. Dazu werden auf blanken Holztischen Pasteten, Schinken, Käse und andere leckere Kleinigkeiten serviert. Bemerkenswert: die Hälfte der Gäste sind Frauen. In der Halle de Rive, einer properen und wettergeschützten Markthalle am Boulevard Helvétique, lockt die Fromagerie Bruand mit gutem Käse und dem erstklassigen Birnenschaumwein von Eric Bordelet. Die von Hand gefertigten Trüffel der kleinen Chocolaterie Zeller an der Place Longemalle werden bis nach Tokio exportiert.

Die Grande Boucherie du Molard an der Rue du Marché begeistert auf den ersten Blick, eine solche Fleischbeschau mit Ästhetik und Perfektion erlebt man kaum sonst wo auf der Welt. Mit chirurgischer Präzision schneiden adrett gewandte Fachkräfte vor den großen Augen der Kundschaft Milchlämmer, Kobe-Beef oder Bison an einzelnen Holzblockstationen zu. Dieser exzeptionelle Delikatessenladen macht alleine über fünf Millionen Schweizer Francs Jahresumsatz mit Fleisch, wovon ein Großteil an Hotellerie und Gastronomie geliefert wird.

Davidoff in Genf ist der wahrscheinlich berühmteste Zigarrenladen. Er offeriert zwar auch Cognac, Krawatten und Socken, doch qualmen sehen will man vor allem den Tabak. Genf war der Zufluchtsort der Familie Davidoff, als sie 1911 das zaristische Russland verlassen musste. Mit der Eröffnung seines ersten größeren Fachgeschäftes im Jahre 1940 zog Zigarren-Zar Zino Davidoff viele Persönlichkeiten in seinen Dunstkreis – sogar solche, die nicht Zigarre rauchten, wie Brigitte Bardot, Gina Lolobridgida und Ursula Andres. Sophia Loren kommt immer noch, aber nur, um für Freunde Zigarren zu besorgen. Zum Kundenstamm zählten  Aficionados wie Orson Welles, Albert Einstein, Peter Ustinov, Charles Aznavour und Paul Bocuse. Elvis signierte im Goldenen Buch sprachgewitzt als „Smo-King“.

Seafood CaféDie Perle unter den Genussläden von Genf ist das Caviar House. Kaviar ist zwar immer noch der Star des Angebots, aber schon lange nicht mehr das führende Absatzprodukt, zumal Kaviar ja zu den eher aussterbenden und besonders schützenswerten Delikatessen zählt. Einst betrieb das Unternehmen Caviar House zu 80 Prozent Handel mit den Luxuseiern, nun sind es gerade einmal 30 Prozent. Das Sortiment hat sich aus taktisch wirtschaftlichen Gründen erheblich erweitert, wovon ein Hochglanzkatalog kündet, in dem Champagner, Olivenöle, Gänseleber, Balik-Lachs, Langusten und vieles mehr appetitlich aufgeführt werden. Dies wird nur noch in natura im Laden selbst übertroffen, wo man auch am Safran aus der Mancha schnuppern und die alten Bordeaux-Flaschen befühlen kann. Kundengespräche, die gelegentlich mit einem Glas Champagner aufgefrischt werden, drehen sich indes immer wieder gerne um den Kaviar. Für Spekulationen Anlass gibt dabei stets der höchst rare Almas – der perlmuttfarbene Rogen des hellhäutigen Beluga-Störs, der 80 bis 120 Jahre alt und 15 Kilogramm schwer wird und als das Einhorn der Meere gilt. Das Kilo kostet zwischen 28 000 und 45 000 Euro, die Preise ändern sich stündlich. Vom Albino-Stör werden jährlich höchstens 30 Kilogramm Kaviar gewonnen, was die zarten Fischeier zur teuersten Delikatesse der Welt macht. Solche Pretiosen werden keineswegs herkömmlich verpackt, sondern in einer 24-Karat-Golddose, welche in einem temperierten Edelholzkästchen schlummert. Dabei sind die bekannten und gerade noch bezahlbaren Sorten mindestens genau so attraktiv im Geschmack – Osietra, Beluga, Classic Grey, Royal Black, Imperial. Eine Qualität schöner als die andere, doch recht unterschiedlich. Der Imperial, einst nur dem Schah von Persien vorbehalten, verkörpert mit seinem prallen, saftigen Korn und dem Rausch des Meeres auf der Zunge die große Klassik. Der tiefschwarze, vom jungen Osietra-Stör stammende Royal Black verführt durch eine eher zarte Schale und einen leicht nussigen Geschmack – und ist genau das richtige für Liebhaber des Dezenten, die weniger an den kaviarüblichen Jod-  und Algen-Aromen interessiert sind.

Boulevard du Vin

Einst warteten auf der ersten Etage des Caviar Houses ein wunderbarer Plüschsalon für Kaviar-Degustationen und eine Zigarrenlounge mit schweren Ledersesseln. Diese sind seit Ende letzten Jahres einem modernen Seafood-Café gewichen, das nicht so viel Charme besitzt und lieber puristisch sein möchte.  Kaviar und Meerestiere werden weiterhin serviert. Beim Kaviar indes nur noch die Sorten von Prunier aus den Zuchtgewässern am Rande der Dordogne nahe Bordeaux. Persischer Kaviar wird immer seltener und ist in manchen Jahren kaum zu bekommen. Die Kaviarhändler versuchen Alternativen zu den artgeschützten und in freier Wildbahn lebenden Stören anzubieten. Die Zeit der goldenen Eier ist vorbei.

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Caviar House & Seafood Café, Place Fusterie, Rue du Rhône 30 Tel. 0041 22 781 34 47.
Davidoff, Rue de Rive 2, Tel. 0041 22 310 90 41.
Boulevard du Vin, Boulevard Georges-Favon 3, Tel. 0041 22 310 91 90.
Boucherie du Molard, Rue du Marché 20, Tel. 0041 311 71 66.




So überleben Gourmets in Paris

Gute Adressen für die Reise im Sommer

 

 

Von Jörg Zipprick

Am Geschäftssinn Pariser Wirte darf gezweifelt werden: Ob Samstag, Sonntag oder im touristenreichen August – wann immer Menschen für gewöhnlich gut essen möchten, sperren sie die Gäste rücksichtslos aus. Gerade im Sommer ist Paris nicht etwa die Hauptstadt der Haute Cuisine sondern allertiefste kulinarische Provinz. Schließlich wollen die Wirte zum selben Zeitpunkt wie ihre Gäste in Ferien gehen. Auch in den meisten Hotelrestaurants ist man der Ansicht, dass August-Gäste im Burger-Grill oder der Brasserie doch besser aufgehoben sind. Es gibt aber Ausnahmen, die auch Anspruchsvolle nicht hungrig durch Paris irren lassen.

Eine wichtige Adresse ist das gut geführte Bistro Le Comptoir du Relais in Saint-Germain, dessen Wirt Yves Camdeborde nur eine Woche zusperrt. Oder das moderne Ze Kitchen Gallerie von William Ledeuil, der besonders sensibel mit exotischen Gemüsen und Aromaten umgeht. Auch Vong, der beste Chinese der Stadt, serviert weiter Köstlichkeiten wie den Barsch auf Lotuswurzeln oder die Bresse-Poularde nach Art einer Peking- Ente in drei Gängen. Recht kostspielig, aber kreativ ist die Küche im Market nahe der Champs-Elysées, dem Pariser Ableger des Küchenstars Jean-Georges. Wer sich nicht daran stört, am Bartresen zu speisen, ist weiterhin im Atelier de Joel Robuchon willkommen; auch bei Pierre Gagnaire und seinem Ableger Gaya soll die Küche im Sommer nicht kalt bleiben. Immer gut für einen freundlichen Sonnenstrahl: Die idyllische Gartenterrasse des Laurent, zwei alte Bäume verstecken den rosa Pavillon vor neugierigen Blicken der Flaneure auf den Champs-Elysées.

 

L´Atelier de Joel Robuchon

L’Atelier de Joel Robuchon

Ob „Koch des Jahrhunderts“ oder „Bester Koch der Welt“ – Joel Robuchon wurde stets nur im Superlativ beschrieben. Mit 51 ging der Meister in Frührente, moderierte eine TV-Sendung, schrieb Kochbücher. Sechs Jahre später war er wieder da. Und wollte fortan alles anders machen als vorher. Sein Atelier besteht aus zwei Bars, die Gäste sitzen an der Theke, Tische gibt es nicht. Die Küche ist offen, frische Zutaten von Chorizo bis Kräutern werden offen ausgelegt. Das ungewöhnliche Konzept hat einige unbestreitbare Nachteile: Gruppen von vier oder sechs Gästen haben es schwer, Thekenplätze zu finden. Ungeduldige Möchtegern-Gäste schauen den Feinschmeckern von hinten über die Schulter, um sie zur fixeren Nahrungsaufnahme anzuregen. „L’Atelier“ ist also kein Lokal für Heiratsanträge oder abschließende Unterschriften unter hoch dotierte Verträge. Aber es ist ein gutes Restaurant mit Gerichten wie Langustinos in Filo-Teig, Gemüse-Tempura, Kalbsbries mit Lorbeer oder Foie Gras-Spieß mit Paprika. Leider haben sich die Preise hier seit der Eröffnung vervierfacht.

5, rue Montalembert, 75007 Paris, www.joel-robuchon.net

 

Le Comptoir

Comptoir du Relais

Für ein Abendessen bei Camdeborde reservieren die Leute Monate im Voraus. Dabei hat er keine Sterne oder sonstige Auszeichnungen. Er hat im Crillon gelernt, arbeitet mit Sorgfalt, fakturiert nur 50 Euro und profiliert sich ansonsten als Realist: „Wir Köche eröffnen ja keine Lokale, um Trends zu schaffen, das Restaurant ist unser Lebensunterhalt.“ Sagt er. „Und natürlich müssen Restaurants gute Küche bieten, klassische oder traditionelle Kost. Das kommt bei Einheimischen wie Touristen gut an. Kein Amerikaner kommt wegen der Burger nach Paris, kein Japaner wegen des Sushi.“ Er steht zu französischer Tradition.

9, Carrefour de l’Odéon, 75006 Paris, Tel: 0033 1 44 27 07 97. www.hotel-paris-relais-saint-germain.com geöffnet Täglich

 

Gaya

Hieri Gaya hebt eine ordentliche Portion von Gagnaires Können auf jeden Teller – dies ist kein Zweitbistro eines Top-Kochs, sondern fast schon eine Miniaturausgabe des Spitzenrestaurants. Gerichten wie Petersfisch mit Anchovisbutter, Piment, Auberginen-Canneloni und Tandoori könnten auch auf der „großen“ Karte stehen. Wer spart, kann hier für vierzig Euro Entrée und Hauptgang kosten.

44, rue de Bac, 75007 Paris, Tel. : 0033 1 45 44 73 73. www.pierre-gagnaire.com Sa. mittag, So. geschl.

 

Laurent

Laurent

Die Spaziergänger auf den Champs-Elysées kön­nen von den nahen Genüssen nichts ahnen: Eine hohe Hecke trennt die idyllische Gartenterrasse des Laurent von den Touristenströmen aus aller Welt, zwei alte Bäume verstecken den rosa Pavillon vor neugierigen Blicken. Diskretion wird groß geschrieben.

Eine Institution im besten Sinne des Wortes, klassisch, wenn es um Ambiente und Dienst am Gast geht, behutsam modern in Sachen Küche: Selbst im Sommer lassen sich hier viele Gäste Schweinsfuß mit buttrigem Kartoffelpüree à la Robuchon schmecken.

Laurent, 41, avenue Gabriel, 75008 Paris, Tel.: 01 42 25 00 39 Fax: 01 45 62 45 21. Geschl. Sa. mittags, So, www.le-laurent.com

 

Pierre Gagnaire

Pierre Gagnaire

Wer je bei Gagnaire in Saint-Etienne zu Gast war, geriet unweigerlich ins Schwärmen. Die luxuriöse Jugendstilvilla, das resolut moderne Interieur, die spontane, ideenreiche Küche ohne Netz und doppelten Boden… Schade nur, dass Gagnaire in Paris nie so gut ist, wie er es in Saint-Etienne schon war. Statt der Jugendstilvilla setzt man sich in der Kapitale in einem relativ unspektakulären Hotelspeisesaal mit modernen Gemälden zu Tisch. Wein- und Speisekarte sind deutlich geschrumpft, die Preise deutlich gestiegen und die Spontaneität von einst ist einer „Erfolgsformel Gagnaire“ gewichen. Bei der geht es im Wesentlichen darum, mit Konsistenz und Temperatur (von flüssig bis fest, vom kalt bis warm) der Gerichte zu spielen und scheinbar unpassende Zutaten zu vereinen. Dennoch: Der Mann traut sich was und das ist in Paris nicht selbstverständlich. Für Unternehmungslustige.

Hotel Balzac, 6, rue Balzac 75008 Paris Tel: 01 44 35 18 25, Fax: 01 44 35 18 37 geschl. So. mittags, Sa. und Feiertage. www.pierre-gagnaire.com

 

Vong

Vong

Der beste Chinese der Stadt. Das Interieur entführt direkt nach Asien, zu den Spezialitäten gehört die Bresse-Poularde, die nach Art einer Peking-Ente in drei Gängen serviert wird. Und es ist ja nicht die Schuld des Herrn Vong, dass in seiner direkten Nachbarschaft alle Arten Pariser Touristenabzocke gedeihen. Also: Nicht vom schäbigen Viertel abschrecken lassen.

10 Rue de la Grande Truanderie, 75001 Paris, Tel.: 01 40 26 09 36. www.chez-vong.com

 

 

 

Ze Kitchen Galerie

William Ledeuil ist schmeckbar von Asien inspiriert: Zitronengras, Papaya, Miso, Sesam finden sich in allen Gerichten. Als wohl einziger Pariser Koch versteht er sich wirklich auf das Crossover-Register. Eines muss man als Gast jedoch wissen: Mittags ist das Essen bei identischer Qualität nicht nur halb so teuer wie zum Diner (Mittagsmenü 7-39 €), das gesamte Lokal ist lichter, ruhiger, angenehmer.

4, rue des Grands-Augustins, 75006 Paris, geschl.: Sa. mittag, So., Tel.: 01 44 32 00 32. www.zekitchengalerie.fr

 

Ze Kitchen Galerie

 

 




Restaurant sucht Gastronomen

Zwei schöne Objekte sind wieder zu haben

 

Gargantua

 

Bis vor kurzem hieß es noch, der Hausbesitzer will keine Gastronomie mehr haben, jetzt steht eines der schönsten Häuser im Frankfurter Westend doch wieder zur Pacht frei. Zuvor residierte in der Liebigstraße 47 der inzwischen verstorbene Klaus Trebes mit seinem Gargantua. Der schöne Stilaltbau wurde im Jahr 1880 in der Tradition des Spätklassizismus erbaut. Er bietet Wohnfläche auf 4 Etagen sowie einen Restaurantbereich im Erdgeschoss. Zum 130 qm großen Restaurant gehört eine Terrasse (38 qm) mit üppig überwachsener Pergola. Der Lagerkeller ist 49 qm groß. Derzeit wird das Haus kernsaniert und durch einen Anbau erweitert. Ende des Jahres könnte dort wieder ein Restaurant eröffnen. Laut dem Frankfurter Immobilienunternehmen Diehl beträgt die Monatsmiete 5. 973 € (plus Nebenkosten und Mehrwertsteuer).

Das ehemalige Gargantua in Frankfurt

Das Haus in der Liebigstraße hat gastronomisch immer wieder von sich reden gemacht. Mitte der 80er Jahre zunächst schlecht als Restaurant Le Medi, in dem ein japanischer Koch vergeblich sein Glück suchte. Das Lokal floppte, dann zog 1986 Wilfried Abels dort ein, damals ein stadtbekannter Kreativer. Bis dahin war er Werber, Maler, Fotograf und Buchautor, jetzt wurde er auch noch Gastronom. Wie es seiner Art entsprach, gestaltete Abels das Restaurant leicht exzentrisch – so gab es beispielsweise Spiegel auf Kopfhöhe in den hohen Stuhllehnen. Sonst machte das Lokal mit dem teuersten Frühstück der Stadt auf sich aufmerksam, über dessen 70 Deutsche Mark wir heute lächeln dürfen. Der kulinarische Start war holprig, bis Abels den japanischen Koch gegen ein junges Talent einwechselte: Samy Elzein. Der konnte kochen, zudem gab es ein fulminantes Käsesortiment von über 60 Sorten. 1994 zog dann schließlich Klaus Trebes in die Liebigstraße. Küchenchef Samy Elzein, inzwischen Mohamed Elzein, machte sich in Wiesbaden mit seinem Estragon selbständig und kocht heute noch teilweise in der Orangerie in Darmstadt. Wilfried Abels alias W.A. de Bolgherese lebt nach vielen Jahren in Spanien als Maler und Fotograf in der Toskana und in Groß-Umstadt im Odenwald in der Nähe von Frankfurt.

 

Avocado

 

Coconut Residence von Farid Nettlau

Ein Haus mit gastronomischer Geschichte steht auch in der Hochstraße 27. Es befindet sich in der Frankfurter Innenstadt an der Bockenheimer Anlage, die bis zu den 70er Jahren besser als Haschwiese bekannt war. Das denkmalgeschützte Haus wird gerade aufwendig renoviert. An dieser Stelle waren schon in den 70er Jahren Lokale zu Hause, das Adloff hatte Charakter und war sehr speziell. Der Hausherr nahm die Bestellung auf und ging dann in den Keller zum Kochen. Es gab keine Speisekarte und damit auch keine Preise, man musste sich in jeder Hinsicht überraschen lassen. Das plüschig-düstere Restaurant gehörte zu den teuersten der Stadt, hatte aber seine Liebhaber. Mitte der 80er zogen dann die guten Bistros Kempf und Büro an gleicher Stelle ein. Besonders erfolgreich aber agierte ab 1989 für viele gute Jahre Farid Bensouda-Nettlau mit seinem stets liebevoll dekorierten Restaurant Avocado. Der ebenso freundliche wie geschäftstüchtige Gastronom holte die städtische Prominenz und Gourmets an die Tische, das Lokal hatte einen eigenen Zauber. Seit 1998 führt Farid Bensouda-Nettlau ein schickes Luxushotel in seinem Heimatland Gambia. Die Coconut Residence ist eine Fünf-Sterne-Anlage, die mit viel Gespür für Design gestaltet wurde. Das Restaurant dort heißt auch Avocado. Dass Frankfurter Avocado führte nach Farid Bensouda-Nettlau für elf Jahre Thierry Muller, der kürzlich seine neue Loft Fifty Two in der Europa-Allee nahe der Messe eröffnete.




Von Wohlfahrt zu Lohninger

Ein Dessert-Könner für Frankfurt

 

Die Patisserie von Harald Wohlfahrt in der Schwarzwaldstube in der Traube Tonbach in Baiersbronn gehört zu den Besten des Landes. Dort arbeitet, um im Bild zu bleiben, die Crème de la Crème. Aus dieser Mannschaft kommt Benjamin Kunert, der jetzt bei Mario Lohninger in dessen Restaurants Silk & Micro im Cocoon Club arbeitet. „Ein Riesentalent“, meint Mario Lohninger. Benjamin Kunert war im Drei-Sterne-Restaurant von Wohlfahrt in der Position des Sous Chef Patisserie und ist bei Lohninger nun Chef dieser Abteilung. Bei ersten Kostproben zeigte Kunert seine Zuckerartistik, wie er es selbst nennt. In einer auf einem Schokoladensockel thronenden Kugel, die aussah wie eine Riesenperle, steckte eine Füllung feinster Vanillecreme. Klassischer Geschmack, originelle Präsentation. Noch spannender und leichter: Weisser Pfirsich, Rosmarin, Kompott & Manni-Olivenöl „per me“ . Die Patisserie von Mario Lohninger war schon immer Spitze, erhält nun aber neuen Schwung.

Benjamin Kunert

Benjamin Kunert gewann erst vor einigen Wochen beim Gastronomiewettbewerb von Valrhona-Schokolade. Der internationale Wettbewerb will das Konditorhandwerk und die Kreativität fördern – und natürlich Valrhona. Kriterien für die Juroren: Technik, Textur, Originalität der Rezepte, Geschmack und Aussehen. Benjamin Kunert, zu dieser Zeit noch Mitarbeiter des Hotels Traube Tonbach, überzeugte mit seiner Dessertinterpretation der „Textures Manjari“ und gewann. Im Finale des Wettbewerbs, der im Rahmen des internationalen Gastronomie-Kongresses „Madrid Fusion“ (24. bis 26. Januar 2012) stattfinden wird, treten alle Gewinner aus Europa und Asien gegeneinander an. Der Sieger erhält ein Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro.

Die Zauberkugel von Benjamin Kunert




Neueröffnung: Fellners in Frankfurt

Grollende Mufftöne mit Service-Charme


Das neue Lokal Fellners in Frankfurt möchte mit einer „feinen kreativen Küche mit französischem Akzent“ um Gäste werben. Küchenchef ist Didier Birhantz (zuvor Avocado, Halle der Helden, Goldmund). Das Lokal präsentiert sich dezent mit beige-cremigem Cappuccino-Dekor. Früher war an gleicher Stelle das Tex-Mex-Lokal Rodeo zu Hause.

Der erste Besuch (abends mit vier Gängen) war sehr durchwachsen. Zweite Chance für Gast und Gastgeber am Mittag. Wieder Rinderbrühe mit Markklösschen probiert. Diesmal weniger Salz. Kleingewürfelte Karotten- und Salatgurkenstückchen ,die der heißen Brühe roh beigegeben wurden und dadurch ihren Biss behielten. Vom Mundgefühl her interessant, weil man was zu kauen und krachig zu knuspern hat. Was sich nicht bewährt sind die Markklößchen aus der Tube. Ein Covenienceprodukt von fester, teigiger Struktur mit grollendem Muffton. Die Baguettescheibchen waren diesmal frisch aufgeschnitten und auf keiner Seite angetrocknet.

Nächster Gang: Couscous, in zylindrischer Form gebändigt, frisches Minzzweiglein ruht obenauf. Zu Füßen dieser festen Speise eine Aneinanderreihung von hauchdünn geschnittenen Tomatenscheiben der grünen Art, wechselnd mit hauchdünn geschnittenen Salatgurkenscheiben. Der sensorische Sinn dieser Assemblage erschließt sich nicht, sondern ist wohl ein Gruß aus der Küche an die Wähler von Bündnis 90/Die Grünen. Die gekleckerten Spuren von Creme aus schwarzen Oliven, parallel platziert zu obigen Mikroscheiben, erinnern an jene Schlitze, die der Titanic zu einem vorzeitigen Ende der Jungfernfahrt verhalfen. Die schwarzen Spur hat einen Hauch von Ranz im Ton. Der Couscous-Zylinder ist eine schöne Warmwetterspeise von angenehmer Konsistenz.

Sodann: Butterfisch, mit Beilagen, wie diverse Sorten kleingeschnittenes frisches Gemüse, die unter den Butterfischstückchen auf ihren Auftritt warten. Die Gemüse ganz lieb und ohne Salz, also wirklich lieb und für Bluthochdruckler. Das Gericht ist eine Augenweide, denn dieses Tellergericht strahlt in einem kaiserlich-chinesischen leuchtenden Goldgelb. Die Safransauce ist als solche mit einem Anklang Safran zu schmecken.

Küchenchef Didier Birhantz

Sorgen machten mir die Butterfischfilets, denn sie hatten wohl die letzte Zeit in eisiger Umfangung verbracht (TK) – will auch heißen, sehr bissfest und nicht verlockend, was vom tranigen Element des Fettes im Fisch ausging. Empfehle: Fischsorte wechseln. Die Kartoffelcreme an der Seite war ein völlig akzeptables Convenienceprodukt von guter Konsistenz und Aromatik. Den Service bestritt sehr gut eine wirklich erfreuliche junge Dame mit Charme. Nur Mut. Wird schon, hoffentlich bald.

Michael Risse


Fellners Restaurant, Frankfurt,
Eschersheimer Landstraße 158
Telefon: 069 554733
Montag bis Freitag: 12 bis 15 Uhr,
18 bis 23 Uhr
Samstag 18 bis 24 Uhr
Sonntag geschlossen




Jetzt ist Rom am schönsten

Zehn Tipps für eine Reise im Sommer


Ab Anfang August fiebert ganz Italien dem Ferragosto entgegen, dem Fest von Mariä Himmelfahrt. Dann verlassen alljährlich die Römer ihre Stadt und fahren ans Meer. So kommt man in den Genuss, die Ewige Stadt fast für sich allein zu haben. Ob Kultur- oder Historienfans, Shoppingliebhaber oder Freunde des guten Geschmacks – Luciano Zamberlan, Hotel-Concierge des Hassler Roma, hält die zehn besten Tipps für einen erlebnisreichen Sommer in Rom bereit:

1. Schatten spenden die zahlreichen Grünanlagen der Stadt. Mit dem Leihfahrrad aus dem Hassler geht es durch Roms größten und malerischsten Park, der Villa Borghese-Anlage, der nur wenige Minuten vom Hotel entfernt liegt. Wer mag, kann sogar auf einem kleinen See Ruderboot fahren oder sich mit der Mongolfiera, einem Fesselballon, bis zu 150 m über die Ewige Stadt tragen lassen.

2. Lange Warteschlangen vor dem Vatikan lassen sich in den frühen Morgenstunden vermeiden. Eine praktische Alternative ist eine vorgebuchte Vatikan-Führung, die das Schlangestehen umgeht und ohne Umstände zum Eingang führt. www.vatican.va

3. Für eine köstliche Abkühlung pilgern Rom-Insider zur Traditions-Gelateria “Giolitti”. Die ist so beliebt, dass man draußen schon mal Schlange steht. Macht aber nichts, denn zwischen 100 Eissorten (z.B. Champagner oder Sachertorte) muss man sich erstmal entscheiden. Via Uffici del Vicario 40 und Via le Oceania 90.

4. Von Juni bis September verwandelt sich die Stadt in eine große Open-Air-Bühne. Beim „Estate Romana“ finden in Parks, Galerien und auf öffentlichen Plätzen Jazz-, Klassik- und Rockkonzerte statt, werden Theaterstücke aufgeführt und Lesungen und Open-Air-Kinos veranstaltet. www.estateromana.comune.roma.it

5. Die Thermen von Caracalla, in denen einst die Römer dem Badevergnügen frönten, sind an und für sich schon ein magischer Ort. Im August verwandeln sie sich in eine großartige abendliche Kulisse für das römische Opernhaus. Seit einem halben Jahrhundert werden hier Opern wie Aida oder Tosca aufgeführt. www.en.operaroma.it

6. Schaurig-schöne Abkühlung bieten Roms Katakomben. In diesem Labyrinth aus Begräbnisstätten, das bis zu dreißig Meter unter der Erde verläuft, beerdigten einst Christen ihre Toten. Die wohl bekanntesten Katakomben, die des Heiligen Calixtus, bildeten den ersten Friedhof der römischen Christengemeinde. Die meisten Katakomben Roms befinden sich an der Via Appia Antica.

7. Treffpunkt im Sommer ist das Il Palazzetto. Die „kleine Schwester“ des Hassler befindet sich direkt an der Spanischen Treppe. Besonders begehrt ist die Terrasse im fünften Stock zum Sundowner. Unbedingt probieren: den fruchtigen Sommercocktail “Sangria Luigi-Style”- mit Blick über die Dächer Roms inklusive.

8. Das Sightseeingprogramm sollte man in die Abendstunden verlegen und bei einem Spaziergang durch das nächtlich erleuchtete Rom die volle Pracht von Forum Romanum, Kolosseum, Circus Maximus, Engelsburg und Trevi-Brunnen erleben.

9. Seit Juli lauten die fünf beliebtesten Buchstaben in Italien „SALDI“. Bis Anfang September liegt dem Gast des Hotels Hassler das Shoppingparadies sozusagen zu Füßen. Wer die über 130 Stufen der Spanischen Treppe hinab schreitet taucht in Roms chicste Designerwelt mit Luxuslabels wie Gucci, Prada, Armani und Co. ein.

Über der Spanischen Treppe schwebt das Hotel Hassler

10. Das Hassler Roma bietet das ganze Jahr über attraktive Angebote, darunter das „Great Affordable“-Programm: Drei Nächte inklusive Frühstück und Fünf-Sterne-Extras wie etwa eine Massage im Spa und ein Drei-Gänge-Lunch im lauschigen Palm Court kosten für zwei Personen im Deluxe Doppelzimmer ab 1.530 €.

Hassler Roma, Piazza Trinità dei Monti 6, 00187 Rome Italy; Tel.: 0039-06-69-93-40, www.hotelhasslerroma.com



Restaurant-Kritikern soll der Mund gestopft werden

Gefährdet ein Gerichtsurteil die freie Meinung in Deutschland?

 

Von Jörg Zipprick

 

 

Wird jetzt Restaurantkritikern der Mund gestopft? Eine im Grunde recht harmlose Kritik an einem Restaurant wurde von einem Gericht verurteilt und löst bei Gastronomiejournalisten Magenbeschwerden aus. Diese Rechtsprechung könnte die gesamte Spezies der Restaurantkritiken gefährden und aufweichen.

Am Anfang war das Wort: „Enttäuschte“. Niemand hört gern, dass er enttäuscht. Das ist menschlich. Es folgte eine negativ untersetzte, aber recht harmlose Kritik:

„ Das traditionsreiche Gasthaus hat zwar eine schicke neue Lounge mit glasumrahmter Theke und blauem Lichtdesign, und die Holzterrasse ist im Sommer noch immer der beliebteste Platz. Dem holzgetäfelten Gourmetrestaurant täte eine Auffrischung allerdings ebenfalls gut.

Die Variation von der Gänseleber mit Eis auf säuerlichem Himbeergelee, Mousse-Röllchen und einem arg festen Würfel in Schokolade hatte einen leicht bitteren Nachgeschmack, der Hummer auf Kalbskopf war dagegen nahezu aromafrei. Zum Maibock servierte der sehr altmodisch-steife Service („bitte sehr, gnädige Frau“) ein mehliges Haselnuss-Kartoffel-Püree, und auch das mächtige Soufflé mit Panna Cotta zum Rhabarber-Dessert war ausdruckslos. Einziger Lichtblick: der geschmorte Schenkel vom Milchferkel auf Spitzkohl mit Kreuzkümmeljus. Und warum nach der Vorspeise die (trockenen) Brötchen im Brotkorb gegen ebenso trockene neue ausgetauscht wurden, haben wir auch nicht verstanden.“  

Ähnliches steht dutzendfach in Restaurantführern. Der Text folgt dem Standard des Genres: Ein optisches Detail erwähnen, das beweist dem Leser, dass jemand vor Ort war. Die verkosteten Gerichte mit ihren Stärken und Schwächen beschreiben, das obligatorische Wort zum Service nicht vergessen.

Einem jedoch lag diese Kritik aus dem Restaurantführer des deutschen Magazins „Der Feinschmecker“ besonders schwer im Magen: Hans-J. Brogsitter vom derart kritisierten Restaurant Brogsitters Sanct Peter in Bad Neuenahr. Er zog vor Gericht. Dort anhängig waren jetzt nicht nur die oben genanten Textpassagen. Brogsitter wollte dem Feinschmecker-Guide auch untersagen, ihn von drei „F“ auf zwei „F“ herunterzustufen.

Wer sich länger und ernsthaft mit dem Thema Restaurantkritik beschäftigt hat, der könnte vielleicht schon Deftigeres zu lesen bekommen haben als die erwähnten Zeilen. Texte wie diesen: „Ein Besuch hier braucht guten Grund: Fettes Lachen, Sauflieder und laute Obszönitäten gehören zu unserem Kulturgut. Kommen sie deshalb tunlichst mit ihren Kindern in diese Hochstatt der Gastronomie….“ Oder diesen hier „Eigentlich wollten wir die hiesige Küche nicht mehr kritisieren, sondern lieber vom Charme des Kellers aus dem 17. Jahrhundert mit sanftem Kerzenlicht schwärmen. Leider können wir das nicht, denn hier serviert man eine ebenso prätentiöse wie nichtssagende Küche, die in Gold aufgewogen wird….“

Restaurantkritiker bekleckern sich nicht nur mit Ruhm

Beide Texte stammen aus dem Pariser Guide Julliard und wurden Mitte der 1960er Jahre, also vor dem Aufkommen des Kultes um Political Correctness, von Christian Millau und Henri Gault geschrieben. Die Namen der Lokale habe ich jetzt mal verschwiegen, sonst werde ich nachher noch an die Wand gestellt, Verzeihung, vor Gericht gestellt.

Es waren verbale Schläge in die Magengrube. Toleriert wurden sie, weil Kritisierende und Kritisierte sich an ein Gentleman’s Agreement hielten, das nicht nur für Restaurants gilt: „Kritik, auch harte, ist in Ordnung. Falsche Tatsachenbehauptungen und Beleidigungen sind es nicht.“ Auch Anmerkungen zum Aussehen der handelnden Personen verbieten sich, außer vielleicht bei ganz eklatanten Verstößen gegen allgemeine Hygieneregeln.

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert:  Vor drei Jahren lauschte ich im spanischem Saragossa einem Vortrag des Soziologen Jean-Pierre Poulain von der Universität Toulouse. Die Köche, sagte er, entfalten verstärkte Bemühungen ihre Branche selbst zu klassifizieren. Konventionelle Restaurantkritiker würden als störende Eindringlinge wahrgenommen. Poulain sieht die „San Pellegrino 50 Best Restaurants“, bei dem viele etablierte Köche über ihre Berufskollegen richten, als Beispiel für seine These. Im Zuge des allgemeinen Kochbooms bemerkt man bei vielen Köchen eine oft diffuse Abneigung gegen Kritiker, obwohl die neben (wenig) Kritik ja auch (viel) Lob ausschenken.

Es ist die Art der Köche, den Medienvertretern zu zeigen, wer gerade „oben“ steht. Nun hat die Branche von unabhängiger Kritik ja auch einen Nutzen: Sie erhält Feedback, dass der normale Gast höchstens anonym und im Internet hinterlässt. Außerdem gibt es für jeden Kritisierten Schlimmeres als ein paar böse Worte: Was wäre, wenn niemand seine Arbeit zur Kenntnis nehmen würde? Nicht umsonst leben die Amerikaner nach der Devise „Any promotion is good promotion“. Alle Werbung ist gute Werbung.

Bei Brogsitters in Bad Neuenahr teilt man diese Meinung nicht: In erster Instanz folgte ein lustiger Justizschwank um den angeblichen Alkoholkonsum der Testerin: „einen Aperitif Blanc de Noir, drei Gläser Wein und einen Espresso.“ Das Landgericht Köln sprach sich für die Pressefreiheit der Restauranttester aus. Doch Brogsitter ließ nicht locker und erreichte vor dem OLG Köln ein wahrhaft epochales Urteil, über das sich gerade die schwarzen Schafe der Branche freuen können. Die beanstandete Kritik darf in Verbindung mit einer Abwertung von 3 auf 2 „F“ nicht mehr verbreitet  werden. Sonst droht ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 Euro oder für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann – Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten. Sprengkraft entfaltet das Urteil, weil es auch für eine eher gemäßigte Kritik den Testern einige kostspielige Pflichten auferlegt

Zitieren wir doch einfach mal aus der Begründung:

„…Dabei mag es zwar zutreffen, dass im hier betroffenen Bereich der gehobenen Gastronomie an jedem Tag und zu jeder Zeit das auch werblich in Anspruch genommene hohe Niveau erwartet wird und zu realisieren ist. Angesichts der erheblichen negativen Auswirkungen der Kritik, die das Restaurant der Klägerin für die Dauer bis zum Erscheinen der Folgeauflage des Restaurantführers in einem negativen Licht erscheinen ließ, legten jedoch nicht nur die Gebote der Objektivität und des Bemühens um Richtigkeit die Überprüfung nahe, ob die vorgelegte Kritik sich als das Ergebnis nur eines einmaligen Besuchs einer einzigen Testesserin darstellte, sondern geht auch der von der Beklagten angesprochene Adressatenkreis davon aus, dass die auf die beschriebene Weise zeitlich perpetuierte schlechte und in ihren Auswirkungen schwerwiegende Restaurantkritik auf der Grundlage nicht nur eines einzigen Besuchs, sondern auf gesicherter Grundlage, beispielsweise nach wiederholtem Besuch derselben Testperson im Restaurant der Klägerin, getroffen worden ist. Eben diesen Anforderungen hat die Beklagte hier indes nicht genügt, weil die streitgegenständliche Kritik das Resultat nur des einmaligen Besuchs der von ihr dazu abgestellten Redakteurin in dem Gourmetrestaurant der Klägerin ist“.

Im Klartext: Ein einmaliger Besuch einer einzigen Person reicht also nicht, um ein Restaurant zu kritisieren.

Dieses Urteil dürfte den Finanzrahmen der wenigen verbliebenen seriösen Guides und Magazine bei Weitem sprengen. Das Gericht  erwartet von Restauranttestern eine Leistung, die weder Staat noch Verbraucherzentralen erbringen. Flächendeckende Tests von Restaurants gibt es weder durch Verbraucherschützer noch durch Lebensmittelkontrolleure: Es gibt zu wenig davon, in vielen Regionen muss ein Kontrolleur 1200 Betriebe überwachen. Unter den offiziellen Gründen für diese Zustände  firmieren natürlich die Kosten solcher Tests.

An Tester werden jetzt Anforderungen gestellt, die weder von offiziellen „Staatstestern“, noch von Gästen im Lebensalltag oder von „Hobby-Testern“  im Internet eingehalten werden.  Und die von den Guides nicht eingehalten werden können. Dazu ein Rechenbeispiel: Der Guide Michelin, der einigen Personen immer noch als Referenz der Branche gilt, beschäftigt in Frankreich derzeit 15 Tester (Quelle: Michelin France). Diese bewerten 4000 Hotels, 500 Gästehäuser und 3300 Restaurants. Jeder Tester muss pro Jahr also 520 Hotellerie- und Gastronomiebetriebe besuchen. Wie viel Zeit da wohl für Mehrfachbesuche bleibt? Und wie viel Geld? Denn ebenfalls nach offiziellen Angaben werden inklusive preisreduzierter Sonderverkäufe vom Michelin France gerade mal 108.000 Exemplare verkauft (Quelle: Livre hebdo). Ein Michelin France kostet 24 Euro. Die Hälfte davon geht an den Buchhändler, auch Druck und Vertrieb kosten Geld. Inklusive Druck, Vertrieb, Auslieferung, Honoraren und Reisekosten würde der Michelin Frankreich, das Flaggschiff der testenden Branche, pro Etablissement über ein Budget von 166,15 Euro verfügen, um gerade eben so kostendeckend zu arbeiten. Das wird knapp.

Restaurantkritiker müssen manche Suppe auslöffeln

Die reiche Reifenfirma wird’s schon richten und „aus Liebe zur Gastronomie“ beliebig Geld nachschießen? Eher nicht. „Le guide n’est pas une danseuse“ betonte schon vor Jahren Firmenchef Edouard Michelin „ Der Guide ist keine Tänzerin“, also kein kostspieliges Hobby.

An den Anforderungen des OLG Köln würde der Michelin France also mit einiger Wahrscheinlichkeit scheitern. Schließlich werden ja gerade die besseren Hotel und Restaurants beschrieben und getestet.

Ganz kritisch wird es, wenn das  OLG Köln eine Restaurantkritik einem Warentest gleichstellt.

„…Äußerungen über die Bewertung der Qualität getesteter gewerblicher Leistungen eine der spezifischen Eigenart der Warentests – und um einen solchen handelt es sich bei einer das Angebot eines Speiselokals bewertenden Restaurantkritik…“

Nicht umsonst beruft sich das OLG in seiner weiteren Argumentation auf das Skibindungs-Urteil des Bundesgerichtshofes. Skibindungen sind zweifelsohne nach objektive Kriterien wie z.B. Belastbarkeit prüfbar. Und gerade das gilt bei Restauranttests nichts. Ein Restaurant ist ein Gesamterlebnis, das eben nicht nur aus Küchenleistung besteht. Anders als ein Handy oder eine Stereoanlage kann ich  dieses Erlebnis nicht durch objektive Messgeräte erfassen.

Doch es kommt noch schlimmer: „In dieser Situation lag es für die Beklagte aber nahe, vor der Veröffentlichung eine weitere Überprüfung zu veranlassen um festzustellen, ob die bereits vorliegende Kritik nicht lediglich das Ergebnis einer womöglich sogar noch durch subjektive Befindlichkeiten der Testesserin beeinflussten bloßen Momentaufnahme widerspiegelt.“

Hier wird dem Tester die „subjektive Befindlichkeit“ ebenso untersagt wie die Momentaufnahme.

Jeder, absolut jeder Restauranttest ist jedoch eine Momentaufnahme. Kein Tester behauptet, dass man in einem rezensierten Lokal tagtäglich mittags und abends gleichmäßig schlecht ist. Und welcher Restaurantführer würde Platz für „schlechte Tipps“ opfern?

 „In dieser Situation vertraut der angesprochene und erreichte Empfängerkreis auf die Objektivität des der zum Ausdruck gebrachten subjektiven Bewertung zugrundeliegenden Verfahrens bzw. der Art des Zustandekommens der Wertung.“

Sagt das OLG und erhebt damit ein  Gebot der Objektivität. Dieses gerichtlich festgestellte Gebot stellt das Lebenswerk von Marcel Reich-Ranicki, Wolfram Siebeck, Henri Gault, Christian Millau und Roger Ebert sowie zahlloser weiterer bekannter Kritiker in Frage. So schreibt Filmkritiker Ebert vollkommen ungestraft in der „Chicago Sun Times“: „Transformers: Dark side of the Moon“ sei ein „visuell hässlicher Film mit inkohärenter Handlung, hölzernen Charakteren und dümmlichen Dialogen.“ Und das ist nur der allererste Satz. Ich und sehr viele andere werden sich „Transformers“ jetzt ganz bestimmt nicht anschauen. Hat Ebert also Hollywood geschädigt? Und ist, da ich ja Deutscher bin, nicht ein heimischer Kinobetreiber ebenfalls unter den Geschädigten, weil er von Ebert um das Geld für meinen Platz gebracht wurde?

Wie steht es um die Kunstkritik? Ist die objektiv? Und die Musik-Kritik? Ein Experte für elektronische Musik wird sich selten lobend über die Volksmusikanten der „Zillertaler Spatzen“ äußern. Damit ist er nicht objektiv. Ich zumindest erwarte das nicht von ihm: Subjektive Kritik ist die beste Kritik. Ich kenne in jedem Bereich einen Kritiker, einen Blogger oder ein Magazin mit dessen Meinung ich mich halbwegs identifizieren kann.

Nebenbei stärkt das OLG Köln, die primitivste Form der Restaurantkritik: Ich verleihe ein, zwei oder drei Sternchen ohne Text und Begründung. Denn für Text und Begründung kann ein Autor ja vor Gericht landen. Willkür ohne Argumentationsansatz wird belohnt, ein Argumentationsansatz im Text jedoch bestraft. Und wie es bei Michelin um das „Zustandekommen der Wertung“ steht, weiß kein Mensch. Ich erinnere nochmals daran, dass die Lebensgefährtin von Ex-Generaldirektor Jean-Luc Naret während seiner Amtszeit eine Beratungsagentur für die Gastronomie betrieb. Böse Zungen könnten jetzt über „objektive Bemerkungen auf dem Kopfkissen“ lästern, was mir natürlich fern liegt.  Nahe liegt hingegen die Frage wie Herr Brogsitter wohl seine Klage begründet hätte, wenn der Feinschmecker ihn einfach textlos von drei „F“ auf zwei „F“ gestuft hätte?

Ein Restaurantkritiker ist, im besten Fall, eine Art gelernter Gast. Er verfügt über die notwendige Erfahrung, Restaurants zu vergleichen – vielleicht sogar über mehrere Jahrzehnte und verschiedene Kontinente. Er ist jedoch nicht nur Berichterstatter, sondern betrachtet das Lokal aus der Gästeperspektive. Zu jeder Zeit haben unzufriedene Gäste ihre Erfahrungen weitergegeben. Oft wählten sie dafür Worte, die einen Pressevertreter sofort vor Gericht gebracht hätten. Heute kann ich als unzufriedener Einzelgast durch Postings im Internet, vielleicht sogar mit wechselnden Pseudonymen, eine regelrechte Kampagne gegen ein Restaurant entfesseln. Ich muss dazu nicht einmal dort gegessen haben. Und wenn Leute mit Pseudonymen wie „Conan der Barbar“, „Cuisinieros“, „Vlad der Pfähler“ oder „Foie Gras Prolet“ ihre Restaurantbewertungen ablassen, durfte der Gang vor den Kadi wenig Erfolg versprechen.

Das gilt übrigens nicht nur für Kritik, sondern auch für Eigenlob oder Lob im Allgemeinen. Dazu wieder ein Beispiel:  Wer die Versionsgeschichte des Wikipedia-Profils eines bekannten deutschen Kritikers aufruft, sieht mit Verblüffung, dass die erste, überschwänglich lobende Version aus der Feder eines gewissen „Alain Ducasse“ stammt. Und dieser eminente Autor nahm sich sogar die Zeit, den Wikipedia-Eintrag neunmal zu verändern.

Alain Ducasse, Spitzenkoch in Paris und Monaco, hat diesen Beitrag nach eigenen Angaben nicht verfasst. Schlimmer noch: Er empfindet die Verwendung seines Namens für Kritikerlob nicht als amüsanten Witz. Doch das Wikipedia-Profil des Nutzers Ducasse ist inaktiv, wie soll der rechtmäßige Inhaber des Namens heute feststellen, wer da im Jahre 2005 als „Alain Ducasse“ getextet hat?  Manchmal ist das Internet eben doch ein rechtsfreier Raum.

Im Falle der Feinschmecker-Kritik hat die Testerin ohne Hinweis auf ihre Tätigkeit reserviert und ihre Rechnung bezahlt.  Dies ist in der Branche fast schon eine löbliche Ausnahme. Es hat ihr nicht geschmeckt, teilweise. Schließlich war das Milchferkel ja gut. Vielleicht hatte sie für 108 Euro auch anderes erwartet. Einem Gast hat es nicht geschmeckt und dieser Gast hat besagte Information weiter gegeben. So etwas passiert jede Woche in allen Lokalen, vom Louis XV in Monaco bis zu „Harry’s Frittenbude“ am Stadion. Schlimmer noch, solches Verhalten tritt sogar zwischen Organen der Rechtspflege auf: In meiner Jugend, also vor mehr als 20 Jahren, kam ich einmal in das Vergnügen, an einem Oberlandesgericht ein kurzes Praktikum ableisten zu dürfen. So war es im Rahmen des Studiums vorgeschrieben. „Mein“ OLG lag in Düsseldorf und nicht in Köln. Wahrscheinlich ist nur durch die Geografie zu erklären, dass ich als Ohrenzeuge erlebte, wie leibhaftige Richter ihren Berufskollegen gelegentlich vom Besuch der Kantine abrieten. Schlimmer noch, auf Gerichtsfluren wurden Restauranttipps in der Umgebung ausgetauscht. Tipps waren es eigentlich weniger, mehr Kritiken. Mehrfach fielen böse Worte wie „Schweinefraß“, die in Restaurantkritiken eigentlich weniger vorkommen.

Hätten die Richter als Organe der Rechtspflege  nicht mit gutem Beispiel voran gehen sollen? Vielleicht hätten sie die Orte mit „Schweinefraß“ so lange besuchen müssen, bis es dem Wirt gelingt, eine halbwegs anständige Mahlzeit auf den Tisch zu bringen? Zumindest, wenn sie die Absicht hegten, einem Kollegen, der ja ebenfalls ein wichtiges Organ der Rechtspflege ist, einem Restauranttipp auszusprechen? Darf man Restauranttests von Richtern und Tipps von Profitestern wirklich auf eine Stufe stellen? Nun, zeigen sie mir einen Menschen, der nicht auf die Restaurantempfehlungen von Freunden und Kollegen hört.

Kurioserweise scheint das OLG Köln gleichzeitig eine hohe Meinung vom Beruf des Restauranttesters zu haben. Zumindest billigt es ihnen zu, Existenzen an den Rand der Vernichtung treiben zu können. Ein Bild der Branche, das aus Filmen wie „Brust oder Keule“ mit Louis de Funès stammt.

 „…lag es auch für die Beklagte erkennbar anhand der oben aufgezeigten Umstände nahe, dass die Auswirkungen der in ihrem Restaurantführer über das Gourmetrestaurant der Klägerin veröffentlichten Kritik ganz erhebliche Nachteile nach sich ziehen konnten, die bis an die Grenze einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz gehen konnten. Dass andere Restaurantführer das Gourmetrestaurant der Klägerin positiv beurteilten, steht dem nicht entgegen. Denn jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil des auf die beschriebene Weise sensibel auf negative Beurteilungen reagierenden Interessentenkreises wird seine Entscheidung nicht lediglich auf der Grundlage nur eines Restaurantführers treffen. Selbst wenn dieser Kreis in einer Publikation auf eine durchweg positive Beurteilung des Gourmetrestaurants der Klägerin stößt, wird er bei Kenntnisnahme der sich mit dem nämlichen Restaurant befassenden, hier zu beurteilenden abwertenden Restaurantkritik der Beklagten aber in seiner Einschätzung „irritiert“, was geeignet ist, die Neigung zu fördern, sich gegen das besprochene Restaurant der Klägerin zu entscheiden, zu fördern.

Eine negative Kritik im „Feinschmecker Guide“ geht nach Ansicht des OLG Köln potenziell also an die Grenze der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz von Brogsitters Sanct Peter. Das sind starke Worte, die nur wenige Gastronomen als wirklich schmeichelhaft empfinden würden.

Außerdem entscheidet nach Ansicht des OLG Köln ein nicht unerheblicher Kreis von Feinschmeckern nach der Lektüre von mehreren Guides, abweichende Bewertungen könnten sie „irritieren“.

Eine Forderung nach verbindlichen Absprachen zwischen konkurrierenden Guides zwecks kohärenten und einvernehmlichen Urteils ist hier nur noch einen Federstrich entfernt. Die nächste Generation von Richtern könnte auf die Idee kommen, Wirten und Gästen die irritierende und zweifelsohne traumatisierende Erfahrung abweichender Werturteile zu ersparen.

Sind Feinschmecker entmündigte Leser, willenlos einer Vielzahl von Testberichten ausgeliefert? Mir scheint, dass der aufgeklärte Esser von heute noch nie so viele Möglichkeiten hatte, sich über Restaurants zu informieren: Die Speisekarte auf der Homepage des Restaurants, die Einschätzungen von Guides, Tagespresse, Magazinen, Internetportalen, Food-Bloggern und und und.

Die negative Kritik – ist sie ein Existenzvernichter? Nun, Millionen Menschen lieben und lesen „Harry Potter“-Bücher. Eine Liebe, die nur von wenigen Literaturkritikern geteilt wird. Auf dem hoch konkurrenziellen Buchmarkt hätten die bösen Kritiker also Frau Rowling längst in den Ruin schreiben müssen. Aber das OLG hat gesprochen. Fügen wir uns also, folgen wir seiner Meinung, stufen wir die Restaurantkritik als Warentest ein und ziehen wir ein paar Schlussfolgerungen. Kann der Tester vielleicht jetzt eine Reihe von Informationen einfordern, die seinen Warentesterkollegen selbstverständlich zustehen? Jeder Hersteller von Waschmaschinen informiert über Strom- und Wasserverbrauch seiner Geräte. Nokia, HTC, Samsung und Apple übergeben Testern selbstverständlich die technischen Spezifika ihrer Smartphones: Prozessortyp und Taktfrequenz, Speicher, Display und Auflösung, Betriebssystem, Strahlung und vieles mehr.

Im Zuge der neuen Einstufung des Testens halte ich es für unverzichtbar, dass Wirte fortan Restaurantkritiker verpflichtend mindestens zu folgenden Punkten informieren: Verwendung von Zusatzstoffen und Labor-Aromen, mit Nennung der Substanz, Menge und Hersteller. Verwendung von Convenience-Food und Vorgekochtem aus der Fabrik. Aussagekräftige Bestätigungen zum Wareneinsatz (Rechnungen, eidesstattliche Versicherungen, dazu natürlich Abrechnungen über Löhne und Sozialabgaben) zwecks sachkundiger und neutraler Bewertung des Preis-Leistungs-Verhältnisses.

Wahrscheinlicher ist leider, dass die Entscheidung des OLG Köln jetzt jede Form der Restaurantkritik weich machen könnte. Die Fixierung der Branche auf das Positive, unter Kritikern ohnehin verbreiteter als Erkältungskrankheiten an einem Wintertag, wird exponentiell zunehmen. Die Clowns der Branche, die Kumpel-Kritiker, die Korrumpierbaren und Windigen werden jetzt Aufwind bekommen. Aber auch die Leser von Kritiken könnten dadurch weniger ehrlich, offen und aufrichtig informiert werden. Es muss keineswegs so weit kommen, das letzte Wort dazu ist noch nicht gesprochen.

Manfred Kohnke

 

Kommentar von Manfred Kohnke

Chefredakteur Gault Millau Deutschland

„Ich bin sicher, dass in der causa Abwertung von Restaurants das letzte Urteil noch nicht gesprochen ist und möchte mich deshalb als Nichtjurist in der Bewertung der OLG-Entscheidung zurückhalten. Außerdem will ich mich weder direkt noch indirekt zu den Tests von Kollegen einlassen, was ich ja täte, wenn ich mich im Zusammenhang mit dem erwähnten Urteil zu Testkriterien äußere. Unsere finden Sie übrigens unter www.gaultmillau.de in der Rubrik „Über uns“ unter RestaurantGuide.“