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Abserviert: Service & Personalkrise in der Gastronomie

Die Gründe, Hintergründe

und Problemlösungen

 

Von Ludwig Fienhold

Die Abwanderung aus der Hotellerie und Gastronomie hat teilweise groteske Formen angenommen. Einer der besten deutschen Küchenchefs, Hendrik Otto, verließ während der Corona-Krise das 2-Sterne-Restaurant Esszimmer im Berliner Hotel Adlon und wechselte ausgerechnet in die Krankenhausbranche, um dort „Qualität und kulinarische Entwicklung“ voranzubringen. Nicht minder ungewöhnlich ist der Abschied des erstklassigen Sommeliers Benjamin Birk, der die Villa Rothschild in Königstein verließ und fortan lieber Schuhe im Familienbetrieb verkauft. Einem Koch war die Gastronomie so unsicher, dass er es vorzog im Gefängnis als Schließer anzufangen und somit ein zweifelhaftes Höchstmaß an Sicherheit gewann. Die Branche hat aber nicht nur Talente verloren, auch Minijobber oder Spüler wurden weggeschwemmt.

Eines muss klar sein: Die Gastronomie hat sehr viel Personal verloren, wird aber auch weiter an Gästen verlieren, wenn sie nicht gegensteuert. Bislang ist es leider oft nur so: Die Leistungen bei Küche und Service sind schwächer geworden, die Preise aber gestiegen. Während die Gastronomen noch überlegen, wie sie mit dem Problem fertig werden sollen, haben die Gäste längst entschieden und gehen weniger essen, kochen zu Hause oder lassen sich liefern. Drei Fragen brauchen eine Antwort: Wohin sind die Gastrokräfte abgewandert, warum ist dies geschehen und wie können die Lösungen für den gravierenden Personalmangel aussehen?

Flucht aus der Gastronomie

In den Städten sind die Fensterscheiben der Lokale mit Stellengesuchen übersät. Selbst Vorzeigebetriebe müssten inzwischen schließen oder zusätzliche Ruhetage einlegen, weiß Thomas Geppert, Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in Bayern. Hotels könnten aus Personalmangel ihre Zimmer nicht mehr voll auslasten. Keine andere Branche hat in der Pandemie so viele Beschäftigte verloren wie die Gastronomie. Allein im Jahr 2020 haben bundesweit 216.000 Beschäftigte das Gastgewerbe verlassen, heißt es in der Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Die Wahrscheinlichkeit, dass diese für immer verloren gegangen sind, liegt sehr hoch. Rund 35.000 haben der Studie zufolge im Verkauf einen neuen Job gefunden. Was anfangs meist als vorübergehende Lösung gedacht gewesen sein mag, hat sich längst gefestigt. Als Gründe dafür werden familienfreundlichere Arbeitszeiten und Einstiegslöhne von mindestens 14 Euro genannt (Mindestlohn 12 Euro), wie dies beispielsweise bei den Discountern Aldi und Lidl der Fall ist.

Die Abwanderung aus der Gastronomie erfolgte zwar besonders stark in den Einzelhandel, aber mit 27.000 Menschen auch deutlich in das Verkehrs- und Logistikgewerbe, unter anderem als Fahrer für Paketdienste. Ähnlich viele haben ganz allgemein in unterschiedlichen Unternehmen einen Platz gefunden. Dabei haben der Studie nach nicht nur Minijobber die Gastronomie und dabei vor allem Kneipen und Bars verlassen, sondern von Juni 2020 bis Juni 2021 auch knapp 60.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das Gastgewerbe ist jedenfalls der große Verlierer der Corona-Krise, deren Auswirkungen erst jetzt zu dramatischen Auswirkungen führen.

Die Gründe für den Branchenwechsel

Die Gründe für den Branchenwechsel sind eindeutig. Sicherheit ist eines der Schlüsselworte, denn die Corona-Krise hat dramatisch gezeigt, wie sehr die Politik eine ganze Branche letztendlich im Stich lässt, wobei auch schon zuvor die Wertschätzung gerade von dieser Seite fehlte. Ob gesundheitlich oder wirtschaftlich definiert, eine instabile Lage wie zur Zeit der Corona-Krise, kann jederzeit wieder eintreten. Ein sicherer Arbeitsplatz ist der Hauptgrund der Beschäftigten für den Wechsel. Wichtiges Motiv ist ferner der Wunsch, mehr Zeit für sich, den Partner und der Familie zu haben. Zu den Ursachen gehören außerdem zu viel Stress im Beruf, die mangelnde Wertschätzung der Arbeitgeber und der Gäste sowie eine bessere Entlohnung. Nicht zu unterschätzen ist dabei auch das schwindende Trinkgeld, mit dem die Branche die Servicekräfte früher locken konnte und das nun durch vermehrte Kartenzahlung und die erzwungene Sparsamkeit der Gäste deutlich minimiert wird.

Was könnte die Probleme lösen?

Durchhalteparolen und Phrasen wie „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, gehen an der Wirklichkeit vorbei uns helfen niemand. Wo aber liegen die Lösungen für die Gastrokrise und den Personalmangel? Eine 4-Tage-Woche? Flexiblere Arbeitszeitmodelle? Mehr Kräfte aus dem Ausland? Küchenchef Maximilian Moser vom Hotel Vier Jahreszeiten am Starnberger See hält die 4-Tage-Woche nicht nur für seine Mannschaft als sinnvoll, sondern als Modell der Zukunft, wobei die 40-Stunden-Woche lediglich auf vier Tage verteilt wird statt auf fünf (wenngleich sich dadurch der Urlaubsanspruch reduziert).

Stärkere Rekrutierung durch Personal aus dem Ausland? Speziell für die gehobene Hotellerie & Gastronomie kaum praktikabel, weil Sprachbarrieren und fehlendes Fachwissen eine Schulung langwierig machen und zusätzlich Arbeit sowie Personal erfordern, die dafür wieder abgestellt werden müssen und an anderer Stelle fehlen. Bei ethnischen Betrieben und Szene-Lokalen ist das wegen der höheren Akzeptanz an möglichen Fehlleistungen weniger ein Problem und wird ja dort auch schon längst so gehandhabt.

Vielleicht muss man noch viel radikaler denken. In New York eröffnet das erste Café, in dem ein Roboter hinter der Theke steht. Er kann 24 Stunden ohne Pause arbeiten, braucht kein Trinkgeld und arbeitet angeblich präziser und zuverlässiger beim Zubereiten von Kaffee und Cocktails als jeder Mensch. In der Botbar in New York werden durch den Roboter Personalkosten gesenkt, als Jobkiller sieht man die futuristische Technik aber nicht, denn es werden trotzdem noch Menschen benötigt, alleine schon damit die Technik auch funktioniert.

Weniger Köche, kein Service

Ebenso interessant ist die Antwort des Spitzenrestaurants Seestern in Ulm auf die Personalknappheit. Klaus Buderath und Benedikt Wittek kommen ohne Küchenbrigade aus und stehen nur zu zweit in der Küche, was für ein Sterne-Restaurant ungewöhnlich ist. Auch sie haben an nur vier Tagen in der Woche geöffnet.

Die Vision vom kürzlich verstorbenen österreichischen Sternekoch Alfred Friedrich ging noch weiter. Er träumte schon vor zwanzig Jahren davon, ganz ohne Service auszukommen. Die Gäste sollten sich in seinem kleinen Lokal auf Zuruf das Essen selbst am Pass abholen. Er wollte weiterhin auf Sterneniveau arbeiten, aber ohne Umwege den Gast persönlich erreichen.

Das erinnert an Marianne „Mamuschka“ Kowalew, die legendäre Köchin, die kurz vor ihrem 100. Geburtstag starb. Mitten in ihrem Kellerlokal Scarlet Pimpernel in der Frankfurter Krögerstraße stand ein Herd mit Töpfen und Pfannen, an denen sich die Gäste selbst bedienen mussten, nachdem ihr Schlachtruf „Eesst Kiindärchen, eesst“ ertönte. Ihre „Kinderchen“ waren viele prominente Gäste, die Rolling Stones, die Beach Boys und die Eagles, Harry Belafonte, Ray Charles, Elton John, der junge Michael Jackson und Ella Fitzgerald sowie der gleich um die Ecke am Eschenheimer Turm arbeitende Regisseur Rainer Werner Fassbinder, der mit seiner Schauspieltruppe immer sehr spät eintraf. Sie alle kamen nur wegen Mamuschka und ihrer deftigen Küche, es gab keine anderen Köche oder gar einen Service, nur diese schon archaische Form des geselligen Essens. Manchmal können gerade die ganz alten Rezepte den Weg in die Zukunft weisen.

 

Der Autor ist seit über 30 Jahren als Hoteltester und Restaurantkritiker weltweit in der Branche unterwegs.

 

D E L A M O T T E   C H A M P A G N E

W E R B U N G




So schmeckt Italien: Die Top Five von Frankfurt

Veränderungen an der Spitze und viel zu wenig Pasta

 

Von Ludwig Fienhold

Einige der Top-Italiener sind von der Bildfläche verschwunden, das fabelhafte Fabbri-ca (aus Altersgründen), das kreative Biancalani und das lebhafte A casa di Tomilaia (wegen der Pleite des Betreibers Tom Bock) sowie Sara Barbagallos schönes Promis (Insolvenz). Italien in Frankfurt ist derzeit eher eine Randerscheinung und oft von ärgerlicher Qualität. Selbst eine gute Pasta oder gar eine authentische Carbonara zu finden, ist mehr als schwierig. Von einem guten und à la minute zubereiteten Risotto ganz zu schweigen. Wir könnten aus den schlechten italienischen Lokalen spielend eine Top Fifty machen, wollen aber lieber die wenigen guten in einer Top Five würdigen.

Die Spitzenitaliener bieten leider viel zu wenig Pasta an. Sie denken, dass dies nicht zu Fine Dining passt. Das ist Quatsch. Gerade an den großen Klassikern der italienischen Küche kann man die Qualität und den Charakter eines Restaurants erkennen. Wenn wir italienisch essen gehen, muss Pasta einfach dabei sein. Vielleicht auch nur Pasta, das aber klein und fein. Das Wohnzimmerlokal Pasta Da Vini ist deshalb so besonders beliebt, weil es Pasta satt in allen Variationen anbietet. Und auch wir finden das wunderbar, weil sich hier jemand auf die Kernkompetenz der Italiener besinnt.

 

Carmelo Greco

Carmelo Greco und sein Team

Seit Jahren der Primus in Frankfurt und für uns auch in ganz Deutschland. Jetzt noch mehr, weil die Harmonie, die im gesamten und teilweise neuen Team herrscht, sich auch auf die Teller und die Atmosphäre überträgt. Schon die Appetithappen sind delikat, leicht und animierend. Ein Großteil der Mannschaft in Küche und Service ist inzwischen sizilianisch, was sich auch positiv auf die Speisekarte auswirkt, weil dadurch das Regionale mehr Betonung findet. Ein Klassiker der Küche Siziliens ist Pasta con Sarde, das bei Carmelo Greco weniger rustikal und weit spitzfindiger interpretiert wird: Tortelli mit Sardellen, Wildfenchel, Safran, Pinienkernen und Zwiebeln sowie Regusano-Käse in einer süffigen Sauce aus Thunfisch, Zwiebeln, Erbsen und Tomaten. Fabelhaft. Wein-Tipp: Bianco di Morgante aus Sizilien, ein mineralischer, salziger und ätherisch nach Wiesenblumen duftender Wein, der seinen vulkanischen Ursprung auf besonders schöne Weise ausatmet. Solche großartigen und keineswegs teuren Weine gibt es auch glasweise oder als Begleitung zum Menü. Mehr über Carmelo Greco in der nächsten BISS-Ausgabe.

Carmelo Greco, Frankfurt, Ziegelhüttenweg 1-3, Tel. 069   60 60 89 67.

 

Brighella

Küchenchef & Mitinhaber Leo Caporale

Feine Küche, freundlicher Service und gute Weine bieten ausreichend Gründe für einen Besuch. Und das seit über 30 Jahren. Immer gut sind die Wein-Events mit kreativ übersetzten Klassikern sowie die Trüffelwochen. Probier-Tipps: Bullen-Charolais-Filet mit Pfefferkruste in samtiger Jus, saftig fleischiger Steinbutt in delikater Gin-Creme-Sauce, Pasta mit Bottarga, geschmeidiges Raviolo gefüllt mit Bärlauch und Burrata. Trink-Tipps: Langhe Arneis von Ceretto aus dem Piemont, Valentino-Spumante, Poggio alle Gazze von Ornellaia.

Brighella, Frankfurt, Eschersheimer Landstr. 442, Tel. 069 53 39 92

 

Pasta Da Vini

Ganz viel Italien und vor allem die Toskana auf kleinstem Raum. Allerbeste frische Pasta. Mit Lammragout, Weißweinsauce & Miesmuscheln oder als Bolognese. Je nachdem, welche der talentierten Hausfrauen gerade kocht, wechselt das Angebot. Selbst die Gnocchi sind hier richtig gut und die Spaghetti alla Carbonara gibt es natürlich ohne Sahne und mit Bio-Ei vom Dottenfelder Hof. Die Saucen sind allesamt zum Wegschlecken. Rosi Stern, geborene Davini, ist in der Toskana verwurzelt und sorgt mit ihrem Team für einen netten, kompetenten Service. Die Atmosphäre: Eng, laut, heiter. Es gibt keine Speisekarte, die Preise machen auch nicht misstrauisch. Ohne Reservierung hat man keine Chance.

Pasta Davini, Frankfurt, Heiligkreuzgasse 9a, Tel. 069 57805106.

 

Settimo Cielo

Appetitliche Kleinigkeiten, gute Pasta, feine Fischspeisen. Schönes Wohnzimmerlokal. Gute kulinarische Leistungen in einer Kontinuität, wie sie für Frankfurter Italiener eher selten ist. Probier-Tipps: Gegrillte Seezunge mit frischen Kräutern, Ossobuco mit Polenta. Die Tagliolini mit Flusskrebsen in Hummersauce und die hausgemachten Kaninchen-Tortelloni mit schwarzem Trüffel gehören auch zu den Must-have.

Settimo Cielo, Frankfurt, Eckenheimer Landstr. 86, Tel. 069 59 67 38 08

 

Reuters

Für alle, die ehrliche Küche zu fairen Preisen schätzen. Keiner der Wichtigtuer mit Dottore-Gehabe. Freundlicher unverstellter Padrone, sympathischer Service. Nichts Schickes, auch nicht auf dem Teller. Wenn es den Aufschnitt von Schinken, Salami und Mortadella gibt, muss man zugreifen. Die Gerichte sind spannender als sie klingen, vieles ist hier eben Understatement. Probier-Tipp: Süßkartoffel/Pecorino Tortellini mit Limettenbuttersauce und Kabeljau mit toskanischem Schwarzkohlgemüse, Oliven und Speck. Trink-Tipp: Vermentino Maremma „Ben“ von Nittardi.

Reuters, Frankfurt Reuterweg 104, Tel. 069 95 51 77 19

 

Weitere Empfehlungen in Frankfurt

Vini da Sabatini, Grüneburgweg, lässiger Fine Dining Italiener: Lammkoteletts,  Spaghetti mit Bottarga und gute frisch aufgeschnittene Salami und Schinken. Sehenswert: Riesiges Fassadengemälde mit Eintracht Frankfurt Pokal.

Trattoria i Siciliani, Frankfurt, Walter-Kolb-Straße, Tel 069 61 99 33 21. Vor allem Gerichte und Weine aus Sizilien, der Heimat von Matteo, der dieses kleine Ecklokal ganz individuell führt.

Osteria L´isola Sarda, Rothschildallee, Sardische Deftigkeiten und sonst selten zu habende Bottarga.

Al Terrazzino, Rothschildalee, sympathischer Familienbetrieb mit Pasta & Holzofen-Pizza.

Napolimania, Gaußstraße, Minilokal mit sehr ordentlicher Pasta & guter Pizza.

Photocredit: Barbara Fienhold

 




Mamuschka: Erinnerung an eine extravagante Köchin

Im Kellerlokal Scarlet Pimpernel traf sich viel Prominenz 

 

„Eesst Kiiindärchen eesst!“ Ihr Schlachtruf ist Legende. Das Frankfurter Kellerlokal Scarlet Pimpernel in der kleinen Krögerstraße unweit des Eschenheimer Turms hat Küchengeschichte geschrieben und war das Wohnzimmer vieler Prominenter und Lebenshungriger. Die Rolling Stones und die Eagles schlemmten dort, Ray Charles, Elton John, Joe Cocker, Deep Purple, die Beach Boys, Ella Fitzgerald und der junge Michael Jackson. Sie alle schätzten das Private und Verschwiegene dieser wie kostbare Konterbande gehandelten Geheimadresse. Vor zehn Jahren starb die extravagante und mit fast 100 Jahren auch älteste Köchin der Welt.

Mamuschka mit Esther Ofarim

Mamuschka mit Esther Ofarim

Im Scarlet Pimpernel sah man stets viele Künstler – bekannte und brotlose, die sich an den Gargantua-Portionen zu sozialen Preisen satt essen konnten. Auch Rainer Werner Fassbinder und seine Schauspieltruppe kamen gerne noch zu später Stunde. Andreas Baader attestierte Mamuschka gute Tischmanieren, wobei sie nie verstand, wie aus einem so braven Jungen ein Terrorist werden konnte. Für Mamuschka waren alle Gäste gleich und ihre „Kiiindärchen“. Einen Lieblingsgast hatte sie aber doch: Harry Belafonte. Wegen seiner noblen, bescheidenen Art und seines umwerfend guten Aussehens. Viele Stars kamen im Schlepptau der Konzertveranstalter Fritz Rau, Marek Lieberberg und Marcel Avram, die wahrhaftig einen Narren an Mamuschka gefressen hatten und deren Schützlinge bei ihr sicher vor Paparazzi und anderen aufdringlichen Menschen sein konnten. Wer ins Scarlet Pimpernel kam, genoss den Schutz der Matriarchin. Niemand getraute sich auch auch nur über Umwege nach Autogrammen zu fragen. Zudem glaubte jeder, der hier Gast war, selbst ein Prominenter zu sein.

Als Marianne „Mamuschka“ Kowalew das Kellerlokal unter ihrem Wohnung am 1. November 1969 eröffnete, brannten im Kachelofen Holz und Briketts. Die schlichte Einrichtung war aus Schwartenbrettern zusammengenagelt, das Mobiliar wurde aus einer alten Mühle und einem verfallenem Bauernhof zusammengetragen. Große Kerzenleuchter und eine rot schimmernde Beleuchtung  sorgten für eine warme  stimmungsvolle Atmosphäre. Zentrum war die große offene Küche mittendrin, in der mit Feuer und Flamme die temperamentvolle Mamuschka in den wuchtigen Töpfen rührte und die Pfannen zischen ließ. „Nehmt, fresst, vermehrt euch und seid glücklich“. Mamuschka (ohne „t“) war ebenso originell und eigenwillig, wie die meisten ihrer Gäste, das schaffte eine besondere und homogene Atmosphäre. Erkennungszeichen waren ihre teilweise aberwitzigen Turbane, mal schick, mal mit Bananen bestückt. Mamuschka liebte alles, was glitzerte, raschelte und bei Bewegungen irgendwie Musik machte. Sie war eine unglaubliche Melange aus Gräfin Mariza und operettenhafter Zigeunerbraut. Wild und ungestüm und doch auch oft feinfühlig im Umgang mit anderen.

Die ihrem Sternzeichen Wassermann zugeschriebenen Eigenschaften wie Freiheitsliebe und Dynamik waren bei der polnischen Exzentrikerin besonders ausgeprägt. Marianne Kowalew wuchs in armen Verhältnissen im polnisch sprachigen Wilna in Litauen an der Grenze zu Weißrussland auf, türmte mit 17 von Zuhause, verliebte sich in den Spross einer reichen Industriellenfamilie aus Wilna, flüchtete Ende des Zweiten Weltkriegs nach Frankfurt, wo sie von der Gestapo verhaftet wurde. Nach der Geburt ihres einzigen Sohnes Peter früh Witwe geworden, eröffnete sie 1955 gemeinsam mit ihrem damaligen Lebenspartner ihr erstes Lokal in Frankfurt, die Gräfin Mariza. Es ist die Zeit des deutschen Wirtschaftswunders, Frankfurt wird mit der Luxusdirne Rosemarie Nitribitt Symbol des Aufschwungs und seiner Abgründe. Auch bei Mamuschka geht es turbulent zu, sie und ihr Liebhaber verspielen ihr gesamtes Vermögen. Ende der sechziger Jahre eröffnet sie dann mit ihrem Sohn Peter das Scarlet Pimpernel in der Krögerstraße 7.

Nie hat Mamuschka nach Rezepten oder den Wünschen anderer gekocht, sondern ließ sich nur von der eigenen Inspiration treiben. Ihr Herd erschien wie ein Schrein, um den sich die Gemeinde versammelte. Man futterte wie bei Muttern in ungehemmter Atmosphäre – meist zu viel. Damals wurde mehr Wodka als Wein getrunken – die Gäste wollten dass üppige Essen und natürlich auch ein wenig sich selbst auflockern. Es waren Gelage mit Wildschwein- und Hirschkeulen, die im Ganzen im Ofen gebacken wurden. Es wurde alles gleich am Herd aufgeschnitten und auf die Teller gepackt. Mit viel, viel guter fetter Soße  und prallen „Kneedeln“. Gefüllter Fasan, Karpfen und Borschtsch galten als Spezialitäten, Gulasch und Hackbraten waren noch beliebter. Einer der auf Borschtsch abonnierten Stammgäste war Franz Keller, streitbarer Gastronom und badische Winzerlegende vom Kaiserstuhl.

Mamuschka in ihrem Kellerlokal 2010

Mamuschka in ihrem Kellerlokal 2010

Eine Speisekarte gab es nicht, es wurde das gegessen, was auf den Tisch kam. Beim stattlichen Gutsherrenbuffet gab es kein Limit, die Gäste durften zulangen, so oft sie wollten und konnten. Für einen Pauschalpreis von 45 DM, inklusive Wodka und Kuchen, den man sich meist mit nach Hause nahm, weil der Magen wegen Überfüllung geschlossen hatte. Mamuschka kochte ihre polnisch-russischen Gerichte stets allein und besaß auch keinen Küchenhelfer in Gestalt einer Spülmaschine. Als alle Gäste gegangen waren, schleppte sie Geschirr und Bestecke wieder in ihre Wohnung zurück. Der Lokalname Scarlet Pimpernel basiert auf dem von den Kowalews geliebten Mantel- und Degen-Roman der ungarisch-englischen Baroness  Emmuska Orczy. Erkennungszeichen des Buchhelden ist die scharlachrote blühende Wildblume Scarlet Pimpernel – die auch eine Heilpflanze ist, „welche bei Melancholie und allgemeiner Verrücktheit helfen soll“.

Bei ihrem 90. Geburtstag tanzte Mamuschka barfuß durchs Lokal. Auch zur Buchmesse 2010 stand sie noch für ihre Gäste im Kellerlokal.  „Ich bin nicht verrückt, aber extravagant“, sagte sie oft. Und genau so hieß auch das damals erschienene Buch von Halldór Gudmundsson über sie und ihre Lebensrezepte. Mamuschka hatte zwar so etwas wie Heesters-Gene, doch kurz vor ihrem 100. Geburtstag verließen auch sie ihre Kräfte.

Ludwig Fienhold

 

Scarlet Pimpernel, Frankfurt, Krögerstraße 7, Tel. 069 61 41 81.  www.scarlet-pimpernel-club.com




Ahr-Wein: Eine schöne Entdeckung an der Biegung des Flusses

Weingut Burggarten: Kann denn ein Blanc de Noir wirklich so gut sein?

 

Man sollte die Ahr nicht nur als tödliches Flutschicksal sehen, sondern sie wieder mehr als lebendige Weinregion wahrnehmen. Es gibt dort viele bekannte Größen wie Adeneuer, Stodden oder Meyer-Näkel, man kann  aber auch noch Entdeckungen machen. Das Weingut Burggarten in Heppingen bietet ein gutes Beispiel, denn sein Blanc de Noir macht richtig Spaß.

Das Weingut erzeugt klassische Spätburgunder, einen bemerkenswerten Rosé, sogar einen überraschend guten Sauvignon Blanc, vor allem aber einen erstaunlichen Blanc de Noir. Diese Spezies halten wir eigentlich für ziemlich überflüssig und waren um so erstaunter, als wir diesem Exemplar von der Ahr begegneten. Dieser weiß gekelterter Spätburgunder aus dem Jahrgang 2022 ist von einer freudigen Frische und animierenden Saftigkeit, dass man sich damit den ganzen Sommer auffrischen möchte. Das ist kein Modetrunk für gelangweilte Aperol-Lümmel, sondern ein hochwertiges Erfrischungsgetränk. Cremig, dicht, elegant, schwungvoll und mit viel Wein im Mund. Kühle Stilistik und leichte Salzigkeit bringen eine schöne Leichtigkeit mit ein, die Aromen von Apfel, Limette und Mandarine schweben hindurch. Nichts ist penetrant an diesem Wein, alles fließt ganz harmonisch zusammen. Lebhaft, straff und voll Energie. Auch farblich strahlt dieser weiße Spätbürgunder Ausgeglichenheit aus, warmtönend goldfarben mit leichtem Kupferschimmer. Mit 11 € einer der preiswertesten Weine von Burggarten, für uns aber der heimliche Star.

Einen guten deutschen Rosé zu finden ist nicht einfach, der „Drei Brüder Rosé“, Jahrgang 2022, ist ein schönes Fundstück. Eine tolle Sommererfrischung, leicht, beschwingt, noch ein wenig moussierend. Angenehm dezente Frucht mit einem Hauch Walderdbeere, ohne jegliche Dropsigkeit. Gute Balance von Frucht und Säure, sehr ausgeglichen. Der Preis von 11 € entspannt auch. Die „Drei Brüder Kollektion“ (Blanc de Blanc, Cuvée Noir, Rosé, Reserve) bietet geschmacklich und preislich einen guten Einstieg ins Weingut Burggarten.

Beim Blanc de Noir plagen uns Vorbehalte, aber auch beim deutschen Sauvignon Blanc. Wir haben gute Gründe dafür, lassen uns aber gerne überraschen, wie im Fall vom Weingut Burggarten, das mit dem Heimersheimer Sauvignon Blanc 2022 ebenfalls eine gute Arbeit abliefert. Man spürt die typischen Aromen von Stachelbeeren und Maracuja, aber durch eine elegante Cremigkeit abgepuffert und dadurch überhaupt nicht so nervig wie dieser Bukett-Wein sonst sein kann. Es finden eher frische Düfte von Heu und Gras zur Nase und ein delikater Hauch Holunder. Zusammen ein schönes stimmiges Geschmacksbild. Auch bei diesem Wein erlebt man diese lebhafte und anregende  Saftigkeit, die einige Weine von Burggarten auszeichnet und den Trinkfluss ungemein erhöht.

Das Weingut Burggarten wird von der Familie Schäfer in der 4. Generation betrieben und umfasst 15 Hektar Rebfläche. Der größte Teil der Weine wird im Holzfass ausgebaut. 80 Prozent (Jahresproduktion 120.000 Flaschen) werden ab Hof verkauft. Zum Weingut gehören auch ein Gästehaus mit zwanzig Zimmern sowie eine Straußwirtschaft.

Ludwig Fienhold

 

Weingut Burggarten, Ahr, Heppingen (Bad Neuenahr-Ahrweiler). Landskroner Straße 61.Telefon: 02641 21280.

www.weingut-burggarten.de

 




Suzy´s Smoke Shack BBQ droht das Ende

Bürokratie versus Kreativität

 

Gastronomen wird es schwer gemacht, kreative Ideen zu verwirklichen. Eine der spannendsten Neueröffnungen in Frankfurt steht vor dem Aus, Suzy´s Smoke Shack BBQ droht das Ende. Bei Suzy Günther waren in letzter Zeit alle möglichen Ämter zu Besuch, das Bauamt mahnt Nutzungsänderungen an. Suzy´s musste alle Events für den Mai absagen und schließen. Wieder einmal macht die Bürokratie den ohnehin schon gebeutelten Gastronomen das Leben schwer, in diesem Fall das Überleben unmöglich.

Suzy Günther hat aus einer Hinterhofgarage in der Uhlandstraße im Frankfurter Ostend eines der coolsten Lokale Deutschlands gemacht und tischte dort Pork Ribs, Pork Belly Burnt Ends, Rib Tips und andere Leckerbissen aus dem Smoker auf (siehe BISS Artikel „Diese Hinterhofhütte verdient einen Oscar für schräges Design“). In den letzten Wochen war die Hütte so voll wie nie, lief das Geschäft enorm gut. Doch die Behörden haben dem Lokal den weiteren Betrieb untersagt. Offenbar hatten sich Nachbarn beschwert und das Lokal beim Ordnungsamt, dem Bauamt und anderen Behörden angeschwärzt.

Suzy hatte sich gerade erst von einem Schicksalsschlag erholt, ihr Tankstellen-Imbiss in Gambach wurde von einem Truck überrollt. In Frankfurt sah sie endlich ihren Traum verwirklicht, der nun auch wieder zerstört werden soll. Sie erhofft sich Unterstützung von Freunden, dem Ausländerbeirat und anderen, die ihr helfen können. Suzy Günther will noch nicht aufgeben und ihre einzigartige BBQ Hütte retten, sucht aber für den Worst Case schon jetzt nach einer Location für ein anderes und vielleicht noch größeres Lokal. Hilfreiche Hinweise sind willkommen.

LF