Willi & sein Schöppchen

Noch ein Pils bitte. Dieser Satz ist schon beinahe so selten geworden wie der Ruf des Taiwan-Goldhähnchens. Bald werden unseren Nachfahren die Striche auf dem Bierdeckel wie Hieroglyphen vorkommen und die Wimpel und Bilder der Stammgäste an den Wänden könnten die Nachwelt genauso in Erstaunen versetzen, wie die Höhlenmalereien in Lascaux. Willi und sein Schöppchen werden als Archetypen einer ausgestorbenen Spezies dem Frankfurter Senckenbergmuseum überlassen. Und der letzte Bierbauch geistert nur noch als Plastinat von Gunther von Hagen durch die Welt.

Die Pils-Stube von einst dämmert dahin, die letzten Biere fließen müde aus dem Zapfhahn. Aus der Sprache ist schon lange die Wortschöpfung „Schöppchen“ für ein kleines Bier verschwunden, das eben immer noch ging, kurz vor dem Nachhauseweg im Stehen. Die melancholische Bier-Hymne „Die Kneipe“, welche der Liedermacher Ulrik Remy vor 36 Jahren ins Ohr setzte, wirkt heute nur noch traurig: „Es ist stets dieselbe Kneipe, es ist stets das gleiche Bier, du triffst stets dieselben Leute, denn du wohnst schon beinah´ hier. Und der Wirt macht dir ´nen Deckel, wenn Du knapp bei Kasse bist oder wenn du soviel intus hast, dass du ihn ganz vergisst. Und am nächsten Tag fällt´s dir ganz allmählich wieder ein: und du denkst, Mensch muss ich gestern wieder voll gewesen sein.“

Jedes Stadtteil, jedes Viertel hatte seine kleinen Bierkneipen, welche einst nicht nur Zufluchtsorte für Männer waren, die den eigenen vier Wänden entkommen wollten. Es waren auch beste Kontaktbörsen, da sie nicht nur wie heute meist von Männern aufgesucht wurden und man dort an der Theke schnell ins Gespräch kam und zudem auch Tische übergreifende Beziehungen knüpfen konnte. Damals waren Jung und Alt in solchen Pils-Stuben, gab es wenig soziale Konflikte, selbst wenn viele über den Durst getrunken hatten. Hennings Alt in Frankfurt Escherheim war so ein Hort der großen Geselligkeit, aber das ist längst Geschichte. In den Stadtteilen trifft man die kleinen schummrigen Pilsstübchen noch ein wenig häufiger, in der Stadtmitte sind sie selten geworden. Im Lokal „Alten Limpurg“ am Römerberg trifft man sich noch an der Theke und kommt schnell mit den Nachbarn ins Gespräch, aber dort wird mindestens so viel Apfelwein wie Bier getrunken. Eine letzte Bastion ist noch das Lokal „Zum Alten Frankfurter“ nahe der Kleinmarkthalle in der Ziegelgasse, wo man ein gutes Stück vom alten Frankfurt trifft. Doch fragt man sich, wie lange noch. Die oft betagten Gäste, sofern überhaupt noch vorhanden, sind kaum hinter dem Ofen vorzulocken. Das Bier schmeckt auch zu Hause, wo man dazu zudem noch rauchen darf. Die ganz Hartnäckigen treffen sich ohnehin gleich am Kiosk im Freien. Die Jüngeren wiederum haben sich längst in ihre Lounges verzogen und nippen an quietschbunten Cocktails, deren Namen aus der Sprücheklopferwerkstatt eines Dieter Bohlen zu kommen scheinen.

Image ist oft wichtiger als Wahrheit. Bier erscheint als der Dickmacher, das Brummschädelgetränk der Proleten, mag die Werbung auch vorgaukeln, dass schlanke und hübsche Mädchen Hopfen und Malz für begehrenswert halten. Aber: Vieles wurde auch von den Wirten und Brauereien selbst versäumt. Ein schlampiger Umgang mit der Zapfanlage, die fahrlässig gewartet wurde, zu kaltes oder zu warmes Bier, schlecht gezapft mit wenig standhafter Krone, all das und noch mehr musste über kurz oder lang zu Verlusten führen. Wenig Schönes und gar verrottetes Mobiliar wirkte in einigen Fällen ebenfalls nicht einladend. Viele Brauereien haben zudem zu lange auf Masse und nicht auf Qualität gesetzt und versäumten es, ihre Absatzmärkte, die Pilsstuben und Kneipen, strenger zu kontrollieren. Ausgerechnet in den USA, wo das Bier nicht von bester Qualität ist, hat man die Wichtigkeit des Ambientes frühzeitig erkannt und große Biergaststätten im Loft-Design aufgezogen, von denen sich Jung und Alt angesprochen fühlen. Die Brauereigaststätten in ländlichen Gebieten, insbesondere in der Fränkischen Schweiz, werden zwar auch immer weniger, erreichen aber wenigstens eine Qualität, die ihresgleichen sucht und vielen Wirten ein Überleben beschert. Die Pilsstuben in den Städten haben größtenteils ihr – zumeist rauchendes – Publikum verloren. Sie waren selten mein Ziel, doch war es gut zu wissen, dass die, die dort gerne saßen, eine Heimat gefunden hatten.

L.F.




Kanonesteppel gut in Schuss

Peter Girmond bleibt am Herd

Auf die Apfelweinwirtschaft Kanonesteppel wurde schon viel geschossen. Nicht wegen des Essens, sondern von Gästen, die sich über die Geschäftsführung ärgerten. Nach vier Jahren hat nun Emanuel Neumeister die gastliche Stätte verlassen, der langjährige Küchenchef Peter Girmond übernimmt. Nicht wenige Gäste freut das, Girmond selbst ist auch erleichtert. Die Küche bleibt also erhalten, der Service wird Tritt gewinnen. Und das Kanonefutter? Der gelernte Metzger Peter Girmond ist wegen seiner deftigen Gerichte beliebt, allen voran Schnitzel, Bratkartoffeln, Schäufelchen mit Sauerkraut, Würste und Sülzen. Der süffige Apfelwein fließt wie gewohnt, das knorzige Holzmobiliar ist ohnehin unantastbar.

Kanonesteppel, Frankfurt, Textorstr. 20, Tel. 069 61 18 91. Geöffnet Montag bis Samstag 10 – 24 Uhr. www.kanonesteppel.de



Kulinarische Kontaktbörse

Statt Dinner for One

Dinner on the Run

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Menschen kennen zulernen. „Dinner on the Run“ bietet eine besonders ungewöhnliche und amüsante. Das „laufende Essen“ ist ein kulinarisches Gesellschaftsspiel mit fliegenden Köchen, flammenden Herden und mitunter sogar feurigen Begegnungen. Der Schauspieler und Moderator Rudy Meidl führt inzwischen seit 11 Jahren Regie bei Dinner on the Run und bringt die unterschiedlichsten Menschen im Wechsel in verschiedenen Küchen zusammen. Gerade für solche, die neu in der Stadt sind, bietet dieses Dinner neben Kontakten auch eine gute Orientierung, denn man wechselt von Stadtteil zu Stadtteil und lernt en passant Frankfurt besser kennen.

Das Procedere: Jeder Teilnehmer bekommt einen Partner zugeteilt, mit dem er für einen Abend ein Team bildet. Man kocht gemeinsam eine Vorspeise, ein Hauptgericht oder ein Dessert – wie´s beliebt frei aus dem Kopf oder getreu nach Rezept. Zu diesem Team kommen dann zwei andere Teams als Gäste. Die beiden übrigen Gänge nimmt man in anderen Küchen bei wechselnden Gastgebern ein. Auf diese Weise tafelt man an einem Abend mit mindestens einem Dutzend anderer Leute.

Dinner-Moderator Rudy Meidl

17 Uhr, Römerberg 10. Rudi und seine Kochpartnerin Waltraud sind seit über zwei Stunden damit beschäftigt, eine sommerliche Vorspeise aus der Zeitschrift „Essen & Trinken“ nachzukochen. Zucchini, Tomaten und Paprika, gefüllt mit Fisch und oder Gemüse. Die sonst so ordentliche Küche ist nach dem Gemüsegemetzel nicht wieder zu erkennen. Um 18 Uhr erscheinen die Gäste: Unternehmensberaterin Nina, Account Manager Ina, EDV-Experte Theo und Manfred von der Telekom. Sie werden auf der Terrasse mit einem Glas Champagner begrüßt, den Waltraud von ihrem letzten Frankreichbesuch mitgebracht hat. Das Essen steht nicht im Mittelpunkt der Gespräche. Man stochert eher im Berufsleben des anderen. Privates und Allzuprivates bleiben unberührt. Selbst Manfred, der bei allen bisherigen „Runs“ dabei war und das Zusammenspiel gut kennt, zeigt sich nur gebremst vorwitzig. Auch beim Essen hält er sich zurück und greift zum Vegetarischen, da er seit einer Fischvergiftung kein Meeresgetier anrührt. Rudi hat derlei Abneigungen in seinem Computer festgehalten, um den Magen empfindlicher Teilnehmer zu schonen. An diesem Abend ist gar eine junge Frau dabei, die wegen einer Stoffwechselstörung keinerlei Fett zu sich nehmen kann, aber einfach Freude an dem ganzen Miteinander hat.

Vorspeise und Hauptgericht liegen meist geographisch beisammen. In diesem Fall sind es gar nur zwei Schritte bis zum nächsten Tisch, denn Nina ist Nachbarin von Rudi und heute mit ihrem Kochpartner für das Hauptgericht zuständig. Erst war sie zwei Stunden Gast, jetzt wird sie zur Gastgeberin. Bei ihr gibt es gut gewürztes Thai-Hühnchen in Kokossauce, eine Delikatesse, die durchaus Restaurantniveau zeigt. Dennoch werden die Gäste nicht warm miteinander. Ganz anders bei Karin im Baumweg. Auf ihrem kleinen Balkon sitzen sechs „Runner“ und können gar nicht anders, als miteinander ins Gespräch kommen. Serviert wird ein Vollwertgericht aus Auberginen, Zucchini, Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch, Olivenöl, Oregano, Mozzarella und Parmesan. Aus diesen Zutaten könnte man zwar etwas Gescheites machen, doch das hier ist geschmacksneutraler Klump. Was aber niemanden stört, weil man sich gutunterhält und die Zungen obendrein durch einen guten Sancerre beflügelt werden.

Zum Dessert geht es in die Kriegkstraße ins Gallusviertel. Gastgeber Martin ist Journalist und schreibt bevorzugt über Wirtschaftsthemen. Er und seine ihm anvertraute Kochpartnerin Anja tischen als Dessert ein festlich geschmücktes Apfel-Tiramisu nebst Espresso auf. Bis auf ein Pärchen sind alle Gäste pünktlich um 22 Uhr beisammen. Nachdem eine halbe Stunde vergangen ist, ruft Rudy über Handy das Mobiltelefon der Vermissten. Diese sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und haben Anschlussschwierigkeiten. Zudem haben sie an einer U-Bahnstation einen Stuhl vergessen, den sie einem Dinner-Teilnehmer mitbringen sollten, der zu wenige Sitzgelegenheiten in seiner Wohnung hat.

Um Mitternacht treffen sich alle Teilnehmer zu einem Abschlussdrink in einem Lokal, um den Abend noch einmal Revue passieren zu lassen.  Die schnellste Nummer war eine Honigmelone mit Parmaschinken, während Birgit und Peter ihre Gäste feudal mit Seeteufel in Papaya-Salsa bewirteten und das Rezept dazu gleich schriftlich mit auf den Weg gaben. Rudy ist zufrieden, sein Motto, einen Abend mit „Nährwert“ und mit „Nähewert“ zu schaffen, ist wieder gelungen. Es gab auch kaum Fleisch, das er hätte stehen lassen müssen, denn als „liberaler“ Vegetarier isst er nur Fisch. Rudy Meidl hat Spaß an seinem Dinner on the Run, denn Geldverdienen könnte er damit nicht. Der studierte Mediziner und leidenschaftliche Pilot kann sich solche Hobbys leisten, denn als Schauspieler und Conferencier steht er recht gut im Futter.

Bei der kulinarischen Kontaktbörse machen zwar die unterschiedlichsten Charaktere mit, doch lässt sich ein Mittelwert erstellen. Die Teilnehmer sind im Schnitt zwischen 25 und 50 Jahren, wobei die Mittdreißiger dominieren. Nach den Erfahrungen des Veranstalters Rudy Meidl sind die meisten kontaktfreudig und weltoffen, wobei mehr Frauen als Männer dabei sind. Viele Singles, aber auch Paare. Vor allem Neu-Frankfurter nutzen die Chance, auf solch lockere Weise Kontakte zu knüpfen und die Stadt kennen zulernen. Nach den Worten von Rudy Meidl ist sein Dinner eine kulinarische Schnitzeljagd für kommunikative Genießer, aber kein Speed-Dating. „Es geht darum, einen ungewöhnlichen und abwechslungsreichen Abend mit netten Menschen zu erleben.“ Networking zum Anbeißen.

Dinner on the Run, Rudy C. Meidl, Telefon 069/35 35 30 96. www.dinner-on-the-run.de Teilnahmegebühr 16 Euro. Immer samstags, 1 x im Monat, wechselnd in Frankfurt und Darmstadt.
 
 



Wutgäste & Kritiker

Die Genuss-Zeitung mit Biss

Man kann über alles streiten, vor allem über Geschmack. Die Biss-Zeitung ist eine muntere Streitschrift. Sie will anregen, sie mag mitunter auch aufregen.  Genauso wenig, wie es ein Koch jedem recht machen kann, vermag ein Kritiker jedem nach dem Mund zu reden. Kritik ist immer subjektiv. Doch der Kritiker ist kein Wutgast. Er muss schlechte Erlebnisse auch nicht an Ort und Stelle auskurieren. Der Kritiker kann sich im Grunde entspannt zurückziehen und aus der Distanz und ohne Schaum vorm Mund seine negativen (und positiven) Eindrücke beschreiben. Er sollte auch imstande sein, wegen eines schwachen Servicemitarbeiters nicht die Küche und das ganze Lokal zu verdammen.

Gäste sind meist viel wütender als Kritiker. Nicht selten echauffieren sie sich im Übermaß, oft entsteht eine brachiale Konfrontation. Vielleicht hätte eine Reklamation oder eine Kritik genügt, doch die Situation eskaliert schnell. Zwischen Reklamation, Kritik und Wut liegt ein Universum aus Sachverstand, Vernunft und Höflichkeit. Doch machen es einem leider sehr viele Gastromnomen, Köche und Kellner schwer, besonnen mit ihnen  umzugehen. Zu viele von ihnen kommen weder mit professioneller Kritik, noch mit unmittelbarer Gästekritik zurecht. Gäste, die sich schlecht behandelt fühlen oder gar übervorteilt sehen, sind überreizt und werden sich nicht zurückhalten und sachlich bleiben können. Dieser Wutgast ist indes aus der Situation heraus entstanden, so gut wie niemand kommt schon als Wutgast in ein Restaurant. In der Regel verhalten sich Gäste jedoch viel zu unkritisch und müssten öfter mal – mit Taktgefühl – auf den Tisch hauen. Viele sind zu faul oder zu feige, ihre Meinung gleich gegenüber dem Koch oder Kellner zu äußern und wetzen erst nach einem Lokalbesuch die Messer. Wenn man zudem sieht, wie viele Gäste das vermeintlich schlechte Essen reklamieren, nachdem sie aufgegessen haben, muss man sich nicht über eine schroffe Reaktion von Küche und Service wundern. Die Biss-Zeitung will Verständnis für die Gastronomen wecken, aber auch Gäste zur Kritik ermuntern.

Ludwig Fienhold




Wie die Sojasauce in den Wein kommt

Weinanalyse heißt Lustgewinn

 
Von Guy Bonnefoit

 

Wein mit Verstand trinken ist geistige Arbeit.  Ruhe, Muse und selbstverständlich Interesse und Begeisterung sind die Voraussetzung für eine Analyse. Jeder Wein steht in seiner Art als einzigartig da, bedingt durch den Breitengrad, wo er wächst, Bodenart, Kleinklima, Rebsorte, Alter des Rebstockes, Weinbaupflege, Art der Lese, der Kelterung, der Reifung, des Alterns. Der Wein verkörpert eine Persönlichkeit, die erforscht werden muss, um in ihren Geist einzudringen und zu lernen. Selbstverständlich kann man auch ohne eingehende Analyse Freude und Spaß beim Genießen eines guten Tropfens haben. Aber warum sich soviel entgehen lassen? Warum nicht in die Tiefe gehen und einen Art Dialog mit dem Wein führen und mit ihm die Natur neu entdecken? Bestrafen sie ihn nicht mit der Rolle, nur eine Hintergrundmusik spielen zu müssen, sondern lauschen sie andächtig.

Vereinzelt brachten im Laufe der Jahre, in denen ich an meinen Büchern arbeitete, meine Analysen einige Weintrinker, ja sogar Weinexperten zum Kopfschütteln. Heute bin ich froh, meinen Weg weitergegangen zu sein, und ich weiß, dass ich im Verhältnis zu dem, was es noch zu entdecken gibt, nur einen kleinen Teil des Weges hinter mir habe. Manche Winzer und Weinexperten waren manches Mal entsetzt, wenn ich meinte, ein Wein habe einen feinen Zitronenton. Dies galt fast als blutige Beleidigung. Was spricht gegen die Zitrone als Frucht? Absolut nichts, es sei denn, sie ist nicht reif und riecht nach Kiste und Verpackung. Den Zitruston (vor allem in den ätherischen Ölen der Außenschale) findet man in allen hochwertigen Weißweinauslesen bis Trockenbeerenauslesen. Warum soll man es verschweigen, wenn dieser Ton erstens da ist und zweitens dem Wein Frische, Feinheit und Eleganz verleiht?

Vor einiger Zeit führte ich eine Champagnerprobe mit einigen Produkten eines renommierten Champagnerhauses durch. Als ich mit dem Chefverkäufer über meine Eindrücke sprach und Worte wie getrocknete Austernschale und ähnliches benutzte, schaute er mich sehr erstaunt an. Ich bat ihn, dieses Produkt, das er täglich verkauft und fast täglich probiert, daraufhin noch einmal zu probieren. Seine Antwort war: Austernschale! Ja! Aber wie!! Als ich daraufhin ein Austerngericht anhand meiner Notizen zu dem Champagner beschrieb, bekam er verzückte Augen.

Erst die gründliche Analyse der Duft- und Geschmacksstoffe eines Weines im Sinne einer Analogie, erlaubt eine optimale Vermählung zwischen Wein und Speisen

Die Geruchswahrnehmung

Duft- und Aromastoffe bestehen aus flüchtigen Verbindungen, die je nach Geruchschwelle individuell verschieden stark vernommen werden. Die menschliche Haut hat eine Oberfläche von etwa 2 m² und weist bis zu 300 Geschmackskomponenten auf.  Bekanntlich verändern sich die Geruchsstoffe je nach körperlicher Verfassung. Ein Hund z. B. erkennt am Geruch des Menschen, ob dieser ihm wohl gesonnen ist oder ängstlich reagiert. Jede Laune hat ihren eigenen Geruch. Man kann glücklich riechen. Ein erfahrener Landarzt berichtet, dass er in der Lage sei, beim Betreten eines Krankenzimmers vom Geruch her, bestimmte Krankheiten zu erkennen. Jede Krankheit entwickelt ihren typischen „Duft“. Diabetes riecht fruchtig, Nierenerkrankung verursacht einen Mundgeruch, der an Urin nach Fischgenuss erinnert. Diphtherie riecht süßlich, Typhusfieber nach gebackenem Brot und Gicht nach Löwenkäfig oder einer Tierhandlung.

Man unterscheidet zwei Phasen der Geruchserfassung:

1. Die Empfindungsschwelle: der Geruch ist noch undefiniert

2. Die Wahrnehmungsschwelle: die Erkennungsphase                        

Das Schnüffeln, d.h. das Einatmen in kurzen Zügen hintereinander, führt zu einer tieferen Wahrnehmung, da sich  die Düfte im nasalen Bereich konzentrieren. Das Geruchsgedächtnis ist bei den meisten Menschen wenig entwickelt, lässt sich aber durch Trainieren wesentlich verbessern. Durch Anpassung (sog. Adaptation) und Gewöhnung können oft unangenehme Gerüche nicht mehr wahrgenommen werden. Man gewöhnt sich sogar an manche Fehltöne, die beim Wein z. B. als Bestandteil vermisst werden, nachdem der Gärfehler behoben, bzw. verhindert wurde. Ein Professor einer Weinbauschule erzählte mir einmal, als er eines Tages während einer seiner Vorlesungen den Studenten anhand von Musterproben erklärte, wie man die verschiedenen Gärfehler erkennen kann, ein Schüler aufstand und meinte, dass eine Probe den typischen Ton aufwies, den die Weine seines Vaters auch hätten. Auf  den Rat seines Professors, erklärte er seinem Vater wie er den Fehler vermeiden könne. Nun, der Vater war nicht gerade beglückt zu hören, dass er fehlerhaften Wein herstellte, schließlich arbeitete er nach der gleichen Methode wie schon sein Vater und Großvater. Nach langem Gespräch einigten sich Vater und Sohn darauf, die Trauben der nächsten Lese je zur Hälfte nach der empirischen Methode der Familie und  der Empfehlung des Professors zu keltern. Wenige Monate nach der Lese kam der Sohn zu seinem Professor und erzählte ihm händeringend, dass die Stammkunden seines Vaters sich über den neuen Wein, der ihnen nicht schmeckte, beschwerten. Auf Anraten des Professors vermischte der Winzer beide Weinpartien – und somit war der Wein für die an den Fehlton gewöhnte Kundschaft gerettet!

Je nach Zusammensetzung der Duftmoleküle eines Riechstoffes, ergeben sich durch Hinzufügen weiterer Moleküle ähnliche oder auch völlig anders geartete Duftstoffe. Der gleiche Riechstoff wird von verschiedenen Personen ganz anders erfasst und beschrieben. Nicht selten sind die Ergebnisse in ihrem Geruchsbild völlig konträr. Es ist eine Täuschung zu glauben, dass z.B. Heidelbeeren nur nach Heidelbeeren riechen und schmecken. Gaschromatographische Analysen haben bewiesen, dass eine Vielzahl von anderen Aromen vorhanden ist. Dazu zählen u.a. Apfel, Zitrusfrüchte, Zitrone, Beeren, Gurken, Gemüse, grüne Blätter bis hin zur Seife. Der Duft von Waldmeister wird hauptsächlich durch den Stoff Cumarin geprägt. Cumarin findet man ebenfalls in Heu, Lavendel, Datteln und Tonkabohnen.

Jährlich organisiere ich eine Vielzahl von „Wein- und Speisenseminare“, die neben der optimalen Vermählung von Weinen mit Speisen auch den Bereich der Sensorik behandeln. Ich bitte die Teilnehmer, gewisse Duftstoffe blind zu erriechen, wobei es mir weniger darum geht, dass sie mir sagen, was es genau ist, sondern vielmehr welche Duftstoffe sie wahrnehmen.

Hier das Ergebnis über Sojasauce

Sojasauce

Frucht                            Pflanze                           Gewürze               Verschiedenes

Pflaume                          Kräuter (Prov.)               Curry                    Balsamico Essig

Pflaumenmus                  Kraut mit Apfel               Fondor(Gewürz)            Brühwürfel

Traube                           Liebstöckel           Ingwer                           Essig

Walnuss (schwarz)         Sellerie                           Koriander             Fleisch (verbrannt)

Tomate (getr.)                Paprika                          Hefe

Pfeffer                           Honig

Sojasauce             Karamell

Worcestershire-              Kraftbrühe

Sauce                   Kakao

Lakritze

laktisch

Malz

Medizin

Nougat

Rauch

Salmiakpastille

Salz

Schokolade (Bitter-)

Tee

Duft und Geschmack von Sojasauce findet man sowohl in Weiß- als auch in Rotweinen – vor allem in älteren Weinen, die dadurch gut zu asiatischen Gerichten passen.

Guy Bonnefoit lebt in Alzenau und ist einer der renommiertesten Weinfachautoren. Im  Kornmayer-Verlag hat er gleich drei monumentale Standardwerke über Deutschland, Frankreich und Österreich veröffentlicht.

www.bonnefoit.de




Nur das Auge isst mit

Fleming´s Frankfurt

Schöne Aussichten auf der Dachterrasse, attraktive Zimmer, tolles Treppenhaus. Und sonst?  Leider hat es das Hotel Fleming´s am Escheneimer Turm in Frankfurt nicht geschafft, seine Leistungen zu verbessern. Essen, Service und Weinauswahl bewegen sich immer noch nicht auf einem akzeptablen Niveau. Keine stabile Qualität, mal geht es einigermaßen, dann wieder nur bergab. Zeit genug wäre seit der Eröffnung vor über zwei Jahren gewesen. Da fahren wir lieber mit dem antiken Paternoster im Haus und erleben ein weit schöneres Auf und Ab.

Flemming´s, Frankfurt, Eschenheimer Tor 2. Tel. 069 42 72 32 200.

www.flemings-hotels.de

Daumen Runter

Bloody Hell!




Frankfurt wird italienischer

A Casa di Tomilaia

Von Ludwig Fienhold

Ein Frankfurter Lokal mit eigenem Weingut und Olivenhainen in Italien ist schon etwas ganz Besonderes. Aber auch sonst hat das neue A Casa di Tomilaia & Friends Ungewöhnliches zu bieten. Hinter dem epischen Namen steckt ein effektvolles Konzept. Die Pasta wird frisch vor den Augen der Gäste zubereitet, Nudeln, Saucen, Weine, Olivenöl, Grappa und vieles mehr kann man auch für Zuhause mitnehmen. Wegen seiner speziellen Kombination nennet sich die Casa auch Flagship Restaurant & Store. Es ist das erste in Deutschland, weitere sollen in München, Hamburg und London folgen. Man will damit eine ganz neue Art von Weinlokal etablieren.

Tom Bock, Architekt und Spiritus rector der gastronomischen Biancalani-Trilogie in Sachsanhausen am Walther-von-Cronberg-Platz, hat die ehemalige Enoteca völlig neu gestaltet und konzipiert. Kurzum: Deutlich verbessert. Sein Wahlspruch „Architektur ist Musik für die Augen“ wurde hier sehenswert umgesetzt. Der 49 Jahre alte Baumeister, der unter anderem für das Florentinische Viertel und das Loft-Quartier SoHo am südlichen Mainufer verantwortlich ist, tickt genauso frankfurterisch wie italienisch. In der Casa wird Frankfurt vor allem toskanisch. Die meisten Gerichte wurzeln in dieser Region, die Weinberge vom eigenen Gut Tomilaia liegen zwischen Florenz und Siena. Küchenchef Jan Meier hat eine gut strukturierte und animierende Speisekarte entworfen. Die neun Antipasti zu je 2,80 € kann man einzeln oder gemischt bestellen, der Oktopussalat mit Kichererbsen, Zitrone und Staudensellerie sollte dabei sein. Unter Affettati werden sieben Charcuterie-Spezialitäten frisch mit der Maschine geschnitten (je 3 €), darunter Wildschweinsalami, Tiroler Schinkenspeck, schneeweißer Rückenspeck von toskanischen Landschweinen und Fenchelsalami. Alles von erstklassiger Qualität und dünn geschnitten. Vor dem Essen ist nach dem Essen: Jedes banale Weißbrot wird durch das ausgezeichnete Olivenöl zum Leckerbissen, dessen Ernte Tom Bock alljährlich selbst auf seinem 37 Hektar großen Gut einfährt.

Küchenchef Jan Meier

Küchenchef Jan Meier

Die Speisekarte setzt auf ein Baukastensystem, man kann sich individuell seine Gustostückchen zusammenstellen. Es gibt neben Wurst und Schinken noch verschiedene Käse, eigenen Honig und andere Kleinigkeiten, doch die hausgemachte Pasta ist das Herzstück. Die Cappelacci sind mit Kürbis gefüllt und werden von Rinderragout begleitet, zu der Picci-Pasta gibt es feingehacktes Rinderragout. Allenthalben schöner Teig, cremig-flutschig und doch mit Biss, sowie saftiges und gut gewürzte Fleisch. Die Pasta wird an einer einsehbaren fünf Meter langen Theke aus gespachteltem Beton gewalzt, geknetet, geschnitten und gezupft. Hier entsteht eine durch Italienfeeling und solides Handwerk geadelte Landküche, die auf unkomplizierte und doch keineswegs anspruchslose Art viel Freude macht. Zu Fisch und Fleisch, etwa Brasato von der geschmorten Rinderschulter, kann man unter sieben verschiedenen Beilagen wählen – Risotto, gegrilltes Gemüse oder etwa gerührte Polenta. Besonders gut zu den Rotweinen passt das leicht orientalisch gewürzte Wildschweinragout mit prallen Pappardelle und Pilzen. Küchenchef Jan Meier ist für das Biancalani und die neue Casa verantwortlich, hat aber auch mal seinen freien Tag und kann nicht ständig in beiden Lokalen gleichzeitig stehen. Sein Souschef Andreas Helfmann macht seine Arbeit so gut, dass man keinen Unterschied merkt. Es sind einige klassische Desserts zu haben, doch schön sind auch die hausgemachten Cantuccini aus dem Ofen. Dazu passt der Goccia-Dessertwein, der delikat nach Trauben und Rosinen schmeckt und vor allem eher trocken ausfällt.

Weine und Olivenöl vom eigenen Weingut

Auf der kleinen Karte stehen ausschließlich die Tropfen vom eigenen Weingut und einiger befreundeter Winzer. Die Heimatrebe der Toskana ist Sangiovese, die es bei Tomilaia in den Varianten Piccolo und Grosso gibt. Die Weine sind von regionalem Charakter, eher weich, warm und freundlich. Eine interessante Spielart ist die Verbindung von Sangiovese und Syrah, die bei Tomilaia auf Samtpfoten daherkommt und viel Frucht einbringt. Ein Renner, allein schon wegen des Namens, ist der Hash Ish, eine Assemblage von Sangiovese und Merlot. Es heißt, er soll ziemlich lustig machen. Die Weine sind limitiert, von manchen gibt es gerade einmal 5000 Flaschen. Umso überraschender sind die Preise: Der Gast zahlt lediglich ein Korkgeld. Die Flasche Sangiovese kostet im Lokal 37 €, zum Mitnehmen 25 €. Sympathisch ist das Angebot an unterschiedlichen Größen – ein Glas, eine halbe (500ml) und eine ganze Flasche (750ml) sowie Magnumgröße mit 1,5 Litern. Der Rosé von Tomilaia ist ein gefährlich süffiger Tropfen, ganz zart und doch mit einer raffinierten kleinen Würznote im Hintergrund, macht er mit jedem Glas Lust auf das nächste. Tom Bock hat für sein Weingut einen sehr begabten und renommierten Önologen gewinnen können: Sean O´Callaghan. Ein Engländer, der in Sri Lanka geboren wurde, im Rheingau studiert hat und in der Toskana lebt. Dort ist er vor allem für das Weingut Riecine verantwortlich, von dem es ebenfalls zwei sehr gute Weine in der Casa gibt – einen typischen Chianti Classico und den schön nach roten Beeren und Heidekraut duftenden Gioia.

Mein Haus ist dein Haus

Restaurantleiter Davide Demarchi, der zuvor Barchef in der Biancalani-Bar und danach in der Kameha Suite war, ist ein freundlicher Mailänder Charakterkopf. Seine rechte Hand Giuseppe und die übrige Crew sind engagiert im Einsatz, wie schon beim Vorläufer Enoteca. Die markanten und jetzt weißgetünchten Backsteinsäulen und die Stablampen, die wie Höhlen-Stalaktiten von der Decke hängen, geben dem Weinlokal einen unterschwelligen Loftauftritt. Während rötlichen Fußbodenkacheln, die aus über 200 Jahre alten Häusern aus der Toskana stammen, allem eine gewisse Patina einhauchen. Die gab es auch zuvor und doch erscheint das Lokal in jeder Hinsicht in neuem Licht. Die drei Barhocker an der Pasta-Theke sind beliebt, wobei das ganze Lokal sehr einladend wirkt. Die geölten und die naturbelassenen Eichenholztische sind von robustem Charme. Gute Idee: Mit dem passendem Ansatzstück lässt sich aus einem Zweiertisch im Handumdrehen einer für drei Gäste machen. Die kunstvoll gestaltete Weinwand wirkt wie ein Stillleben für ein Hochglanz-Wohn-Magazin. Bei abendlichem Kerzenlicht taucht man in eine warme behagliche italienische Weinstube ein. Mi Casa Su Casa, wie zu Hause fühlen. Auch die rauchenden Gäste werden nicht im Regen stehengelassen, vor der Tür können sie auf der beheizten und überdachten Terrasse sogar an Tischen sitzen.

A casa di Tomilaia & Friends, Florentinisches Viertel, Walther-von-Cronberg-Platz 9, Tel. 069 68977625. Pasta/Risotto 6 – 15 €, Hauptgerichte 14 – 28 €.                                                                                                          www.acasadi.de www.tomilaia.it www.tomilaia.de www.biancalani.de
Die Raucher vor der Tür haben es gemütlich und warm

Italienische Trilogie

Alle drei Lokale – Biancalani, Casa und die Bar – liegen Tür an Tür. Im Restaurant Biancalani bietet Jan Meier eine kreative italienisch-europäische Küche. Im Gegensatz zur Casa ändert sich die Karte häufig und will stets mit neuen Kombinationen überraschen. Das Lokal zeigt seit vielen Jahren gute konstante Leistungen. Bar und Lounge nebenan sind eine amüsante Basis für Pre- und After-Dinner-Drinks. Die Bar hatte von Anfang an immer gute Barkeeper. Inzwischen ist mit Roberto Cellot wieder ein Talent eingezogen, der wie Davide Demarchi zuvor in der Kameha Suite arbeitete. Cellot liest James Joyce und Italo Svevo und mixt dazwischen flüssige Gedichte.




Die Perle unter den Weinen

Champagner-Trend

Bio und Rosé

Wenn auch Champagner für Luxus und Lebensfreude steht, so schwankt doch seine Qualität wie bei jedem anderen Wein auch. Mal ist er Edelperle, mal nur ein Ballermann. Grundsätzlich gilt: So wenig wie es einen Porsche zum VW-Preis gibt, so wenig wird man einen anspruchsvollen Billigschampus erstehen können. Krug, Roederer Cristal und Dom Pérignon bilden das Dreigestirn am Champagner-Firmament. Jeder von ihnen ist groß, doch es ist ganz entscheidend herauszufinden, welcher am besten zum eigenen Temperament passt – der chevalereske Krug, der spitzfindige Roederer oder der faunische Dom Pérignon. Die einen mögen die seidige Frische eines Blanc de Blancs von Pierre Gimonnet, die anderen suchen das Barocke von Bollinger. Wer viel Statur braucht, freut sich an der Üppigkeit der Prestige-Cuvée Grande Sendree von Drappier. Wunderbar nach Leichtsinn schmeckt Charles Heidsieck, während Deutz stets zuverlässig den Grandseigneur unter den schäumenden Weinen vertritt.

Einer der ganz Großen unter den kleinen Champagner-Winzer ist der Mystiker Anselme Selosse, der als einer der ganz wenigen seine Grundweine in neuen Eichenholzfässern ausbaut. Seine Erzeugnisse entfachen Düfte aus Vanille, Zimt, Haselnuss und geröstetem Weißbrot. Gerade Biowinzer wie Selosse genießen das Vertrauen vieler Champagnerfreunde. Das Weinhandelshaus Vinaturel am Starnberger See hat sich auf biodynamische Produkte spezialisiert. Die Champagner von Franck Pascal, Francoise Bedel und Jérôme Prevost sind erstklassig und fair im Preis. Die Weine der kleinen Domaine von Prevost reifen in alten Eichenholzfässern in einem tiefen Luftschutzkeller aus dem 1. Weltkrieg. Die Champagner geraten authentisch und betörend leichtlebig, man muss sich stets schnell eine der raren 13.000 Flaschen sichern. Franck Pascals Brut Nature Cuvée de Réserve braucht viel Sauerstoff und zeigt erst dann seine ganze Qualität. Vanille und Brioche hat man oft als Aroma im Champagner, doch dieser erfrischt durch einen fein salzigen Abgang.

Auch unter den Öko-Winzern gibt es starke Unterschiede. Der Blanc de Blancs Extra Brut von Larmandier-Bernier, der delikat nach Vanille, Mandeln und Brioche duftet, ist zwar ein Kenner-Champagner, eignet sich aber auch geschmacklich und preislich bestens für Einsteiger. Die herausragenden Erzeugnisse von De Sousa lassen mit ihrer kernigen Frische die kalkhaltigen und mineralischen Böden der Champagne spüren und sind eher etwas für Kenner. Eine der großen Entdeckungen ist Egly-Ouriet aus der Grand Cru Lage Ambonnay. Michel Egly betreibt biodynamischen Anbau, baut dezent in Eichenfässern aus und setzt wie Anselme Selosse auf ungefilterte Weine. Das Ergebnis sind vitale, vielschichtige und harmonische Champagner mit zarter Perlage, die von einem feinen Vanilleton begleitet werden. Unter den fünf Sorten ist der Brut Tradition für Endverbraucher mit knapp 40 Euro der preiswerteste. Der Brut Millésime 2004 von Laherte Frères liegt sogar noch darunter und gefällt durch Extrakt, eine cremige Textur und Aromen von Vanille, exotischen Früchten und Rumtopf. Noch extravaganter ist der Brut Les Clos von Aurélien Laherte. Er verbindet die Rassigkeit der Champagne mit der Exotik der Karibik. Von Jacquesson kommen reintönige, feinperlende, finessenreiche und handwerklich präzise gearbeitete Champagner. Der Millésime 2000 ist vielschichtig und braucht viel Sauerstoff. Man sollte ihn in sehr großen bauchigen Weingläsern trinken oder sogar dekantieren. Oft heißt es, das letzte Glas ist das Beste. Das stimmt auch deshalb, weil viele Champagner sofort nach dem Öffnen getrunken werden und das letzte Glas am meisten Luft zum Entfalten bekommen hat. Also nach dem Plopp ruhig mit dem ersten Schluck etwas warten, dann schmecken alle Gläser gut.

Flüssige Antiquitäten

Rosé-Champagner vermitteln noch mehr als andere einen Hauch Verruchtheit. Sie sind wieder im Trend, weil ihre Qualität deutlich zugenommen hat und den Begriff Puffbrause vergessen lässt. Wegen ihrer hübschen Farbe sind Rosé-Champagner seit jeher bei Frauen besonders beliebt. Das ist mehr denn je der Fall, doch inzwischen wird er auch von Männern verstärkt akzeptiert und getrunken. Vor allem, wenn es sich dabei um Spitzenerzeugnisse handelt. Billecart-Salmon, Chartogne-Taillet, Selosse und Gosset sorgen mit Frische und Finesse sowie dezenten Aromen von Himbeeren, Waldbeeren und Mandeln für großes Trinkvergnügen.

Erstklassige Restaurants gönnen ihren Gästen gerne Außergewöhnliches. Dazu gehören auch gereifte alte Champagner und solche aus raren Rebsorten. Ein Edeltrunk von beinahe unwirklicher Finesse und feinstem Mousseux ist der Moutard, welcher in kleinster Edition aus der heute vergessenen und kaum noch vorhandenen Rebsorte Arbanne erzeugt wird. Für eine solch exzellente Spezialität sind knapp 50 Euro im Handel keineswegs zuviel. Auch sonst kommen von Moutard sehr gelungene und noch preiswertere Champagner. Ausgezeichnete Qualitäten sind bei zwei weiteren Familienbetrieben zu bekommen, die in Deutschland weitgehend unbekannt sind. Zu Aubry et Fils greifen Insider, welche keinen Allerweltsschaumwein, sondern exquisite Ware wollen. Die mit Künstleretikett ausgestattete und sehr duftige Cuvée Nicolas Francois Aubry reift 60 Monate auf der Hefe und wird nur in außergewöhnlich guten Jahren in limitierter Auflage erzeugt. Kräftiger, da in kleinen Eichenholzfässern ausgebaut, präsentiert sich der Brut Tradition, wogegen die Prestige-Cuvée Aubry de Humbert der Primus ist. Zudem können die Brüder Aubry mit weiteren in kleinsten Mengen abgefüllten Flaschen glänzen, von denen unter dem Etikett Le Nombre d´Or nur etwas 1000 bis 2000 Flaschen auf dem Markt sind und unter anderem aus den alten und seltenen Rebsorten Arbanne, Petit Meslier, Enfumé und Fromenteau erzeugt werden. Da Champagner letztendlich ein Wein ist, schmeckt er nicht nur in jungen Jahren, sondern auch in betagtem Zustand. Beim Fachhändler Jürgen Drawert vom Cave du Connaisseur in Berlin findet man viele großartige Edelperlen, die noch zu Großvaters Zeit abgefüllt wurden. Gereifte Champagner und ihre unvergleichlichen Aromen sind nur etwas für aufmerksame Genießer, die eher eine Kerze der Andacht als ein Feuerwerk zünden wollen.

Die Vorzüge des Alters

Nicht überall herrscht Jugendwahn. Beim Wein war schon immer das Alter gefragt, doch auch Champagner kann durch Reife überzeugen. Füssige Antiquitäten stehen bei Kennern hoch im Kurs. Moet & Chandon hat mit seiner Spitzenmarke Dom Pérignon die Oenothèque-Idee geboren, mit der auf einmalige Weise die Entwicklungsphasen und die Ebene der Reife dokumentiert wird. Angesprochen fühlt sich durch die Trouvaillen die Top-Hotellerie und -Gastronomie, beispielsweise Traube-Tonbach Baiersbronn, Schlosshotel Leerbach und Schloss Bensberg in Bergisch-Gladbach oder das Adlon in Berlin. Der seidig-elegante Dom Pérignon aus dem Jahr 1985 besticht mit Aromen von reifem Obst, Feigen, Mandeln und Zitrusfrüchten, die harmonisch zueinanderfinden. Der Dom Pérignon aus dem sonnigen Jahr 1973 zeichnet sich durch cremige Karamelltöne, einen Hauch Schokolade und eine nahezu erotische „Fruchtbarkeit“ aus. Der goldfarbene 64er verführt mit einem intensiven Aromenbukett aus Mango, Pfirsich, Sandelholz, Vanille, Rosinen und Trüffel. Beim bernsteinfarbenen Jahrgang 59, der schon seinerzeit die besten Voraussetzungen durch ideale Wetterbedingungen mitbrachte, breiten sich neben Karamell, Vanille und Honig orientalische Gewürze aus, die sich zu einem lang anhaltenden Geschmack verdichten. Die seltenen Kollektionsflaschen lagern in den Kellern von Epernay und Hautvillers. Die Anzahl ist äußerst limitiert, zudem haben die Raritäten ihren Preis. Je nach Jahrgang zwischen 125 und 500 Euro (Abgabepreis von Moet & Chandon an die Gastronomie). Die Lieferzeiten betragen zirka sechs Wochen, da die Flaschen nur auf Anfrage frisch degorgiert und vom Hefesatz befreit werden, der die Konservierung dieser kostbaren Cuvées über die Jahre sichergestellt hat.

Nobles und Deftiges

Ein großes Missverständnis ist der Glaube, dass Champagner zu allem passt. Gänseleber ist eine klassische Mesalliance, Schokolade erweist sich als wahrer Champagner-Killer. Und es muss wahrlich auch nicht immer Kaviar sein, zumal gerade dieser mit nur ganz ausgesuchten Edelperlen korrespondiert, die sich durch Körper und eine gewisse Süße hervorheben. Ausgezeichnet harmonieren jene regionalen Gerichte, wie sie die Winzer in der Champagne selbst bevorzugen: gefüllter Gänsehals, Schweinskopfsülze oder Potee champenoise – ein Pot au feu aus Kartoffeln, weißen Bohnen und Wurst oder Schweinefleisch. Fernsehkoch Stefan Marquard schwört auf Leberwurstbrot mit Löwensenf, fein geschnittenen Schalotten und Essiggurken zum Champagner. Und Thomas Martin vom Hamburger Restaurant Louis C. Jakob weiß, dass sich fruchtiger Champagner wunderbar mit der leicht süßlichen Sauce der Currywurst verträgt.

Ludwig Fienhold

 

Bezugsquellen

Champagner-Club, Kelkheim, Tel. 06195 725524. www.champagner-genuss.de

Extraprima, Mannheim, Tel. 0621 28652. www.extraprima-weinversand.de

Weinhalle, Nürnberg, Tel. 0911 525153. www.weinhalle.de

Vinaturel, Berg, Tel. 08151 908428. www.vinaturel.de

Wein-Art, Geisenheim, Winkeler Str. 93, Tel. 06722 71080. www.weinart.de

Cave du Connaisseur, Jürgen Drawert, Berlin, Tel. 030 49893543. www.caduco.de

Frankfurt Wein, Frankfurt, Wittelsbacher Allee 153, Tel. 069 40353086. www.frankfurt-wein.com

Weinhaus, Frankfurt, Grüneburgweg 49, Tel. 069 722780.

Wein-Teufel, Frankfurt, Im Trutz 51, Tel. 069 448989. Kleiner Hirschgraben 4, Tel. 069 448989. www.weinteufel.de

Aktuelle Weine, Frankfurt, Kettenhofweg 1, Tel. 069 71707601.

 

 

 

 

 

 




Wohnzimmer-Lokale

Trend zur Gemütlichkeit

Man geht öfter aus, um bei sich anzukommen. Immer mehr Gäste entwickeln eine Sehnsucht nach Individualität und Gemütlichkeit. Mehr noch: nach einer Heimat. Durch die Ablehnung der sich stark angleichenden gesichtslosen Lokale und der gleichzeitigen Suche nach persönlichem Stil, hat sich ein neuer Gesellschaftsraum entwickelt – das Wohnzimmerlokal. Der Hangout mit dem schönen Namen „Vierzimmerküchebar“ zeichnet sich durch die Charakteristika dieses neuen Genres aus: Entspannte Atmosphäre, amüsantes Trödel-Ambiente, individuelle Musik, lässiger Service. Dazu Kaffee, Espresso und Cappuccino von guter Qualität, Apfelwein von Uhl aus der Wetterau und ein Lambrusco Concerto von Medici Ermete, der zart nach Kirsche und Holunder duftet. Aus der Küche kommen Kleinigkeiten wie die Vogelsberger Kartoffelbratwurst. Sonntags kann man von 10 bis 15 Uhr frühstücken – auf Großmutters Couch oder im Hinterhofgarten. Die Puppenstube „The place to be“ in der Weißadlergasse ist eine friedliche Kampfansage an die gleich tönende, konstruierte Designerkühle unserer Zeit. Hier ist alles handgestrickt, wie in einem Wohnzimmer studentischer Vorzeit, und doch liebevoll und mit Witz entworfen. Mehr als 20 Gäste – die meisten von ihnen sind schon Bewohner – passen nicht rein.

Kaum jemand hat ein so gemischtes Publikum wie die Trinkhalle an der Obermainanlage, doch trifft man vor allem Individualisten. Unter der Woche geht es noch übersichtlich zu, freitags und samstags brummt die Bude. In dieser Retro-Stube sieht es aus wie in einem Wohnzimmer aus den fünfziger Jahren. Auf den Sofas ist Herumlümmeln erwünscht, die Atmosphäre regt zu Gesprächen an. Die Bar wurde mit sehr kommoden Hockern mit Rückenlehne ausgestattet, weshalb man dort gerne länger bleibt. Betreiber Patrik Shahabi hat aus der Trinkhalle auch so etwas wie seine eigene Wohnung gemacht. Unter dem Stichwort „Gute Vorsätze“ stehen auf der Karte alkoholfreie Drinks. Als Herrengedeck werden frisches Pils und Jägermeister aufgetischt. Außerdem gibt sogar noch den Hit aus den 60er Jahren: Lumumba, Kakao mit Rum. Retro zum Trinken.

Trinkhalle, Obermainanlage 24, Tel. 0177 5533323. Mo – Do 18 – 1 Uhr, Fr. + Sa 18 – 2 Uhr. Sonntag geschlossen. The place to be, Weißadlergasse 3, Tel. 069 29724545. Mo – Do 12 – 1, Fr. + Sa 12 – 2 Uhr. Vierzimmerküchebar (Maingold), Zeil 1, Tel. 069 28 33 27. Mo – Do 12 – 1 Uhr, Fr. + Sa 12 – 2 Uhr, So 10 – 21 Uhr.




Die Entdeckung der Langsamkeit

Im Schneckenhaus Caracol

Von Ludwig Fienhold

Freddy Gustavo Ochoa stand drei Jahre in Erno´s Bistro in Frankfurt am Herd und hat sich vor wenigen Wochen mit einem eigenen Restaurant selbständig gemacht. In seinem intimen Wohnzimmerlokal Caracol kocht er modern europäisch und bevorzug regionale Bio-Produkte.

Wenn auch das neue Lokal in der Schneckenhofstraße in Sachsenhausen dem Straßennamen entsprechend Caracol heißt, so darf man nicht zwangsläufig Schnecken auf dem Teller erwarten, die es nur hin und wieder gibt. Der Argentinier Freddy Gustavo Ochoa ist als Koch in der Welt herumgekommen, hat in Genf, in Maputo in Mosambik und Buenos Aires gearbeitet, und bringt viel Internationalität ein, ohne mit einer Allerweltsküche zu langweilen. Französisches, Südamerikanisches, Asiatisches und Deutsches werden wie selbstverständlich und nicht angestrengt oder überzogen kombiniert. Die Karotten-Pastinaken-Suppe mit in Ingwer marinierten Jakobsmuscheln und Koriander ist das gut abgeschmeckte Ergebnis eines Weitgereisten. Keine stechende Schärfe, sondern wohldosierte Würzung, gibt den gebratenen Jakobsmuscheln auf Süßkartoffel-Kürbis-Chutney und gelbem Thai-Curry den richtigen Pep. Handwerklich stimmt beim Lamm- Couscous alles – Geschmortes, Gebratenes und Merguez vom Lamm nebst Gemüse sind Stück für Stück perfekt gegart. Der Couscous aber hätte mehr „Tango“ vertragen können. Ein solches Gericht sollte auch nicht im zu tiefen Teller serviert werden, was das Essen mühsam macht und die Optik stört, weil alles ein wenig Durcheinander erscheint. Highlight: Erstklassiger gebratener Waller, in Parma-Schinken gehüllt, mit Risotto und Salbei-Kapern-Butter. Saftig-praller Fisch, hauchdünner und nicht etwa trockner Schinken, wie so oft. Die Produktauswahl ist überlegt. Das Lamm entspringt der Rhönschaf-Rasse und kommt vom Berbalk-Hof aus dem Taunus. Das Gemüse liefert die Bio-Gärtnerei Bärenland aus Niederrad. Und das Rindfleisch wird von der Metzgerei Elzenheimer aus Unterliederbach bezogen, die sich Charolais-Rindern vom Hofgut Rehbachtal bedient.

Freddy G. Orchoa (rechts) und sein Souschef Junior Erasmo Da Silva aus Brasilien

Manches im Caracol hat man vielleicht an anderer Stelle ähnlich gegessen, eventuell auch besser, doch hier steht alles in einem anderen Kontext. Hinter dieser Adresse verbirgt sich kein Wichtigtuerlokal. Nerven keine observierenden befrackten Kellner. Man isst gut, fühlt sich wohl, beinahe wie bei Freunden zu Hause. Entsprechend angenehm fällt auch das Publikum aus. Viele kommen aus der unmittelbaren Nachbarschaft, wo die etablierte und dabei doch dezent gebliebene Gesellschaft zu Hause ist. Aber: Kann man aber überhaupt eine Aussage über die Gästeart machen? Ja, selbstverständlich. Jedes Lokal hat eine gewisse Struktur an Gästen, weil sich nur ganz bestimmte Menschen von einem ganz bestimmten Lokal angezogen fühlen. Küchenchef Freddy Gustavo Ochoa ist ein Sonnenschein, einer, der einen aus großen leuchtenden Augen ansieht und die pure Freude an seiner Arbeit ausstrahlt. Die spezielle Atmosphäre im Caracol ist auch nichts für Menschen mit Berührungsängsten, die wenigen Tische stehen recht eng. Die 20 Gäste sind meist unter sich, wie bei einer privaten Feier. Es ist daher auch nicht ungewöhnlich, wenn sich Gespräche von Tisch zu Tisch ergeben.  Im Restaurant und in der Küche herrschen keine Hektik, die Gäste nehmen sich Zeit für ihr Essen. Deswegen arbeitet der aufmerksame Service aber nicht im Schneckentempo.

Freddy G. Ochoa und Restaurantleiterin Sabrina Runkel

Das Lokal Caracol ist so sympathisch, dass man dazu neigt, Fehler leichter übersehen zu wollen. Wir möchten hier auch niemanden zur Schnecke machen, sondern nur einige Verbesserungsvorschläge einbringen. Manche Gerichte könnten mehr Aussage und ein klares Thema haben – weniger ist mehr. Schicke Teller sind oft nur schick, aber nicht praxisnah für den Gast. Wenn man schon eine kleine und etwas willkürliche Weinauswahl hat, sollte man zumindest auf die korrekte Temperierung der Weine achten – gerade warme Rotweine machen einfach keinen Spaß. Die Weinauswahl könnte grundsätzlich noch überdacht, erweitert und auf die Küche abgestimmt werden. Insgesamt will man es bei den Gerichten und den Weinen zu vielen recht machen. Zu einem eigenen Profil kommt man aber nur mit Ecken und Kanten. Nur Mut!

Caracol, Frankfurt, Schneckenhofstr. 11, Tel 069 976 91676. Hauptgerichte 22 – 27 €.  www.restaurantcaracol.com