Letzte Worte eines
Molekular-Kritikers

Besuch im Drei-Sterne-Restaurant Can Fabes von Santi Santamaria

Der Bauernsohn Santi Santamaria aus Sant Celoni begann vor über 25 Jahren als Autodidakt in der eigenen Kneipe. „Hier im Can Fabes koche ich, woran ich glaube.“ Sein Glaube galt dem Produkt, dem unverfälschten Geschmack der guten Zutaten. Das Restaurant Can Fabes erscheint wie ein kleines Bauernhaus in einer Provinzstadt. Innen lockt eine rustikale Stube ebenso wie modernes Design mit offener Küche. Fünf kompromisslos designte Zimmer beherbergen die Gäste, die einige der 325 Referenzen von der Weinkarte kosten möchten. Santi mochte eigentlich alles: Die winzigen Angulas, die Glasaale. Die kleinen Tintenfische von der Küste des Mittelmeeres. Die gelatineartigen Innereien vom Kabeljau. Das Bresse-Geflügel von Miéral. Seinem Personal gönnte er mittags besseres Essen als andere Restaurants ihren Gästen. Für seine Gäste suchte er schon am frühen morgen kiloschwere „Denti“-Fische mit blitzenden Augen direkt am Hafen aus. „Die kommen nie aufs Eis“, meinte der joviale Katalane mit der buccholischen Figur und dem immerwährenden Drei-Tage Bart. „Das würde sie verbrennen. Und alles wird direkt am Abend serviert.“ Eines aber mag Santi gar nicht: „Astronautenfutter. Wenn man sich anschaut, was die Köche heute auftischen, kann einem der Appetit vergehen. Pastillen und Tabletten. Viele junge Köche wissen nicht mehr, wie man ordentlichen Fonds macht.“ Santi Santamaria wußte, wovon er redete, denn  sein Fond wäre anderswo eine Suppe für Feinschmecker gewesen: Ein ganzes Brathuhn schwamm darin, und zwei Kilo schieres Kalbfleisch, dazu eine Überdosis gesundes Grünes.

Santi Santamaria (rechts) und sein Nachfolger Xavier Pellicer

Kein Zweifel, Santi war ein Produkt-Fetischist. Einer, der noch wusste, dass gute Küche bei guten Zutaten beginnt. Ein Koch von der Liste der aussterbenden Arten: Pacaud in Paris gehört dazu oder Roellinger in Cancale. Doch der Mann aus Sant Celoni nördlich von Barcelona, dessen Nachname stark nach deutschem Schlager klingt, geht noch einen Schritt weiter: Fast scheint es, als hätte er damals sein „Raco de Can Fabes“ rund um die guten Zutaten errichtet. Rechts stehen drei gläserne Kühlschränke: Im ersten warten zarte Lämmer, saftige Rinderkoteletts, Geflügel und Foie Gras, im zweiten knackige Gemüse, im dritten das Obst. Das Restaurant hatte Aura und Geschichte. „Mein Vater wurde hier geboren, ebenso wie mein Großvater und ich“ berichtete Santi. „Wir waren eine Bauernfamilie. Mein Vater erkrankte schwer, meine Mutter arbeitete als Näherin in einer Fabrik. Mit 15 musste ich dazu verdienen. Wir hatten nicht viel.“ Wenn die Mutter in der Fabrik war, kochte der Vater „Und seine Freunde liebten auch das Kochen. Ich dachte immer, alle Männer kochten.“ Als er 23 war, eröffnete er mit seiner Frau eine kleine Kneipe: „Es war die Zeit nach der Franco-Ära. Neu gewonnene Freiheit! Ich wollte mein Hobby zum Beruf machen, Freunde empfangen, einen Ort kreieren, wo verkannte Poeten Dichterlesungen halten um danach illegale Substanzen zu rauchen.“ Wie jedes Lokal das allein für Freunde bestimmt war, endete Santis Abenteuer nach einem Jahr in einer Beinahe-Katastrophe. „Wir waren ein Alltagsrestaurant, servierten für 150 Peseten, nach heutiger Währung etwa zwei Euro. Wenn unsere Gäste feierten, gingen sie anderswo hin um dort viel Geld zu lassen. Natürlich wollten wir auch ein Restaurant zum Feiern werden.“ Auch das ging Anfangs mangels Kochkenntnissen gründlich daneben. „Zum Glück arbeitete nicht weit von hier ein französischer Koch namens Philippe Serre. Der war mal bei Nouvelle-Cuisine-Erfinder Michel Guérard gewesen und brachte mir die Grundlagen bei.“ Abgesehen von diesem Schnellkurs war Santamaria Autodidakt. „Die ganze spanische Küchenrevolution, von der man so viel liest, ist von Autodidakten losgetreten worden“ erklärte er „Und ich hatte den Vorteil, dass ich schon als Kind den guten Geschmack unserer katalanischen Zutaten auf der Zunge hatte. Ich möchte  feine Gerichte mit rustikaler Spitze; dem althergebrachten Geschmack ein modernes Image verpassen. “Das Zwiebelküchlein auf Blätterteig mit einer supersaftigen, leicht geräucherten Makrele, ist so ein Gericht: Das Raucharoma liefert die „bäuerliche Komponente“, die perfekte Garung und der hauchzarte Teig liefern die Verbindung zur Haute-Cuisine.

Restaurant Can Fabes

Angulas, die traditionellen Glasaale, servierte Santi Santamaria mit Knoblauch, Petersilie und chinesischen Fadennudeln für die Textur. Und die Gemüse! Wir genossen bei Santi Santamaria die besten Erbsen unseres Lebens, angerichtet mit Erbsblüten auf festem Erbspüree, sozusagen Erbse hoch Drei. „Die kommen vom Bauern nebenan. Das klingt jetzt banal, aber hier gibt es eine winzige Gegend, in der die Erbsen besser als anderswo gedeihen.“ Der grüne Spargel ergänzt wunderbar den Kaviar mit Petoncles. Santi war ein Meister der Gemüse und in dieser Disziplin besser als jeder Chef, der mit seinem eigenen Garten angibt. Riesiger Kaisergranat mit Gnocchi, Kabeljau auf seinen Innereien mit den letzten schwarzen Trüffeln aus Spanien, Foie Gras in der Salzkruste, das alles las sich banal, weil Santi Santamaria keine Reime um seine Gerichte drechselte. Natürlich meisterte Santamaria die Garzeiten perfekt, natürlich verstand er sich aufs Würzen, selbstverständlich war er ein „Verpackungskünstler“, egal ob er Lamm in Ton oder Foie Gras in Salz verpackte. Aber letztendlich ging es immer wieder ums Produkt und seine Qualität. Das erklärt, warum er den Feinschmecker-Lesern drei Gänge mit Fleisch und Geflügel serviert: „Weil den meisten Küchen zum Thema Fleisch nichts einfällt. Und ich hier den Wert der guten Zutaten demonstrieren kann.“ Hier, die Foie Gras in der Salzkruste „Das ist nicht einfach Salz, da ist Thymian und Knoblauch drin. Wenn sie das Rezept mit einer schlechten Leber versuchen, kann es sein, das sie einfach wegfließt.“ Die Raffinesse des Rezeptes liegt im Detail: So wird die Leber auf einem Grill angebraten, der mit indonesischer Bio-Kohle, gepresst aus Kokosnuss-Haut befeuert wird. „Wer Kochen verstehen will, muss die unterschiedlichen Garmethoden meistern“ erklärte Santi mit ruhiger Geste „ Wir haben Elektrizität, Gas und Feuer zur Verfügung. Einen Dampfofen, einen Mischofen, dazu Grillspieß, Plancha und Grill. Der Geschmack einer Pfanne ist etwas anderes als der Geschmack eines Holzfeuers. Wenn man das verstanden hat, bringen Technik und Methodologie nicht weiter.“

Mit seiner „Zurück zu den Wurzeln“ Philosophie hatte es Santi Santamaria weit gebracht. Zwei Kinder hat er fast nebenbei groß gezogen: Sein Sohn ist Pferdezüchter, seine Tochter studiert Wirtschaft. Einen eigenen Weinberg besaß er auch „Zwei Hektar zum Experimentieren.“ In der Vanguardia schrieb er wöchentliche Glossen über Gastronomie, zudem hatte er eine Horde Bücher über seine kulinarischen Reisen verfasst. Ihn bedrückte die Entwicklung der modernen Küche. „Die Gegend nördlich von Sant Celoni gehört zu den Hauptstädten der Chemieindustrie: Geschmacksverstärker, künstliche Aromen und jetzt auch noch Nahrungsmittelparfums.“  Das stank für Santi Santamaria zum Himmel.

Jörg Zipprick




Wo sind die Götterspeisen?

Auf der Suche nach der ehrlichen Küche

Wer in Teufels Küche gerät, darf keine Angst vor Hitze haben. Insofern ist Jörg Zipprick ein Teufelsbraten. Er hat jetzt ein ganz heißes Eisen angefasst. Der Restaurantkritiker spießt jene Kochpraktiken auf, die den Gästen etwas vorgaukeln und nahezu unbekannt sind. Seinen Recherchen nach arbeiten viele in der Gastronomie mit Aromen und Zusatzstoffen, die illegal, schädlich und vor allem die reine Heuchelei darstellen. Vor allem Spitzenköche haben eine Vorbildfunktion und sollten sich handwerklich nur auf saubere Qualitäten besinnen. Wenn aber schon diese mit fragwürdigen Stoffen arbeiten, wie soll es dann erst in normalen Lokalen aussehen?  Das neue Buch von Jörg Zipprick, der auch für den stern besonders kritische kulinarische Berichte schreibt, bietet auf  288 Seiten viel Stoff, vor allem Zündstoff.

Jörg Zipprick, Autor der satanischen Gastro-Verse

Jörg Zipprick erzählt in dem Buch auch über seine kulinarische Laufbahn als Gastronomie-Journalist (Vif, Feinschmecker, Wein-Gourmet, Financial Times) Der Autor lebt seit vielen Jahren in Paris, der angeblichen Hauptstadt der Gourmets. Jörg Zipprick liebt seine Wahlstadt zwar, betrachtet sie aber viel kritischer als rosarot verliebte Eiffelturmbesucher. Das 288 Seiten starke Buch beginnt noch recht vergnüglich mit guten Restauranterlebnissen, wird dann aber zunehmend spitzer. Die sogenannte Molekularküche ist offenbar ein hochexplosives Gemisch. Im Zentrum der Kritik steht dabei die damit einhergehende Industrialisierung der Küche. Nach Zippricks Einschätzung wird es auch bei Spitzenköchen immer selbstverständlicher künstliche Aromen, Zusatzstoffe und bequeme Industrieprodukte einzusetzen, einige werben ja auch ganz offen dafür. Sehr viel beschäftigt hat sich der Autor nicht nur mit Johann Lafer oder Alfons Schuhbeck, Gegenstand ist vor allem immer wieder Ferran Adrià, der große spanische Molekular-Mogul.

Viele Köche, die Hilfsmittel oder Texturas einsetzen, betonen immer wieder, dass diese nicht gesundheitsschädlich sind. Jörg Zipprick aber möchte, dass trotzdem auf derlei Gaukelei verzichtet werden soll, weil damit ein Stück ehrliches Handwerk verloren ginge. Jörg Zipprick geht auch mit Kritikern ins Gericht, weil zu viele einfach zu unkritisch wären und sich bei Köchen nur beliebt machen wollten. Auch für die Lobredner der Molekularküche hegt Jörg Zipprick keine Sympathie. Unschwer zu erkennen ist dabei vor allem der frühere Freestylemusiker und jetzige Gastro-Anatom Jürgen Dollase aus dem Ruhrgebiet.

Wenn die Gourmet Guides Gault Millau und Michelin erscheinen, ist das Geschrei bei den Köchen immer groß. Bei dem Buch „In Teufels Küche“, das in diesen Tagen im Frankfurter Eichborn erscheint, wird dies ebenfalls so sein. Laut Zipprick hat es massive Einschüchterungsversuche gegeben, mit dem Ziel das Buch zu verhindern. Beschimpfungen ist er ohnehin gewohnt. Manchmal wird eben doch so heiß gegessen, wie es gekocht wurde.

 

 

Interviev mit Restaurantkritiker

Jörg Zipprick

BISS Zeitung: Bis jetzt hieß es doch immer, man habe noch nie so gut in Deutschland essen können wie heute. Und plötzlich sitzen wir in Teufels Küche?

Jörg Zipprick: Es gibt einen Sittenverfall in der Gastronomie. Gerade Spitzenköche haben als hochrangige Vertreter ihrer Zunft eine Vorbildfunktion. Wenn diese für Industrieprodukte werben und in ihrer Küche Zusatzstoffe, künstliche Aromen und Geschmacksverstärker verwenden, wird sich das weiter nach unten fortsetzen und verbreiten.

BISS Zeitung: Durch Hilfsmittel lässt sich sehr schnell ein Geschmack herstellen, der mit konventionellen Methoden mühsamer ist. Das könnte die Arbeit am Herd grundsätzlich verändern.

Jörg Zipprick: Am Ende dieser Entwicklung steht, dass die Handwerklichkeitverloren geht. Es ist ja viel einfacher in die Trickkiste zu greifen. Es gibt eine spanische Firma, die allein 190 verschiedene Aromastoffe und andere Helferlein verkauft. So geht das Wissen um Produkte verloren.

Fernsehkoch Johann Lafer

BISS Zeitung: Stickstoff  beispielsweise wird inzwischen auch in Szenelokalen und Bars verwendet. Vieles, was gestern undenkbar gewesen wäre, wird unbekümmert auf allen Ebenen eingesetzt.

Jörg Zipprick: Die Nahrungsmittelindustrie versucht über die Topgastronomie Zusatzstoffe salonfähig und für alle vertretbar zu machen.

Pierre Gagnaire

BISS Zeitung Wir haben in Deutschland sehr viele Topküche, deren Können unbestritten ist.

Jörg Zipprick: Aber man muss sich Sorgen um die Produktqualität machen. Große Köche, die beste Zutaten versprechen, kaufen drittklassige Ware oder tricksen ihre Gäste aus. Eine Kliesche (Art Rotzunge) wird als Seezunge serviert, Abfälle werden als Stopfleber verkauft, veredelt wird mit glutamathaltigen Gewürzmischungen. Während früher ein Koch ein guter Handwerker war, muss er heute ein Medienprofi sein, der Kochen vielfach nur noch vorspielt. Köche, die Produktqualität selbst nicht mehr erlebt und zerlegt haben, sind auch leichter Opfer skrupelfreier Lieferanten.

BISS Zeitung: Etikettenschwindel scheint ein beliebter Sport zu sein. Einen falschen Trüffel kann man eher erkennen als versteckte Zusatzstoffe, die bislang auch nicht deklariert werden müssen.

Jörg Zipprick: Es muss eine klare Kennzeichnung aller verwendeten Zusatzstoffe und Labor-Aromen geben, auch und gerade auf den Speisekarten der Spitzengastronomie.

BISS Zeitung: Es ist doch die Aufgabe von Journalisten und vor allem der Restaurantkritik auf solche Missstände hinzuweisen.

Jörg Zipprick: Es gibt zu wenige kundige Vorkoster und zu viele Claqueure gernegroßer Herdmeister, bei denen Private Equity Fonds (außerbörsliches Eigenkapital) eingestiegen sind, die als Anzeigenkunden Einfluss auf die Berichterstattung nehmen wollen. Internationale Hotelketten, die Spitzenköche beschäftigen, oder Industriepartner, – deren Würste, Saucen, Süppchen – der Koch gegen einen ordentlichen Obolus rühmt, drohen bei kritischer Berichterstattung den Redaktionen schnell mit einem Anzeigenboykott.

BISS Zeitung: Malen Sie nicht den Teufel an die Wand? Heißt das sogar am Ende, dass Sie nicht mehr Gourmetrestaurants besuchen und nur noch Würstchenständen vertrauen?

Jörg Zipprick:  Es gibt sie noch, die erstklassige Gourmetküche. Und die muss auch nicht immer teuer sein. Auch das steht in diesem Buch.

Jörg Zipprick

In Teufels Küche

Ein Restaurantkritiker packt aus

Eichborn Verlag

288 Seiten
19.95 €

 




Flüssige Meisterwerke

Weinraritäten mit Überraschungen

Schon oft habe ich mich kolossal darüber geärgert, wenn auf Raritätenproben die Weine Flight für Flight durchgejagt werden, als gäbe es kein Morgen. Da stehen dann vier, fünf Gläser nebeneinander, die im Eiltempo erfasst, verkostet und bewertet werden müssen. Anfangs kommt der geschulte Gaumen noch mit der Melange aus Aromen des Weines, der Speisen sowie der oftmals durch den Raum wabernden Damen- und Herrendüfte klar. Mit jeder weiteren Runde steigt der Alkoholpegel, während parallel dazu die Aufmerksamkeit der Teilnehmer abnimmt. Gegen Ende solcher Abende werden große Weine einfach nur noch geschluckt, als würde am nächsten Tag das Mindesthaltbarkeitsdatum ablaufen. Häufig hätte jeder einzelne Wein einen Abend für sich verdient gehabt.

Kürzlich haben wir bei einer Raritätenprobe von Grand Cru Select in Rüdesheim einen entschleunigten Weg gewählt. Als Aperitif gab es einen 1982er Billecart Salmon Grande Cuvée. Dieser 1992 degorgierte Champagner stand goldgelb mit sehr feiner Perlage im Glas. Anfangs noch verhalten im Bouquet, blühte er ein paar Minuten später auf – feine Röstaromen, Nusstöne und am Gaumen elegante Weinigkeit. Ein sehr guter Tropfen auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Fortan folgten Rotweine, zuerst 1990er Cos d’Estournel und 1990er Montrose. Leider hatte der Cos d’Estournel flüchtige Säure, am Gaumen wirkte er, als hätte er einen leichten Essigstich, da half auch die über Stunden währende Beobachtung nichts, die Flasche war nicht perfekt, man konnte nicht ansatzweise erkennen, dass es sich um einen berühmten Wein aus großem Jahrgang handelt. Es blieb zum Glück die einzige Enttäuschung des Abends. Der 1990er Montrose ist ein monumentaler Wein, der anfangs kurz in der Karaffe betörend duftete, dann im Glas aber umgehend in einen Dornröschenschlaf fiel. In den kommenden Stunden veränderte sich der Montrose und gegen Mitternacht hatte er die Fülle, Kraft und Ausstrahlung, auf die man gehofft hatte. Geduld ist der Schlüssel zum Glück, auch wenn der Wein nicht nach jedermanns Geschmack war, so blieb seine Größe unbestritten. Als nächstes Set kamen 1959er Margaux und 1959er Latour auf den Tisch. Beides keine perfekten Füllhöhen, der Füllstand Upper-Top-Shoulder war altersgemäß aber gut. Die Korken waren völlig durchweicht, keine Chance, sie an einem Stück aus der Flasche zu bekommen. Dennoch waren beide Weine fehlerfrei, der Margaux war sofort präsent: Sehr feines Bouquet, farblich deutlich reif, am Gaumen sehr filigran, kein Kraftprotz, wunderbare Eleganz, allerdings mit einem Hauch von Zerbrechlichkeit, die sich durch eine Spur Oxidation (Heu/Luftton) bemerkbar machte. In diesem Zustand hat der Wein sicherlich seinen Höhepunkt überschritten, auch wenn er im Glas den ganzen Abend über lebendig blieb und keineswegs abbaute. Der 1959er Latour hingegen ist ohne jeden Zweifel ein Jahrhundertwein. Völlig intakte, satte Farbe und ein Duft, der mit jeder Nuance auf einen grandiosen Bordeaux hindeutete. Blind hätte ich ihn wesentlich jünger eingeschätzt, er erinnerte in seiner Intensität eher an den Jahrgang 1982. Was für eine kleinkarierte, groteske Vorstellung, diesen 1959er in ein Punkteschema zu pressen. Haben Sie schon mal gehört, dass jemand einem Picasso oder Monet 98 Punkte gegeben hätte?

Der 1959er Latour war jedenfalls der Star des Abends, seine Komplexität, Fruchtfülle, Eleganz und der Nachhall waren nahezu unglaublich. Es ist ein kostbares Geschenk, so einem Wein begegnen zu dürfen und lange bevor ich in die Gehaltsklasse käme, mir diamantbesetzte Eierbecher leisten zu können, würde ich die vierstellige Summe in diesen Wein stecken. Wein Nummer fünf und sechs würden es schwer haben dachte ich: 1964 Léoville Las Cases und 1964 Haut Brion. Mein Geburtsjahrgang, den ich immer bedächtig verkoste. 1964 Léoville Las Cases ist mir zum dritten Mal begegnet, wobei er nie enttäuschte. Auch diese Flasche hatte alles, was man sich von einem bald 47 Jahren Bordeaux aus mittlerem Jahr erhoffen darf. Gesunde, lediglich etwas hellere Farbe mit braunem Wasserrand. Feinwürziges Bouquet, etwas Unterholz, am Gaumen reif, mit der immer noch feinen Süße guter Bordeaux-Weine. Der Wein bleibt ein Geheimtipp zum fairen Preis. Der 1964er Haut Brion war allerdings eine Klasse besser. Ein großer Klassiker kam zum Vorschein, sehr typisches Haut Brion-Bouquet, „steinig“, Jod, sehr geradlinig. Am Gaumen entwickelte sich anfangs ein leichter Muffton, der an Korkgeschmack erinnerte, den Wein aber weder dominierte oder gar negativ beeinträchtigte. Er gehörte zum Haut Brion, was für nicht so geschulte Zungen ungewohnt ist. Später kam eine angenehme Süße hinzu, der Wein blühte immer mehr auf und blieb bis zum Schluss in Bestform. Letzte Rotweine des Abends waren 1982 Léoville Las Cases und 1982 Haut Brion. Hier zeigte sich der Léoville Las Cases von seiner besten Seite, ein vom ersten Hineinriechen zum zur letzten Minute verführerisches Kraftpaket mit Reserven für mindestens weitere 20 Jahre. Tiefe Farbe, beeindruckendes Bouquet, eher wie ein Latour. Intensive, geballte Frucht, Eleganz, die volle Süße des Jahrhundertjahrgangs 1982. Der 1982er Haut Brion war eine Re-importflasche aus den USA, der Korken leider schon vollständig vollgesogen. Hier hatten wir schon bessere Flaschen getrunken. Er reicht auch in besserem Zustand kaum an seinen Nachbarn La Mission Haut Brion von 1982 heran, überzeugt aber dennoch mit einer Klasse und Eleganz, die andere Weingüter nie erreichen.

Insgesamt ein denkwürdiger Abend, der zeigte, worauf es bei einer gelungenen Weinprobe ankommt: Jedem Wein genügend Zeit widmen, niemals zu viele Weine probieren. Keinen Wein voreingenommen verkosten oder gar parallel nachlesen, was andere Genießer, die auch nur Menschen mit ihrem eigenen, individuellen Geschmack sind, darüber geschrieben haben.

Hans-Jürgen Teßnow




Tapas La Trinca löst die schwarze Café-Bar ab

Braucht die Schweizer Straße Spanisches?

Von Ludwig Fienhold

Die schwarze Café-Bar, einst als Künstlerlokal mit existentialistischer Aura gedacht und später nur noch ideenlos geführt, war vor 25 Jahren ein interessanter Treffpunkt und Ort gepflegter Melancholie. Die Besucher der nahen Museen mochten das Rollkragen-Niveau und die leicht anspruchsvolle Affektiertheit der Kellner, die damit eine mäßige Küche zu kaschieren sich getrauten. Das dunkle enge Neo-Klaustrophobie-Lokal machte schmale Lippen, die kleinsten Toiletten der Stadt erforderten große Geschmeidigkeit. Die letzten Jahre war es ruhig um den einst beliebten Klassiker geworden, am Ende stand das schwarze Design nur noch für traurig-traurig. Das klarlinige Interieur und die schönen Stuckdecken, dieses elegante Understatement der gelassenen Farben und Formen, war 1986 hochmodern – und ist es auf wunderbar zeitlose Art immer noch. Verantwortlich dafür ist der Architekt der gehaltvollen Strenge, Max Dudler, der auch die Neue Deutsche Börse in Frankfurt entworfen hat. In das künstlerisch wertvolle Ambiente der Café-Bar wird jetzt eine Tapas-Bar einziehen. Leider erweisen sich dabei die neuen Betreiber als Kulturschänder und wollen das Lokal anders gestalten – sehr zum Ärger des Architekten Max Dudler, der vor Wut schäumt. Außerdem verspricht das neue Lokal auch kein kulinarisch ansprechender oder gar anspruchsvoller Ort zu werden. Man sollte zwar mit Vorababschusskritiken ebenso zurückhaltend sein, wie mit Vorschusslorbeeren. Doch gibt es gute Gründe, die an der neuen Tapas-Bar namens La Trinca zweifeln lassen, obwohl sie auf den schönen Namen „Rausch“ hört.

Es existiert bereits von den gleichen Betreibern eine solche Bar mit diesem Namen in der Frankfurter Kleinmarkthalle. Gleich neben dem Gemüsestand der Familie Friese am Haupteingang ist ein unverhältnismäßig großer Stand aufgebaut worden, der schon eher einem Lokal gleicht. Mit Sitzplätzen und einem großen Thekenbereich. Die Auslage mit den verschiedenen Tapas erscheint, als wären diese für eine Prüfung im Dschungelcamp ausgedacht worden. Was denkt sich eigentlich jemand, wenn er solch appetitzügelnde, fahle, ältliche und teilweise eingetrocknete Happen anbietet? Glaubt er, in Frankfurt lebten nur bekiffte und selbst das noch ganz lustig findende Althippies, alles in sich hineinfressende Hartzler und Banker, denen Geld, aber nicht ordentliches Essen wichtig ist? Die Gerichte sehen nicht nur elend aus, sie schmecken auch so. Es gibt Öliges, Fettiges, Trocknes, Ungewürztes, Liebloses, Lebloses. Allein die Pampe aus Kartoffeln, Mais, Thunfisch, Eiern, Zwiebeln und weiß der Teufel noch was, ist ein Fall für die Genfer Menschenrechtskommission. Die Chorizo besteht aus viel Fett und wenig Aroma, bei den Albondigas-Hackfleischballen erinnert man sich wieder, wie schlecht selbst immer noch Convenience-Gerichte ausfallen können. Dass in der Kleinmarkthalle nicht richtig gekocht, sondern nur aufgewärmt werden kann, darf keine Entschuldigung für schlechte Leistungen sein. Wir bemängeln hier auch keine falschen Garzeiten, sondern die fehlende Produktqualität. Die Weine haben größtenteils Tankstellenniveau. Es ist ja bei uns fast schon zum Rechtfertigungsgrund geworden, bei angeblich kleinen Preisen nichts erwarten zu dürfen. Doch vier Euro für ein Tappa-Tellerchen sind keineswegs wenig, sondern genau genommen vier Euro zuviel. Vielleicht besinnen sich ja die Gastronomen und werden auf der Schweizer Straße besser sein wollen. Wer aber solche Angebote wie in der Kleinmarkthalle macht, der muss sich nicht wundern, wenn man ihm mit allergrößtem Misstrauen begegnet.  Warum zudem schon wieder Tapas, das war vor zehn Jahren schon nicht mehr originell? Die Tapas-Invasion brachte meist zweifelhafte Ergebnisse. Immerhin: Das Destinos in Bornheim hat sich passabel gehalten. Und die Casa Pintor im Nordend ist eine der ganz wenigen  authentischen Tapas-Lokale, in denen es inzwischen sogar gute Weine gibt.

Max Dudlers klassische Café-Bar

Die Schweizer Straße in Frankfurt Sachsenhausen steht für eine selten gewordene Lebensqualität. Lokale und Geschäfte reihen sich in einer kaum sonst zu erlebenden unterhaltsamen Mischung aneinander. Schicke Boutiquen, knackige Apfelweinwirtschaften, Meyers Feinkost, Dulces schöne Süßwerke, Lohningers allerbeste Österreichküche. Und selbst für einen Woolworth ist noch Platz. Es macht bislang noch nicht viel aus, dass sich in die Perlen auch Läden einreihen, die den Glanz etwas matt werden lassen. Noch stimmt das Verhältnis, doch es gibt immer mehr Vermieter, die den schnellen Profit vorziehen und durch hohe Mietpreise eine Fehlentwicklung einleiten, an deren Ende Kettenbetriebe und andere gesichtslose Geschäfte stehen könnten, die Geld aber keine Kultur besitzen. Solche Vermieter sind aber letztlich geschäftsdumm und kurzsichtig: Wenn die Qualität der Schweizer Straße Schaden nimmt, leben auch Mieter in einer weit weniger hochwertigen Umgebung und ziehen weg oder erst gar nicht hin, was sich ebenso für die Geschäfte negativ auswirkt und diese unbelebt lässt.




Was Boris Becker nicht über den Grill Royal weiß

Grill Royal in Berlin

Der Grill Royal in Berlin ist ein schickes Steakhouse mit Promi-Appeal. Boris Becker wurde hier von der Petz-Presse beim Flirten erwischt. Was waren das noch für Zeiten, als der junge Tennisspieler im Frankfurter Jardin oder in Jimmy´s Bar mit einem Eye-Break seine Bekanntschaften übers Netz ziehen konnte, ohne dabei gefilmt zu werden. Warum sucht sich Herr Becker aber auch immer die auffälligsten und bekanntesten Lokale aus. Uns ist der Grill Royal wegen seiner Sternchen schnuppe. Wir mögen ihn auch wegen seines sehr guten und professionellen Internetauftritts. Die Gastronomen vom Grill Royal sind so souverän, dort nicht nur positive Stimmen zu zitieren, sondern auch die Kritiker – beispielsweise den Gault Millau, der das Lokal „Grill banal“ nennt.

Daumen Hoch

Well Done

Pellegrino verwässert

Bald gibt es mehr Restaurantführer als Restaurants. Auch Auszeichnungen werden so inflationär vergeben, dass man sie kaum noch als etwas Besonderes wahrnimmt. Einer unter vielen Guides ist die „Kulinarische Auslese“ von S.Pellegrino, die nach eigenen Angaben die Ergebnisse der „bekanntesten Restaurantführer in einem eigenen Ranking“ zusammenfasst. Welche Restaurantführer dies sind und wie genau dieses Ranking entsteht wird nicht bekanntgegeben. Man kann sich aber auch ohne das ein Bild machen, etwa am Beispiel vom Rhein-Main-Gebiet. Das dort mit drei Sternen Juan Amador in Langen führend ist, lässt sich vielleicht noch nachvollziehen, dann aber wird die Rangordnung unrealistisch: Patrick Bittner, Francais, Frankfurt (Rang 34), Rainer Christoph, Villa Rothschild, Königstein, (Rang 54); Alfred Friedrich, Tigerpalast, Frankfurt (Rang 78), Mario Lohninger, Silk, Frankfurt (Rang 94).

Daumen Runter

Bloody Hell!




Neues Ziel für Gourmets

Harald Schmitt wechselt vom Nassauer Hof zum Hotel Hohe Düne

Harald Schmitt, 24 Jahre als Küchenchef und Food & Beverage Manager das kulinarische Gewissen des Nassauer Hofs in Wiesbaden, wurde Direktor des mondänen Ostsee-Hotels Hohe Düne in Rostock-Warnemünde. Das Yachting- und Spa-Resort hat ein gutes Profil als Wellness-Hotel, ist aber gleichzeitig zu einer herausragenden Genussadresse geworden.

Harald Schmitt freut sich auf ein „ungewöhnliches“ Hotel. Es war für ihn keine leichte Entscheidung mit dem Nassauer Hof fast schon eine Familie zu verlassen, doch mit 52 Jahren bleibt nicht mehr viel Zeit, das Schiff noch in eine andere Richtung zu lenken. Schmitt konnte unter zahlreichen Angeboten wählen, wobei es im Fall von Warnemünde für ihn nicht mehr viel zu überlegen galt. Ausschlag gaben für ihn die „erstklassige Location“ und der „kulinarisch hohe Anspruch“ des Hotels. Zudem sind Schmitt privat geführte Hotels lieber, hätte er sich eine Zukunft in einem Gruppenhotel nur schwer vorstellen können. Der gebürtige Badener und Liebhaber hessischen Apfelweins begann seine Laufbahn mit einer Lehre bei Hermann Bareiss im Kurhotel Mitteltal in Baiersbronn, es folgten Stationen bei Katzenbergers Adler in Raststatt, Eckart Witzigmanns Aubergine in München und Günter Scherrers Restaurant San Francisco im Hotel Hilton in Düsseldorf. Im Nassauer Hof begann Harald Schmitt als Küchenchef des Restaurants Orangerie, ab 1995 war er als Gastronomischer Direktor für die gesamten kulinarischen Leistungen des Grandhotels verantwortlich, wobei er in dieser Zeit vor allem das Gourmet-Restaurant „Ente“ modernisierte. In den letzten Jahren fungierte er zudem als Direktor, doch im Mittelpunkt seines Handelns stand stets die Gastronomie.

Das Hotel Hohe Düne liegt auf einer Landzunge unmittelbar am weißen Strand von Warnemünde. Die im September 2005 eröffnete Anlage besteht aus dem Luxushotel nebst Residenzen sowie einer Marina mit 750 Liegeplätzen und einem Kongresszentrum von 3200 Quadratmetern. Der riesige Komplex wurde mit einem Gesamtvolumen von 120 Millionen Euro errichtet. Eigentümer ist der Investor und Vorstand der Odin AG Per Harald Lökkevik aus Norwegen. Das Hotel gleicht einem Luxusliner, die 368 Zimmer und Marmorbäder mit Fußbodenheizung wurden stilvoll und dezent maritim gestaltet. Die Gäste erleben auf 4200 Quadratmetern eine Wellnesslandschaft, die sie in die verschiedenen Badekulturen der Welt entführt. Das große Schwimmbad (22 x 10 m) schmückt ein offener Kamin, die Dachterrasse hat Blick auf die Ostsee. Gleich elf Restaurants und Bars mit unterschiedlichen Themen und Konzepten bieten Abwechslung wie auf einem Kreuzfahrtschiff. Das Restaurant „Der Butt“ von Tillmann Hahn wird hoch bewertet – 1 Stern im Michelin, 17 Punkte im Gault Millau. Bevor der im hessischen Darmstadt geborene Küchenchef nach dem G8-Gipfel vom Grand Hotel Heiligendamm in das Hotel Hohe Düne wechselte, arbeitete er in den legendären Schweizer Stuben in Wertheim sowie bei Dieter Müller in Bergisch Gladbach und Heinz Wehmann im Landhaus Scherrer in Hamburg. Das Hotel Hohe Düne ist nicht klassifiziert, entspricht aber einem Haus der 5-Sterne-Luxusklasse.

Harald Schmitt, Nassauer Hof Anchorman Karl Nüser und der neue Food & Beverage Manager Alexander Dörr (v.l.n.r.)

Harald Schmitts Nachfolger als Wirtschaftsdirektor im Nassauer Hof ist der 36 Jahre alte Alexander Doerr. Der gebürtige Wiesbadener absolvierte eine Ausbildung zum Restaurantfachmann im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten und sammelte dort seine ersten beruflichen Erfahrungen als Commis de Rang im Doc Cheng’s und im Mandarin Oriental Hôtel du Rhône in Genf. Der Betriebswirt und Absolvent der renommierten amerikanischen Cornell University engagierte sich über viele Jahre im Bereich F&B bei Four Seasons und machte nach Berlin Station auf den Malediven, in Ägypten und Hawaii. 2007 übernahm er im Park Hyatt Zürich die Position des Assistant Director F&B und später die des Director F&B. Von dort aus ging es für Alexander Doerr als Wirtschaftdirektor und stellvertretender Direktor des Nassauer Hof zurück in die alte Heimat. Es wird nicht einfach für ihn in die Fußstapfen einer Branchengröße wie Harald Schmitt zu treten. Doch Alexander Doerr bringt nicht nur Elan und gutes Rüstzeug mit, er hat wie sein Vorgänger ebenfalls Schuhgröße 46.

Ludwig Fienhold




Dschungelcamp für Fernsehköche

Das RTL-Dschungelcamp erreicht nun auch die Gourmetwelt. Michael Käfer vom Münchner Feinkostunternehmen war gar nicht amüsiert, als dort ein Käfer-Zelt im Wiesn-Look nachgestellt wurde und klagte erfolgreich auf Unterlassung. Dabei war dies die einzig erhellende Idee der Show, denn Glibber und Glamour kleben auch im wirklichen Leben aneinander. Michael Käfers Humorhorizont scheint ebenso begrenzt, wie grundsätzlich der Horizont der Dschungelakteure. Die Zuschauer dürfen auch ohne Käferzelt weiter eine Horde von Nervensägen verfolgen, die Hirnschwurbel-Dialoge führen, als gelte es den Regenwald zu retten. Für die ständig servierten Ekel-Menüs sind aber im Grunde ganz andere Kaliber gefragt. Im nächsten Jahr kann es deshalb nur eine folgerichtige Fortsetzung der Staffel „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ geben – ein Dschungelcamp mit Fernsehköchen: Johann Lafer trinkt gequirlten Emu-Hoden, Horst Lichter teilt sich seinen Bart mit Kakerlaken und Mehlwürmern und Tim Mälzer muss essen, was er gekocht hat.

Lufie




Das ist ja die Höhe! Dinner in the Sky in Dubai

Dubai schwelgt wieder einmal in Superlativen und schickt Besucher seit Sonntag in das höchste Restaurant der Welt. Im At.mosphere speisen Gäste in 442 Metern Höhe und blicken auf eine sich fast schon während eines Essens verändernde Skyline. Der Lift beamt die Fahrgäste in 44,2 Sekunden in eine schicke Speisewelt mit Mahagoni-Wänden, Kalkstein-Böden und Designermöbeln des transylvanisch-amerikanischen Stardesigners Adam Tihany. Der schlaksige Tower schießt 828 Meter hoch in den dunstigen Himmel von Dubai und ist damit das höchste Gebäude der Welt. Weit mehr als tausend Wohnungen und Büros sind dort untergebracht, außerdem das erste Armani-Hotel mit 160 Zimmern. Neben acht verschiedenen Restaurants, darunter selbstredend ein italienisches, gibt es auch ein Spa mit Outdoor-Pool. Die Zimmerpreise beginnen in der Wintersaison bei 450 Euro, Suiten ab 800 Euro. Die Standard-Zimmer befinden sich in den ersten acht Etagen des Khalifa-Towers, die Suiten im 38. und 39. Stock.

Mehr Aussicht bietet die Aussichtsplattform auf der 124. und das Panorama-Lokal At.mosphere auf der 122. Etage. Sportliche dürfen 11.300 Stufen bewältigen. Küchenchef des höchsten Restaurants der Welt ist Dwayne Cheer aus Neuseeland. Vor seinem Aufstieg begann er im heimatlichen Waitarere in einem Fish & Chips-Laden am Strand. Nur einmal arbeitete Cheer in einem hoch bewerteten Restaurant – dem Greenhouse in London, wo der Michel Bras-Schüler Antonin Bonnet seit acht Jahren einen Michelin-Stern hält. Dwayne Cheer lebt seit über vier Jahren in Dubai und war dort als Chef de Cuisine und Executive Chef im One & Only Royal Mirage und den beiden Hotels The Address tätig, die wie der Burj Khalifa zur Emaar-Gruppe gehören. Für dieses Großunternehmen mit Sitz in Dubai arbeitet auch Viktor Stampfer als kulinarischer Direktor, der seine Hochzeit als Küchenchef im Frankfurter Restaurant Tigerpalast in den Jahren 2000 bis 2005 hatte und diesem hohe Bewertungen brachte (1 Michelin-Stern, 18 Punkte im Gault Millau).

Das At.mosphere im Burj Khalifa in Dubai bietet auf über 1000 Quadratmetern Platz für 210 Gäste. In dem verglasten Höhenrestaurant arbeiten 91 Mitarbeiter, 20 davon in der Küche. Neben dem eigentlichen Restaurant gibt es noch private Salons sowie eine Raucherlounge. Die Küche verwendet bevorzugt Luxusprodukte, Hummer und Kaviar sind Standard. Das Tatar besteht aus Angus und Wagyu Beef und wird mit einem Klecks Kaviar gekrönt (70 €). Eine kreative eigene Handschrift vermag man derzeit kaum zu erkennen, was wohl der eher konservativen Klientel des Emirats geschuldet ist. Die Preise bewegen sich in der gleichen luftigen Höhe wie der ganze Turm. Der Main Lobster vom Grill kostet 114 €, für den bretonischen Wolfsbarsch aus Wildfang werden 54 € verlangt. Ein Cappuccino schlägt mit 7 € zu Buche. Die Preise wirken sich momentan keineswegs bremsend aus, das Restaurant ist gleich in den ersten drei Tagen ausgebucht.

Küchenchef Dwayne Cheer




Der bösartigste
Cocktail der Welt

Moloko

Unter den bösartigen Charakteren der Filmwelt ist Alex De Large in A Clockwork Orange der vielleicht maliziöseste. Der zynische Menschenverachter zieht den Zuschauer in eine bizarre Welt der Gewalt. Stanley Kubrick inszenierte das düstere Treiben mit viel milchigem Weiß. Die weiß gekleidete Gang von Alex trifft sich stets in der Kolova-Bar (russisch Kuh) und trinkt Moloko (russisch Milch). Kein harmloser Drink, sondern ein Drogencocktail – Milch mit Amphetaminen. Weder im Buch von Anthony Burgess noch im Film von Kubrick werden zwar Rezepte zu diesem todbringenden und fiktiven Cocktail genannt, doch die Barwelt nahm „das Glas des Bösen“ auf und ließ der Phantasie freien Lauf. Meist bestehen die daraus entstandenen Drinks aus Milch und Wodka und einem Schuss Geheimnis. Einige Barkeeper mixen sie mit Absinth, Anisette, Irish Cream und Milch, manche versprechen nur die volle Dröhnung.

In Frankfurt gibt es sogar ein Lokal, das den bösen Geist im Namen führt – die Moloko-Bar. Eigentlich Moloko +, wie der diabolische Filmdrink. Der Szenestützpunkt, eine Kombination aus Café, Bar und Lounge (je nach Uhrzeit), ist der einzige Lichtblick in der öden Kurt-Schumacher-Straße. Weil man aber von hier aus auf die Alte Brücke blickt und den Main erahnen kann, nennt sich das Lokal selbstberauschend „Moloko am Meer“. Der monströse Film-Alex hatte zwar außer Gewalt und Beethoven keine weiteren Interessen, doch im Moloko geht es friedlich zu, purzelt eher Loungemusik aus dem Lautsprecher oder perlen südamerikanische Rhythmen (die aber nicht selten in gewaltiger Lautstärke). Das Lokal wird vom Retro-Design der sechziger und siebziger Jahre bestimmt, Kubricks Kultfilm kam 1971 in die Kinos. Selbstredend gibt es auch einen Moloko Plus, der hier aus Wodka, Milch und Guaranápulver besteht. Die kleinen roten koffeinhaltigen Früchte der Guaraná-Liane wurden schon von den Amazonas-Indianern zur Leistungssteigerung genutzt.

Im Moloko gibt es ausgesprochen viele Cocktails, beim Rum- und Whiskysortiment ist man auch passabel aufgestellt. Mit Saquella aus der Abruzzenstadt Pescara hat man sich keine gängige, aber eine gute Kaffeemarke ausgesucht. Vor allem samstags und sonntags quirlt das Leben im Moloko, scheint der Übergang vom ersten Frühstück bis zum letzten Absacker ohne Gästeschwund einherzugehen. Das Moloko ist vielleicht nicht der richtige Ort für anspruchsvolle Genießer, dennoch wird hier kein leichtfertiger Umgang mit Lebensmitteln betrieben, man gibt sich im bescheidenen Rahmen Mühe. Unter den oft sehr schlurfigen und unprofessionellen Szenelokalen ist das flott geführte und gut laufende Moloko jedenfalls eine der sympathischsten Adressen. Dies mag auch der Hauptgrund gewesen sein, warum die Betreiber jetzt den Zuschlag für die Gastronomie im Kunstverein im Steinernen Haus in prominenter Lage zwischen Römer und Dom bekommen haben (siehe Artikel „Des Kaisers neues Lokal“).

Peter Lunas
Moloko, Frankfurt, Kurt-Schumacher-Str. 1, Ecke Schöne Aussicht, Tel. 069 13 88 69 32. www.moloko-am-meer.de Täglich geöffnet von 10 – 1 Uhr, Freitag und Samstag 10 – 2 Uhr.



Des Kaisers neues Lokal

Moloko im Kunstverein

 
Von Ludwig Fienhold

Zum Römerberg ging auch der Kaiser zu Fuß hin. Der Krönungsweg vom Dom zum Rathaus war indes keine Prachtstraße, sondern ein Schmuddelweg, der zu den Feierlichkeiten mit stoffbedeckten Holzplanken ausgelegt wurde, um die majestätischen Schuhe zu schützen. Dieser historische Krönungsweg wird nun im Zuge des Wiederaufbaus der Frankfurter Altstadt zu neuem Leben erweckt und soll den Einheimischen und den Touristen gleichermaßen die Bedeutung dieser mit Geschichte gepflasterten Gasse bewusst machen. Genau an diesem Krönungsweg liegt das Steinerne Haus mit dem Kunstverein, dessen Gastronomie bislang ohne Fortune war.  Jetzt sollen die Betreiber des nahen Szenelokals Moloko das schlichte Lokal aufmöbeln.
 
 

Gastronomie im Steinernen Haus

Der Standort ist erstklassig und wird nach der Errichtung der neuen Altstadthäuser in drei Jahren zur 1 A-Lage. Dies haben allerdings viele Frankfurter und vor allem die bislang dort arbeitenden Gastronomen noch nicht erkannt. Der gastronomisch unerfahrene Leiter des Kunstvereins Holger Kube Ventura wählte in den letzten Jahren nicht gerade mit Geschick die Kandidaten für sein Haus aus. Das Lokal wurde ohne Unterbrechung ideenarm und vor allem unprofessionell geführt. Dass konzessionell keine eigene Küche existiert und Speisen nur aufgewärmt oder an anderer Stelle gekocht und vorbereitet werden müssen, ist zwar eine Limitierung, aber kein hinreichender Grund für schlappe Leistungen. Die Adresse wurde jedenfalls weit unter Wert verkauft und nie zu dem gemacht, was sie eigentlich sein könnte: Ein Aushängeschild für Frankfurt und die Region.

 
 
 
 
Das Café im Kunstverein hat heute den letzten Tag geöffnet und wird dann bis zum April wegen Renovierungsarbeiten geschlossen sein. Die Umbauarbeiten betreffen vor allem den Eingang, der nun endlich an der richtigen Stelle installiert werden soll. Bislang liefen viele an dem Lokal vorbei, weil sie die schmale Eingangstür nicht entdeckten oder dem Lokal nicht zuordnen konnten, weil diese im Grunde zunächst Zutritt zum Kunstverein verschafft. Außerdem war das Lokal auch nicht unbedingt als ein öffentliches zu erkennen und wirkte eher wie die Kantine des Kunstvereins. Das arg handgestrickte Innenleben erschien als Mischung aus Mensa, Krabbelstube und Hörsaal. Ein zumeist pflegeleichtes Publikum wurde von einem entschleunigten Service betreut, das klägliche Angebot an Essen und Trinken ließen kaum anspruchsvolle Gäste zu. Das ist – vielleicht – Schnee von gestern. Niemand glaubt, dass aus der Gastronomie im Kunstverein ein Gourmettempel werden kann.  Aber Engagement und Professionalität darf man als zahlender Gast schon erwarten. Auch das lieblos gestückelte Inventar wird hoffentlich nicht weiter das Auge beleidigen.
 
 
 
 
 
 
 
Steinernes Haus historisch
Das Moloko, das vor zehn Jahren von den Designern Eve Merceron und Niels Lehne sowie dem Musiker Thomas Carstanjen gegründet wurde und weiter bestehen bleiben wird, ist zumindest überlegt und individuell gestaltet. Zudem besitzt es mit seinem Retro-Design ein durchgängiges stilprägendes Thema. Man kann also bei der neuen Gastronomie im Kunstverein auf ein originelleres Dekor hoffen. Ein vor allem qualitätsorientertes Angebot an Speisen und Getränken ist ebenfalls vonnöten und steht ganz oben bei den Anforderungen. Die überfälligen längeren Öffnungszeiten werden künftig auch abends mehr Gäste in den Kunstverein bringen, denn bei vielen fängt das Leben ja erst ab 19 Uhr an. Entscheidend zur Belebung wird außerdem die neue große Eingangstür an der Frontseite beitragen, an der man nicht mehr so achtlos vorbeigehen dürfte. Die Voraussetzungen für einen Neustart im Mai sind also denkbar günstig. Jetzt muss das Moloko-Team zeigen, dass es die künftige 1 A-Lage auch mit entsprechenden Leistungen bedienen kann.
 
 
Steinernes Haus am Römerberg
Markt 44

Photocredit: Stadtarchiv