Der Rapper-Champagner

Glamourperle von Cattier auf Deutschlandtournee

 

Von Ludwig Fienhold

Vermarktung ist nicht alles, hilft aber enorm. Einen ungewöhnlichen Weg ist die Kellerei Cattier in Chigny les Roses gegangen. Das im Grunde im guten Sinne konservative Familienunternehmen hat mit dem Armand de Brignac einen Glamourstar in die Welt gesetzt, der wegen seiner extravaganten Aufmachung in Gold, Silber und Pink ins Auge springt. Vor allem in den USA und in Russland ist es einfach hip und schick, eine solche Kitsch-as-Kitsch-can-Flasche am Tisch stehen zu haben. Rapper Jay-Z, Goldkehlchen Beyoncé und Espresso-Trinker George Clooney haben das so oft getan, dass sie schon zu so etwas wie Botschaftern der hochpreisigen Nobelmarke wurden. Talkerin Oprah Winfrey verschenkt den güldenen Armand de Brignac mit dem Pik-Ass-Emblem kistenweise, der singende Schauspieler Kevin Coster begießt damit das Ende seines Konzerts auf der Bühne.

Dieser Tage sind Champagnerwinzer Jean-Jacques Cattier und sein Marketingmanager Philippe Bienvenu auf Deutschlandtournee, in Frankfurt präsentierten sie ihre Erzeugnisse im Roomers und in der Villa Kennedy. Mag der Armand de Brignac auch nouveau und rich sein, die beiden sind sehr bodenständig und natürlich. Ein Produkt wie Armand de Brignac ist so etwas wie flüssiges Swarovski und passt viel eher in die Glitzerpaläste von Dubai und die Nachtclubs von Moskau. Der verhaltensauffällige Champagner war auch der Auschankstoff beim deutschen Filmpreis in Berlin und ist jetzt der offizielle Haustropfen bei der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine und in Polen. Der deutsche Markt könnte stärker sein, doch immerhin sind die sündhaft teuren Champagner in vielen Clubs (Gekkos Frankfurt, P1 München, Pony Kampen etc.), Hotels (Brenner´s Park-Hotel Baden-Baden, Bayerischer Hof, Mandarin Oriental, Vier Jahreszeiten München) und Restaurants (Sansibar Sylt, Medici Baden-Baden) vertreten.

Champagner & Fußball in der Villa Kennedy

Die Villa Kennedy ist einer der schönsten und stilvollsten Plätze während der EM für Public Viewing. Wenn aber Champagner mit im Spiel ist, gewinnt die gute Laune. Da zum Champagner besonders Deftigkeiten wie Rippchen mit Kraut passen, wurde das Buffet entsprechend bestückt. Die Champagner aus der Kellerei Cattier moussieren sehr fein und doch druckvoll, keine schlechte Ware, aber bei Preisen zwischen 300 und 400 Euro ziemlich übermütig kalkuliert. Diese basieren letztlich auf einer Art Prestigegewinn, denn der Armand de Brignac Brut Gold wurde 2010 in einer Blindverkostung vom eher weniger als mehr bekannten finnischen Fine Champagne Magazine in New York tatsächlich als „bester Champagner der Welt“ ausgezeichnet. Er ist leicht an der goldenen Flasche mit dem handpolierten Zinnetikett zu erkennen. Exklusiv vertrieben wird der Armand de Brignac in Deutschland von den vorher in der Musikszene beheimateten Berlinern Stefan Fabinger und Benjamin Biermann, dem Sohn des Liedermachers Wolf Biermann.

Im Roomers und der Villa Kennedy gab es die prämierte Gold-Cuvée, den Rosé, und Blanc de Blancs sowie den normalen Cattier Brut zu verkosten. Die bunten Flaschen sind sehr einfach zu trinkende, unkomplizierte Champagner ohne Ecken und Kanten oder gar Tiefe. Spitzenchampagner wie Krug oder individuelle, wie der fabelhafte La Closerie von Jérôme Prevost, sind Lichtjahre von einem Armand de Brignac entfernt. Dass die Familie Cattier aber keinesfalls für Blendwerk steht, zeigt ihr schlicht etikettierter Cattier Brut. Er kostet nette 25 Euro und ist viel knackiger und individueller als seine teuren Brüder. Diesen sehr natürlichen, frischen, seidig strukturierten und cremigen Champagner trinkt man gerne.

Jean-Jacques Cattier

Das Label Armand de Brignac existiert erst seit 2006, doch die Winzerfamilie Cattier betreibt schon seit 1918 Weinbau. Jean-Jacques Cattier und sein Sohn Alexandre stehen mit ihrer schlichten Art im krassen Gegensatz zur lauten Glitzerwelt der Armand de Brignac-Show. Bis dorthin erzeugten sie aus den eigenen 30 Hektar umfassenden Weinbergen vor allem gute Champagner der bezahlbaren Mittelklasse. Ihre Lagen gehören zur Kategorie Grand Cru (wie Avize und Oger) oder Premier Cru. Die Cuvées sind eine Mischung aus drei unterschiedlichen Jahrgängen, die aktuelle ist eine Kombination der Jahre 2002, 2003 und 2005. Die Flaschen altern bei niedriger und konstanter Temperatur 30 Meter unter der Erde in Kellern, die zu den tiefsten in der Champagne gehören und ein langsames Altern fördern. Insgesamt sind am Entstehungsprozess von Hand acht Kräfte beteiligt. Es geht hier bei Reims trotz allen Medienrummels wie immer zu, selbst als der millionenschwere Rapper Jay-Z mit seinem Rolls-Royce vorbeikam, ließen sich die Cattiers nicht aus der Ruhe bringen.

Sélection Prestige, Berlin. www.armanddebrignac.de

Champagnerkellerei Cattier, Chigny les Roses. www.cattier.com

Siehe auch Biss-Bericht Der Popstar unter den Champagner

Photo Credit: Barbara Fienhold

 




Restaurant in den Opelvillen muss schließen

Sterne-Koch Christian Buer

in Rüsselsheim gescheitert

 

Schnelles Ende: Christian Buer, der gerade vor knapp einem Jahr das Restaurant in den Opelvillen in Rüsselsheim übernommen hatte, muss schließen und ist bereits in die Insolvenz gegangen. Der Vermieter, die Stiftung der Opelvillen, kann sich erneut nach einem Pächter umsehen. Der Vertrag lief eigentlich auf fünf Jahre und wurde nun gekündigt. Aus und vorbei: Goodbye Rüsselsheim, das wieder einen guten Koch verloren hat.

Christian Buer

Christian Buer hatte mit Andreas Busse und Sebastian Straub zwei junge Talente an seiner Seite, an mangelnder Küchenqualität kann es nicht gelegen haben. Ziel waren ein Stern im Michelin und andere Auszeichnungen in den Restaurantführern. Ein feines (Sterne)-Restaurant im eher proletarischen Rüsselsheim ist ein weißer Elefant und darf gewaltig mit dem Rüssel tröten, damit er als nicht zu exotisch und andersartig wahrgenommen wird. Wenn der Service dann noch zu sehr nach Steigenberger aussieht und formell wirkt, kommt man schnell in den Ruf von luxuriös und teuer. Es gab wohl auch nicht genügend Gäste aus Frankfurt und anderen Städten im Umfeld, die kaum Gründe sahen, um in die Opelvillen nach Rüsselsheim zu fahren, zumal sie in der unmittelbaren Nähe ausreichend gute Restaurants finden. Es kommen immer mehrere Gründe für ein solches Aus zusammen. Christian Buer hatte mit eigenem Geld investiert und zuletzt auch noch die Terrasse neu gestaltet. Wie lange er noch in Rüsselsheim am Herd stehen wird, ist offen.  Am Resultat ist jedoch nichts mehr zu ändern.

Christian Buer, 2010 im Restaurant Schellers in Bad Homburg mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, übernahm das Restaurant La Villa in Rüsselsheim am 1. August im letzten Jahr und löste den Italiener Paride „Mimmo“ Nicoli ab, der nach acht Jahren den Wechsel suchte und als letzten prominenten Gast Michelle Hunziker begrüßte. Der 34 Jahre alte Buer ist gelernter Metzger und Koch und kann als wichtigste Station auf den Tigerpalast in Frankfurt verweisen, wo er zuletzt als Souschef arbeitete.

Christian Buer steht für eine dezent modernisierte klassische französische Küche. Zu seinen Signature-Gerichten zählen Rücken und geschmorte Schulter vom Limousin-Lamm in orientalischer Raz el Hanout Jus sowie gebratene Scheibe von der Entenstopfleber mit Kartoffelschnee und gebratener Blutwurst. Buer kommt aus Münster in Westfalen und ließ sich im hessischen Waldsolms im Hintertaunus zunächst zum Fleischer ausbilden, im Steigenberger Hotel Frankfurter Hof lernte er dann Koch. Er arbeitete auch noch in Käfer´s Restaurant in Wiesbaden, doch mit sechs Jahren die meiste Zeit im Frankfurter Tigerpalast.

Die Opel-Villen sind optisch im Grunde das einzig bemerkenswerte im sonst tristen Rüsselsheim. Das Ensemble besteht aus einer Kunsthalle mit international bekannten Ausstellungen und dem Restaurant. Das Haus aus dem Jahre 1915, in der klarlinigen Form von Historismus und Jugendstil entworfen, birgt trotz altem Parkett und Deckenstuck keinen Prunk. Aura und Design sind von erhabener Gelassenheit, auf der Terrasse sitzt man am Rande der grünen Main-Auen. Das Restaurant bietet über 60 Plätze, auf der Terrasse zusätzlich 80 Plätze.

So attraktiv die Gastronomie in den Opelvillen erscheint, so problematisch ist doch der Standort Rüsselsheim – insbesondere für einen anspruchsvollen Restaurantbetrieb. Vom lokalen Publikum ist nicht zu leben, auch das italienische Restaurant La Villa bezog seine Gäste mehr aus Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und anderen Städten in der Rhein-Main-Region. Der ehemalige Opelvillen-Pächter Mimmo Nicoli hat den Wechsel von Rüsselsheim nach Mainz nicht bereut. In seinem Restaurant La Gallerie unterhalb der Stephanskirche hat er mit seinem bewährten Konzept aus schlotziger Pasta-Küche und traditionellen Gerichten aus dem Friaul Erfolg, die Terrasse wurde gerade eröffnet.

Ludwig Fienhold

 

 

 




Gastro News

Mohr zieht nach Wiesbaden

 

Andreas Mohr, der seit acht Jahren mit seinem Restaurant Mohrs Bad Homburgs beste Adresse betreibt, zieht nach Wiesbaden in das Lokal M. In der Taunusstraße 49 residierten bislang Markus Seegert und Bernhard Weber, die inzwischen die Villa im Tal führen. Seegert fungiert zudem auch weiter als Geschäftsführer vom  Hotel de France, wo das M beheimatet ist. Andreas Mohr (14 Punkte im Gault Millau) ist bekannt für eine die Welt verbindende Fusionsküche, wobei er gerne Aromasalze verwendet. Der Wildfang-Steinbutt wird mit Rosenblütensalz bearbeitet, das US-Beef durch Malvenblütensalz ergänzt. Oft ist seine Küche aber auch auf feine Weise handfest, etwa beim mit Niedrigtemperatur gegarten Rücken vom Iberico-Schwarzschwein mit sautiertem Serviettenknödel und weißem Pfeffer-Schaum. Die ambitionierte Weinkarte wird mindestens wie gewohnt ausfallen, die eigene Wasserkarte beibehalten. Überraschung:  Marco Zanetti, aka Winepunk, und zuvor im Restaurant Parkstraße Neun in Bad Nauheim, wird als neuer Sommelier bei Mohr arbeiten – was für Eigenwilligkeit, Überraschungen und noch mehr spannende Weine sorgen wird. Andreas Mohr will in Wiesbaden am Herd stehen und sein Lokal Mohrs in Bad Homburg weiter als Event-Location betreiben. Das neue Mohrs in Wiesbaden soll in einigen Wochen eröffnen.

 

Paul Stradner jetzt im Brenners Park-Restaurant

Paul Stradner ist in Baden-Baden im Brenners Parkhotel angekommen und wird dort am 1. August als Küchenchef aktiv (siehe Biss-Ausgabe vom April, hier klicken). Der gebürtige Österreicher, der auf einem Bauernhof bei Graz aufwuchs und schon als Junge im Kräutergarten der Mutter arbeiten durfte, entwickelte eine hohe Wertschätzung für den Umgang mit Produkten aus der Natur. Stradner arbeitete unter anderem vier Jahre bei Harald Wohlfahrt in der Traube Tonbach als Chef Tournant, -Poissonier, -Entremetier und –Saucier. 2009 ging er als Sous Chef in das Chateaux de Nantilly und danach ins Restaurant L’Arnsbourg von Jean Georges Klein nach Baerenthal, 2011 hielt er dort die Position des Sous Chef inne. Stradner: „Von Harald Wohlfahrt habe ich neben Disziplin und kontinuierlicher Qualität, die Wertschätzung des Produktes erfahren. Von Jean-Georges Klein seine Experimentierfreude und den Mut, Produkte innovativ zu kombinieren.“ Stradner sieht sich in der französischen Küche verankert und geht experimentierfreudig mit Saucen um. Besonders werden dies die Gäste beim Degustationsmenu merken, wo selbst der Klassiker „Rehrücken Baden-Baden“ eine neue Handschrift erhalten soll. Das Brenners Park-Restaurant wird vom Michelin mit zwei Sternen und vom Gault Millau mit 17 Punkten bislang hoch bewertet.

 

 

 




Kochen ist Chefsache

Film für Feinschmecker

 

Kultkomiker Michael Youn und Filmschurke Jean Reno haben sich für eine Komödie als seltsames Paar am Herd zusammengetan. In Frankreich war der Film erfolgreich und bekam gute Kritiken, inzwischen läuft er auch in deutschen Kinos. Unser Pariser Korrespondent Jörg Zipprick sieht ihn mit eigenen Augen und entdeckt Parallelen zur realen Küchenwelt.

Er hat das Bild der Köche der letzten beiden Generationen von französischen Feinschmeckern geprägt. Die Pose des „Grand Chef“ mit den verschränkten Armen und der hohen Kochmütze. Das ist er. Jahrzehntelang hat  Alexandre Lagarde die Titelseiten der Welt geschmückt, Kein Zweifel, Lagarde ist ein Phänomen, nein, eine Ikone, die Inkarnation der „Cuisine Française“. Jetzt aber sieht es düster für den Küchenchef aus: Seit der Trennung von seiner Frau ist der Strom neuer Ideen ins Stocken geraten. Schlimmer noch, sein Luxusrestaurant gehört einer Finanzgruppe. Und deren Boss Stanislas Matter ist eher an Bilanzen als am Kochen interessiert. Kein Wunder, dass er auf die Molekularküche setzen will, die mit dem Einsatz von Lebensmittelzusatzstoffen satte Renditen generiert.

Jean Reno schmeckt ab

Und dann gibt es auch noch Jacky. Der ist jung, hoch motiviert, kann kochen, darf seine Ideen aber selten umsetzen. Nicht jeder Schnellesser will halt zum Gourmet erzogen werden. Klar, dass die Wege der beiden sich kreuzen.  „Kochen ist Chefsache“ ist  über weite Strecken ein cineastisches Äquivalent zum Tomate-Mozzarella-Teller aus: Leichte Kost für die Sommertage. Doch es gibt Momente, da mag man Tomate Mozza, wenn die Tomaten gut gereift sind, der Mozzarella wie ein solcher schmeckt und ein Hauch feines Olivenöl zum Einsatz kommt. Deutsche Zuschauer werden im Film zuerst die Klamotte sehen. Und sicher, es gibt jede Menge Cartoon-artige Szenen, z.B. wenn sich Jean Reno (Lagarde) und Michael Youn (Bonnot) zwecks Spionage als japanisches Paar zum Meister der Molekularküche schleichen. Das ist höchst albern, geht aber schon in Ordnung, denn wir sind hier nicht bei  Ingmar Bergman und Rainer Werner Fassbinder.

Michael Youn lässt nichts anbrennen

Auf solche Gags sollte man „Kochen ist Chefsache“ nicht reduzieren, denn in der Französischen Sprache gibt es, genau wie im französischen Film meist einen „deuxième et troisième dégré“, einen zweiten und dritten „Grad“, der eine eigene Bedeutung hat. Spätestens mit der Synchronisation wird der leider sozusagen mit dem Holzhammer entfernt.

Wer Frankreich kennt, sieht in  „Kochen ist Chefsache“ trotz allen Klamauks Parabeln zu Themen wie „Älter werden“, „Profitmaximierung“ und „Moden“, die uns heute fest im Griff halten. Noch dazu wirkt der Film teilweise realistisch: So gehört das Drei-Sterne-Lokal „Pré Catalan“ in letzter Instanz der Sodexo, die Kantinen, Kasernen und Altersheime bekocht. Wer denkt da nicht an Lagarde? Spritzen, Pipetten und Labor-Zubehör gibt es bei Molekularköchen tatsächlich in Mengen, auch Geleewürfel mit Entengeschmack wurden in Spanien schon verkostet und von geneigten Kritikern in Wonneworte gepackt.

Sowohl Jean Reno, als auch der in Frankreich extrem populäre Michael Youn sind zudem gestandene Leckermäuler. Auch wenn in Deutschland nur Reno als solcher vermarktet werden darf: Youn kennt die Szene, einer seiner Freunde und Produzenten kommt aus einer Familie von Restaurantbesitzern, schon vor zehn Jahren machte er sich in seinem Lied „Le Frunkp“ (für „Funk plus Rap“) über den Michelin lustig: “Der Guide für Flaschen (ce guide de tocard).“ Beide haben Spaß am Thema, das sieht man ihnen an. Auch wenn „Kochen ist Chefsache“ nicht den Biss von „Brust oder Keule“ mit Louis de Funès erreicht.

JZ




Mario Lohninger & Gregor Meyer betreiben gemeinsam das Holbein´s im Städel Museum

Ein neues gastronomisches Dream Team?

 

Von Ludwig Fienhold

 

Die Sensation ist perfekt:  Der Frankfurter Spitzenkoch Mario Lohninger, der wie berichtet seine Restaurants Silk und Micro nicht mehr weiter betreibt, wird mit dem Gastronomen und Feinkostunternehmer Gregor Meyer eine Partnerschaft eingehen und gemeinsam mit ihm das Lokal Holbein´s im berühmten Städel Museum führen.  Das neue Konzept, das aus der Aufsehen erregende Konstellation entsteht, wird ab Mitte August für die Gäste zu erleben sein. Der bisherige Küchenchef im Holbein´s, Joe Ballmann, wechselt am 1. Juli nach neun Jahren in den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Frankfurter Airportclub, wo er Götz Rothacker ablöst, der dort seit 2009 am Herd stand.

Gregor Meyer (l.) und Mario Lohninger im Holbein´s

Das Holbeins am Frankfurter Museumsufer gehört zu den attraktiven und besonders gut laufenden Restaurants der Stadt. Nach 13 Jahren wird es nun aber doch zu deutlichen Veränderungen kommen. Allein durch ein Facelift soll dies erkennbar sein, aber auch mit einer Positionierung im höheren Segment. Eine neue Tischkultur (Service, Besteck, Gläser) wird ebenso dazugehören, wie eine andere Strukturierung der Gastronomie. Frische hausgemachte Gerichte bilden dabei die Basis. Mittags soll es ein Bar Room Menu geben, mit preiswerten, einfacheren und bürgerlich gedachten Angeboten (auch Burger, Pastrami Sandwich, eigene Wurstkreationen), abends ein Dining Room Menu mit anspruchsvolleren Speisen. Viele erstklassige Gerichte, wie man sie aus Lohningers Micro kennt, wird man vor allem abends im neuen Holbein´s finden. Wie Mario Lohninger in einem Interview mit dieser Zeitung erklärte, soll es im neuen Holbein´s kosmopolitisch zugehen. Motto: Das Beste aus aller Welt. Aber nach Art von Mario Lohninger. „Mittags darf es salopp sein, abends möchten wir mehr Sexy Food und Glamour.“ Im Holbein´s ist durchaus Platz für zwei gastronomische Welten mit partiell unterschiedlicher Ausrichtung.

Den Wechsel vom schnellen unkomplizierten und auch preiswerten Lunch zum hochwertigen Dinner sehen Lohninger und Meyer nicht als Widerspruch, sondern als Ergänzung und eine Reaktion auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mittags- und Abendgäste. Außerdem wird es eine Sushi Lounge geben. Der bereits im Silk & Micro für feinste japanische Delikatessen sorgende Kawano Hirofumi ist dafür verantwortlich. Überhaupt werden die Küche von Mario Lohningers Silk und Micro mit der vom Holbein´s fusionieren, der Service bleibt weitgehend wie man ihn dort kennt.

Mario Lohningers gleichnamiges Lokal auf der Schweizer Straße in Sachsenhausen wird weiter so bleiben, wie man es kennt, „nur noch besser“, wie Mario Lohninger meint. Während sich Mario vor allem das erste Jahr mehr um das Holbein´s kümmern möchte, wird im Lohninger genannten Lokal Vater Paul am Herd stehen und Mutter Erika den Service führen. Letztlich aber bleibt das Lohninger ein Familienbetrieb mit Trio-Spitze. Schwerpunkt wird dabei Österreich klassisch und modern interpretiert sein.

Joe Ballmann

Das Restaurant Holbein´s ist das Premium-Produkt von Gregor Meyer und seinem Unternehmen, zu dem zwei bemerkenswerte Feinkostläden, ein Bistro sowie zwei Betriebe am Frankfurter Flughafen gehören. Außerdem ist Meyer seit Jahrzehnten als Caterer gut im Geschäft. Ähnlich wie die Nobel-Caterer Käfer in München und Kofler in Frankfurt, steuert nun auch Meyer verstärkt ein Restaurant als hochwertigen Blickfang an, das für eine Aufwertung des ganzen Unternehmens und als zusätzliches Marketinginstrument dienen dürfte. Das Holbein´s war bislang zwar auch ohne diese Verstärkung sehr erfolgreich, doch durch die Partnerschaft mit Mario Lohninger wird es an Reputation gewinnen. Wenngleich ein Michelin-Stern, mehr Punkte im Gault Millau und andere Auszeichnungen in den Restaurantführern nicht zwanghaft angestrebt werden, so wächst mit der Fusion doch deutlich das Potential zu einer Steigerung nach oben. Es gilt dabei einige Hürden zu meistern: Das Lokal Holbein´s wird stark von Museumsbesuchern aufgesucht, die sich an der Kunst satt gesehen haben und nur noch Lust auf ein Häppchen haben. Und besonders von Messegästen, die in erster Linie Spaß haben wollen, aber nur zu moderaten Preisen. Der ebenfalls angepeilte anspruchsvolle Genießer ist ein Gast, der auch im Hinblick auf die Bewertungen in den Gourmet Guides eine noch deutlichere Rolle spielen wird. Dieser Spagat wird zu sehr elastischen Darbietungen Anlass geben.

 

Holbein´s

 

Das Restaurant Holbein´s ist ein anspruchsvoller Amüsierbetrieb. Die Küche wird das weniger lustig empfinden, denn oft müssen über 100 Couverts rausgehen. Bei unserem letzten Besuch Ende Mai war das Lokal inklusive der Terrasse bis auf den letzten Platz besetzt. Doch Küche und Service meisterten den Ansturm mit Bravour. Joe Ballmann verabschiedet sich jedenfalls als jemand, der mit Volldampf dabei war und trotzdem noch Sinn fürs Detail hatte und stimmige Kombinationen auf die Teller brachte.

Mario Lohninger

So heiter und lebhaft wie im Holbein´s geht es in nur wenigen Lokalen der Stadt zu. Man kommt indes leicht in Tuchfühlung, die Tische stehen recht eng. Bei netten Nachbarn muss dies kein Nachteil sein, doch eine Verabredung mit dem Steuerberater oder der neuen Freundin sollte eher woanders stattfinden. Im Sommer gehört die Terrasse zu den besonders begehrten Plätzen in Frankfurt. Die Verbindung zwischen dem altehrwürdigen Städel Museum und dem flotten Glashausrestaurant ist insgesamt sehr anschaulich gelungen und beinahe schon selbst zu einem Kunststück geworden.

Oft vom leichthändigen Spiel eines Pianisten begleitet, bietet das Lokal seit nunmehr 13 Jahren unkomplizierten Genuss auf gutem Niveau. Vor allem abends, wenn sich das Holbein´s mit einer größeren Speisekarte vom Café-Bistro in ein Restaurant verwandelt. Es herrscht lässiger Schick, wie er stilistisch bislang auch zu der Küche von Jo Ballmann passte. Wir erinnern uns noch gut an das perfekt gegarte Filet vom weißen Heilbutt mit aromatischen Pfifferlingen, den saftigen Kabeljau unter der leichten Meerrettichkruste oder die Kombinationen vom Linumer Wiesenkalb – kleines Medaillon, geschmorte Bäckchen und ein delikates Fleischpflanzerl. Ab Mitte August wird sich das Holbein´s in einem neuen Format präsentieren.

 

Holbein´s, Frankfurt, Holbeinstraße 1, Tel. 069 660 566 66. Täglich 10-24 Uhr, Montag 18-24 Uhr.

www.meyer-frankfurt.de

Photo Credit: Martin Joppen

 

 


 

 




Mario Lohninger schließt Silk und Micro

Und steigt gleich

ins Holbeins ein

 

Von Ludwig Fienhold

 

Gastronomischer Paukenschlag: Mario Lohninger, Frankfurts bester Koch, schließt seine beiden Restaurants Silk und Micro im Cocoon Club. Nach acht Jahren will sich der Österreicher auf sein Restaurant Lohninger in der Schweizer Straße konzentrieren und außerdem als Co-Partner von Gregor Meyer das Holbeins führen. Während das Micro bereits zu ist, wird im Silk das letzte Menü am 28. Juli serviert. Der Cocoon Club soll von Sven Väth und Matthias Martinsohn weiter als Partylocation betrieben werden. Ob der Club in Zukunft überhaupt noch eine Chance hat, darf bezweifelt werden, zumal der kürzlich eröffnete Musikclub Gibson weit günstiger im Stadtzentrum liegt und einiges zu bieten hat. Über das neue Lokal von Mario Lohninger werden wir hier noch ausführlich berichten. Wie Mario Lohninger in einem Gespräch mit dieser Zeitung sagte, wird nahezu die komplette Mannschaft aus den Lokalen Silk und Micro weiter an Bord bleiben. Die hochwertige Küche bleibt in seinem Besitz und wird ausgebaut, die ganze Abwicklung ging ohne Blessuren oder gar Schulden vonstatten.

Paul Lohninger im Silk

Trotz hervorragender Küche hatten die Restaurants Silk und Micro mit einigen Handicaps zu kämpfen. Die abseitige Lage im faden Gewerbegebiet von Fechenheim war ebenso wenig förderlich, wie das klotzige Gebäude selbst, dem es außerdem noch an einer Terrasse mangelt. In den Sommermonaten kann man in der Gastronomie ohne Freiluftplätze kaum überleben. Es ist kein Geheimnis, dass Mario Lohninger sein Geld in erster Linie mit dem vor drei Jahren eröffneten gleichnamigen Lokal in der Schweizer Straße in Sachsenhausen verdient. Für den 39 Jahre alten Mario Lohninger beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt, wobei es für Frankfurt gut ist, dass er hier seinen festen Standort gefunden hat. Jahrelang war ja zu hören, dass es ihn wieder nach New York zurückziehen wird, wo er im Danube sehr erfolgreich war und so illustre Gäste wie Keith Richards und U2 bekochen konnte. Da Frankfurt die einzige Stadt Europas mit Manhattan-Appeal ist, konnte sich Mario Lohninger aber schnell mit dem Leben hier anfreunden.

Mario Lohninger

Obwohl die Konzeptlokale Silk und Micro vom Auftritt her ultramodern sind, steckt ein Familienbetrieb dahinter. Mutter Erika führt resolut den Service und umsorgt die Gäste, Vater Paul ist als Spitzenkoch aus der Küche kaum wegzudenken. Das Silk wurde mit einem Michelin-Stern und 18 Punkten im Gault Millau ausgezeichnet, das Lohninger mit 15 Punkten bewertet. Vom Gault Millau wurde Lohninger zudem zum „Koch des Jahres“ 2011 gekürt, weil er virtuos kochen kann und unternehmerischen Mut zeigt. Dass Silk sieht mit seinem wabernden Weiß und den klinischen Ledergarnituren ein wenig aus, als hätte es ein Psychiater ersonnen, der durchgeknallte Hollywoodstars in beruhigend edlem Ambiente therapieren wollte. Das Restaurant beeindruckt jedenfalls mit seinen dem Teint schmeichelnden zarten Farben und einladendem Designer-Lounge-Liegemöbeln, vor allem aber durch die phantasievollen, sinnlichen und mit großer Präzision zubereiteten Gerichte, die in beschwingter Folge als Miniaturen gereicht werden. Unvergessen: Karamellisierte Jakobsmuschel mit Babycalamari in ingeniösem Ananas-Kapern-Sud; Schottischer Lachs in Orangen-Ingwer-Marinade;  Sukkulenter Seewolf in duftiger Ocean Herbal Sauce; samtiges Kapuzinerkresse-Bonbon mit aromatischen Perini-Tomaten-Coulis und brauner Butter.

Im Micro waren die Lieblingsgerichte von Mario Lohninger zu haben, von Sushi bis Wiener Schnitzel. Dass daraus keine Allerweltsküche wurde, sondern durchweg fabelhafte Signature-Gerichte entstanden, war einer hoch ambitionierten Küchenarbeit zuzuschreiben. Man wollte das beste Wiener Schnitzel, den besten Gulasch und die beste Pizza der Stadt machen – und schaffte es.

Restaurant Lohninger

Trotz polyglotter Speisewelt besinnt sich Mario Lohninger auf seine Wurzeln und hat mit seinem schlicht Lohninger heißenden Lokal ein gutes Stück Heimat nach Frankfurt gebracht. Dort will er sich jetzt noch weit stärker als bisher mit Mutter Erika und Vater Paul engagieren. Österreich wird ein zentrales Thema bleiben, klassisch und modern interpretiert. Auf der Karte: Umwerfend schlotziges Ochsenbackerl-Gulasch mit Topfenspätzle, luftig souffliertes butterzartes Wiener Schnitzel sowie prächtiges Ochsenfilet aus dem Bergheu. Daneben soll es aber auch typische und kreative Lohninger-Gerichte geben, wie den famosen Black Cod in geräucherter Consommé. Global, regional, genial.

 

 

Photo Credit: Barbara und Ludwig Fienhold




Teuflisch: Kultkneipe Klabunt wird zerstört

Mehr als ein Satire-Lokal

 

Harry Rowohlt hat recht. Immer, grundsätzlich und unbeschränkt. Auch wenn er sagt, dass in der wunderbaren Wirtschaft Klabunt, hessische Parodien auf die Nouvelle Cuisine wie Garnelencurrywurst mit hausgemachtem Apfelketchup serviert werden und er sein Lob mit dem Aufruf steigert: „Alles stehen und liegen lassen, hin!“ Die Klabunts selbst untertiteln ihr Lokal mit „Junge Frankfurter Küche, Satire & Schnaps“. Und auch das stimmt. Und wo wir schon bei so vielen Wahrheiten und Weisheiten sind, meinen wir, dass diese Adresse in der ganzen Stadt, ach was, im ganzen Land, nichts bemerkenswert Gleichwertiges hat. Allein deshalb muss ein Besuch zu den letzten „100 Places To See Before You Die“ gehören. Umso dringender, weil das Klabunt schon in einigen Wochen abgerissen wird.

Sonnenschein Harry Rowohlt

Unser Großdorf Frankfurt zeigt sich wieder einmal monströs und kloppt ein schönes altes Stück Bornheim kaputt, um an dieser Stelle einen viel zu großen Klotz zu setzen, der auch das Bild der Bergerstraße zerstört. Die Bau-Lobby ist in Frankfurt mächtiger als jeder Politiker, die vielen und vor allem überflüssigen Baustellen belegen dies gerade auf extreme Weise. Frankfurt hat statt kluger Köpfe nur noch Abrissbirnen.

Das Lokal Klabunt ist ein Unikum. In diesem windschiefen Häuschen treffen sich die besten Satiriker des Landes und lesen aus ihren Werken. Im Grunde gehört so etwas subventioniert, aber die Stadt erkennt wieder einmal nicht ihr eigenes Potential, Kulturdezernent Felix Semmelroth logiert lieber am Museumsufer. Gute Nacht!

Dass in der Literaturkneipe Klabunt eine entspannte und heitere Stimmung herrscht, sind nur einige ihrer Vorzüge. Die Weine, Apfelweine, Biere und Brände sind sehr ordentlich und individuell, der Service sympathisch unkompliziert, das Publikum wirklich aufgeschlossen. Vor allem aber die Küche ist so gut, wie man sich das von allen heimischen Apfelweingaststätten wünschen würde –  schlaue Deftigkeiten, handwerklich sauber und originell umgesetzt. Wonneproppen gibt es da, wie die in Ingwer und Bourbon-Vanille geschmorte Rindsroulade mit handgestampftem Kartoffelpüree oder der umwerfend schlonzige frische Frankfurter Fraas aus Lamm, Linsen-Rotkohl-Hackauflauf in Rosmarin-Apfelbalsam. Nicht zu vergessen auch Leberknödel-Knödel-Burger mit Rote-Beete-Zwiebelschlonz und Topinamburchips.

Überhaupt ist das Schlüsselwort zu dieser Küche der Begriff „schlonzig“, der auch immer wieder in der knappen Speisekarte auftaucht. Nicht etwa schlutzig oder schlotzig, sondern schlonzig, was noch mehr Lässigkeit, Cremigkeit und Saftigkeit ausdrückt. Regelrecht schlonzig ist auch das Blutwurst-Risotto, welches das gutgemachte Zanderfilet unter der Grünen-Soße-Kruste begleitet. Aus der Rubrik „Schrecklicher Name, königlicher Genuss“ ist das „Hessische Fußlabbergemies“ zu nennen, ein Spitzkohl-Wirsing-Schmortopf mit Hack, Speck und Mett, der einfach grundgut ist. Manches klingt exzentrisch hessisch, wobei man umso mehr überrascht ist, dass in einer solchen Szenekneipe eine wirklich solide Küchencrew am Herd arbeitet, die sich jede sprachliche Spinnerei leisten kann, weil sie ihr Handwerk beherrscht. Küchenchef Oscar Schubert (zuvor u.a. im Blumen) würde dem Lokal erhalten bleiben, wenn nur möglichst schnell eine neue Bleibe gefunden wird. Offiziell ist am 1. Juli Schluss, eventuell könnte es noch eine kleine Verlängerung geben. Das Klabunt-Team will nach Möglichkeit im angestammten Biotop Bornheim oder Nordend bleiben, hier leben auch die Hardcore-Fans, die zu jeder Lesung kommen. Es soll dann an anderer Stelle ein größeres Lokal werden, denn das jetzige platzt vor lauter Gästen aus allen Nähten, wobei auch die Küche unterdimensioniert ist.

In sieben Jahren hat sich eine Klabunt-Gemeinde aufgebaut, wie sie nur wenige Lokale haben. In solchen Szenelokalen kann man normalerweise kulinarisch nicht viel erwarten, hier ist es deutlich anders. Viele bekannte und gute Namen sind mit dem Literaturlokal verbunden, ihren Auftritt hatten dort der Kabarettist Gerd Dudenhöfer, der Schriftsteller Peter Zingler und beinahe die gesamte Mannschaft des satirischen Magazins Titanic – Nachfolgeblatt der legendären Satire-Zeitschrift Pardon, dessen wichtigste Vertreter, Robert Gernhardt und F.K. Waechter, die Feder aus der Hand gegeben haben.

Klabunt, das sind Andreas Kramer und Christa Brill, literarische Gastronomen, die ein sehr originelles Konzeptlokal entwickelt haben und nun an anderer Stelle fortführen wollen. Christa Brill, von Haus aus Informatikerin, ist Geschäftsführerin, ihr Programmmacher Andreas Kramer eigentlich Musiker und Komponist. Er hat auch das kulinarische Konzept und viele Rezepte entwickelt, denn das Kochen hat er bei Tantchen gelernt.  Zudem soll jetzt noch der Verlag Klabunt Audio ins Leben gerufen werden, der satirische Hörbücher und Komikproduktionen entwickeln und herausbringen will.  Klabunt ist im Grunde falsch geschrieben, denn der deutsche Schriftsteller Alfred Henschke schrieb sich als Pseudonym Klabund, als Zusammensetzung aus Klabautermann und Vagabund. Klabunt dagegen ist eher eine Verballhornung und will hessisch „kla“ und „bunt“ sein. Auch gut, zumal der literarische Name mit „d“ ja geschützt ist.

 

Dies ist kein Nachruf, sondern das Vorwort für eine neue Geschichte im Leben von Klabunt.

Ludwig Fienhold

 

Klabunt, Frankfurt, Bergerstr. 228, Tel. 069 94 59 81 40, täglich ab 18 Uhr geöffnet. www.klabunt-frankfurt.de

Das elegante Teufelchen oben im Bild war das legendäre Logo der großen deutschen Satire-Zeitschrift Pardon von Bärmeier & Nikel, für die der Autor dieses Artikels viele Jahre lang arbeitete.

 

 

 

 




50 Best: Besoffene Köche, gierige Kritiker

Die Gastro-Oligarchie der 50 Best Restaurant-Ranglisten

 

Von Jörg Zipprick

Die Liste der 50 Best Restaurants  ist uns nicht wichtig genug, um sie hier zu diskutieren. Wichtig sind uns jedoch die Netzwerke dahinter.

Rene Redzepi aus Dänemark ist der „beste Koch der Welt“. Wieder einmal, denn das war er schon im letzten Jahr. Und in dem Jahr davor. Das zumindest behauptet die jährliche Rangliste der „S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“, benannt nach einer Nestlé-Marke.

Über solche Bestenlisten lässt sich trefflich debattieren: Ist das Atelier von Joel Robuchon wirklich das beste Lokal Frankreichs? Gibt es wirklich nur zwei Köche aus Deutschland die „ranglistentauglich“ sind? Muss der Brite Heston Blumenthal gleich zweimal auf der Liste auftauchen, mit dem Hauptlokal und einen Ableger? Gibt es so etwas wie einen besten Koch der Welt und kann es nur einen geben? Doch wenn man beginnt, diese Fragen ernsthaft zu erörtern, dann verdrängt das Naheliegende schnell das Wesentliche:

Restaurant Aqua in Wolfsburg

Die „S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“ werden, zumindest in Deutschland und Frankreich, als Abstimmung unter Kennern, Köchen und Restaurant-Experten vermarktet. Im britischen Original heißt es übrigens nicht Kenner, sondern „international restaurant industry experts.“. Aber Kenner klingen gut, jedenfalls besser als „internationale Experten der Bewirtungsindustrie“. Abstimmung klingt auch gut. Das Wort klingt nach Demokratie und Transparenz. Doch gerade die sucht man hier vergebens. Zwar werden die Experten mit Pauken und Trompeten in einer ausgesuchten Londoner Location verlesen, niemand jedoch erklärt wie viele Stimmen oder wie viel Prozent der Stimmen auf ein Lokal entfielen. Wer regelmäßig Bewertungsportale wie z.B. Tripadvisor nutzt, weiß, dass es einen großen Unterschied macht, ob ein Betrieb von sieben Personen mit Bestnoten bewertet wurde (der Wirt und seine Familie?) oder ob 1200 begeisterte Esser hier ein Urteil abgaben.

Rene Redzepi

Die „S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“ verzichten auf solche Angaben ebenso wie auf eine notarielle Kontrolle der Abstimmung oder auf den Nachweis, dass ihre Stimmberechtigten in den Lokalen tatsächlich gegessen haben. Im Grunde ist die nach Kräften in sämtlichen Medien ausgeschlachtete Veranstaltung denkbar einfach organisiert. Eine Mail kommt an, man klickt drauf und gibt sieben Namen von Restaurants ein. Die Reihenfolge stellt eine Wertung dar. Eigentlich sollen Stimmberechtigte in den letzten 18 Monaten die Restaurants, die sie bewerten, auch besucht haben. Kontrolliert wird das wie gesagt nicht. Und, ja, im Prinzip sollen Köche nicht für das eigene Restaurant stimmen. Einige Mitarbeiter der Veranstalter machen keinen Hehl daraus, dass sie die „50 Best“ gern zu einem Anti-Michelin mit weltweitem Einfluss aufblasen möchten. Die kommenden „50 Best Asia“ sind ein erster Schritt in diese Richtung.

 

Wenn Köche andere Köche bewerten

Wer das System der „S.Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“  verstehen will, muss sich mit dem besonderen Demokratieverständnis dem Veranstalter, des britischen Restaurant Magazine befassen. Abstimmen darf nämlich nicht jeder Genießer, der einfach ein Restaurant besucht hat (warum eigentlich nicht?). Die Stimmberechtigten werden durch „Chairmen der Akademie“ ernannt.  So sind die „50 Best“ keine demokratische, sondern eine oligarchische Veranstaltung.  Es gibt grundehrliche Food-Journalisten und Kochbuchautoren unter den Chairmen: Die Inderin Rashmi Udhay Singh etwa macht keinen Hehl daraus, das sie nicht vor jeder Stimmabgabe den gesamten Subkontinent bereisen kann.

Joachim Wissler

Es gibt jedoch auch Menschen, die ihre unentgeltliche Tätigkeit als „Chairman der Akademie“ oder Stimmberechtigter zum Ausbau ihrer Geschäftstätigkeit nutzen.  Da sind zunächst einmal die Köche selbst. Sie lernen pro Jahr eine vergleichsweise geringe Anzahl von Restaurants kennen. Der Grund ist einfach: Die meisten sind durch das eigene Lokal mehr als ausgelastet. Zumindest in Frankreich lehnten es nicht wenige Spitzenköche ab, über ihre Berufskollegen zu richten. Andere haben damit kein Problem. Zur 2011er Jury gehörten u.a.:  Inaki Aizpitarte, Joan Roca, Alex Atala, Andoni Luis Aduriz, Danny Meyer, Juan Mari Arzak, Massiliamo Alajmo, Massimo Bottura, Mauro Colagreco, Pascal Barbot und Alexandre Gauthier.

Deren Platzierung in der 2012er Liste ist bemerkenswert:

Inaki Aizpitarte, Platz 15

Joan Roca, Platz 2

Alex Atala, Platz 4

Andoni Luis Aduriz, Platz 3

Danny Meyer (war bis 2011 Eigner des « Eleven Madison Park » auf Platz 10)

Juan Mari Arzak, Platz 8

Massiliamo Alajmo, Platz 32

Massimo Bottura, Platz 5

Mauro Colagreco, Platz 24

Pascal Barbot, Platz 18

und Alexandre Gauthier (« nur » Platz 81 aber ausgezeichnet mit dem « One to watch“ Award)

Dazu kommt ihr jeweiliges Netzwerk: Besonders beliebt sind Frau, Ex-Frau, Familie oder Freundin als Juror. So ist Amanda Puck niemand anderes als die Schwiegertochter des bekannten Kochs Wolfgang Puck. Frédérique Ernestine Grasser-Hermé wiederum ist die Ex-Frau von Patissier Pierré Hermé, der selbst als Juror fungiert. Jedes Netzwerk kann so eine beachtliche Anzahl Stimmen vereinen.

 

Chairmen und ihre besten Freunde

Daniel Boulud, Inaki Aizpitarte, Mauro Colagreco (v.l.n.r.)

Wer möchte als Koch nicht gern mit seinem Lokal auf einer Liste firmieren, die weltweit vermarktet wird? Der Weg dazu führt wie gesagt über die „Chairmen“. Rafael Anson verwaltet die spanische Delegation.  Nur ältere Leser könnten ihn noch als Direktor des „Instituts der öffentlichen Meinung“ („Instituto de Opinión Pública“) unter Franco kennen. Der  Präsident der „Academia Española de Gastronomía“ leitet den „Ferran Adrià Lehrstuhl für kulinarische Kultur“, setzte zusammen mit Koch Adrià seine Unterschrift unter das Buch „Tapas im 21. Jahrhundert.“ Seine Frau und seine Tochter Alejandra Marina betreiben laut spanischem Handelsregister u.a. PR-Agenturen. Der Handelsregisterauszug von Alejandra Marina erwähnt, dass diese Agentur ihr Aufgabenfeld in der Betreuung „spanischer Gastronomie und Köche, besonders junge Köche“ sieht.

Zu den spanischen Stimmberechtigten zählen befreundete Journalisten sowie die PR-Frau Roser Torras, die sich mit ihrer „Grup GSR“ ebenfalls auf Kommunikationsmaßnahmen für Köche spezialisiert hat. Wer sich beispielsweise über die gute Platzierung des „Astrid y Gaston“ in Lima, Peru, wundert (fliegen dort wirklich so viele Juroren ein?), sollte nicht aus den Augen verlieren, dass dieses Lokal über eine gut frequentierte Filiale in Madrid verfügt.

 

„Kanaken“ und besoffene Köche

Andrea Petrini

Der Italiener Andrea Petrini leitet die französische Jury seit Francois Simon, Restaurantkritiker von Le Figaro, enttäuscht bei den „50 Best“ ausstieg. (Damit keine Missverständnisse aufkommen: Andrea Petrini ist weder verwandt noch verschwägert mit „Slow Food“-Gründer Carlo Petrini). Zu den besten Freunden von Andrea Petrini zählen viele bekannte Köche. Bilder seines 50. Geburtstags zeigen ihn in Gegenwart von  Rene Redzepi und Fluvio Pierangelini sowie diversen Stimmberechtigten der „50 Best“. Man kennt sich, man trifft sich und wenn jemand Geburtstag hat, dann gibt es manchmal auch Geschenke. Zudem veranstaltet er Koch-Events wie „Cook it raw“  und moderiert das Food-Festival „Paris des chefs“. Deren Gäste heißen Rene Redzepi, Inaki Aizpitarte, Alex Atala, Alexandre Gauthier etc. – siehe Rangliste.

Seine Favoriten feierte er schon mal vorab am 12. April im Magazin „Le nouvel observateur“, teils mit kuriosen Worten. Der verdiente Koch Mauro Colagreco musste sich attestieren lassen, er sei „100% métèque“. Eine halbwegs passende deutsche Übersetzung liefert nur das Unwort „Kanake“, möglicherweise war die Bemerkung scherzhaft gemeint. Nicht einmal 14 Tage später folgte die obligatorische Liturgie auf den Bistrokoch Inaki Aizpitarte, der auch von anderen Köchen (und „50 Best-Stimmberechtigten“) mit Lob überhäuft wird. Der New Yorker Dave Chang sagt da: „ Inaki raucht. Inaki trinkt…. Ich habe ihn sturzbesoffen in einem Aufzug gesehen, unbeirrt, während sich die Türen immer wieder schlossen.“ Das klingt weniger nach subjektiver Bewertung von Restaurants, sondern fast ein wenig nach Kumpelei und Kungelei.

 

Es geht ums Geld

Heston Blumenthal

Bereits im letzten Jahr erläuterte die New York Times das System der „50 Best“, zu dem die Existenz bezahlter Stimmenbroker,  mit Steuergeldern geförderte Extratouren Stimmberechtigter durch Schweden sowie Petrinis Lobbying in Sachen Gastronomie gehört. (http://www.nytimes.com/2011/04/13/dining/13Best.html?pagewanted=2&_r=2).

Französischen Köchen sind die Vorlieben ihres Chairman nicht entgangen. Besonders das Collège Culinaire de France (Robuchon, Ducasse, Haeberlin, Dutournier u.a.) erörterte 2011 eine Vielzahl von Reaktionen auf die kuriosen « 50 Best“-Listen, konnte sich aber nicht einmal darauf einigen, Produkte des Sponsors Nestle aus den eigenen Lokalen zu verbannen. Vielleicht wird die Ernennung des „Atelier“ zum besten französischen Lokal diese Wogen etwas glätten, schließlich ist Robuchon dank vieler treuer Schüler einer der einflussreichsten Köche des Gremiums. Wie gut also, dass seine Ehrung gerade jetzt erfolgt.

„Andrea sagt Ihnen nicht für wen sie stimmen sollen“ erklärte der britische Juror Ali Kurshat Altinsoy der New York Times. „Er macht es nur möglich, dass sie für ihn stimmen.“ Wer ist nun wieder Ali Kurshat Altinsoy und womit verdient er sein Geld?  Nun, laut Petrini lebt der Ex-Banker jetzt auf einem Boot in Kopenhagen, wo er mit Rene Redzepi, dem weltbesten Koch laut Liste,  das nächste „Mad Food Festival“ vorbereitet. Jeder kennt sich, jeder mag sich,  und ohnehin gibt es in Dänemark wieder ganz andere Netzwerke, die sich um einen gewissen Claus Meyer sammeln. Meyer, 48, beschäftigt 400 Mitarbeiter bei Meyerfood, den 45 Meyer Kantinen, dem Früchtehandel Lilleö, dem Catering Meyers Koekken, einem Deli, der Meyer Bäckerei und einer kleinen Essigfabrik. Weniger bekannt ist, dass er auch das Noma in Kopenhagen gründete, das Manifest der nordischen Küche verfasste und seit 13 Jahren politische Kontakte in diversen Ausschüssen zur Verbesserung der Lebensmittelqualität pflegt.

Joel Robuchon

Der Name seines Restaurants „Noma“ steht für die Kurzform seines  Programms »Ny nordisk mad« (nordisches Essen). Der  nordische Ministerrat, dem Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden sowie die Färöer Inseln, Grönland und Åland angehören, förderte es zunächst mit drei Millionen Euro Steuergeld. Im Jahr 2010 wurde das Programm bis 2014 verlängert, weitere zwei Millionen Euro wurden für diesen Zeitraum bewilligt.  Die finanziellen Mittel, 50-Best Stimmberechtigte auf Steuerzahlers Kosten von Restaurant zu Restaurant zu befördern, sind also vorhanden.  Am Ende geht es bei der Wahl der „50 Best“ eben nicht um die Gastronomie, sondern um Geld und Connections.  Für die „San Pellegrino 50 Best“ arbeiten Chairmen und Stimmberechtigte weiter gern kostenlos. Verdienen kann man schließlich anderswo. Etwa durch die „Beratung“ von Spitzenköchen.

 

Bild oben rechts: Sven Elverveld vom Restaurant Aqua in Wolfsburg, der bestplatzierte deutsche Küchenchef.




Starkoch Ferran Adrià vor Gericht

Weit mehr als

Streit um Geld          

 

Halb Spanien spricht über den Prozess gegen Ferran Adrià. Während er dort in den Medien sehr präsent ist und heftig diskutiert wird, hat man hierzulande noch keine Kenntnis davon genommen.  Laut einer Meldung des spanischen Radiosenders „Cadena Ser“ müssen Ferràn Adrià und sein Sozius Juli Soler am 7. und 8. November vor Gericht erscheinen. Der Vorwurf: Sie sollen einen psychisch gestörten Geschäftspartner übervorteilt haben.

Die Kläger Sergi und Jofre Horta, ein Architekt und ein Musiker, sind die Erben des „El Bulli“ -Mitbesitzers Miquel Horta. Letzterer war seit 1994 Anteileigner des „El Bulli“. Er hielt 20 Prozent der Anteile.  „Cadena Ser“ erklärt: „Horta war die Schlüsselperson, durch die  El Bulli sein internationales Prestige erworben hat, er finanzierte die Erweiterung der Restaurant-Küche….“ Gutachter haben bestätigt, dass Horta seit Jahren nicht geschäftsfähig ist. Laut der Familie Horta haben Adrià und sein Partner Juli Soler  diese Schwäche missbraucht. Die Anteile ihres einstigen Partners kauften sie 2005 für eine Millionen Euro zurück – laut den Klägern liegt dieser Preis weit unter dem eigentlichen Wert. Die Kläger vermuten auch, dass Adrià und Soler Einnahmen aus zusätzlichen Aktivitäten versteckten, um keine Gewinne an ihren Vater ausbezahlen zu müssen. Ein Prozess könnte durch einen Vergleich der Parteien noch verhindert werden.

Ferran Adrià

Fakt ist: Jeder kann in einen Rechtsstreit verwickelt werden, auch schuldlos.  Wer den Fall Horta versus Adrià auch nur ansatzweise bewerten möchte, sollte jedoch wissen, dass die spanische Justiz anders arbeitet als die deutsche Justiz. Sie muss, um einen spanischen Juristen zu zitieren, „wenig aber effizient“ arbeiten. Deshalb gibt es für solche Fälle eine Reihe von zeitraubenden Vorprüfungen und Vorverfahren.  So hat die Familie Horta bereits 2008 erstritten, dass sie die Buchhaltung des „El Bulli“ einsehen darf. Zum Prozesstermin kam es jetzt auch deshalb, weil gerichtliche und außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos verliefen.

Im Fall „Horta vs. Adrià“ geht es um Geld. Dennoch zeigt dieser Rechtsstreit auch, was gegenwärtig in der kulinarischen Szene und in der Berichterstattung über Köche falsch läuft: Die spanische Presse verurteilte zunächst pauschal Hortas Söhne sowie  „die Franzosen“. Tatsächlich hatte „Le Monde“ es gewagt, über den Ausgang eines Vorverfahrens zu berichten und sich damit offenbar der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht. Der politische Journalist Arkadi Espada meinte dazu etwa: „Das Problem von Adrià sind natürlich nicht die Erben von Horta, wie „les enfants de la patrie“ so pathetisch glauben.“ (Anmerkung: Die frz. Nationalhymne beginnt mit den Worten „Allons, enfants de la patrie“, gehen wir, Kinder des Vaterlande). Xavier Agullò, Restaurantkritiker von El Mundo, kommentierte den Rechtsstreit und die spärliche Berichterstattung als „Kampf der Länder“. Es klang fast, als wären bösartige Geheimagenten aus dem Norden eingedrungen um auf der iberischen Halbinsel Rechtsmittel gegen bekannte Köche zu ergreifen. Wichtig schien den Autoren auch, dass Miquel Hortas Ehefrau Nitsa Antoniou, „griechisch-zypriotischer Herkunft“ ist.

Familie Horta musste sich als Neider und Trittbrettfahrer beschimpfen lassen. Nun ist Miquel Horta in Katalanien kein Unbekannter, sondern eine regionale Symbolfigur:  Er leitete das Spielzeug-Imperiums Nenuco, war ein persönlicher Freund des Schriftstellers Vázquez Montalbán, setzte sich für regionales Liedgut ein, agierte als Mäzen und verlegte Bücher. Oft waren es Werke von der unbequemen Sorte, die herkömmliche Verlage nicht angefasst hätten. An mehr als einem Jahrzehnt leidet Miquel Horta an einer schweren bipolaren Störung. An vielen Tagen ist er kaum ansprechbar. Er finanzierte nicht nur eine neue Küche, sondern zahlte nach Angaben der Familie auch  85% des Gesellschaftskapitals ein. Dabei investierte er 120.000.000 Pesetas, nach damaligem Kurs etwa 1,4 Millionen DM. Horta war jahrelang kein stiller Teilhaber, er mobilisierte sein Netzwerk aus Kunst, Kultur und Prominenten für das Restaurant.

Branchenexperten schätzten die Marke „„El Bulli“ heute mal auf 45 Millionen, mal auf einen Wert zwischen 90 und 120 Millionen Euro. Einige sprechen sogar von 200 Millionen Euro.

Die Krankheit Miquel Hortas wurde von keinem der Kritiker abgestritten. Wegen ein paar simplen Millionen gerichtlich gegen einen bekannten Küchenmeister vorzugehen, das erschien vielen Autoren jedoch als kleinlich bis bösartig oder, siehe oben, als Komplott finsterer Mächte, die natürlich im Ausland anzusiedeln sind.

Restaurantkritiker und Freunde des Kochs wurden in nationalen Medien plötzlich zu Rechtsexperten. Außerhalb von Spanien und Frankreich berichtete kaum jemand über den Fall. Selbst politische Journalisten kolportierten hinter vorgehaltener Hand, dass die spanische Justiz nie gegen einen so bekannten Koch wie Adrià ermitteln würde. Doch diese ist nicht so leicht zu beeinflussen, wie mancher Chronist es gerne hätte: Iñaki Urdangarin, der Schwiegersohn von König Juan Carlos, steht derzeit wegen seiner Verwicklung in einen Finanzskandal vor Gericht.

Den Fall „Horta vs Adrià“  wird das Gericht klären müssen. Die Darstellung des Falles in der Presse und ihre Kommentierung durch Restaurantkritiker jedoch ist besorgniserregend: Sie haben Spitzenköche in den letzten Jahren zu Idolen in allen Lebensbereichen stilisiert, haben ihnen Privilegien eingeräumt, von denen Künstler, Sportler oder Politiker nur träumen können. Doch vielleicht werden einige dieser Lichtgestalten bald von den eigenen Schatten eingeholt.

Jörg Zipprick

 




Parlour: Neue Bar für Genusstrinker

Das geheimnisvolle Lokal

von Yared Hagos

 

Die Bar duckt sich in die dunkelste Gasse der Stadt. Von Außen sieht man gar nichts, nicht einmal eine Tür. Keine Beleuchtung, kein Namensschild, keine Klingel, nur ein schwarzes Loch. Die Tür muss man sich ertasten, aber auch dann kann sie verschlossen bleiben. Ist die Bar voll, und das ist sie schon mit 30 Gästen, dann kommt niemand mehr herein. Das Parlour will indes keineswegs verschlossen bleiben oder der bekannteste Geheimtipp der Stadt werden, man will sich einfach nur professionell um die Gäste kümmern können.

Wer kennt schon die Zwingergasse in Frankfurt? Die Meisengasse vielleicht einige wenige, die fließend mit ihr ineinander übergeht. Aber auch dort, hinter dem Parkhaus an der Börse, stehen kaum Häuser, schon gar keine, die man gesehen haben muss. Ausgerechnet hier, im leblosen Hinterhof der Innenstadt, hat das Parlour vor kurzem eröffnet. Der 36 Jahre alte Yared Hagos, der die Bar betreibt, kann sich ein solches Versteck leisten, denn er ist bekannt in der Szene und wird auch so gefunden. Er war zuvor Chefkeeper im Frankfurter Roomers und hat sich einen sehr guten Namen gemacht, wegen seines Könnens und seiner offenen freundlichen Art. Dazu gehört auch, dass er die Bartheke nicht als Barriere zwischen sich und den Gästen installiert hat, wie das überall der Fall ist. Im Parlour sitzen die Gäste Seite an Seite wie an einem langen Tisch neben dem Barkeeper, der ihnen en passant etwas über die Drinks erklären kann und viel persönlicher dabei im Gespräch bleibt.

Wer einmal die Werkstatt von Yared hinter den Kulissen sehen konnte, versteht sein Handwerk besser. Dort stehen viele angesetzte und wunderbar duftige frische Früchteessenzen, die als Grundlage für Cocktails dienen. Eine gute Vorbereitung und Mise en place sind nicht nur für eine Küche zwingend, sondern auch für eine gute Bar. Yared hat einige hundert Rezepturen auf Lager, die meisten einfach so in seinem klaren Kopf. Selbstredend kann er alle Modedrinks von Caipirinha über Hugo bis Mojito aus dem Ärmel schütteln, doch ist das kaum eine Herausforderung für ihn. In dieser Bar darf man Geschmacksvorlieben und Stimmungen nennen, damit Yared daraus den passenden Drink machen kann. Wenn einem italienisch zumute ist, wird er dies ebenso liquide umsetzen, wie die Begriffe Orient oder Karibik. Von der Klassik bis zu Innovativen, vom Martini bis zu Liquid Kitchen, hier brilliert ein ambitionierter Barkeeper. Man rufe vielleicht auch einfach nur Gin Gin Mule oder Blood and Sand und sehe, was geschieht. Alles wird gut.

In der Parlour Bar besinnt man sich wieder auf große Klassiker, wie den Prince of Wales im Metallbecher. Dieser Mix aus Cognac, Angostura Bitter, Benedictine, Orangenzeste und Champagner amüsiert auf erfrischend vielschichtige Weise. Das Parlour ist keine Bar für Happy Hours oder Flatrates, das Parlour ist eine sehr moderne Bar auf dem festen Boden der Klassik. Alles wird erstklassig gemixt, Weintrinker werden indes mit drei Weinen so lala bedient, und zur Schorle sollte der Service Wasser mit ordentlich Kohlesäure nehmen, sonst schmeckt sie wie eingeschlafen. Raucher werden nicht vor die Tür geschickt. Das mögen einige begrüßen, andere nicht. Doch zu einer Bar gehört ein gewisser Hauch von Rauch.

Die Parlour-Bar ist klein, dunkel und sehr individuell. Interieur-Designer Douman Pour Abbasali stand seinem Freund Yared mit guten Ideen zur Seite. Vor allem sitzt man bequem, auf Chesterfield-Sofas und auf den ergonomisch ausgezeichnet zur Höhe der Bartheke angepassten schwungvollen Barstühlen. Stehplätze gibt es nicht. Bei der Renovierung ist man auf eine alte Stadtmauer gestoßen, deren blanker Backstein nicht allein Schmuckstück ist und auch für eine klare Struktur und Beständigkeit steht.

Die Toilette liegt so versteckt, als müsste sie in einem alten Gespensterschloss-Film Requisit sein – es gehört jedenfalls detektivisches Gespür dazu, sie zu finden. Man sollte sich rechtzeitig auf die Suche machen. Nur Feiglinge fragen nach dem Weg.

Ludwig Fienhold

 

Parlour, Frankfurt, Zwingergasse 6, Montag bis Sonntag 19 – 2 Uhr. Tel. 069 260 80 290.