Restaurant-Kritik: Das neue Holbeins im Städel Museum

Mario Lohningers

gelungener Start

 

Man sollte nicht mit den falschen Erwartungen kommen: Das neue Holbeins ist keineswegs das alte Silk, auch wenn Mario Lohninger hier jetzt mitmischt. Weit eher wird man Gerichte aus dem Micro finden, wo es weniger diffizil zuging und sich Lohninger seiner Lieblingsgerichte aus aller Welt annahm, insbesondere solchen der japanischen Art. Im Holbeins gibt es grob gezeichnet vor allem Steaks, Pasta, Salate und asiatisch inspirierte Fischspeisen. Das klingt nicht extravagant, kommt aber geschmacklich meist auf den Punkt.

Die Kooperation zwischen dem Spitzenkoch Mario Lohninger und dem Gastronomen, Delikatessenhändler und Caterer Gregor Meyer ist sicherlich auch eine zeitlich passende, denn Lohninger gab seine beiden Restaurants Silk und Micro im inzwischen insolventen  Cocoon Club auf, während Meyers langjähriger Küchenchef Joe Ballmann in den privaten Frankfurter Airport Club wechselte. Die Verbindung zwischen Lohninger und Meyer ist wohl keine Liebesheirat, sondern eine Zweckgemeinschaft. Das vermag zumindest in der Gastronomie mitunter mehr Bestand haben als törichtes Taumeln aus Leidenschaft. Nicht einfach ist aber vor allem die Dehnung einer Speisekarte, die sich nach einem unterschiedlichen Publikum strecken muss. Mittags saust der oft nicht nur zeitlich begrenzte Businesstyp ins Holbeins, ebenso ein Museumsbesucherpublikum, das eher zu unkompliziertem Essen neigt. Abends sind die mehr aufgeschlossenen und anspruchsvollen Gäste angesagt. All das fordert einen elastischen Spagat, dessen Akrobatik gewisse Brüche provozieren könnte.

Optisch ist das neue Holbeins noch wiederzuerkennen, die hinzugekommenen Sitzinseln geben dem Raum mehr Statur und verringern das Kantineske der dichten Sitzreihen. Die Terrasse ist jetzt noch ein wenig hübscher möbliert, wobei wie gehabt jeder Zentimeter genutzt wird und der Abstand zum Nachbartisch nichts für Kontaktscheue ist. Der Service ist nach wie vor sehr freundlich und aufmerksam, das Damenteam wurde um einige charmante Neuzugänge bereichert. Im Zuge der Erneuerung könnte man sich ruhig von einigen Allerweltsweinen trennen und diese durch individuellere Flaschen und Neuentdeckungen auffüllen.

Sushi-Meister Kawano Hirofumi

Kawano Hirofumi, der Sushi-Meister aus dem Silk/Micro hat im Holbeins im Souterrain ein eigenes Lokal bekommen, das zur Zeit als Lieferstation und für Events genutzt wird, aber sicher auch das Zeug zu einem eigenständigen Outlet hätte und vielleicht auch so etabliert wird. Die chirurgisch präzisen Miniaturen sind nicht nur optisch eine Delikatesse, eine Selektion von 16 Stück kostet 28 Euro, man kann es aber auch eine Nummer kleiner haben. Geflügel ist derzeit unterbesetzt und lediglich beim guten Ceasar Salad mit Hähnchensatay zu bekommen. Der top gebratene Seewolf mit Vanille, Pfifferlingen, Spätsommermais und Kartoffelstampf fällt im Grunde sehr gut aus, wobei man mit Vanille-Aroma noch dezenter umgehen sollte. Der hervorragende Miso-Lachs vom Grill mit Orangen-Ingwer-Marinade war schon im Micro eines unserer Lieblingsgerichte. Warum es immer noch die amerikanische Unsitte von Surf and Turf geben muss, erschließt sich uns nicht – entweder Fleisch oder Hummer, aber wir brauchen niemals beides auf einem Teller. Das rein fleischige, hochfeine, saftige und vitale Filetsteak vom Black Angus mit Zwiebelmarmelade, Kartoffelstampf und Sauce Béarnaise ist großartig, wobei man dazu wahlweise auch die hausgemachten Pommes frites bestellen kann. Die Desserts von Benjamin Kunert, der zuvor bei Harald Wohlfahrt in der Schwarzwaldstube und im Silk arbeitete, sind Extraklasse: Liaison von Pfirsich und Zitronenverbene mit Bourbon-Whiskey und Himbeere. Ein „Holbein´s Chef Menue“ mit vier Gängen kostet 55 Euro und bietet abends die vorteilhafteste Variante.

Mario Lohninger (l.) und Gregor Meyer

Bilanz: Das Holbein´s gehört nach wie vor zu den besten und optisch amüsantesten Adressen der Stadt. Man sollte die erst gerade vorgelegte und mit Vorsicht bedachte Speisekarte nicht als endgültige Weisheit betrachten und Mario Lohninger & Gregor Meyer zu mehr Mut und Eigensinnigkeit ermuntern.

Ludwig Fienhold

Siehe auch Artikel Neueröffnung Lohninger & Meyer und Mario Lohninger und Gregor Meyer betreiben gemeinsam das Holbein´s im Städel Museum

Holbein´s, Restaurant im Städel, Frankfurt, Holbeinstr. 1, Tel 069 6605 6666, Dienstag bis Sonntag 10 – 24 Uhr, Montag 18 – 24 Uhr.  Hauptgerichte 20 – 36 €. www.holbeins.de Sushi von Dienstag bis Samstag

 

 

 

 




Der Frankfurter Würstchen Krieg

Streit um das Lokal Alten Limpurg am Rathaus 

 

Gäste aus aller Welt schauen sich bei Apfelwein und Würstchen den Römerberg an, Frankfurts schönsten Platz. Auf den langen Holzbänken und an den Fässern vor dem Lokal Alten Limpurg treffen sich auch gerne die Frankfurter, selbst Ex-Oberbürgermeisterin Petra Roth ließ hier oft die Würstchen knacken. Jetzt wurde der Pachtvertrag mit den beiden Betreibern Dieter Hoppe und Andreas Staab nicht mehr verlängert, Ende September ist Schluss. Sie führten das Lokal zwölf Jahre und waren für ihren Glühwein bekannt, dem einzig trinkbaren während des Weihnachtsmarktes. Neuer Pächter wird Lior Ehrlich sein, der ganz in der Nähe auf dem Paulsplatz das Hans Wurzt sowie die Frankfurter Lokale Bar 54, Gorky Park, Amici und Pizza Pasta Factory führt und noch weitere Imbiss-Stationen der etwas nobleren Art plant.

Viele fragen sich, warum man Dieter Hoppe und Andreas Staab nicht wenigstens noch bis Jahresende das Lokal Alten Limpurg gelassen hat. Die Antwort liegt auf der Hand: Wer weiß, welchen Umsatz man auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt allein mit Glühwein macht, kann sich denken, dass Lior Ehrlich sich dieses Geschäft nicht entgehen lassen wollte. Das Alten Limpurg gehört der ABG Holding, dem Wohnungs- und Immobilienkonzern der Stadt Frankfurt. Deren direkte Partner ist in diesem Fall die zur Radeberger-Gruppe gehörende Henninger-Brauerei. Wie aus nicht genannten Quellen zu hören war, suchte die AGB nach einer Veränderung, die aus ihrer Sicht eine Verschönerung des Lokals und des Platzes mit sich bringt. Lior Ehrlich wird dazu einige hunderttausend Euro investieren. Wurst und Bier sollen auch die Hauptthemen des neuen Lokals werden, wobei der historische Name Alten Limpurg erhalten bleibt.

Dieter Hoppe und seine Frau Sabrina sind bitter enttäuscht. „Nach zwölf Jahren setzt man uns ohne Angabe von Gründen vor die Tür. Wir haben hier jeden Tag zwölf Stunden gearbeitet. Wir fühlen uns sehr unfair und ungerecht behandelt.“ Gerne hätten sie auch mit ihrem Nachfolger über Terrassen- und GEMA-Gebühren gesprochen, weil sie diese bis Sommer 2013 bezahlen müssen und nicht aus dem Vertrag gelassen werden. Doch wurden sie nicht unterrichtet und erfahren den Namen offiziell erst hier und heute.

Rathaus auf dem Römerberg

Lior Ehrlich wird aus dem Lokal wahrscheinlich etwas Schickes machen, sollte dabei aber behutsam vorgehen, damit das alles auch zum Römerberg passt. Hier gibt es schon genug touristische Lokale und Souvenirläden, die dem Platz optisch schaden. Das Alten Limpurg war eine der letzten Bierstuben alten Stils, obwohl auch gerne Apfelwein getrunken wurde. Zentrum war nicht das Lokal selbst, sondern seine Garage, die man zum Würstchenstand machte. Dort kamen die ausländischen Besucher mit den Einheimischen zusammen. Das Lokal war zudem Treffpunkt mancher Eintracht-Fans, wobei auch sehr viele aus der Fliegerei dort landeten, denn Dieter Hoppe war Steward bei der Lufthansa. Es gibt jedenfalls nicht wenige, die jetzt ihre Heimat verlieren. Die urige und bisweilen kauzige Atmosphäre wird es nicht mehr geben. Der Weihnachtsmarkt wird außerdem seines einzigen guten Glühweins beraubt. Es wäre zu wünschen, dass der neue Betreiber Lior Ehrlich ein deutlich persönlicheres Lokal daraus macht als aus seinem Hans Wurzt am nahen Paulsplatz. Vor allem sollte es dann auch bessere Wurst als dort geben.

Ludwig Fienhold

Alten Limpurg, Frankfurt, Römerberg 17, Tel. 069 28 73 93.

Siehe auch die zahlreichen Leserbriefe dazu

Bild oben rechts: Dieter Hoppe vor der Historischen Ostzeile auf dem Römerberg

 

 

 




Duftig süffig gut Wein Tipps

Heute: Neues von Battenfeld-Spanier aus Rheinhessen

 

Doppelnamen sind mühsam, doch wenn sie mit gutem Wein verbunden sind wie bei Battenfeld-Spanier gehen sie flüssig über die Zunge. Das Weingut in Rheinhessen hat derzeit einen enormen Lauf. Hans Oliver Spanier, verheiratet mit Carolin vom Weingut Kühling-Gillot, hat vom Gutswein bis zur Spitzenlage Frauenberg eine erstklassige Kollektion vorzuweisen, gerade beim aktuellen Jahrgang 2011. Battenfeld-Spanier bringt Topweine hervor, etwa den sehr markanten kühlen, leicht salzigen und von Feuersteinaromatik geprägten Riesling Flörsheimer Frauenberg. Doch an der Basis zeigen sich stets das Können und die Ausrichtung eines Weinguts. Bei Hans Oliver Spanier gibt es keine kleinen Weine, sondern bei den Einstiegstropfen nur kleine Preise. Er behandelt sie mit der gleichen Sorgfalt wie die Großen: Ökologischer Anbau, Ganztraubenpressung, Vergärung mit Naturhefen, langes Hefelager, teilweise Ausbau im großen Holzfass. Der Gutsriesling ist lebendig, frisch, knackig und duftet leicht nach Weinbergspfirsich. Dieser harmonische Riesling hat Charakter und richtet sich dennoch an ein größeres Publikum.

In Zusammenarbeit mit dem Sommelier Kai Schattner, ehemals die feine Nase vom Restaurant Ente im Nassauer Hof in Wiesbaden und jetzt Geschäftsführer von KS Selected Wines in Frankfurt, gibt es von Battenfeld-Spanier einen neuen bemerkenswerten Wein: Rhein-Riesling 506, Jahrgang 2011. Ein Wein mit Schmelz, sehr charmant, extraktreich, füllig und doch nicht fett, nach Mirabelle und Quitte duftend. Mineralität von Kalk und steinigen Böden, mundfüllend, nachhaltiger Abgang, 12,5 Alk, 11g Restzucker, Stahltank. Mit jedem Glas bekommt man Lust auf das nächste, was bei einem Flaschenpreis von 7,95 € besonders leicht fällt. Fast die gesamte Produktion von 40.000 Flaschen wird nach China verkauft, nur 5000 Flaschen sind für den deutschen Markt reserviert. Ausschließlich bei KS Selected Wines zu beziehen.

Ludwig Fienhold

KS Selected Wines, 60323 Frankfurt, Freiherr-vom-Stein-Str. 24-26, Tel. 069 977845 – 450

Bild oben rechts: Carolin & Hans Oliver

 




Das Hotel denkt, der Gast lenkt

So viel High Tech sollte es

in jedem Luxushotel geben

 

Im neuen Tower vom Peninsula in Hongkong gibt es eine raffinierte Service-Technik, wie man sie gerne öfter in Hotels erleben möchte: Interaktive, digitale Tablets stehen am Bett und Schreibtisch zur Verfügung und können je nach Herkunftsland des Gastes in einer von fünf Sprachen voreingestellt werden. Die Tablets ermöglichen Zugriff auf die Restaurant-Menüs, sämtliche Hotel-Dienstleistungen, die virtuellen „PenCities“-Guides sowie Fernsehen und Radio mit störschallunterdrückenden Kopfhörern. Von den LED-Touchscreens an den Wänden können sämtliche elektrischen und elektronischen Geräte im Zimmer bedient werden, etwa Beleuchtung, Klimaanlage, Audio- und Videosysteme oder die Vorhänge. Auf Knopfdruck stehen weitere Optionen wie Zimmerservice, „Bitte nicht stören“-Anzeige, Sprach-Einstellungen sowie Wetter-, Außentemperatur- und Luftfeuchtigkeit-Anzeige zur Verfügung.

Im edlen Lacquer-Schreibtisch integriert ist der Zugang zu Highspeed-Internet, internationales Internet-Radio, eine Wetteranzeige sowie eine iPod-Dockingstation. LED Touch-Screens im Marmor-Badezimmer ermöglichen den Empfang von Internet-Fernsehen und Radio. Ein „Spa-Button“, der die Badezimmer-Beleuchtung phasenweise dimmt und entspannende Spa-Musik erklingen lässt, sorgt für luxuriöse Erholung. Die hochmoderne, audiovisuelle Ausstattung jedes Gästezimmers garantiert ein ungewöhnliches Unterhaltungsprogramm. Sie umfasst einen Blue-Ray LED-Flachbildschirm, eine iPod/iPad-Dockingstation, Speicherkartenleser und Soundbar-Lautsprechersystem mit leistungsstarkem Subwoofer.

In-Room-Tablets ermöglichen zudem die Übertragung von terrestrischem Fernsehen sowie von 90 Internet-TV- und 460 Internet-Radio-Kanälen. Kabellose Anschlüsse für persönliche Geräte und das All-in-One-Fax/Drucker/Fotokopierer/Scanner-Gerät sowie Mehrfach-Ladegeräte, die für zusätzlichen Komfort in die Nachttischschubladen integriert wurden, sorgen für die perfekte Funktionalität eines Home-Offices.

Der kostenlose Zugang zu leistungsfähigem, drahtgebundenem oder drahtlosem Highspeed-Internet erlaubt gebührenfreie VoIP-Ferngespräche in alle Welt sowohl auf den Zimmern als auch während der Fahrt mit den hoteleigenen Rolls-Royce Limousinen. Zimmer ab 500 €.

 

Barbier-Salon der Zwanziger Jahre

Neues Spa im Frankfurter Hof

 

Anfang 2013 eröffnet  das neue Spa im Steigenberger Hotel Frankfurter Hof. Der neue Wellnessbereich  präsentiert auf 1.000 Quadratmetern exklusive klassisch-europäische Spa-Anwendungen, luxuriöse Schönheitsbehandlungen und ein speziell für männliche Gäste konzipiertes Pflegeangebot mit einem klassischen Barbier-Salon. Weitere Highlights sind ein ausgedehnter Saunabereich und eine in Frankfurt einzigartige Spa Suite. Insgesamt flossen vier Millionen Euro in den Ausbau, der in dem früheren Bürotrakt des Hotels entsteht.

Betreiber des The Spa ist Goco Hospitality, ein internationales Beratungs- und Managementunternehmen mit Sitz in Bangkok. Eine Pflegezone wurde speziell für männliche Gäste eingerichtet, wobei es neben intensiven Gesichtsbehandlungen auch einen Express Service gibt.

Gästen mit wenig Zeit sollen schnelle und effektive Anwendungen erfahren. Mit „The Barber“ will das Spa im Frankfurter Hof Maßstäbe setzen und den klassischen europäischen Herrensalon neu interpretieren. Das Angebot schließt neben Facials auch Maniküre, Rasuren mit heißen Tüchern und Haarpflege ein.

Eine besonders luxuriöse Möglichkeit zur Regenation und Entspannung hält die Spa Suite bereit. Als Spa im Spa bietet sie: Steam Room, Vitality Pool mit Jacuzzi-Effekt sowie in umfassendes Portfolio an Schönheitsbehandlungen und Massagen. Gleichzeitig will die Spa Suite ein Höchstmaß an Privatsphäre und Individualität ermöglichen. Ein persönlicher Behandlungsplan wird nach eingehender Beratung durch den Spa-Concierge erstellt. Ein Glanzstück des Spa soll der Haman sein. Zum Dampfbad gehören hier die traditionelle Massage und ein Körper-Peeling im Scrub Room. Daneben erwartet den Gast neben einer Finnischen Sauna unter anderem eine Kräutersauna, ein Eisbrunnen sowie verschiedene Erlebnisduschen. Der Spa-Bereich steht nicht nur den Hotelgästen zur Verfügung, sondern soll alle ansprechen.

 

 

 




Wenn Männer zu viel kochen

Mundwinkeldeformation mit

Eiweißgerinnungsgrenze

 

Ludger Fischer wurde als Autor zum Thema „Küchenirrtümer“ bekannt. Jetzt hat er nachgelegt. In seinem neuen Werk „Mann kocht!“ wird kochenden Herren reiner Wein eingeschenkt.

Früher stellten sich kochende Männer im Sommer an den Grill. Im Kühlschrank wartete ein Sixpack, die Herren der Schöpfung nestelten an der Schürze und fanden sich dann in einer Rolle wieder, die ihnen seit Urzeiten zustand: Sie waren Hüter der Flamme. Anschließend kehrten sie wieder auf den Fernsehsessel zurück. Oder Mann kochte ein Sonntagsmenü, wenn möglich aus der Rezeptsammlung eines „Spitzenkochs“, um die Küche dabei in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Frau durfte anschließend aufräumen, schließlich war sie doch gerade kulinarisch auf Profi-Niveau verwöhnt worden.

Dann kam der Koch-Boom und spülte in Büchern, Magazinen und TV-Sendungen eine neue Generation von Männern nach oben. Zum Beispiel solche, die in der Garung „extrem hart an die Eiweißgerinnungsgrenze heranfahren“. Oder solche,  die sich am Herd ohne Thermomix, Pacojet oder Gefriertrocknungsanlage geradezu impotent fühlen. Solche, die durch verstärkten Glauben an Aphrodisiaka auf den Teller eben gerade diesem Zustand entkommen wollen. Und  solche, die quasi als kulinarische Daseinsberechtigung gleich ein eigenes gedrucktes Magazin benötigen, um die Welt um ihre Sicht des Kochens zu bereichern.

Sie alle und noch viele andere Männertypen werden mit Sinn fürs Detail vom Autor Ludger Fischer aufgespießt. Köstlich, wie er die Inhaltsstoffe eines sehr Methylcellulose-lastiges Menü des spanischen „Spitzenkochs“ Paco Roncero zerpflückt. Das Zeug ist der Hauptbestandteil von Tapetenkleister, kostet fast nichts und ist schon deshalb bei einigen Küchenkünstlern hoch beliebt. Besorgniserregend, wie er die gesundheitlichen Nebenwirkungen eines Rezeptes von „Spitzenkoch“ Quique Dacosta erläutert. Amüsant, wie er die spanische Tendenz zur verbalen Intellektualisierung ihrer Techniken parodiert: Der Spherificación und ähnlichen -caciónen fügt Fischer die Dickificación (für „eindicken“) hinzu; jeder sollte diese Worte drei Mal laut aussprechen, um zu hören, wie lächerlich sie klingen.

Gerade dieses Kapitel sollte man ruhig zwei mal lesen, schließlich ist Ludger Fischer, Jahrgang 1957, auch Mitglied der „Beratenden Gruppe für die Lebensmittelkette“ der Europäischen Kommission, des Beratungsgremiums der Interessenvertreter bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und anderer EU-Gremien zu Fragen der Lebensmittelsicherheit.

Ohnehin versteckt sich im Buch eine stramme Anzahl Seitenhiebe: Da wird Anthony Bourdain zum „Bukowski der Kombüsen“, da attestiert Fischer einem bekannten Fernsehkoch, seine „Mundwinkeldeformation“ könne den Anschein einer freundlichen Miene erwecken. Und, ja, auch die Griller bekommen ihr Fett weg; wie so oft geht es auch hier um den – typisch männlichen – Aufrüstungswahn in Einbau- und Profiküchen.

Molteni-Herd

„Mann kocht!“ können Mann und Frau auf zwei Arten lesen: Als Sammlung von Anekdoten zum Thema Geschlechterkrieg am Herd. Oder als ironisches Portrait der derzeit vorherrschenden Protagonisten der Gastronomie, sei es in der Küche oder in den Medien, für die gute Küche einen „Intensifier“ und einen Zusatzstoff-Zoo braucht. Besonders Aufrüstungsverweigerer am Herd werden das Buch gern lesen. Publikationen, die sie als rückwärtsgewandte Steinzeitgourmets klassifizieren, gibt es schließlich schon genug.

Jörg Zipprick

 

Dr. Ludger Fischer, Mann kocht! Eichborn 2012, 14,99 €

 

 

 

 

 




Wohnst du noch oder lebst du schon in Frankfurts schönstem Hotel?

Der kunstvolle Amüsierbetrieb Lindenberg hat eröffnet

 

Von Ludwig Fienhold

In Frankfurt wurde jetzt mit dem Lindenberg das originellste Hotel der Stadt eröffnet, in dem es sogar eine eigene Kino-Bar gibt. Künstler und Designer haben die 150 Jahre alte Villa mit viel Witz und Charme ebenso heiter wie stilvoll gestaltet. Solche Originalität mit Drang zur Andersartigkeit kennt man eher aus New York oder London. Das Lindenberg will auch keine herkömmliche Herberge sein, sondern sieht sich als besonderer Ort für eine Gästegemeinschaft. Man will zeitloses Bleiben ermöglichen, Übernachtungsgäste sind genauso willkommen wie solche, die für wenige Tage, einige Wochen, Monate oder gar Jahre ein zweites Zuhause suchen. Das neue Hotel steht nicht im Zentrum Frankfurts, der touristischen Altstadt oder dem noblen Westend, es beweist Mut zur Lücke und platziert sich im momentan noch nicht so attraktiven Ostend, das sich aber stetig positiv entwickelt. Genau dieser Stadtteil wird schon sehr bald eine enorme Aufwertung erleben, wenn dort 2014 die Europäische Zentralbank in ein gigantisches Gebäude von 220 Metern Höhe mit 2.500 Mitarbeitern einzieht.

Lindenberg ist kein Design-Hotel mit immergleichen Lounge-Mobiliar. Es wurde bis ins kleinste Detail mit Feinsinn für Dekor, Farben und Formen sehr emotional und individuell gestaltet. Allein die schreiend schönen Lampenschirme der Berliner Künstlerin Isabel Ott sind Schmuckstücke und sinnliche Apperzeptionen zugleich. Einige der zehn Zimmer und Suiten zieren Wandvertäfelungen und Stuck, an vielen Stellen überraschen Kunstobjekte, alte Koffer oder Kleiderpuppen. Sämtliche Möbelstücke sind Unikate, die penibel restauriert wurden. Clever und raumsparend sind die Verstecke: In einem der Zimmer verschwindet das Bett in einer Schrankwand aus sonnenverbrannter Fichte, die zuvor über 100 Jahre lang Teil der Hauswand einer Berghütte war. Das Bad ist wie unsichtbar in einem eigens für das Hotel entworfenen Holzkubus untergebracht. In den Zimmern kann an einem Herd gekocht werden, der in einen alten Schrank für Maschinenbauzeichnungen eingepasst wurde. Dort befindet sich auch die Minibar. Alle Zimmer sind mit einem französischen Bett und exquisiten Matratzen des finnischen Herstellers Fennobed ausgestattet. Zum Standard gehören Multimediapanels für Musik und Lan sowie Plasma-Fernseher. Die Suiten und Zimmer heißen Lilly, Lolita, Lotta, Lila, Luna, Linda, Lulu, Laila, Lisl und Lucy und passen sich damit alliterarisch dem Namen Lindenberg an. Dem Hotelbesitzer Steen Rothenberger gefiel der Name, weil Udo Lindenberg ja seit Jahren Dauergast im Hamburger Atlantic ist.

Das Lindenberg will so etwas wie eine Mischung aus Hotel und Wohngemeinschaft sein, weshalb es auch gemeinsame Bereiche gibt, in dem man andere Gäste treffen kann. Das ausdrucksvoll gestaltete Kaminzimmer wurde von der Berliner Künstlerin Kathi Kaeppel mit üppigen Wandreliefs versehen. Lindenberg-Gäste kochen entweder selbst oder können sich von einem der Köche verwöhnen lassen. Jeder Gast hat in der gemeinsamen Küche seinen persönlichen Bereich mit eigenem kleinen Kühlschrank und Stauraum. Gekocht wird auf einer Teppanyakiplatte oder auf dem Induktionsherd. Wer bei einem Glas Wein einfach nur zuschauen möchte, kann an der Theke auf einem der Barhocker Position beziehen. Ein Geschirrspüler ist vorhanden, ebenso ein Weinklimaschrank. Direkt von der Küche geht es über die Terrasse hinaus in den Garten mit Grill, Liegestühlen und Strandkorb. Die eigentliche Sonnenterrasse weiter oben bietet Ausblick auf die Dächer der Stadt. Es gibt zudem noch einen gemütvoll-heiteren Ess-Salon, an dessen runder Tafel viele Gäste Platz finden. Sonntags wird ein „Frühstücks-Mittagsessen“ serviert – von Kimberley Unser, die sonst im Restaurant Seven Swans kocht und vom Gault Millau als  „Entdeckung des Jahres 2012“ ausgezeichnet wurde. En passant: Das Haus vom Seven Swans gehört Lindenberg-Hausherr Steen Rothenberger.

Der Fitnessraum mit seinen Dutzenden alten und schön gerahmten Spiegeln ist schon beachtlich, doch der Clou in diesem an geistvollen Einfällen reichen Hotel ist die hauseigene Kino-Bar mit plüschigen Sitzreihen, wobei auch an eine Popkornmaschine gedacht wurde. Die Kino-Bar wurde Lucia getauft – die Erleuchtete. Zu alten und neuen Filmen kann man an der gut sortierten Bar  seinen Drink genießen, auch direkt an der Theke oder in einer Sitzecke. Das Lindenberg verzichtet bewusst auf unnötigen Service, den der Gast weder braucht, noch bezahlen möchte. „Fleißige Gäste waschen ihre Hemden im hauseigenen Waschsalon, zupfen sich die Bettdecke zurecht und wenden morgens ihre Spiegeleier selbst. Gäste mit weniger Enthusiasmus für diese Handgriffe buchen sich einfach einen maßgeschneiderten Service hinzu“, meint Eva Kösling, die sich nicht Hoteldirektorin nennt, sondern den Titel „Leitung Gästewünsche“ trägt. Die reinen Zimmerpreise im Hotel Lindenberg richten sich nach Größe, Ausstattung und Dauer des Aufenthalts. Sie reichen von 99 € für den Tag bis zu 1.279 für einen Monat. Auch bei der Gestaltung der Tarife nutzt man die künstlerische Freiheit: „Träger eines Künstlersozialversicherungsausweises, registrierte Freiheitskämpfer und niederländische Staatsbürger erhalten vergünstigte Konditionen.“

Ich erlaube mir  subjektive Werturteile: Das Lindenberg ist das kunstsinnigste, sinnlichste und seelenvollste  Hotel Frankfurts. Und von einem nicht allzu kleinen Teil der Welt.

 

Lindenberg, Die Kunst der Unterkunft, 60314 Frankfurt, Rückertstrasse 47, Tel. 069 430 591 530. www.das-lindenberg.de

Zimmerpreise: Einzimmersuiten ab 99, Zweizimmersuiten ab 149 €.

Zusätzliche Services können individuell oder als maßgeschneiderte Pakete dazu gebucht werden. Die verschiedenen Frühstücksangebote beginnen bei 4 €, die unterschiedlichen Zimmerreinigungspakete sind ab 45 € pro Woche und ab 75 € im Monat erhältlich.

 

Photo Credit:  Barbara Fienhold




Der Eiffelturm unterm Hammer

Restaurant-Möbel werden versteigert

 

Am Donnerstag, 27. September, versteigert das Pariser Auktionshaus Drouot (http://www.drouot.com/?bpage=articles.Communiques&id=3113) Mobiliar aus den Eiffelturm-Restaurants „Altitude 95“ und „Jules Verne“. Beide wurden vom Star-Dekorateur Slavik 1983 gestylt, damals dominierten die Farben Schwarz und Weiß. Als die Alain-Ducasse Gruppe im Jahr 2007 die Eiffelturm-Konzession übernahm, wanderte das alte Interieur ins Lagerhaus.

Wer schon immer ein Stück Eiffelturm sein Eigen nennen wollte, kann am Donnerstag schwarzes und weißes Geschirr, Tische und Stühle sowie einen Yamaha Conservatory C3 Flügel erwerben. Mit einem Schätzpreis von 2000 bis 3000 Euro ist er das teuerste Objekt der Versteigerung. Stühle werden auf 80 bis 300 Euro geschätzt.

 JZ




Das neue Sullivan

Frankfurts Barszene wird aufgemixt

 

Am heutigen Freitag wird das neue Lokal Sullivan eröffnet, das zu den Top Ten der Bars im Rhein-Main-Gebiet zählen will. Format, Ambiente und Angebot geben Anlass dazu. Das Terrain in der Kaiserstraße mit dem Steigenberger Hotel Frankfurter Hof und mehreren Cafés wird immer mehr zum Ziel von Gästen, wobei bislang eine gute Bar fehlte.

Das neue Lokal Sullivan geht über zwei Etagen, oben ist rauchen erlaubt. Zwei große Theken, 15 und 8 Meter lang, sind die Kommunikationszentren. Platz bieten 66 Barhocker und 120 Sitzplätze. Auf der Straßenterrasse haben zudem 30 Gäste Platz, der Innenhof mit japanischem Ahorn wird noch gestaltet. Es gibt Nischen und Sitzecken, wobei die Bezüge aus strukturreichem Stoff mit markanten Farben dem Lokal einen fröhlichen Anstrich geben. Man sieht, dass alles handwerklich solide nur für dieses Lokal ausgearbeitet wurde, nichts ist von der Stange. Ein Billardtisch und in große Spiegelfronten an der Theke eingearbeitete Flachbildschirme sind Teil eines Unterhaltungsprogramms, das aber ebenso dezent gefahren werden soll, wie die Musik mit eigener DJ-Station (Funk, Deep House etc.). Auffällig ist auch die angenehme originelle Beleuchtung, die teilweise an japanische Teehausoptik erinnert, wobei insgesamt bei der Gestaltung verschiedene Stilrichtungen auf zeitgemäße Art interpretiert werden. Der Holzoden und das Mobiliar sind aus Eiche, die jedoch keine Schwere und viel eher Leichtlebigkeit ausstrahlen.

Mitbetreiber und Chefbarkeeper Christian Weber sieht das Sullivan als „klassische Bar“, wobei er dabei wohl mehr das Sortiment im Auge hat. Genau genommen basiert das Lokal auf einer gewissen traditionellen Barkultur, setzt diese aber optisch und inhaltlich zeitgemäß um. Viele Bars haben beispielsweise bislang das Weinangebot viel zu sehr vernachlässigt und denken, mit Cocktails und Drinks sei es getan. Im Sullivan werden aber neben einer ordentlichen Champagnerauswahl (25 Marken) auch gute Weine offeriert – vor allem vom toskanischen Weingut Tomilaia & Friends, das Co-Partner Tom Bock bereits erfolgreich in seinem Lokal und Flagship Store A Casa di Tomilaia in Sachsenhausen eingeführt hat und nun in die Innenstadt erweitert. Die Weinpreise im Sullivan sind, gemessen an der Qualität, mit 4 und 6 Euro (Weißwein, Rotwein 0,1l) akzeptabel. Beim Champagner gibt es den großartigen Salon „S“, bei den glasweise Ausgeschenkten aber auch leichter bezahlbare (9 und 11 €, 0,1l). Longdrinks 8 €, Cocktails 9,50 – 12.50 €, Softdrinks 2,80 €, Espresso 1,90 €, Cappuccino 2,80 €. Der Kaffee von Mokaflor (80% Arabica) ist ausgezeichnet. Betreiber des neuen Sullivan sind Tim Plasse, Jurek Wiekilow und Christian Weber, Partner in Wine ist Tom Bock.

Die durchgängig geltende Speisekarte möchte klein und cool bleiben, mit Sandwichs, wie man sie aus dem Delicut am Frankfurter Flughafen kennt, zu denen auch die mit Pastrami gehören. Gedacht ist an bestimmten Tagen auch an eine „Raw Bar“ mit Seafood und Austern. Chefbarkeeper Christian Weber, dessen Frau Stephanie die obere Raucherbar führt, glaubt mit dem neuen Sullivan alle Gästegruppen anzusprechen, nicht aber unbedingt das Publikum aus den nahen Discotheken, vor allem nicht nach deren Besuch. Er sieht auf die Bar einen großen Anteil an weiblichen Gästen zukommen, was den männlichen gefallen dürfte. Einen Türsteher will man nicht, setzt aber am Eingang nach amerikanischer Sitte einen Host ein, der die Gäste empfängt und begleitet.

LF

 

Sullivan, Frankfurt, Kaiserstr. 12, vorerst bis Montag 10. September ab 17 Uhr, danach täglich 11.30 – 1 Uhr, freitags und samstags 2 Uhr. Tel. 069 92 88 49 00. www.sullivan-bar.de

Photo Credit: Barbara Fienhold

 

 

 

 

 

 

 




Ein neuer Gastro-Komet im Rheingau?

Das legendäre Graue Haus

könnte wieder als Lokal

eröffnet werden

 

Von Ludwig Fienhold

 

Was gab es einst Schöneres als das Graue Haus im Rheingau, das Restaurant in Deutschlands wohl ältestem Steinhaus? In diesem würdevollen, zwischen heiter und melancholisch changierendem Anwesen am Fuße der Weinberge in Oestrich-Winkel, spürte man die Seele des Rheingaus. Dort traf ich zum letzten Mal Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau, diesen so pointierten, zu ehrbewussten und tragischen Gutsherren von Schloss Vollrads, der sich auf einer Bank im Weinberg aus dieser Welt schoss. Ihm gehörte auch das Graue Haus, das einst Stammsitz der Familie von Greiffenclau war –  erbaut 850 und von Weinlaub wie ein mythischer Faun umgrünt. Bewirtschaftet wurde es knapp 15 Jahre lang von dem emotional und handwerklich feinfühligen Egbert Engelhardt, dessen hochwertige Landhausküche mit Milchlammkeule in Zitronen-Thymian-Sauce, gebratenem Zicklein, einem immer noch seltenen Färsenrückensteak und dem famosen Sauerampfer-Dickmilch-Sorbet auf Rhabarbersauce unvergessen ist. Auf der Weinbergsterrasse war einem ganz lyrisch zumute, von Tisch elf im Haus selbst hatte man einen dramatisch schönen Blick über die Rheinauen.

Gutsausschank Im Baiken

Egbert Engelhardt führte das Restaurant gemeinsam mit seiner Frau Christa bis 1997. Das kurze Gastspiel von Ralf Zacherl danach, einem heutigen Fernsehkoch, blieb ohne Spuren. Nach dem Abschied von Greiffenclau im August 1997 verwaiste das Graue Haus und war nurmehr eine tote Immobilie. Inzwischen wurde das Graue Haus von dem Unternehmer Kurt Simon gekauft, der es wiederbeleben möchte. Da das historische Gebäude unter Denkmalschutz steht, muss jeder Handgriff mit den Behörden abgesprochen werden. Diesen sei geraten, den neuen Besitzer zu unterstützen, denn bislang war das Graue Haus ohne ihn ja regelrecht der Verwahrlosung ausgeliefert. Durch dieses einzigartige Haus hätte der Rheingau durchaus eine Legitimation als Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. Es wäre aber auch so eine schöne und leise Sensation, wenn es gelänge, aus dem Grauen Haus wieder eine besondere Stätte der Gastlichkeit zu machen.

Der Gastronom Egbert Engelhardt ist in all den Jahren seinem Stil treu geblieben. Er steht zwar nicht mehr selbst so oft am Herd, führt aber als Spiritus Rector unter anderem drei zwingend lohnenswerte Ziele im Rheingau: Gutsausschank im Baiken und Anleger 511 in Eltville sowie Schwarzes Häuschen in Hattenheim. Sauerampfer setzt er übrigens wie in alten Zeiten immer noch gerne und gut ein.

Im Baiken

In der Weinlage Baiken hält man einen Logenplatz im Rheingau. Man lässt den Blick spazieren gehen und liest zwischen den Rebzeilen. Dieser Ort führt einen unmittelbar zum bloßen Dasein. Dösen mit Genuss. Geschmorte Lammstelze, Filet vom Jungschwein, Wildbratwurst. Und dann diese saftige, würzige, pralle, sexy Frikadelle, diese Marilyn Monroe unter den Klopsen. Man schwelgt und wird erst wieder durch das nächste Glas Riesling von Servicechefin Eva Förster geweckt. Sie darf das, denn ihr herzhaftes Lachen passt zur Frikadelle.

Im Schwarzen Häuschen in der berühmten Steinberglage von Kloster Eberbach wächst man als Gast geradezu mit dem Wein zusammen. Die Atmosphäre ist so beseelend, dass man sogar mit Menschen ins Gespräch kommt, die man sonst wahrscheinlich übersehen würde. Das Weinbergshäuschen selbst ist kleiner als die Toilette im Tantris.

Während die Gäste auf langen Bänken mitten im Weinberg sitzen, drängen sich die Servicemitarbeiter im Schwarzen Häuschen, wo alles gelagert wird. Man darf deshalb keine richtige Küche erwarten, die Vesperplatte und der Ochsenmaulsalat im Gläschen sind aber gut genug, zumal die grandiose Aussicht kaum Ablenkungen zulässt. Der Steinberg ist eine der wertvollsten Lagen der Welt, die 30 Hektar gehören ganz dem Riesling. Die Mauer wurde im 18. Jahrhundert zum Schutz vor Traubendieben gebaut und schirmt jetzt vor Kaltluft ab.

Anleger 511

Der Anleger 511 bringt den Gast zwar auch an genau den Rheinkilometer 511, vor allem aber in eine andere Welt. Dieses historische Kleinod wurde so nah ans Wasser gebaut, dass man sich wie auf einem Schiff fühlt. Die Servicemitarbeiter tragen auf ihren Shirts auch den Titel „Crew“. Rheingauer Weine und selbst Champagner sind so preiswert, dass man sich vor dem Ertrinken schützen muss. Es gibt viele gute Gerichte auf der kleinen Karte. Die mit frisch gemahlenen Gewürzen und Gartenkräutern abgerundete Bratwurst ist ein saftig-würziger Naturbursche ohne künstliche Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker. Irgendwann ist Zeit zu gehen, meist später. Wenn man dann davonzieht, hat man das Gefühl, das einem irgendwer zurückwinkt.

Selbst nach vielen Stunden Rheingau fällt der Abschied schwer. Es gilt, was einst auf meinem Grabstein stehen soll: Ich wäre noch gern auf ein Glas geblieben.

 

Gutsauschank Baiken, Eltville, Wiesweg 86, Tel. 06123 900345. Geöffnet April bis Oktober: Di-Fr ab 17.00 Uhr · Sa ab 15.00 Uhr · So und feiertags ab 11.30 Uhr. November bis März: Do-Sa ab 17.00 Uhr · So und feiertags ab 11.30 Uhr Februar – Urlaub.

Anleger 511, Eltville, Platz von Montrichard 2, Tel. 06123 689168. Geöffnet Montag bis Freitag 12 – 22 Uhr, Samstag und Sonntag 10 – 22 Uhr.

Schwarzes Häuschen,  Domäne Steinberg, Eltville, zwischen Kloster Eberbach und Hattenhein. Freitag ab 14 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen ab 11 Uhr. Geöffnet je nach Wetter zwischen März und Oktober.  Die abendlichen Schließzeiten richten sich nach der Witterung. Informationen beim Betreiber des Schwarzen Häuschens, der 11. Generation GmbH Tel. 0611 17 43 7-18

 

Bild oben rechts: Graues Haus in Oestrich-Winkel (Archiv), alle anderen Bilder Barbara Fienhold




Kurioser Trend: Der Ersatz-Weintrinker

Flaschen ohne Etiketten

 

Weinfreunde auf der ganzen Welt amüsieren sich über die so genannten „Etikettentrinker”. Diese genießen den Wein nämlich ausschließlich wegen des mit ihm verbundenen sozialen Status. Bestimmte Namen und Marken auf Weinflaschen versprechen dem Eigentümer Prestige und Anerkennung. Bei genauerem Hinsehen erkennt der genuine Genießer aber, dass die Person durch Äußerlichkeiten und Benehmen nur den Eindruck erwecken will zur Gruppe der wahren Weinkenner zu gehören. Ihre tatsächliche Ignoranz verdecken diese Menschen häufig durch ein gewisses Maß an Wichtigtuerei, Überheblichkeit und Blasiertheit.

Nichts für Etikettentrinker

Kürzlich bin ich auf eine kuriosen Variante der Etikettentrinker gestoßen: Weinfreunde, deren Weinflaschen weder Etiketten noch Kapseln haben. Der Sinn solchen Verhaltens ist leicht nachvollziehbar: Man überhöht die Einfachheit auf das Niveau einer eingebildeten Ursprünglichkeit. Wie auf den gedeckten Tischen der Weinbauern oder in den Weinkneipen der Weinbauregionen gerade abgefüllte Flaschen ohne Etikett und Kapsel auf den Tischen stehen und Originalität suggerieren, tut die blanke Flasche auf der Tafel den gleichen Dienst und markiert die Nähe zum Winzer und damit die vermeintlich hohe Kennerschaft des Gastgebers. Die unetikettierte Flasche verbreitet das Image einer extra für den persönlichen Gebrauch gemachten Abfüllung. Ich habe den Verdacht, dass manch einer dieser „No Name”-Freaks Etikett und Kapsel aufwendig entfernt haben um zu der erstrebten Äußerlichkeit zu gelangen. Das kann aber nur glaubwürdig funktionieren wenn Bescheidenheit und Einfachheit als Image einer persönlichen Originalität auch zum übrigen Lebensstil des Gastgebers passen.

Ein weiteres, soziologisch interessantes, Phänomen ist die von Rolf Breitenstein* beschriebene „Simulationsgesellschaft”. In seiner Studie hat er die in unserer Industiegesellschaft herrschende Lehre des STAO, was „so tun als ob” heißt, definiert. Der Manager lässt seine Sekretärin den Brief mit dem Vermerk „nach Diktat verreist” unterschreiben, um seinem Partner zu zeigen, wie vielbeschäftigt er ist. Dabei sitzt er im Chefsessel und liest den Klatschteil der Tageszeitung. Worüber man im gesellschaftlichen Rahmen noch lächeln kann, das hat sich in der Soziologie der Verbraucher tatsächlich schon längst unter dem Begriff „Surrogat-Konsument” etabliert. Was damit gemeint ist, lässt sich an einem Beispiel einfach demonstrieren: Automagazine veranstalten und publizieren umfangreiche Tests von Automodellen, die für den überwiegenden Teil der Leserschaft aus materiellen Gründen unerreichbar bleiben. Die detaillierten Beschreibungen des Luxus eines Ferrari, Porsche, Bentley oder Maybach nehmen überproportional viel Raum ein und werden gierig gelesen. Die Informationen, die die Leser über diese Ikonen der Branche erhalten, sind für viele Nachfrager offenbar „selbstgenügsam”, d.h. sie reichen zu seiner Befriedigung. Er kann nun mitreden bzw. so tun als ob er eigene Erfahrungen mit dem für ihn unerreichbaren Lustobjekt gemacht hat. Solche „selbstgenügsamen” Informationen werden besonders im Genusssektor sehr hoch gehandelt.

In Gourmet-Zeitschriften, die auf den ersten Blick bereits erkennbar für weniger begüterte Zielgruppen gemacht werden, erscheinen Reportagen und Rezepte von den großen Restaurants im In- und Ausland. Kaum ein Leser dieser Blätter wird sich jemals dorthin begeben und trotzdem ist er irgendwie mit von der Partie und kann mitreden. Reiseführer verfolgen häufig den gleichen Zweck. Es gibt Menschen, die ziehen Befriedigung bereits aus der Lektüre über potentielle Genüsse. Das Wissen darüber ist zum Genussersatz (Surrogat) geworden. Nicht viel anders ist es beim Wein. Ich kenne Weinfreunde, die die Bewertungen der großen Weinjournalisten sämtlicher Bordeaux Grand Crus aus den letzten beiden Jahrzehnten auswendig kennen und darüber referieren können, als seien es ihre eigenen Verkostungsnotizen. Mancher Weinfreak kennt alle Details von den großen Weingütern und ihren Weinen ohne jemals einen Tropfen davon am Gaumen gehabt zu haben. Ich habe mich auch selbst schon ertappt, über Weine geredet zu haben, denen meinen Geschmacksnerven noch nie begegnet sind, über die ich aber so viel gehört hatte, dass sie mir im Detail bekannt waren. Solche „Surrogat-Trinker” gibt es in allen sozialen Schichten der Weintrinker, sie kommen aber bei den wirklichen Enthusiasten vermutlich deutlich häufiger vor.

Ich glaube, dass man sich als Weinfreund ein ironisches Lächeln nicht verkneifen kann, aber gleichzeitig zugeben muss, dass Etikettentrinker sich einem geringeren Risiko aussetzen, schlechte Weine serviert zu bekommen. Als Weinhändler muss man beide hier beschriebenen Gruppen ernst nehmen.

Peter Hilgard

 

Das Titelbild stammt von der Künstlerin Ute Ringwald, die im Schwarzwald geboren wurde und in Bad Vilbel bei Frankfurt lebt und arbeitet. Ihre opulenten, farbenfrohen und ironischen Aquarelle sind oft von genießerischen und erotischen Motiven geprägt und haben eine lebensfrohe Ausstrahlung.  www.uteringwald.de www.facebook.com/ute.ringwald.malerei 

 

 

 

*Breitenstein, Rolf: Die Simulationsgesellschaft. Glücklich ist – wer nur so tut.

München, Wirtschaftsverlag Langen-Müller/Herbig