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Wenn Italiener nerven

Offener Brief an

die Gastronomie

 

Liebe italienische Freunde,

es ist gewiss keine Auszeichnung als „Dottore“ angesprochen zu werden – das macht nur alt. Es ist auch wenig amüsant, dass ihr mit einem gigantischen Pfefferstreuer auf allem herumkrümelt, was bei drei nicht unterm Tisch ist. Niemand, der bei Sinnen ist und rechnen kann, legt zudem wert darauf, mit einer sprechenden Speisekarte konfrontiert zu werden, die keinen Einblick in Preisgestaltungen offenbart, welche sich an nicht kalkulierbaren Tagesbefindlichkeiten orientieren.

Liebe italienische Freunde, es ist albern, wenn ihr mit Handschuhen Trüffel hobelt, und es ist unprofessionell, wenn ihr gute Weine im Regal über der Theke stehen habt. Schenkt uns lieber reinen, gut gelagerten und richtig temperierten Wein ein. Und keinen ausgelaugten Prosecco, der sehr viel besser sein kann, als das, was ihr uns hier zu Lande meist unter diesem Namen für zu viel Geld kredenzt.

Werte Italiener, die ihr euch auf eines der schönsten Länder der Erde und eine der besten Küchen der Welt berufen könnt, ihr habt es leider etwas übertrieben mit der Betriebsamkeit und der Nachlässigkeit. Dabei habt ihr geglaubt, euer flinker Charme würde reichen, um nicht selten mangelnde Qualität überspielen zu können. Doch man muss schon etwas mehr anbieten, als die ewig gleichen Speisekarten, die der eine Ex-Kellner vom anderen Ex-Koch abgeschrieben hat und herumreicht wie eine Stafette.

Spaghetti-Hund 2Viele Italiener gleichen aneinander und langweilen. Genau deshalb haben sehr viele italienische Lokale Probleme. Gerade in schlechten Zeiten zeigt es sich, wofür die Leute wirklich bereit sind, Geld auszugeben. Es liegt jedoch nicht nur an den ausgebeutelten Portemonnaies, wenn Restaurantstühle leer bleiben, es liegt auch an einer Gastronomie, die sich allzu faulbärig im angestammten Terrain gewälzt hat und keinerlei Anstalten zeigte, neue Ideen zu entwickeln. Das heißt beispielsweise, sich regionaler Besonderheiten und einer kulinarischen Identität bewusst zu werden, wie sie in Italien in all ihren Facetten von Dorf zu Dorf zu spüren ist, in deutschen Städten aber eher als langweiliger Einheitsbrei zu Tage tritt. Die Zeit, in der sogar mäßige italienische Lokale mindestens zweimal am Abend neue Gäste begrüßen konnten, ist längst vorbei. Selbst einige der alten Italo-Stars haben zu kämpfen und sind froh, wenn jemand auf einen Teller Spaghetti vorbeikommt. Schaut doch, liebe Italiener, wieder mal bei euren Kollegen rein – denen, die gut sind. Vielleicht erkennt ihr ja, dass es noch mehr gibt als große Pfefferstreuer.

Liebe Italiener, bleibt bescheiden, protzt nicht mit dem besten Trüffel, wenn ihr wisst, dass dieser nur halb so gut ist wie ihr vorgebt. Die Küche Italiens ist keine armselige. Sie speist aber die Armen und die Seligen. Mit ehrlichen Leistungen.

Ludwig Fienhold

 

 




Gault Millau Koch des Jahres: Daniel Achilles vom Reinstoff in Berlin

Mit Jacqueline Amirfallah

ist auch endlich wieder eine

Frau mit an der Spitze

 

Der neue Gault & Millau 2014 lobt das Weltniveau der deutschen Spitzenküche und beklagt deren mangelnde öffentliche Unterstützung. Mit dem Titel „Koch des Jahres“ wird Daniel Achilles vom Restaurant Reinstoff in Berlin ausgezeichnet, weil er „aus einfachen Produkten geschmacklich Funken zu schlagen versteht“. Zum „Restaurateur des Jahres“ wird Tim Raue, der in drei Restaurants drei verschiedene Küchen bietet. Weitere Aufsteiger: Bobby Bräuer in München, Volker Drkosch in Düsseldorf und Hendrik Otto in Berlin.

In diesen Minuten wird der Gourmet Guide vor Vertretern der Presse in der alten ehemaligen Bötzow-Brauerei präsentiert, wo Tim Raue das La Soupe Populaire bekocht.

„Die besten deutschen Köche kochen heute auf Augenhöhe mit den Stars der globalen Spitzengastronomie. Die Restaurantszene präsentiert sich weltoffen, vielfältig, kreativ und auf dem neuesten Stand“, lobt der Gault & Millau in seiner jetzt erscheinenden Deutschlandausgabe 2014 und bedauert, dass „diese erfolgreiche Entwicklung an einem Aufmerksamkeitsdefizit leide. Spanien, Skandinavien und neuerdings auch lateinamerikanische Staaten wie Peru oder Brasilien machen vor, wie man der eigenen Restaurantszene durch gezielte Förderung mit öffentlichen Mitteln zu einem ganz neuen Image verhelfen kann – das nicht zuletzt auch den Tourismus fördert. Deutsche Politiker aber sehen nach wie vor ein Wiener Schnitzel in ihrem Stammlokal als den Höhepunkt lukullischer Freuden und tun nichts dafür, dass die Kulinarik den Stellenwert erhält, den sie in Ländern wie Frankreich und Italien schon immer hat.“

Restaurant Reinstoff in Berlin

Restaurant Reinstoff in Berlin

Über die reine Restaurantkritik hinaus beschäftigen sich die Tester auch mit allgemeinen gastronomischen Entwicklungen in Deutschland. So fragen sie: „Geht die ursprüngliche Idee von Gastlichkeit verloren? Eine neue Generation von Köchen sieht sich nicht mehr im Dienst des Gastes, sondern erwartet Bewunderung für den kreativen Genius und vor allem Fügsamkeit. Sie bieten keine Auswahl an Gerichten mehr an, sondern nur noch ein Menü, um sich Arbeit zu ersparen. Was die neuen Schmalspurköche dabei nicht in ihr Kalkül einbeziehen: Die Gäste, denen der Genuss wichtiger ist als der Hype um den Koch, bleiben weg.“

Ferner beklagen die Kritiker des Gault & Millau: „Es gibt kaum noch Produkte, die nicht erbarmungslos in Plastik gepackt, vakuumverschweißt und ins Wasserbad gesenkt werden. Man verspricht eine sanfte Garung, bei der natürliche Aromen ebenso erhalten blieben wie Nährstoffe und Vitamine. Im Idealfall mag das stimmen. Doch der ist bei diesem Sous vide- oder Niedertemperaturverfahren leider die Ausnahme. Von Garmisch bis Sylt werden Gäste vielmehr traktiert mit labbrig gegartem Fisch und gleichförmigem, saft- und kraftlosem Fleisch.“

Aufsteiger Volker Drkosch

Aufsteiger Volker Drkosch

Außerdem geht der Gault & Millau den Klagen nach, dass der Kellnerberuf für junge Leute nicht mehr attraktiv zu sein scheint, und werben: „Er ist, bei Lichte besehen, alles andere als ein schlechter Job. Wer gut ist, arbeitet in attraktivem Ambiente, begegnet täglich neuen Menschen, hat Aufstiegschancen in großen Hotels und die Möglichkeit, weltweit zu arbeiten. Was also läuft falsch? Liegt es nur an den Arbeitszeiten oder auch daran, dass die Köche die Kellner zu reinen Tellerschleppern degradieren?“

 

Der Koch des Jahres schlägt geschmackliche

Funken aus einfachen Produkten

 

Als „Koch des Jahres“ kürt der Gourmet Guide den 37 Jahre alten Daniel Achilles (Bild oben rechts) vom Berliner Restaurant Reinstoff und proklamiert: „Wie er aus vermeintlich einfachen Produkten große Küche macht, das empfinden wir als im höchsten Maße zeitgemäß. Denn ein teuer eingekaufter Steinbutt schmeckt per se gut, doch weil ein Wels oder ein Petermännchen eher dem Budget eines jungen, selbstständigen Kochs entsprechen, wird hier der Mehrwert durch eigene Denkarbeit und hohen Aufwand in der Küche geleistet.“ Sie „bietet bei aller Präzision und Produktbesessenheit  auch sinnlich-süffigen Genuss und Witz“ und „entwickelt sich gegenwärtig von allen Berliner Küchen am schnellsten voran. Um geschmackliche Funken in einem durch und durch eigenständigen Stil zu schlagen, genügen Achilles marinierter Strömling mit Äpfeln, Blüten, Zwiebel und Mini-‚Smörrebröd‘, ein herrlich intensives Ochsenschwanz-Curry mit Linsen und Mango, das indische Einflüsse auf höchstem Niveau interpretiert, oder gerösteter und gehobelter Kohlrabi, ein sanft-sahniger Sud mit Nudelblättern und ein Hauch Seezungen-Bottarga.“

Für solche Gerichte erhält der gebürtige Leipziger, dessen Mutter Köchin war und der sich die höheren Weihen bei den Topköchen Juan Amador und Christian Bau holte, 18 von 20 möglichen Punkten. Sie stehen in dem Guide, der nach dem französischen Schulnotensystem urteilt, für „höchste Kreativität und bestmögliche Zubereitung”.

Bobby Breuers Ess Zimmer in München

Bobby Breuers Ess Zimmer in München

Wie der Workaholic Achilles, der in seiner Freizeit gern elektronische Musik hört, steigern sich auch Volker Drkosch vom „Victorian“ in Düsseldorf und Hendrik Otto vom Lorenz Adlon Esszimmer in Berlin auf 18 Punkte. Drkosch serviert unter Titeln wie 5716 Kilometer bis nach Timbuktu oder Vamos a la Playa 2.0 kühne Kombinationen der genüsslichen Mondäne“. Otto „brilliert durch extremen technischen Schwierigkeitsgrad und klassische Luxusprodukte. Was da schlicht ‚Gänseleber/Briochecreme‘ heißt, ist ein komplizierter, geschichteter Aufbau aus zahlreichen Elementen, die geschmacklich hochpräzise ineinandergreifen: die Gänseleber auf drei Arten, dazwischen Polenta, Aromen von Orangenschale, Kaffee, Zwetschgen, Trüffel, Brioche, ein wenig weiße Geleespaghetti“. Auf Anhieb bekam die 18 Punkte Bobby Bräuer im letzten März eröffneten Münchner Ess.Zimmer für „seine souveräne Beschränkung auf wenige Produkte in stets überzeugenden Aromen-Kombinationen. Optisch wie geschmacklich hinreißend war Langustine in spannungsreicher Symbiose mit Spanferkel, dazu Gemüse-Papaya-Salat und Salzzitrone“.

17 Punkte erreichten erstmals 9 Köche, unter ihnen Jacqueline Amirfallah

vom Restaurant Gauß in Göttingen, die damit neben Douce Steiner vom Hirschen in Sulzburg (Südbaden) höchstbewertete Köchin in Deutschland ist. Für ihre „durch fein austarierte Aromatik und orientalische Töne aus der Heimat ihres iranischen Vaters begeisternde Küche“ wird die studierte Soziologin „Aufsteiger des Jahres“. Dieselbe Note schaffte auf Anhieb auch „Die Entdeckung des Jahres“ Tohru Nakamura, seit April Küchenchef von Geisels Werneckhof in München.  Der in München aufgewachsene und bei besten Köchen Europas und Tokios geschulte Deutsch-Japaner brilliert mit „einer einzigartigen Mischung aus uralter japanischer Küchentradition und zeitgemäßer europäischer Avantgarde“. Die anderen 7: Sören Anders vom Anders Superior in Karlsruhe, Benjamin Biedlingmaier vom Caroussel in Dresden, André Münch vom Gutshaus Stolpe in Stolpe bei Greifswald, Yoshizumi Nagaya vom Nagaya in Düsseldorf, Hubert Obendorfer vom Eisvogel in Neunburg vorm Wald (Oberpfalz), Paul Stradner von Brenners Park-Restaurant in  Baden-Baden und Peter Wirbel vom Le Noir in Saarbrücken.

 

Aufsteigerin des Jahres Jaqueline Amirfallah

Aufsteigerin des Jahres Jaqueline Amirfallah

An der Spitze der kulinarischen Hitparade des Gault & Millau stehen mit 19,5 Punkten:

Harald Wohlfahrt in der Schwarzwaldstube in Baiersbronn, „der das Repertoire der Lebensmittel mit all ihren Aromen und Konsistenzen einzigartig in Deutschland immer wieder neu und zeitgemäß zu interpretieren versteht, ohne je der Verführung modischer Äußerlichkeiten zu erliegen“.

Joachim Wissler vom Vendôme in Bergisch Gladbach: „Allzeit neugierig und auf der Suche nach Herausforderungen, gilt er hierzulande als Vordenker seiner Zunft und prägt Trends, an denen sich jüngere Köche orientieren.“

Klaus Erfort vom GästeHaus in Saarbrücken „hat verstanden, dass große Küche unkompliziert daherkommen muss, wenn sie auch für die jüngere Generation noch Zukunft haben soll. Im Zeitalter verkünstelter Tellergerichte ist man nur noch selten so nah am Wesen einer Speise.“

Helmut Thieltges vom Waldhotel Sonnora in Dreis bei Wittlich in der Südeifel, der „nichts dekonstruiert und manipuliert, nichts verfremdet und verfälscht und eine Opulenz bietet, als fielen die teuersten Zutaten wie Manna vom Himmel“.

 

Oberkellner des Jahres

Oberkellner des Jahres Jérôme Pourchère

Diesem Quartett folgen mit je 19 Punkten für außergewöhnliche Gerichte

Tim Raue vom Restaurant Tim Raue in Berlin: „Als Gipfel unter seinen kulinarischen Achttausendern empfanden wir das makellose Steinbuttfilet mit Dashi und Bonitoflocken, begleitet von einer kleinen Spur aus Ingwer, Erbsen und Melone, saftig umrundet von einem Püree aus Erbsen und Zwiebeln mit Melonensaft.“

Christian Bau vom  Schloss Berg im saarländischen Perl-Nennig: „Die Gelbflossenmakrele, halbkreisförmig als farbenfrohes Tellergemälde arrangiert, deckt mit den vielen begleitenden Elementen alle Konsistenzen von weich über bissfest bis knusprig und alle Aromen von dezent bis kräftig, von säuerlich bis süßlich, von mild bis pikant ab.“

Hans Stefan Steinheuer von Steinheuers Restaurant zur alten Post in Bad Neuenahr: Kreativer Koch mit untrüglichem Gespür für spannende Aromen und deutlichen Geschmack, der ihm wichtiger ist als waghalsige Experimente und modernistische Stil- und Spielarten.“

Thomas Bühner vom La Vie in Osnabrück: „Kühl kalkulierte und ansprechend arrangierte Tellerlandschaften mit bis zu zwei Dutzend Komponenten pro Gang.“

Christian Jürgens von der Überfahrt in Rottach-Egern am Tegernsee: „Im spielerisch-kreativen Geist bringt er vom  geschmacklichen Spaziergang durch die heimische Natur ‚Seerosen‘, ‚Gemüsegarten‘ oder ‚verschneiten Tegernsee‘ mit.“

Claus-Peter Lumpp vom Restaurant Bareiss in Baiersbronn: „Gebratener Loup de Mer, dessen Haut kross und knusprig wie Blätterteig ist, mit einem ganzen Strauß an Zitrusnuancen.“

Nils Henkel vom Schloss Lerbach in Bergisch Gladbach: „In seinem Konzept der ‚Pure nature Cuisine‘ steht auf jedem Teller ein Produkt im Vordergrund, dem gleichsam aromatisch zugearbeitet wird.“

Heinz Winkler von der Residenz Heinz Winkler im oberbayerischen Aschau: „Bewahrt den Reiz der große Klassik mit all ihrer Eleganz auf der Höhe der Zeit.“

Sven Elverfeld vom Restaurant Aqua in Wolfsburg: „Beim Kabeljau unter leicht geschmolzener Kalbskopfsülze mit brauner Butter und Perlzwiebeln beeindruckt Blumenkohl in Texturen: Kleine Röschen, roh marinierte dünne Scheiben, mit Nussbutter angereichertes Püree und ‚Asche‘ aus getrockneten Blumenkohlblättern, die über den Fisch gestreut ist.“

Von den 36 deutschen Topköchen, die 18 bis 19,5 Punkte bekommen, stehen 7 in Bayern, 5 in Rheinland- Pfalz und je 4 in Baden-Württemberg, Berlin, NRW und Schleswig-Holstein am Herd. Neben hochkarätigen Restaurants und bemerkenswerten Lokalen werden im neuen Gault & Millau auch ein Dutzend Wirtshäuser sowie ein Burger-Grill aufgeführt.

Entdeckung des Jahres, Tohru Nakamura (m) mit Team

Entdeckung des Jahres, Tohru Nakamura (m) mit Team

Außer dem Koch, dem Aufsteiger und der Entdeckung des Jahres zeichnet der Guide noch weitere kulinarische und gastronomische Leistungen aus:

Oberkellner des Jahres: Jérôme Pourchère vom „GästeHaus“ in Saarbrücken.

Sommelier des Jahres: Markus Berlinghof vom Jacobs in Hamburg.

Restaurateur des Jahres: Tim Raue, der in Berlin drei Restaurants mit unterschiedlichen kulinarischen Konzepten führt; sein asiatisch inspiriertes „Tim Raue“, das thailändische Sra Bua im Hotel Adlon und das neo-bürgerliche La Soupe Populaire im Stadtteil Prenzlauer Berg.

Kochschule des Jahres: Franz Feckl vom Landhaus Feckl in Ehningenbei Stuttgart.

Hotelier des Jahres: Dietmar Müller-Elmau vom Schloss Elmau in Elmau (Oberbayern).

 

Sommelier des Jahres Markus Berlinghof vom Louis C. Jacob in Hamburg

Sommelier des Jahres Markus Berlinghof vom Louis C. Jacob in Hamburg

Insgesamt bewertet der Gault & Millau in seiner neuen Ausgabe 1001 Restaurants. Die 27 Tester, die stets anonym auftreten und dieses Jahr 266.000 € Spesen machten, verleihen 858 Luxuslokalen und Landgasthöfen, Bistros und Hotelrestaurants die begehrten Kochmützen. Dazu müssen die Köche mindestens 13 von 20 Punkten erreichen.

Da auch die Welt der Gourmandise im ständigen Wandel ist und die Plätze im Feinschmeckerparadies immer wieder neu gerührt und erkocht werden, serviert der Gault & Millau im Vergleich zur Vorjahrsausgabe 131 langweilig gewordene Restaurants ab und nimmt 110 inspirierte Küchen neu auf, darunter ein Burger-Grill in Köln und ein Dutzend Wirtshäuser. 121 Köche werden höher, 104 niedriger als im letzten Guide bewertet. Ferner beschreibt und klassifiziert der im Münchner Christian Verlag erscheinende Reiseführer für Genießer (736 Seiten, 29.99 €) 250 Hotels.

www.christian-verlag.de

 

 

 

 

 

Die Bestenliste auf einen Blick mit einem Klick

 

Gault & Millau Bestenliste 2014

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 




Gault & Millau 2014: Die besten Köche Hessens

Die Gewinner & Verlierer

 

Mit Ingo Bockler aus Herleshausen, Markus Medler aus Maintal und Adalbert Seebacher aus Oberursel steigen drei Köche auf, die nicht im Zentrum der kulinarischen Macht Frankfurt arbeiten, sondern auf dem Land.

Nach Meinung des Gault & Millau ging durch die Küche von Ingo Bockler vom Hohenhaus in Herleshausen, ein Ruck. Man schmeckt es demnach bei der gebratenen Rotbarbe mit schwarzer Olivenmarmelade und dezenten Zitronenzesten oder den Jakobsmuscheln mit geschwenkten Lauchzwiebeln und hauchdünnem Kalbskopf.

Markus Medler vom Hessler in Maintal, verstand es überzeugend „zarte gegrillte Calamaretti aromenreich auf cremigem, salbeiwürzigem und mit Paprika angereichertem Risotto samt gebackener Kapern oder geschmorten Schweinebauch mit Honiggurke, Feigen und Kreuzkümmel“ zuzubereiten.

Ein sehr genaues und harmonisches Abschmecken beeindrucke die Tester bei Adalbert Seebacher (Bild oben rechts) vom Kraftwerk in Oberursel, „dessen scheinbar unbekümmerte Leichtigkeit bei einer Cremesuppe von der Steckrübe mit Garnelen und Chorizo oder einer Komposition von Garnele, Jakobsmuschel, Tomate und Vanille nebst gebackener Parmesan-Risoni-Kugel zu erleben war.

Alle drei genannten Spitzenköche bekommen in der jetzt erscheinenden Gault & Millau Deutschlandausgabe 2014 jeweils 16 Punkte, die für einen „hohen Grad an Kreativität und Qualität“ verliehen werden.

Mario Lohninger

Mario Lohninger

Der Frankfurter Mario Lohninger, der neben seinem eigenen Restaurant auch das fünf Minuten entfernte Holbein’s kochend betreut, hob auch dessen Küche auf 16-Punkte-Niveau, beispielsweise durch „umwerfend gute, geschmorte Short Ribs vom US-Beef mit gedämpfter, leicht süßlicher tropischer Yams-Wurzel und nussig-buttrigen Edamame-Bohnen aus Japan und köstlicher Sauce aus Pflaumenwein“.

Auf 15 Punkte verbessern sich dank eindrucksvoller Gerichte: Ralf Dörr vom Bartmann’s Haus in Dillenburg („Bresaola vom Nebraska-Beef mit einer Variation von der Ochsenherztomate“), Thomas Haus vom Goldman in Frankfurt („auf einem kleinen Holzkohlegrill serviertes XXXL-Kalbskotelett mit schönem Kalbsjus, gerösteten kleinen Kartoffeln, jungem Knoblauch, Knollensellerie-Mus, glasiertem Gemüse und frischen, in peppiger Gremolata-Würze gebratenenWaldpilzen“), Alfred Friedrich vom Lafleur in Frankfurt („Taubensalat mit Entenleber-Omelette, jungem Lauch und Wildkräutern“).

Dieselbe Note erhalten auch Uwe Weber vom Restaurant Emma Metzler in Frankfurtund André Grossfeld vom Grossfeld – Gastraum Der Sinne in Friedberg, die damit aber jeweils einen Punkt weniger als im Vorjahr bekommen. Weber enttäuschte die Tester, weil „eine bläulich-grüne Kräuteressenz, in der ein gebackenes Hühnerei und ein Blauschimmelkäse-Honig-Crostino beeindrucken sollten, blass und nichtssagend wirkte oder Tsarskaya-Austern mit pink-krassem Wodkagelee ziemlich künstlich erschienen“. Bei Grossfeld fragen die Kritiker: „Ist die Küche bei Sinnen, wenn sie im Menü nach auf der Haut gebratenem Kabeljau in Holunderschaum, auf der Haut gebratenen Zander mit Radieschen, Rettich und Avocadomousse noch einmal auf der Haut gebratenen Dorsch mit Chicorée, Zitrusfrucht und Safranschaum bietet?“

Carmelo Greco

Carmelo Greco

 

Platz 1 der kulinarischen Hitparade des Gault & Millau in Hessen teilen sich mit jeweils 17 Punkten:

Carmelo Greco vom Restaurant Carmelo Greco in Frankfurt („Milchferkel mit Krusteln, karamellisiertem Apfel und Ananasconfit“), Patrick Bittner vom Restaurant Français in Frankfurt („die Kombination von Osietra-Kaviar, Gin und Gurke scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich, harmoniert aber auf den ersten Biss“) sowie Andreas Krolik vom Tigerplast in Frankfurt („roh marinierte Gelbflossenmakrele, Taschenkrebssalat, Blumenkohlcreme und zartes Curry-Eis“). Mit in dieser Riege ferner dabei: Dirk Schröer von der Burg  Schwarzenstein in Geisenheim („seltsam anmutende Allianzen wie Iberico-Schwein mit seinen Bäckchen à la rheinischer Sauerbraten und seinem Filet mit gerösteten Pumpernickelbröseln und einem mit Gruyère vermischten Rosinenragout erreichen eine ungeahnte Harmonie am Gaumen“). Matthias Schmidt von der Villa Merton in Frankfurt („ignoriert Hummer, Gänseleber und Co., bevorzugt heimische Produkte wie Sellerie und serviert ihn in Salatsaft und Johannisbeerstrauch-Emulsion gebadet, als gefrorenen Knollensellerie und sehr einreduzierten Saft mit Majoran und Knoblauchrauke “). Patrick Spies vom L’Etable in Bad Hersfeld („würzig angemachtes Tatar im Glas, darüber lauwarme gelierte Ochsenschwanzessenz , leicht aufgeschlagene Crème fraîche und hoch aromatischer Kräuterschaum“).

Christoph Rainer von der „Villa Rothschild“ in Königstein, der einen Punkt verliert, weil die Tester „heuer mit der bislang hochgelobten Küche nicht ganz glücklich“ waren.  So ging die roh marinierte Entenstopfleber mit leicht bitterer Note keine glückliche Verbindung mit Tomatensorbet und Pinienkern-Emulsion ein“. Mit stattlichen 17 Punkten bleibt er dennoch mit an der Spitze in Hessen.

Matthias Schmidt

Matthias Schmidt

Die Tester beschreiben und bewerten dieses Jahr insgesamt 76 Restaurants in Hessen. 64 Küchenchefs zeichnen sie mit einer oder mehreren Kochmützen aus, wofür die Könner am Herd mindestens 13 von 20 möglichen Punkten erreichen müssen. Das schaffen auch die neu eröffneten oder erstmals bewerteten Lokale Heyligenstaedt in Gießen sowie Die Scheuer in Hofheim (jeweils 14 Punkte), Lindenallee in Bad Homburg und Marburger Esszimmer in Marburg (je 13 Punkte).

Im Vergleich zur Vorjahresausgabe serviert der Gault & Millau in Hessen acht langweilig gewordene Restaurants ab und nimmt sieben neu auf, zehn werden höher, 15 niedriger bewertet. Drei Küchenchefs verlieren die begehrte Kochmütze.

 

 

 

Die besten Restaurants des Gault&Millau in Hessen auf einen Blick

 

17 Punkte

Carmelo Greco, Restaurant Français, Tiger-Restaurant, Villa Merton in Frankfurt

Burg Schwarzenstein, Geisenheim

L’Etable, Bad Hersfeld

Villa Rothschild*** Königstein

 

16 Punkte

Kronenschlösschen, Eltville

Philipp Soldan, Frankenberg (Eder)

Erno’s Bistro, Holbein’s* und Lohninger in Frankfurt

Hohenhaus* Herleshausen

Hessler*, Maintal

Kraftwerk* Oberursel

Navette, Rüsselsheim

Ente, Wiesbaden

 

15 Punkte

Bartmann’s Haus* Dillenburg

Adler-Wirtschaft, Eltville

Biancalani, Emma Metzler***, Goldman*, Heimat, Lafleur*, Max on One und Weinsinn in Frankfurt

Grossfeld*** Friedberg

Schützenhof, Glashütten/Taunus

Hohenhaus, Herleshausen

Ox, Hilders/Rhön

Krone, Höchst/Odenwald

Sänger’s sowieSchellers in Bad Homburg

Landgut Falkenstein, Königstein

Schaumahl, Offenbach

 

*Aufsteiger   **Newcomer  ***Absteiger

 

Die Bestenliste auf einen Blick mit einem Klick

 

Gault & Millau Bestenliste 2014

 

 

 

 

 

 

 




Restaurantkritik Ambiente Italiano

Der alte Oberförster ist Italiener und trinkt gute Weine

 

Wer in Kelsterbach kocht, muss sich entweder anpassen oder so gut sein, dass er auch von weither wahrgenommen wird. Riccardo Re und sein Küchenchef Pedro Fernandes versuchen mit Geschick beides. Mit der Trattoria wollen sie das lokale Publikum gewinnen, mit der anspruchsvollen Speisekarte im Restaurant den ganzen Markt. Das Lokal heißt Ambiente Italiano und befindet sich in der Alten Oberförsterei, die unter Großherzog Ernst Ludwig von Hessen um 1900 als Forstamt genutzt wurde. Genau deshalb geistern auch beide Begriffe  namensgebend, was irritierend wirkt, aber hiermit erklärt ist.

Italienische Restaurants überraschen am wenigstens durch ihre Weine. Meist trifft man die üblichen Verdächtigen, und die auch noch nicht selten schlecht gelagert und temperiert. Und überteuert. Genau das Gegenteil erlebt man beim italienischen Oberförster in Kelsterbach, der zielsicher die guten Reben abschießt und ins Glas füllt. Bereits der Prosecco Rive di Collalto Millesimato von Borgoluce aus Valdobbiadene ist ein großer Spaßmacher, der selbst trübe Tage mit seinem Wiesenduft auffrischen kann. Ob Antipasti, Pasta, Fisch oder Meeresfrüchte, die Rebsorte Ribolla wird mehr als ein angenehmer Begleiter sein. Vor allem, wenn sie so frisch, würzig und heiter über die Zunge rollt, wie beim Adelchi von Venica & Venica aus dem Friaul. Padrone Ricardo Re ist ein Weinfuchs, der sich selbst und seinen Gästen Gutes gönnt. Man kann seinen Empfehlungen vertrauen, was sonst im Gastgewerbe ja leider nicht selbstverständlich ist. Die Brüder Enzo und Gianni Boglietti aus dem Piemont machen aufregende Rotweine – ungestüm, mit schöner Frucht und Extrakt. Ihr saftiger Nebbiolo schmeckt nach Brombeeren sowie einem Hauch Veilchen und wird durch pfeffrige Würze stimuliert. Dieser Wein verlangt nach einem Braten oder dem Jungbullenfilet auf der Karte. Auch Serafini & Vidotto aus Venezien machen famose Rotweine, die oft italienische Grandezza mit französischem Charme paaren. Ihr Rosso dell´Abazia 2007 aus den Rebsorten Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot ist ein eleganter Wein mit vielschichtigen Aromen aus Himbeere, Johannisbeere, Kaffee und Vanille.

Tauben-Kotelett

Tauben-Kotelett

Man könnte diese Weine auch ganz wunderbar solo genießen, doch noch besser ist dazu ein schönes Essen. Die Küche von Pedro Fernandes ist anspruchsvoll, aber weit von prätentiös entfernt. Er will dem vermeintlich Einfachen mehr Leben und Finesse einhauchen. Dies gelingt ihm besonders bei Fischgerichten. Das Trio vom Yellowfin-Tunfisch Zitronenschaum sieht man sehr oft in Restaurants, aber eher selten so delikat. Atlantik-Kabeljaufilet mit Venusmuscheln und Kartoffel-Ravioli, gefüllt mit Kapern, Oliven und Zwiebeln, bringen eine luftige Meeresbrise an den adrett eingedeckten Tisch. Blutwurst wird gerne und gekonnt eingesetzt. Beim Oktopus mit cremiger Blutwurst-Cannelloni sowie gebratenen Jakobsmuscheln mit grünen Äpfeln entsteht haptische und geschmackliche Spannung. Eher auf gleicher Ebene und daher mit etwas weniger Reiz bewegen sich Taubenkotelett im Speckmantel mit Boudin noir, Paprika-Lasagne und geröstetem Olivenbrot mit Entenschinken.

Tunfisch-Trio

Tunfisch-Trio

Plin sehen aus wie kleine Ravioli und fallen besonders saftig aus. Hier werden sie hausgemacht, mit einer Farce aus Fleisch und Fonduta-Käse gefüllt und von Guanciale-Nackenspeck-Sauce sowie schwarzen Trüffeln begleitet. Bei mancher Pasta darf ruhig noch mit etwas mehr Raffinesse nachgebessert werden. Eine ausgezeichnete Ergänzung schafft der im Ofen erhitzte Himalaya-Salzstein, mit dem sich die Gäste ihr Essen selbst „zubereiten“ können. Steinbutt, Garnele oder Jakobsmuscheln lassen sich so optimal und ohne störende Beiläufigkeiten ganz natürlich garen. Es werden unterschiedliche und preiswerte Menüs angeboten, darunter auch stets ein interessantes Vegetarisches. Küchenchef Pedro Fernandes kommt aus Portugal und hatte zuvor bei Mimmo in der ehemaligen Villa in Rüsselsheim gearbeitet, wo auch Riccardo Re als Restaurantleiter tätig war.

Alte Oberförsterei in KelterbachDas Wintergarten-Restaurant mit Blick auf Kirche, Garten und Fluss wird von einer dezenten ruhigen Atmosphäre getragen, in der angrenzenden Trattoria geht es auch farblich etwas quirliger zu. Es gibt zwei unterschiedliche Speisekarten. In der Trattoria wird all das serviert, was man vom Italiener erwartet: Pasta, Pizza, Salat, aber auch Gerichte wie gegrillter Tintenfisch oder gebratene Leber mit Zwiebeln und Kartoffelpüree. Der Service agiert zurückhaltend, aber sehr beratungsfreundlich, wenn man dies wünscht. Es gibt zwar einen eigenen großen Parkplatz vor der Tür, doch wegen der guten Weinkarte sollte man öffentliche Verkehrsmittel wählen – mit der S-Bahn ist man von Frankfurt aus in 15 Minuten in Kelsterbach, der Fußweg benötigt keine weiteren fünf Minuten. Selbst ein Taxi ist bezahlbar, besonders im Vergleich zu einem verlorenen Führerschein.

Ludwig Fienhold

 

Riccardo Re (l.) und Pedro Fernandes

Riccardo Re (l.) und Pedro Fernandes

Ristorante Ambiente Italiano, Kelsterbach, Staufenstraße 16, Tel. 06107 9896840.  Montag-Freitag12 – 15 Uhr / 18 – 24 Uhr, Samstag 18 – 24 Uhr, Sonntag 12 – 15 Uhr. www.ambienteitaliano.de