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Vorsicht Nepp !

Wie man ohne Abzocke reist

 

Sommerzeit, Urlaubszeit, Neppsaison. Wenn unsere Aufmerksamkeit durch Strände oder gotische Kirchen, durch Fischerboote oder Palmen abgelenkt ist, lassen wir uns leichter abzocken. Wir verratenen, was misstrauisch machen sollte.

 

Nähe von Monumenten oder Stränden

ist fast immer ein schlechtes Zeichen: Mit Blick auf Notre Dame, den Dom oder den Canal Grande speist es sich zwar noch mal so gut, aber meist auch teuer und mäßig. Exorbitante Mieten zwingen fast jeden Gastronomen, hier Masse zu machen.

 

Versteckte Preise

Preise müssen in allen Urlaubsländern deutlich sichtbar angeschlagen sein. Erst checken, ob Trinkgeld inbegriffen ist. Achtung: Auch günstige Lokale rächen sich gerne bei Kleinigkeiten und Details:  Aperitif, Kaffee oder Mineralwasser können erschreckend teuer sein; Gläser von warmem Schampus für 20 Euro sind keine Seltenheit mehr.

Etwas von allem, was jedem gefällt

ist das Motto vieler Sommerlokale: Sushi, Tomate-Mozza, Pasta, Dim-Sum, Seezunge im Ganzen und natürlich ein ordentliches Stück Fleisch für die Herren der Schöpfung. Gästemisshandlung in besonders schwerem Fall begeht der Wirt, wenn er solche Gerichte auf der Karte mit Fotos abbildet. Bringt in Kombination mit Punkt 1 auch die Magensäfte robuster Esser in Wallung.

 

Nonsens-Namen

klingen zwar schön, sind aber ein Risiko. Hier kann ihnen der Wirt ganz legal all das andrehen, was sich gerade im Kühlschrank befindet. Gastro-Großverdiener unterscheiden zwei Schulen: Die Pseudo-Klassik mit Gerichten wie „Huhn Graf Orlowski“, „Spaghetti Botticelli“ oder „Omelett Marco Polo“ und die Pseudo-Moderne mit „virtueller Kaninchenwurst“, destrukturierter Tomate-Mozza und „Jensens hartem Winter von 1945“. Immer wenn man nicht weiß, was da gerade aufgetischt wird, ist äußerste Vorsicht geboten. In der modernen Variante werden die Gerichte außerdem mit Zusatzstoffen und Aromen angerührt.

Überraschungsmenüs

Sind wie eine Wundertüte. Man weiß nie, was da gerade drin ist. Je nach Lokal kann die Überraschung aus Zutaten am Ende ihrer Lebensspanne bestehen, die halt raus müssen. Auch das ist eine Überraschung.

 

Herkunft der Zutaten

steht auch und gerade dort in Frage, wo jede Erbse mit den Worten „frisch vom Bauernhof“, nach Großmutterart oder „wie mein Onkel sie liebte“ versehen ist. Merke: Nicht jeder Gast muss mögen, was einst der Onkel aß, „nach Großmutterart“ werden auch Dosen und Convenience-Gerichte verkauft. Omi würde staunen, wenn sie die Liste der Inhaltsstoffe lesen müsste.

 

Brackwasser im Aquarium

durchsetzt mit traurig dreinblickenden Hummern und Langusten. Ein schwaches Alibi für die angeblich so frischen Edel-Zutaten. Faustregel: Sind die Hummerantennen bis auf kurze Stummel abgefressen, hat das Tier eine lange und unglückliche Sommersaison hinter sich, ist unter dem Krustenpanzer abgemagert und aromenarm.

Wein und Wasser in der Küche öffnen

ist oft ein klares Neppzeichen. Man präsentiert eine teure Flasche, zurück kommt eine Karaffe guten, aber günstigeren Weins. Mineralwasser wird hinter den Kulissen gegen Leitungswasser ausgetauscht. In Mittelmeerländer funktioniert das auch mit Hummern aus dem Vivarium oder einer üppigen Fisch-Auslage am Eingang: Einmal dem Gast gezeigt, in der Küche wieder beiseite legen bzw. lebende Tiere in ein zweites Becken stecken. Aufgetischt wird tiefgefrorene Ware.

 

Fragen nach Kreditkartennummern bei der Reservierung

sind schlicht ein Unding. Es gibt Horden von Missbrauchsfällen durch Personal, dass ja nur eine Touristensaison in einem Lokal  arbeitet. An exotischen Urlaubsorten floriert eine weitere Methode: Die Karte verschwindet außerhalb der Sichtweite des Gaste und wird kopiert.

 

Jörg Zipprick

 

 

 




Der große Durst: Trend Drinks

Es muss nicht immer

Alkohol sein

 

Tau von den Wiesen. Wer möchte sich nicht damit erfrischen. Mit diesem schönen Namen hat ein taufrisches Frankfurter Jungunternehmen vom Start weg Erfolg und wird von Gastronomen und Gästen gleichermaßen geschätzt. Den Bio-Kräuteraufguss gibt es derzeit in zwei Varianten, unser Favorit ist Lemoncrazy. Diese sympathische Köstlichkeit aus Nanaminze, Zitronengras, Limettenblättern, Zitronenthymian, Zitronenmelisse und anderem mehr ist keine Spur pappig und langweilig, sondern angenehm trocken und aromatisch. Simon Horn setzt in seinem neuen Lokal Margarete in der Frankfurter Braubachstraße genau auf solche netten Nischenprodukte, die abseits vom Mainstream liegen.

Es gibt weit mehr gute Weine, Biere und Spirituosen als bemerkenswerte alkoholfreie Drinks. Während uns die allgegenwärtige Bionade nur dumpf im Magen herumblubbert, haben wir doch an so manch anderen Getränken ohne Sprit und doch mit Spirit unsere Freude. Zu den positiven Ausnahmen gehört vor allem die Rhabarberschorle. In Berlin, Hamburg und selbst Magdeburg längst ein It-Getränk, in Frankfurt erst auf dem Vormarsch. Es gibt verschiedene, die vom Hofgarten Sauer aus Grebin bei Kiel ist besonders gut. Blitzsauber im Aroma, angenehme Perlage mit guten Druck. Bei dieser „Wurzel der Barbaren“ wird ausschließlich die säurearme und duftige Sorte „Holsteiner Blut“ verwendet. Man bekommt das lustig wie von Pipi Langstrumpf etikettierte Fläschchen beispielsweise im schönen und guten Restaurant Seven Swans in Frankfurt, wo die Weinauswahl ja nicht so berauschend ist und man gerne nach Alternativen sucht. Man kann die Rhabarberschorle auch direkt aus dem Internet beziehen oder in verschiedenen Märkten bekommen.

Sommer macht durstig. Vor allem in Spitzenrestaurants und Szenelokalen will man mehr als das Alltägliche bieten. Andreas Albrecht aus Bad Homburg ist Barkeeper, Wasserspezialist und spürt obendrein weltweit die interessantesten Trend-Drinks auf. Sein Unternehmen „Sir Aqua“ beliefert viele Lokale im Rhein-Main-Gebiet. Auch das Lokal Goldman an der Hanauer Landstraße, wo man für neue Ideen offen ist. Dort empfiehlt man nicht nur Weine, sondern auch alkoholfreie Neuzugänge wie ChariTea, ein Produkt, bei dem die englischen Begriffe für „Gutes tun“ und Tee originell zusammengeführt werden. In den netten Fläschchen steckt ein ungezuckerter Bio-Tee aus fairem Handel von Plantagen aus Südafrika und Sri Lanka. Mit den Fairtrade-Geldern werden Vorort Bildungs- und Gesundheitsprojekte unterstützt. „Trinkend die Welt verändern“, ist jedenfalls die Maxime des jungen Hamburger Unternehmens. Diesen Tee gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen, etwa als Grünen Tee mit Ingwer und Honig. Gut gekühlt ist er eine schöne Alternative zu herkömmlichen Softdrinks. Zu dem Unternehmen gehört außerdem der Bestseller LemonAid, mit angenehm unaufdringlicher und nicht chemisch schmeckender Frucht. Nach Meinung von Andreas Albrecht werden solche Drinks die nächsten Jahre Trend sein. Auch, weil sie von Barkeepern gut eingesetzt werden können, gerade bei der allgegenwärtigen Caipirinha. Die Bars und noch mehr die meist eintönig mit den immergleichen Getränken ausgestatteten Minibars in den Hotels können jedenfalls eine solche Auffrischung vertragen.

Die jetzigen Trend-Drinks repräsentieren mehr noch als einen neuen Geschmack eine ökologisch korrekte Haltung und witziges Design. Bio muss es sein, gesund sowieso. Mit gutem Gewissen genießen – und dadurch sich und anderen helfen. Beeren und Vitamine haben dabei als Inhaltsstoffe einen hohen Stellenwert. Die Beeren-Drinks namens Gloji kommen sehr originell in Fläschchen daher, die wie eine große Glühbirne aussehen. Der vitamin- und mineralreiche Inhalt soll entsprechend zum positiven Strahlen verhelfen, das Immunsystem stärken und durch Antioxidantien entgiften. Der Drink, so versprechen die Hersteller in Los Angeles, enthält kein Zucker und keine Konservierungsstoffe, aber mindestens 360 Goji-Beeren. Die Beeren des Bocksdornbuschs sind seit tausenden Jahren bei den tibetanischen Mönchen bekannt und wachsen noch immer wild in der Inneren Mongolei und dem Nordwesten Chinas, werden aber sonst auf großen Plantagen gezogen. Apfel, Granatapfel, Lychee und Sanddorn sind bislang die Geschmacksrichtungen bei den Goji-Drinks.

Ebenso ungewöhnlich ist ein neues Getränk in Bordeaux-Flaschen: World Domaine von Bottlegreen aus England. Auch ein alkoholfreies, biologisch und sozial geprägtes Produkt. Aus organischen Obstsäften, natürlichem Quellwasser und exotischen Kräuterextrakten. Leicht moussierend, erfrischend und mit deutlichem, aber nicht pappigem Traubengeschmack. Es gibt Versionen in Rot, Weiß und Rosé, wie bei einem richtigen Wein. Täuschend echt und eine Überraschung an jedem Tisch, bei jeder Party. Spritzer nennt sich im Englischen so ziemlich alles, was mit Sprudelwasser in Berührung kommt. Die Bottlegreen Sparkling Edition bietet alkoholfreie Erfrischung mit gutem Geschmack. Aus handgelesenen Holunderblüten (Elderflower) und Quellwasser mit Kohlensäure ist hier bei aller Leichtigkeit ein Getränk mit Substanz entstanden. Gut sind auch Cox Apfel und die Mischung aus Williams Birne und Holunder. Die neuen Drinks wollen sich vor allem gegen die allgegenwärtigen, zuckerreichen, süßen Getränke aufstellen und sich als gesundheitsbewusste Marken etablieren. Man findet sie in hippen Lokalen, wie der Long Island Summer Lounge, dem a&o oder dem Gutding in Frankfurt, dem Musikclub Robert Johnson in Offenbach, der Peppers-Bar in Bad Homburg und der Sommer-Lounge Spital in Wiesbaden.

Peter Lunas

 

Sir Aqua, Andreas Albrecht, Bad Homburg, Tel.  06172 859144.

 Anmerkung: Die Beeren werden Goji geschrieben, die vertreibende Firma und ihre Flaschen Gloji mit “l”, weil der Werbespruch „the juice that makes you glow“ heißt.   

 

 




Ödipus am Herd

Was Michel Bras groß machte

könnte den Sohn klein halten

 

Über den großen französischen 3-Sterne-Koch Michel Bras und seinen Sohn Sébastien kommt  jetzt ein Film in deutsche Kinos, der den Generationenwechsel geschmackvoll und sensibel dokumentiert. Der Filmemacher Paul Lacoste begleitete die beiden ein Jahr lang und zeigt tiefe Einblicke in das delikate Verhältnis zwischen dem Meister und seinem Zögling. 

Söhne von kochenden Vätern haben es nicht immer leicht. Und umgekehrt. Die Väter wissen: Trotz allem Star-Rummel um Köche geht es im Tagesgeschäft nicht um den Ausdruck künstlerischer Leistungen,  sondern darum, den Gast zu verwöhnen. Söhne wollen sich aus verständlichen Gründen selbst verwirklichen, wollen zumindest einen Platz neben dem Vater finden. Doch der Gast ist ein Gewohnheitstier: Besucht er ein erstklassiges Restaurant, möchte er die bekannten Spezialitäten zumindest auf der Karte sehen. Bei Troisgros oder bei Haeberlin, zwei alteingesessenen Restaurateurs-Dynastien, wird das Erbe der Väter nicht verleugnet. Beide Häuser sind generationsübergreifend erfolgreich. Doch auf einen Michel Troisgros kommen etliche Nachwuchsköche, die vom Vater regelrecht verheizt wurden. Auch der hatte natürlich nur die besten Absichten: Lehrzeit bei den Besten der Zunft (im Zweifelsfalle Kumpels des Vaters), dann schrittweise Übergabe des Betriebes. Es ist eine Situation, in der ein junger Koch fast nur verlieren kann. Die Brigade sieht im Youngster weniger den Könner als den Erben, den Gästekreis hat der Herr Papa aufgebaut. Kurz: Es ist eine Art ödipaler Konflikt bei dem das Familienrestaurant an die Stelle von Mutti tritt.

Dieser Situation nähert sich der Film „Entre les Bras“, der jetzt in den deutschen Kinos anläuft.  Im Französischen ist das ein Wortspiel: „Zwischen den Armen“ (Bras) oder zwischen Michel und Sébastien Bras, Vater und Sohn. Michel und Sébastien könnten nicht unterschiedlicher sein. Das liegt bestimmt nicht an den Genen. Beide sind zu unterschiedlichen Zeiten der Küchengeschichte „groß geworden“. Da ist zunächst Vater Michel, ein typisches Kind der Nouvelle Cuisine, als in Küche und Restaurantkritik noch alles möglich schien: Irgendwann 1978 verirrte sich ein namenloser Gault-Millau-Mitarbeiter in das vermeintliche kulinarische Ödland der Auvergne, kämpfte sich fast drei Stunden von Clermont-Ferrand aus über schmalste Bergstraßen bis ins ländliche Laguiole vor und bezog in der einfachen Auberge „Lou Mazuc“-Quartier. Ein junger, hagerer Bursche mit viel zu großer Brille ging damals in der Küche des Dorflokals seiner Mutter zur Hand. Das winzige Laguiole hatte der junge Mann nie in seinem Leben verlassen. Aber weil die Zeitungen aus dem fernen Paris soviel über die Nouvelle Cuisine und deren Helden von Troisgros bis Guérard schrieben, hatte auch er in seiner winzigen Küche ein wenig experimentiert – meist mit Kräutern und Pilzen, die er bei seinen Wanderungen durch die Region selbst gesammelt hatte. Der einsame Tester griff nach dem Menü sofort zum Telefon: Wenig später schaute Monsieur Millau höchstselbst vorbei –  und war nach einer „Terrine vom Taschenkrebs en crème mit Kräutersalat“ so zufrieden, dass auch Monsieur Gault eine Woche später zum Essen kam. Von da an hagelte es Auszeichnungen für den jungen Michel Bras und der mütterlichen Auberge. Erst Mützen, dann Sterne und Punkte…

Bras zog es nicht nach Paris oder an die Côte d’Azur. Er blieb so stur, wie die Hauptstädter es immer von den Auvergnaten behaupten, und entschied: „Sollen die Gäste doch zu mir kommen“ – ins winzige Dorf im Aubrac, wo es außer Messerschmieden, wahllos in die Landschaft gestreuten Granitfelsen und friedlich grasenden Rindern so gar nichts gibt, was zahlende Gäste anziehen könnte. Berühmt wurde Michel Bras durch den geschickten Einsatz von Kräutern und Gewürzen. Um die 350 verschiedene wanderten pro Jahr durch die Bras’sche Küche und wurden zu Gerichten wie dem „Gargouillou“, bei dem nicht weniger als 18 Gemüse dafür sorgen, dass jeder Bissen anders schmeckt. Und, ja, den halbflüssigen Schokoladenkuchen, den es heute in jedem französischen Supermarkt gibt, den hat er auch erfunden. Es dürfte sich beim „Moelleux“ um eines der meist imitierten Gerichte der letzten 30 Jahre handeln.

Manchmal beließ Bras-Präzision muss sein – auf der Karte seinen Kräutern und Gemüsen sogar ihre botanischen Namen: Tricholoma terreum und Tricholima equestre zur Rehterrine, Boletus edulis (eine Steinpilzart) mit Schinken im Dampf gegart, cantharellus tubaeformis (ein Pfifferling) zur Dorade.  „Terroir muss man leben, das ist für mich mehr als alte Rezepte“, pflegte Michel zu sagen. „Das kann der Duft einer Pflanze sein oder ein spezielles Licht – all das möchte ich in meiner Küche rüberbringen. Eine erdverbundene Küche für die ich die Zutaten freilich anderswo suchen muss, denn bei uns gibt es nur Käse, Wurst und ein wenig Wein.“ Dicke schwarze Kumuluswolken über dem Aubrac-Plateau inspirierten ihn zu einem Gericht mit Lotte in Olivenölemulsion, der „Gargouillou“ repräsentiert für ihn „Frühling und Lebensfreude in der Region“ – „das bewegt sich, das lebt“. Und natürlich ist für das Nationalgericht der Auvergne auf jeder Karte ein Ehrenplatz reserviert: Das Aligot (eine Mischung aus jungem Cantal-Käse und Kartoffelbrei) geriet dem Cuisinier aus der Auvergne so locker und leicht, dass sich alle anderen Versionen dagegen wie Wackersteine ausnahmen.

Michel Bras (r.) mit seinen Eltern

Bras wagte und gewann: Für nicht weniger als 26 Millionen Francs (etwa 4 Millionen Euro) konstruierten die Architekten Eric Raffy und Philippe Villeroux für ihn eine hypermoderne Bergfestung über der Route de l’Aubrac hinter Laguiole – eine Burg aus Glas und Granit inmitten einer gallischen Postkartenversion der schottischen Highlands. Und die war seitdem praktisch immer ausgebucht. „Ich habe nie in einem „Grand Restaurant“ gelernt. Früher hat mich das manchmal unglücklich gemacht“, erklärte Michel mir einmal. „Andererseits: Meine Küche ist gänzlich unbeeinflusst, die schulde ich Niemandem. Und darauf bin ich stolz.“

Und das ist der Unterschied zu Sébastien: Er lernt im Institut Paul Bocuse. Dort geht es weniger ums Kochen, sondern in seinem Fall mehr um Management, Verwaltung und Marketing. Alles Dinge, die ein Koch heute ohne Zweifel beherrschen muss. Dazu kommen bei Sébastien Abstecher zu Bernachon, dem großen Chocolatier aus Lyon, zu Pierre Gagnaire und Michel Guérard. Um seinen Horizont zu erweitern, reist er nach Japan, Vietnam, Marokko, den Senegal, Brasilien und und und.  Sébastien ist in der Küche am meisten durch den eigenen Vater beeinflusst. Dem Magazin Elle vertraute er einmal an, dass er auf sein Gericht „Tartine mit Rhabarber, Milchhaut und süßem Erdbeerlikör“ besonders stolz sei. Es war die erste Kreation von Bras junior, die der Vater unverändert auf die Karte setzte.

Von diesem Spannungsverhältnis lebt der Film. Auch dieser kann letztlich eine Frage nicht beantworten: Wie geht es mit dem Restaurant weiter? Bleibt die Leistung konstant? Ändert sich der Stil der Küche? Das Ergebnis wird spannend. Es ist schwierig, ein Lokal zu leiten, wenn der Übervater jeden Moment durch die Tür kommen kann. Sébastien ist da in guter Gesellschaft. Auch Michel Troisgros vom gleichnamigen Restaurant in Roanne fand seinen Weg erst, als Vater Pierre nicht mehr täglich in der Küche vorbeischaute.

Jörg Zipprick

 

 

ENTRE LES BRAS wir in folgenden Kinos ab dem 09.August zu sehen sein.

Berlin, EVA-Lichtspiele

Berlin, FSK-Kino

Berlin, Filmkunst 66

Bremen, Schauburg

Dresden, Programmkino Ost

Freiburg, Friedrichsbau

Frankfurt, Mal Seh’n Kino Frankfurt

Hamburg, Abaton

Hannover, Kino Hochhaus

Köln, Filmpalette

Köln, Weisshaus-Kino

Leipzig, Passage

Magdeburg, Moritzhof

München, Theatiner

Münster, Cinema

Nürnberg, Filmhaus

Saarbrücken, Filmhaus

Stuttgart, Arthaus

Seefeld, Breitwand

 

 




Kann man drei Michelin-Sterne erben?

Michel Bras übergibt

an seinen Sohn Sébastien

 

Kann Salat etwas Besonderes sein? Bei Michel Bras ganz bestimmt. Das Gericht gleicht einem Spaziergang über Wiesen und Felder, taufrisch und duftig. Auf dem geschmacklich und optisch ausgefeilten Teller liegen in einträchtiger Harmonie: Sauerampfer, Sellerieblatt, Spargelspitze, ein Blatt Roter Amarant, schwarzes Olivenöl, Erbsen, auf einer Seite angebratene neue Kartoffeln, echter Baldrian, griechischer Baldrian, Spitzwegerich, Gerste, Kohlrabi, Blutampfer, Kapuzinerkresse, Hundszahn, Rhabarber, Dill, Blauglöckchen, ein weißes Rosenblatt vom Balkon, eine alte duftende Rose aus dem Garten, Ginster, Goldlauch, Kaplilie, Erbsensprossen, Veilchen, Mohn, Koriander, Bärlauch und Endivie. 40 bis 60 Gemüse, Kräuter, Blätter und Blumen kommen bei diesem Potpourrie namens Gargouillou zusammen. Der hochsensible Michel Bras zählt zu den besten und ungewöhnlichsten Köchen der Welt. Drei Sterne im Michelin und 19,5 Punkte im Gault Millau haben ihm einen Platz im Küchenolymp gesichert. Es fällt ihm jedoch schwer loszulassen und sein Lebenswerk abzuschließen. Sohn Sébastien arbeitet schon einige Jahre an seiner Seite und soll nun das Restaurant in Laguiole alleine weiterführen. Es entsteht dabei wahrscheinlich weniger ein Konflikt zwischen Vater und Sohn, als zwischen dem neuen Küchenchef und den alten Gästen. Der Film Entre les Bras, der jetzt in deutschen Kinos anläuft, schildert eindrücklich Abschied und Neuanfang.

 

Interview mit Michel Bras

Sie sind dafür bekannt, sehr anspruchsvoll zu sein. Im Film treten Sie manchmal so auf, als ob Sie hundertprozentig davon überzeugt wären, besser als jeder andere – sogar als Ihr Sohn – zu wissen, was in der Küche getan werden muss.

M.B.: Ich habe nicht den Eindruck, dass ich über die kulinarische Wahrheit verfüge. Ich habe einen Stil, der zumindest besteht – und dessen Stärke darin beruht, ein Leben lang an einem gegebenen Ort entstanden zu sein. Ich versuche Sébastien verständlich zu machen, dass sein kulinarischer Ausdruck die logische Konsequenz aus seinem Lebensstil sein sollte, also so eine Art Ergebnis dessen. Man muss die Kraft des Kochens verstehen, um seine Gäste bedienen zu können und ihnen zu dem Glück zu verhelfen, das sie bei uns suchen. Die Stärke des Restaurants liegt in seiner Seele. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht sehr anspruchsvoll.

Haben Sie sich nie gefragt, ob Ihr Sohn das Erbe, das Sie ihm überlassen, überhaupt schultern kann?

M.B.: Natürlich. Diese Frage habe ich mir stets gestellt und ich tue es immer noch. Aber das ist meine Verantwortung als Vater. Die Herausforderung ist zugegebenermaßen enorm hoch, aber das Geschäft besteht und es hat eine solide Grundlage. Als ich angefangen habe, waren wir zu dritt. Mittlerweile haben wir 65 Mitarbeiter. Und Sie müssen sich in Erinnerung rufen, dass es damals nicht einfach war, Chefkoch zu sein. In den Jahren 1978/1979 war es verdammt anstrengend, andere Gerichte als Würstchen und Aligot oder Kutteln und Eintopf anzubieten. Können Sie sich vorstellen, was es bedeutete „vom rechten Weg abzukommen“ und Makrele mit Johannisbeeren oder Himbeeren zu servieren? Ich habe mein ganzes Leben lang dafür gebraucht, dass die Leute dies akzeptieren.

Ist es deswegen für Sie so schwierig, nicht mehr vor Ort zu sein, auch wenn es notwendig erscheint?

M.B.: Ja, es ist anstrengend und hart. Als ich mein Büro verlassen habe, fühlte das sich so an, als ob jemand gestorben wäre. Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Aber ich habe mich damit arrangiert, weil ich weiß, dass ich an einem Wendepunkt in meinem Leben stehe. Ich sage das nicht gerne, aber ich weiß, dass ich in der Welt der Gastronomie für etwas stehe. Nun kann ich endlich die Früchte der leidvollen Arbeit in der Vergangenheit ernten; es war nicht leicht „vom rechten Weg abzukommen“ und diese Lebensentscheidungen zu treffen. Ich ebne den Weg, ich überlasse meinem Sohn das Fundament, vielleicht sogar meine Gene, meine Art die Dinge zu tun und zu sehen … Nun ist es an ihm, das Restaurant zu übernehmen und seinen persönlichen Ausdruck zu entwickeln. Ich habe jedoch Angst vor der Reaktion einiger weniger Gäste, so nach dem Motto „Oh, ich kannte Ihren Vater sehr gut. Damals als er noch, etc.“. Über diese Dinge habe ich auch mit meinen Freunden Pierre Gagnaire und Michel Troisgros gesprochen, die einen Teil ihrer Jugend im Schatten ihrer Väter, die auch Chef-Koch waren, gestanden haben.

Aber beiden ist es gelungen voranzuschreiten, indem sie ihre Väter symbolisch „erlegt“ haben. Ist das bei Ihrem Sohn auch der Fall?

M.B.: Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Das müssten Sie eigentlich ihn fragen, aber ich denke eigentlich nicht. Wir haben stets versucht, die moderne Welt zu betrachten und nicht an diese veralteten Regeln, diese alten Herangehensweisen zu denken. Es stand nie zur Debatte, dass Sébastien ein Jünger oder ein spiritueller Sohn von mir sein sollte. Unsere Lebensgeschichte ist die zweier Kameraden, die unbekümmert um den ersten Platz rangeln und trotzdem eng miteinander verbunden bleiben. Darin genau liegt unsere große Stärke.

 

Interview mit Sébastien Bras

Warum nennen Sie Ihren Vater eigentlich „Michel“ und nicht „Papa“?

S.B.: Eigentlich nenne ich ihn meistens „Alter“! (Er lacht.) Das ist eine gute Frage, aber ich weiß es nicht genau, das war schon immer so.

Wir wissen, dass Sie und Ihr Vater beide sehr bescheiden sind. Ist das ein Problem, wenn man vor der Kamera steht?

S.B.: Ja, das stimmt, wir sind von Natur aus eher introvertiert. Wir öffnen uns nicht so leicht. Das war für Paul nicht unbedingt einfach, aber wir kennen uns nun schon seit zehn Jahren und sind uns wirklich sehr vertraut. Während der Dreharbeiten ist es manchmal schwierig, aus sich herauszukommen, aber da Paul ein Freund ist, versucht man schließlich seine Befürchtungen zu überwinden und sein Innerstes für ihn zu öffnen. Und irgendwann vergisst man dann auch die Kamera. Ich bin kein Schauspieler, ich bin einfach nur ich selbst.

Wer spielt eigentlich die Hauptrolle in diesem Film? Die Familie? Der Ort? Oder das Kochen?

S.B.: Wahrscheinlich alle drei zusammen. Die Geschichte der Bras’ ist die Geschichte einer Familie, eines Ortes und des Weitergebens von Generation zu Generation. Wir haben unweigerlich eine enge Beziehung zu dem Ort an dem wir leben und zu unseren Vorfahren, und ein Gefühl der Ehrfurcht, wenn wir woanders sind. Das ist wie ein in sich geschlossenes, unkompliziertes Ganzes. Ich bin mit meiner Arbeit verheiratet, weil sie eng mit meinen Kindheitserinnerungen verbunden ist. Ich habe meine Persönlichkeit mit meiner Arbeit entwickelt und bin so aufgewachsen. Ich habe diesen Weg gewählt, das ist alles. Ich hinterfrage ihn nicht wirklich.

Auch wenn das so ist, ist es nicht immer leicht, der Erbe zu sein, vor allem nicht, wenn der Vater Michel Bras ist …

S.B.: Michel ist, wer er ist. Ich werde nie er sein und ich versuche es auch nicht. Ich werde nicht sein Klon sein, weil ich meine eigenen Erfahrungen und Gefühle habe. Und sie werden es mir ermöglichen, meine Kochkunst so weiterzuentwickeln, wie ich es möchte. Ich lasse das ehrlich gesagt gar nicht erst an mich rankommen. Ich werde nicht zu mir selbst sagen: „Oh nein, Michel hat das und das zu der und der Zeit getan und ich muss denselben Weg einschlagen, etc.“. Meine Eltern und das Aubrac haben mir genügend Dinge mit auf den Weg gegeben, um meine eigene Richtung einzuschlagen. Natürlich hat man so seine Zweifel oder manchmal Angst – aber diese Fragen bringen dich voran, du schmiedest Pläne und bist hoffnungsfroh.

In dem Film gibt es eine sehr charmante Szene als Sie Ihren „Alten“ eine Ihrer Kreationen kosten lassen. Sie lächeln ihn direkt an und sagen: „Du darfst jetzt nichts sagen!“

Wenn man ein Gericht kreiert werden Gefühle, Erinnerungen und Begegnungen wachgerufen, die nur einem selbst gehören. Auch wenn Michel und ich eine sehr ähnliche Sicht der Dinge haben, heißt das nicht, dass wir aus drei Produkten dasselbe zubereiten. Kulinarische Kreationen sind etwas sehr Schwieriges und sehr Persönliches. Vielleicht habe ich deshalb diesen Satz zu Michel gesagt.

Der Film von Paul Lacoste zeigt einen der wichtigsten Abschnitte in Ihrem Leben: die Weitergabe des Restaurants vom Vater an den Sohn. Wird es in zehn Jahren einen dritten Dokumentarfilm geben?

S.B.: Mit meinen Kindern? (Er lacht.) Ich weiß nicht … Sie sind erst acht und zehn Jahre alt und ich kann jetzt schon beobachten, wie sie dieselben Dinge erleben, wie ich in ihrem Alter an der Seite meines Vaters: man kommt vom Markt zurück und hat zu Spitzenzeiten alle Hände voll zu tun… Sie wachsen in derselben Umgebung auf wie ich als kleiner Junge, aber ich setzte sie nicht unter Druck. Sie sollen aus ihrem Leben das machen, was sie wollen.

 

Die Interviews wurden von dem Journalisten und Restaurantkritiker Sébastien Demorand geführt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Trügerische Speisekarten

Wer uns beim Essen über den Tisch zieht

 

Was viele ahnen und einige wissen, bestätigt nun die Verbraucherzentrale Hamburg: Gäste werden beim Essen betrogen. Immer mehr Küchen verwenden vorgefertigte Produkte der Lebensmittelindustrie, Zusatzstoffe wie Geschmacksverstärker inklusive. Beobachter gehen von bis zu 80 Prozent der Speisen aus. Was als hausgemachte Topprodukte auf der Karte stehen, entpuppen sich immer mehr als aufgewärmte Fertigerzeugnisse und Instantware. Die „Kochkunst“ besteht dann aus dem Auftauen oder dem Öffnen einer Dose, zieht die Verbraucherzentrale Bilanz.

Die Liste der täglichen Betrügereien und Beanstandungen ist groß: Uns werden billige Garnelen statt teurer Scampi aufgetischt, aufgesprudeltes Leitungswasser statt Mineralwasser, Seelachs statt Seezunge. Die Speisekarte verspricht frische Frühkartoffeln, aber der Gast wird mit alter Ernte aus Dosen, dem Glas oder der Vakuumverpackung abgespeist. Die selbstgemachten Bratkartoffeln sind viel zu oft getrocknete Bratkartoffeln aus der Tüte oder Tiefkühlbratkartoffeln. Rührei aus frischen Eiern? Nicht selten Rührei aus Eipulver oder Flüssigeizubereitung aus dem Tetrapack. Der nicht nur beim Japaner so beliebte Wasabi kommt in den seltensten Fällen frisch von der Wurzel, sondern ist meist eine eingefärbte Mischung aus Meerrettichpulver, Senfpulver und Stärkeverbindungen als Füllstoff.

Sauce Hollandaise findet man häufig auf Speisekarten, nicht nur zur Spargelzeit. Sie wird jedoch sehr oft nicht selbst mit Butter und Eigelb zubereitet, dagegen werden billige Imitate der Lebensmittelindustrie verwendet. Das ist das Ergebnis von Testessen der Verbraucherzentrale in elf Restaurants in Hamburg und an der Niedersächsischen Spargelstraße. Die Ergebnisse: In sieben der elf Restaurants wurde Fertigsauce aufgetischt. Fünf Lokale behaupteten sogar auf Nachfrage, dass die Sauce selbstgemacht sei – darunter so bekannte Restaurantketten wie Block House und Schweinske. Nur vier Restaurants boten echte Sauce Hollandaise an. 

Um den Verbraucherschutz im Restaurant zu verbessern, sollten sich Wirte endlich an die gesetzlichen Kennzeichnungsvorgaben halten. Vorgefertigte und nicht hausgemachte Speisen müssen entsprechend deklariert werden. Wer als Gast schlechte Erfahrungen gemacht hat, kann sich auch an die Verbraucherzentrale wenden (ernaehrung@vzhh.de)

Weitere wichtige Infos:

www.vzhh.de/ernaehrung/239108/was-speisekarten-verschweigen.aspx

 




Immer noch lecker: Marbella

Tipps für Genießer

 

Von Ludwig Fienhold

 

Wer ist nicht schon alles über Marbella hergefallen – die Reichen, die Russen und jene, die Russen und Reiche ausnehmen. Was kümmert´s die Sonne, die dort fast das ganze Jahr scheint. Natürlich strahlt man nicht über alles in Marbella, nerven stellenweise oberflächlicher Protz und andere bauliche Irrtümer sowie die halbseidene Geselligkeit im Puerto Banús. Doch ist das keineswegs typisch. Marbella steht weit eher für eine ungebrochene Lust am Feiern, gutem Essen, Wein und was sonst noch zum Lebensgefühl gehört.

Tapas-Bars gibt es viele, aber kaum eine so erfolgreiche und amüsante wie La Morega im Puerto Banús. Sternekoch Dani Garcia betreibt mit seinem Calima das höchstbewertete Restaurant Marbellas, Geld verdient er aber vor allem mit seiner Tapas-Bar. Man kann nicht reservieren, weshalb die Gäste schon vor der Öffnungszeit um 20 Uhr Schlange stehen. Kaum eine halbe Stunde später ist kein Platz mehr frei, muss man Glück haben, vielleicht sind einige ja nur auf einen Happen dabei und räumen rasch wieder das Feld. Doch wer sich in den kleinen Schweinereien aus der offenen Küche erst einmal festgebissen hat, verlässt dieses beschwingte Lokal nicht so schnell. Zur guten Laune tragen außerdem der frohe Service von Amanda und die Weine zu Schmunzelpreisen bei.

Marbella Altstadt

Der Gast kann unter 50 Edel-Happen wählen – temperamentvolle, gut zubereitete und beherzt gewürzte Miniaturen, die bei jedem Bissen Lust auf den nächsten machen: Kebab mit Iberico-Schwein in orientalischer Sauce mit Raz el Hanout; Pig Burger aus Schweinebäckchen, Speck und Teriyaki-Mayonnaise; große Garnelen in frittiertem Basilikum; geräucherter Kabeljau mit Ziegenkäse und süßen Linsen; gehackte Kutteln mit Kichererbsen und Minze (pro Teller 3 bis15 Euro).

Die Altstadt von Marbella hat noch viel von ihrem Zauber erhalten können, trotz touristischer Kaschemmen und Pseudogourmetlokale, wie man sie ja in so vielen anderen attraktiven Altstädten dieser Welt sieht. Das Restaurante Buenaventura am Iglesia-Kirchplatz gehört noch zu den netteren Adressen. Schönes Ambiente, freundlicher Service, gute Weine, aber Essen im unteren Mittelmaß. In der Kirche vis-à-vis hat übrigens der Fotograf und Organist Michael Reckling in Zusammenarbeit mit örtlichen Hoteldirektoren und anderen Mäzen die denkwürdige Sonnenorgel bauen lassen, die nicht nur Musiker aus aller Welt begeistert. Trotz der himmlischen Klänge bewegt man sich kulinarisch in Marbellas Altstadt eher in Teufels Küche.

El Portalón

Ein spanisches Bilderbuchlokal, wie man es schöner kaum machen kann, ist das El Portolón gegenüber vom Marbella Club. In der behaglichen Fachwerkromantik tafelt es sich ausgesprochen lustvoll, fette Schinken hängen von der Decke, die ausgetrunkenen Flaschen in den Regalen zeugen von Geschmack, die Küche und ihr Kupfertöpfe und –pfannen sind so fotogen wie keine andere Küche in Marbella. Es ist nicht spektakulär, was auf die hübsch eingedeckten Holztische kommt, aber es schmeckt nach Flamme und nicht nach Konvektomat. Die verfeinerte Landhausküche beschert leckere Deftigkeiten, wie den Ochsenschwanz in Rotwein oder Kalbsbries vom Lamm mit Knoblauch, Petersilie und Sherry. Gut auch das Lämmchen aus dem mit Holz befeuerten Ofen und das galizische Filetsteak mit Wildpilzen, Portweinsauce und Trüffeljus.

Die erstklassige Weinkarte trumpft mit großen Namen wie Vega-Sicilia Único oder Pingus, das aber teilweise zu erstaunlich günstigen Preisen. Der Vega-Sicilia Único 2000 kostet 235 Euro, der Jahrgang 1989 ist für 325 Euro zu haben, und der großartige1995er erscheint für 280 € geradezu menschenfreundlich. Cava, außerhalb Spaniens viel zu lange der kleine und kaum beachtete Bruder aller Schaumweine, findet in diesem Restaurant seinen gebührenden Platz und kann mit feinperliger Delikatesse und dezenter Frucht begeistern. Beim Gran Juve y Camps erzeugt jedes Glas Verlangen auf das nächste, wobei seine trockne Art dabei sehr hilft.

Champagne Room

Vor und nach dem Essen gibt es kaum einen besseren Platz als den neuen herausgeputzten und munteren Champagne Room im Marbella Club. Das in den 50er Jahren von Prinz Alfonso von Hohenlohe gegründete Hotel war viele Jahre der Hot Spot der High Society, versank aber auch nach seinem Tod trotz mangelnder Glamourpräsenz nie ganz in der Versenkung. Allein die faunisch archaische Gartenanlage scheint dem Hotel auf ewig Schutz zu bieten. Der einstige Hoteldirektor, Graf Rudi von Schönberg, von allen kurz Conde Rudi genannt, hält dort seit Jahrzehnten Hof. Jetzt am liebsten im neuen Champagne Room, der etwas vom alten Flair zurückbringt. Nicht nur die optisch raffiniert mit Elementen von Art Deco und Jugendstil gestaltete Bar versetzt in perlende Laune, auch die Auswahl an Champagner – Vintage-Linien, berühmte und auch kleine Kellereien, und vor allem viele Champagner glasweise. 65 Kellereien sind vertreten. Daneben werden gute bis exzellente Cava offeriert, etwa der famose Gramosa Imperial, serviert in großen Zwiesel-Gläsern. Bemerkenswert ist der Rolls-Royce unter den Servierwagen der Welt, ein Trolley von Krug aus Edelholz mit eisgekühlten Gläsern.

Champagne Room

Zum Champagner serviert die Küche gratis feine Häppchen, etwa Garnelen-Tatar mit Avocado-Mousse, Hummer-Sashimi, Mini-Hamburger. Die jungen Barkeeper sind gutartig, doch manches Überbleibsel aus ganz alten Tagen meint offensichtlich, nur ein ernstes Gesicht bewahre vor Lachfalten. Leider trinken solche Herrschaften keinen oder zu wenig Champagner, sonst hätten sie genau so gute Laune wie ihre Gäste. Diese scheinen ein schönes Credo zu haben: Lebenshunger hat man nie satt.

 

 

 

 

La Moraga, Marbella, Puerto Banús, Ramón Areces 1, (0034) 952 815652. www.lamoraga.com

El Portolón, Marbella, Carretera Cádiz Km 178, Tel. (0034) 952 777104.

Champagne Room, Marbella Club Hotel, Golf Resort & Spa, Bulevar Principe Alfonso von Hohenlohe, Tel. (00 34) 952 822211, täglich von 17 bis 1 Uhr geöffnet. www.marbellaclub.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

El Portalón

 

 

 




Spanien für Entspannte

Blühende und essbare Hotellandschaften

 

Der Marbella Club ist die Diva unter den Hotels in Marbella, doch das Kempinski die zuverlässige Frau, die man auf Dauer an seiner Seite haben möchte. Beide Häuser zeichnen prachtvolle Gärten aus, das Kempinski besitzt den schönsten Sonnenliegenpark an der Costa del Sol und überrascht noch mit anderen Qualitäten.

Durch die Palmen weht ein laues Lüftchen, die gegrillten Langostinos im Wintergartenlokal La Cabaña del Mar werden mit Meerblick garniert. Dazu ein hauchzart nach Aprikosen und Pfirsichen duftender, trocken-würziger Albariño von Pazo de Señorans – und man ist mit der Welt versöhnt. Fangfrischer Fisch und Meeresfrüchte sind die Spezialität in diesem Lokal. Steinbutt, Seeteufel oder Dorade werden vor der offenen Küche präsentiert, der Gast bekommt sie à la minute zubereitet, in schöner Schlichtheit, ohne schwere Saucen und mit mediterranem Gemüse. Das erhält die Strandfigur und auch die Lust auf das nächste Essen. Der Zackenbarsch mit kanarisch-würziger Mojo-Sauce, der saftige Wolfsbarsch, die Miesmuscheln im aromatischen Sud, der Fisch in der Salzkruste sind Highlights. Vieles ist hausgemacht, wie der leckere Mandelkuchen mit Pistazien-Eis

Die blühende Hotellandschaft wird nicht nur von elf Gärtnern bewirtschaftet, sondern auch von der Küche behütet. Die bezieht daraus über 50 Sorten Gemüse, Gewürze und Kräuter sowie Obst: Mangold, Avocado, Kürbis, Kaktusfeige, Quitte, Zitrone, Limette, Mango, Zuckerapfel, Minze, Sakura-Kresse und und und. Wo vor 14 Jahren das Hotel eröffnet wurde, stand eine Avocado-Plantage. Ein besonders schöner Platz für private Diners: Auf dem Hügel am illuminierten maurischen Almenara Turm von 1575.

Im Restaurante La Brisa oberhalb der Pool- und Parkanlage kocht man kreativer, aber auf dem Boden spanischer Regionalklassik. Allein die einfach klingende kräuterige Malaga-Suppe mit Sherry und Minze ist köstlich und taugt obendrein wie der Klassikdrink Bullshot gegen einen Kater. Großartig und sonst selten zu bekommen ist das Secreto Iberico, saftiges Schweinefilet in der Salzkruste mit schöner, aus dem Saft gezogener Fleisch-Sauce mit Kapern. Schon beim Salat zeigt sich, dass Küchenchef Larry und sein Team weit mehr als das Herkömmliche wollen, der Salat wird mit bestem Olivenöl, kandiertem Spanferkel und verschiedenen Apfeltexturen zubereitet. Es sind viele gute Weine zu haben, etwa eine Reserva 2005 Coleccion 125 von Chivite aus Navarra oder der vorzügliche Verdejo von Jose Pariente sowie der spannende Cava Kripta in der ungewöhnlichen Amphorenflasche. Sommelier Romello und seine Kollegen sind den Gästen gute Berater.

Fischlokal Cabana del Mar

Das einst vom Frankfurter Unternehmer Wilfried Hoedt betriebene Hotel Las Dunas, das inzwischen leider nur noch als private Residenz geführt wird, hatte mit den bayerischen Spitzenköchen Frank Oehler und Peter Knogl die beste Küche an der Sonnenküste. Wenn auch das Kempinski nicht mit solchen Namen auftrumpfen kann, so ragen die Küchenleistungen von Executive Chef Jordi Bataller und seiner Brigade doch weit aus dem Meer der Mittelmäßigkeit heraus.

Das Kempinski-Hotel bietet neben kulinarischen auch viele optische Raffinessen, überall trifft man auf die Gestaltungen des Künstlers Stefan Szczesny, der moderne Bilder im traditionellen andalusischen Azulejo-Mosaik-Fliesen-Stil entworfen hat oder bemalte riesige Amphoren in den Garten setzte.  Zu den Delikatessen fürs Auge gehört im Grunde das ganze Panorama, der Ausblick von allen Restaurants inklusive Frühstücksterrasse richtet sich auf das Meer oder den Park mit seinen drei Pools. Vor den in warmen Erdtönen exquisit gestalteten Zimmern und Suiten breiten sich der weitläufige subtropische Garten und das Meer aus, alle haben Balkon oder eine große Terrasse. Die zweigeschossige Royal Suite beeindruckt durch eine hoch gelegene verglaste Sky Lounge mit eigener Bar und DJ-Station, auf der Terrasse steht ein sündhaft teures Teleskop für den Weitblick. Die teilweise mit maritimen Antiquitäten ausgestattete Suite del Mar wiederum hat auf der großen Sonnenterrasse noch Platz für einen Whirlpool.

Jordi Bataller (l.) & Küchenteam

Am 300 Meter langen Strand ist Sonnentanken bevorzugt, wobei das Programm mit Tauchen und Jetski erweitert wurde. Diese Maschinen können nerven, wurden hier aber mit geräuscharmen Eco-Motoren ausgerüstet. Die Poollandschaft ist generös und einzigartig an der Costa del Sol. Das Spa mit eigenem Innenpool wird noch vergrößert, der Fitnessraum hat  inzwischen die neusten Geräte sowie TV erhalten, man kann dabei gleich seinen Kalorienverbrauch checken. Außerdem haben einige Geräte Internetzugang – Googeln auf dem Laufband, YouTube-Filme beim Radfahren.

Keine Frage, die Strände an der Costa del Sol können mit denen in der Karibik nicht annährend mithalten. Aber deshalb müssen sich Hotels wie das Kempinski auf andere Qualitäten besinnen: Wohltuendes Ambiente, gute Gastronomie, schöne Zimmer, freundlichen Service. Diese Kernkompetenz war im Kempinski in Estepona bei Marbella nicht immer so ausgeprägt wie heute. Schwankende Leistungen brachten das Hotel einige Zeit in Misskredit. Seit vor drei Jahren Rüdiger Hollweg die Direktion übernahm, hat sich enorm viel verbessert und ist vor allem Kontinuität bei der Qualität eingezogen.

Das Fünf-Sterne-Hotel Kempinski beschäftigt 200 Mitarbeiter, was an den 132 Zimmern und 15 Suiten gemessen eine gute Relation ist. Viele Stammgäste schaffen eine zuverlässige Basis, die meisten kommen aus Deutschland, Spanien und England. Das Durchschnittsalter liegt bei 40 Jahren, im Sommer ist das Publikum jünger als im Winter. Geschätzt wird von allen die angenehm entspannte Atmosphäre, kommode Zimmer mit Stil und die gut aufgestellte Abteilung Food & Beverage – in Spanien beileibe keine Selbstverständlichkeit. Im Hotel geht es salopp zu, man will ja schließlich Urlaub machen, auch von Zwängen und Dresscodes. Einzige schrullige Ausnahme: In der Zigarren-Lounge sind Jacketts gerne gesehen – wer sie vergessen hat, kann unter grünen Samtjacketts in verschiedenen Größen wählen.

LF

 

Kempinski Hotel Bahia, Marbella-Estepona, Carretera de Cádiz Km. 159, Tel. (0034) 952 809 500. www.kempinski.com/estepona

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Top-Köche & Karl Lagerfeld

Flanieren und probieren

 

Kunst, Genuss und guter Geschmack – so präsentiert sich vom 14. bis 23. September 2012 die  XXVI. Biennale des Antiquaires im berühmten Grand Palais in Paris. Modeschöpfer, Designer und Fotograf Karl Lagerfeld wird die Räume für 119 Aussteller aus aller Welt auf 5.150m² Fläche nach dem Vorbild der Pariser Flaniermeilen des 19. Jahrhunderts gestalten und in Szene setzen. Zehn Grands Chefs von Relais & Châteaux bilden mit ihrer Kochkunst den kulinarischen Rahmen. Für die kostbaren Antiquitäten, Juwelen, Möbel und Kunstwerke wird auch der restaurierte Salon d’Honneur nach mehr als siebzig Jahren erstmals wieder seine Pforten für die erwarteten 100.000 Besucher öffnen.

Das kulinarische Herzstück bildet ein Pop-up-Restaurant, in dem jeden Tag ein Grand Chef Relais & Châteaux sowohl mittags als auch abends ein wechselndes neues, exklusives Menü anbieten wird, das in Zusammenarbeit mit dem Pariser Event-Catering-Unternehmen Potel et Chabot zubereitet wird. Insgesamt sind auf diese Weise 21 Michelin-Sterne zu erleben.

Ein von Michel Guérard (Les Prés d’Eugénie Michel Guérard in  Eugénie-les-Bains) komponiertes Gala-Diner eröffnet am 12. September den kulinarischen Reigen mit den Chefs: Michel Roth vom Ritz Paris; Jean-André Charial (Oustau de Baumanière, Les Baux-de-Provence) ; Jacques Chibois (La Bastide Saint-Antoine, Grasse) ; Jean-Michel Lorain (La Côte Saint Jacques & Spa, Joigny); Patrick Henriroux (La Pyramide, Vienne); Guy Martin (Le Grand Véfour, Paris) ; Michel Rostang (Michel Rostang Restaurant, Paris) ; Davy Tissot (Villa Florentine, Lyon) ; César Troisgros (Maison Troisgros, Roanne) ; das Finale bildet Édouard Loubet (Bastide de Capelongue, Bonnieux en Provence).

Tischreservierungen ab sofort unter der Telefonnummer  +33 (0)1 53 23 15 25. Weitere Informationen zu den Grand Chefs Relais & Châteaux im Internet unter http://www.relaischateaux.com/de/grandschefs/ und zur XXVI. Biennale des Anitquaires unter http://www.sna-france.com.

Bild oben rechts: Michel Guérard

 

 




Allgaiers eröffnet im Westend

 

Am 1. August will das Allgaiers im Frankfurter Westend eröffnen. Nach sechs Monaten des Umbauens kann Stefan Allgeier für sein neues Restaurant grünes Licht geben (siehe auch Biss-Artikel vom März Allgaiers statt Gargantua). Er und sein Küchenchef Max Traue wollen neben einem Lunch-Menü und einem Wein-Menü mittags und abends Gerichte à la Carte anbieten, die bereits im Lokal Zum Grünen Wald in Kronberg Anklang fanden. Hummer mit Kalbsbries in Krustentierschaum, Gänseleberterrine, Wiener Schnitzel, Lamm oder US-Beef werden auf der Karte stehen. Bei den Weinen zeigt sich Allgaier wieder ambitioniert, über 400 Positionen sind verzeichnet. Schwerpunkt bilden Deutschland und Frankreich, auch Österreich, Italien und Spanien sind vertreten, die Neue Weinwelt dagegen nur stellenweise. Es sollen dabei 15 offene Weine zu haben sein (0,1 und 0,2l, 4 – 9 €).  Die Küchenzeiten werden von Montags bis Freitag zwischen 12-15 und von 18.30 – 23 Uhr liegen, an den Wochenenden ist geschlossen.

 

Wer war eigentlich Mirko Reeh? Inzwischen wissen wir jedenfalls, dass er mehr Gläubiger als Gäste hatte. Er ist pleite und schuldet Handwerkern und Mitarbeitern noch Geld. Sein einstiges Reehstaurant in Frankfurt-Bornheim floppte schnell, wobei bis heute Handwerkerrechnungen unbezahlt blieben. Starkoch nennen ihn einige Journalisten, denen das nachdenken schwer fällt. Nur, weil Reeh hin und wieder in einigen belanglosen TV-Shows auftritt. Witzigmann ist Jahrhundertkoch, Ducase der am höchsten bewertete Gastronom der Welt, und nur Wolfgang Puck könnte sich Starkoch nennen, weil er stets die wirklichen Stars in Hollywood bekocht. Doch dieser Begriff wäre ihm viel zu abgeschmackt.

 

Börn Zimmer, der neue Sommelier bei Zarges auf der Frankfurter Freßgass, verkauft gut und gerne Wein. Der Umsatz hat deutlich zugenommen, weil mit ihm jemand am Tisch ist, der mit Freude und Kompetenz berät. Zimmer ist flotter und lockerer als viele Sommeliers, die oft durch auswendig gelernte Besserwisserei auffallen. Die Weinkarte bei Zarges, die ohnehin zu den besten der Stadt gehört, wird weiter ausgebaut, wobei Deutschland im Mittelpunkt steht.

 

 

 




In Memoriam Davide Demarchi

Markenzeichen: Breites Lachen. Damit konnte er jeden Gast gewinnen. Und damit konnte er jeden kritischen Gast bezwingen. Das musste er kaum, denn handwerklich war der Barkeeper Davide Demarchi erstklassig. Der Mailänder Charakterkopf versah seine Arbeit mit einer Mischung aus heiligem Ernst und bedächtiger Gastfreundschaft. Davide war von Haus aus zwar Biologe, aber trotzdem einer der wenigen echten Barkeeper in Frankfurt, weil er kein Blender war, sondern seinen Drinks Seele einzuhauchen verstand. Sein Basequito aus Vodka, Basilikum, Limone und Soda war von reintöniger Klarheit und geschmacksicher Harmonie. Eigenschaften, die irgendwo auch auf ihn zutrafen.

Davide Demarchi startete in der Biancalani Bar in Frankfurt Sachsenhausen und wechselte dann in die Bar der Kameha Suite. Vor zwei Jahren kam er wieder in das Biancalani am Mainufer zurück und war als Betriebsleiter für das Italien-Trio aus zwei Lokalen und einer Bar verantwortlich. Nach schwerer Krankheit ist er jetzt mit 41 Jahren viel zu jung gestorben.