Köche gehören an den Herd
Sind aber leider nicht immer dort
Von Ludwig Fienhold
Köche brauchen auch mal ihre Ruhe. Aber nicht gerade, wenn Gäste kommen. Dann haben sie am Herd zu stehen. Vor allem prominente Köche sollten sich dieser Verpflichtung bewusst sein, denn man hat sie wegen ihres guten Namens gebucht. Es verhält sich schließlich so, wie bei anderen Events auch: Wer Karten für die Rolling Stones gekauft hat und statt derer Roberto Blanco aufgetischt bekommt, wird sein Geld mit Recht empört zurückverlangen. Wenn ich als Gast bei einem Drei-Sterne-Koch bin, erwarte ich seine Präsenz. Doch immer mehr erweisen sich die Chefs als wahre Herdflüchtlinge – gerade die vielbeschäftigten, unter deren Regie gleich mehrere Restaurants oder ähnliche Betriebe laufen.
Der sich bestens vermarktende und viele Werbeverträge erfüllende Paul Bocuse war der erste prominente Koch, der sich erlaubte, den Herd so oft wie er wollte zu meiden. Er war seinerzeit so bekannt, dass allein sein ganz Lyon beherrschender Spirit genügte, um die Gäste zufriedenzustellen. Man war bei Paul Bocuse, obwohl er gar nicht da war. Genius loco statt Genius loci. Wer murrte, dem erschien Bocuse als Geist und machte sich grimmig mit übereinander geschränkten Armen breit. Nur die ganz Mutigen getrauten sich dann noch für sozialen Ausgleich zu sorgen und ließen ein Löffelchen mit dem Initialen PB mitgehen. Ein wahrer Großmeister seines Fachs, Alain Ducasse, stand zwar später auch kaum noch selbst aktiv am Herd im Louis XV im Hotel de Paris in Monte Carlo, doch er hatte seine Brigade im Griff wie kein anderer. Vor allem war er in der Küche, schritt die Stationen ab und überwachte die Arbeitsabläufe zusätzlich über verschiedene Monitore. Wenn es erforderlich war, griff er ein und legte selbst Hand an. Es war und ist immer noch erstaunlich, wie präzise die Gerichte über die Jahre schmecken und nur hin und wieder eine neue Variante, Verfeinerung oder Modifizierung erfahren. Aber das ist die Ausnahme, ein solches Zusammenspiel gelingt nur den ganz Großen und einem harmonischen Team.
Die meisten Küchenchefs glauben ja merkwürdiger Weise nicht, dass ihre Abwesenheit bemerkt wird. Obwohl sie sich auch gleichzeitig im Grunde für kaum ersetzbar halten. Es hat aber nicht nur handwerkliche Gründe, sondern auch psychosoziale und mentale, weshalb die Gegenwart eines Chefs ausschlaggebend sein kann. Aufmerksame Gäste, die genau hinschmecken können und den Vergleich kennen, merken sehr genau, ob der Küchenchef mit am Herd steht oder nicht. Es mag sich nur um Nuancen handeln, die aber gravierend sein können, insbesondere bei den Restaurantbewertungen geht es um die feinen Unterschiede. Die Differenzen können aber auch gewaltig sein. Wir werden nie ein Essen bei Tim Raue in Berlin vor seiner Selbständigkeit vergessen, bei dem seine einmal vielleicht gut gedachten Kreationen geradezu ins Lächerliche gezogen wurden. Er und seine Frau waren auf Urlaub, das Küchenteam verdrechselte derart disharmonisch die einzelnen Komponenten und hinterließ ein geschmackliches Desaster.
Heinz Winkler steht schon lange nicht mehr selbst am Herd, weiß aber einfach, wie es geht. Nicht immer kann er sich jedoch auf seine Küchenchefs verlassen, wie manches Beispiel aus der Vergangenheit zeigte. Gerade bei diesem Thema kommt man auch nicht an Johann Lafer und Alfons Schuhbeck vorbei. Wer wert auf deren Gegenwart legt, kann dies ja bei der telefonischen Reservierung sicher stellen. Im Waldhotel Sonnora braucht man nicht zu fragen, Helmut Thieltges ist mit dem Herd geradezu verkettet. Es gibt viele Küchenchefs, die kaum selbst mehr en detail Hand anlegen und lediglich als Supervisor die Abläufe und alles, was über den Pass geht, kontrollieren. Oft ist das ausreichend, denn sie sind präsent und können die Übersicht wahren und letzte Entscheidungen treffen. Als Dirigent sorgen sie für Stimmigkeit.
Es sollte einem Küchenchef im Grunde schmeicheln, wenn man merkt, dass er nicht am Herd steht. Sonst wäre er überflüssig, sonst könnte man gute Köche nur durch das Weiterreichen von Rezepten rekrutieren. Es ist jedenfalls spürbar, ob Juan Amador am Herd steht oder nicht. Nicht nur etwas, sondern drastisch erlebt man das Fehlen von Christian Lohse im Restaurant Fischers Fritze im Hotel Regent in Berlin. Dann schmeckt vor allem das Brot des Ausnahmebäckers Jochen Gaues. Auch das bedeutet nicht, dass die Küche schlecht wäre, aber sie bleibt unter den Erwartungen. Es muss ja nicht jeder ein Held wie Wohlfahrt sein, der selbst mit Gipsfuß noch am Herd steht. Die Gäste erwarten aber Ehrlichkeit. Wenn ein Küchenchef, aus welchen Gründen auch immer, nicht anwesend sein kann, dann sollte er entweder schließen (wie bei Betriebsferien ja auch) oder bei der Reservierung darauf hinweisen. Jedenfalls muss der Gast informiert sein, ob der gebuchte Koch am Herd steht oder nicht. Er zahlt ja auch nicht mit Falschgeld.