Der Koch der Wiesen und Wälder
Matthias Schmidt von der Villa Merton will Natur pur und schafft eine einzigartige regionale Landschaftsküche
Von Ludwig Fienhold
So konsequent und stringent setzt kaum jemand die Idee einer Regionalküche um, wie Matthias Schmidt von der Villa Merton in Frankfurt. Er arbeitet nur noch mit heimischen Produkten, durchpflügt Wälder und Wiesen, um auch unbekannte Beeren, Blüten und Kräuter zu entdecken, die er für seine ungewöhnliche Landschaftsküche einsetzt. Matthias Schmidts Abkehr von der modernen Hochküche ist mutig und so archaisch, dass dies weit mehr unserer Zeit und der Zukunft entspricht als es jede molekulare Küche zu sein schien.
Matthias Schmidts Verwandlung vom soliden Vertreter der Haute Cuisine zum wilden Naturburschen kam überraschend. Er hatte sich mit seiner feinen neudeutschen Küche einen Namen gemacht und konnte auch bei den Restaurantführern gute Wertungen erarbeiten (1 Michelin-Stern, 16 Punkte im Gault Millau). Die Zeitschrift Feinschmecker setzt ihn aktuell allerdings auf die gleiche Stufe wie die aberwitzigen Frankfurter Lokale Zenzakan und Aubergine (längst geschlossen), was an Geschmacksverirrung nicht zu überbieten ist. Jetzt sind in der Villa Merton Gänsestopfleber und Schokolade passé, selbst Olivenöl wird durch regionales Weizengrasöl ersetzt. Auf dem Obsthof von Andreas Schneider in Nieder-Erlenbach lernte Schmidt Johannisbeerbüsche kennen, denen ein ganz besonderes Aroma anhaftet. Aus den Blättern und kleinen Ästen gewinnt er einen Rohstoff, der als Grundlage für Desserts dient, beispielsweise aber auch in eine Rehjus einfließt. Die pulvrige Substanz wird in Milch und Sahne gezogen und erhält ein ungewöhnliches, angenehm fruchtiges Aroma. Aus diesem Johannisbeerholz wird dann eine schmelzige und nach Garten duftende Eisnocke mit eingelegten Holunderbeeren, roten Vogelbeeren und mit Holunderblüten gefüllten Brotkrusten, die in Johannisbeerzweigen schaukeln.
Beim ehemaligen französischen Alpen-Natur-Guru und 3-Sterne-Koch Marc Verat konnte man auch Moos-Mousse und so ziemlich alles außer seinem schwarzen Filzhut essen, doch wollte es einfach nicht schmecken und glitt oft in die bloße Lächerlichkeit ab. Trotz pathetisch postulierter Natürlichkeit geriet das Essen zu artifizieller Verquertheit. Bei Matthias Schmidt ist jeder Teller eine schöne Herausforderung an das Mitdenken, Mitfühlen und Mitschmecken des Gastes – für die er mit einer sehr sinnlichen, naturnahen und subtilen Küche belohnt wird. Es werden sehr feinfühlig und effektvoll Fichtensprossen, Bucheckern oder Hundsrosen eingesetzt. Charakteristisch sind die delikaten marinierten Flusskrebse mit leicht gerösteten Bucheckern, Gelee mit Schmand und hagebuttenähnlichen Hundsrosen. Das zarte Röstaroma und die fleischigen und in Bucheckernöl geschwenkten Keimblätter von der Rotbuche geben den saftig-knackigen Flusskrebsen einen enormen Schub an Ausdruckskraft, ohne deren Zartheit zu stören. Die selten gewordenen Bucheckern stammen von einem Förster aus Hanau und kosten das Kilo soviel wie Gänseleber.
Gelbwürstchen aus dem Rauch im Tontöpfchen, Frankfurter Schmandkekse in Großmutters Dose präsentiert oder Herrschaftsgespritzter-Apfelschaumwein mit Verveine als Sorbet am Spieß tragen Lokalkolorit und werden als Appetitlüstlinge serviert. Famos ist die Interpretation vom Frankfurter Handkäs´ mit Musik. Der Teller springt einen mit Heiterkeit an – flüssig-feste Essigkugeln mit ein klein wenig Kümmel im Inneren, zarte Zwiebelchen, Apfeldrops und angebratene Brotwürfel werden mit einer sämigen Handkäsecreme übergossen und finden zur harmonischen Einheit, wobei das Rustikale erhalten bleibt und die verstellte Syntax vor allem andere Nuancen setzt.
Es gibt aber auch noch durchaus Gerichte der klassischen Haute Cuisine, wenngleich sie modifiziert werden. Dem hervorragenden und mit Knoblauchrauke, Senf und Joghurt marinierten Lammsattel mit wunderbar saftiger Speckkruste wohnt eine sous vide gegarte Riesenkarotte bei. Der phänomenale und mit eingeweckten Fichtensprossen glasierte Rehrücken (sous vide) wird von einer wundervoll faunisch aufgebauten Sauce aus Rehjus, Honig, Blütenpollen, Wacholder und Fichtensprossen pointiert, wobei sogar Muckefuck im Spiel ist, weil er Kastanienaroma einbringt und so das Thema Wald vollendet. Als Abschluss gibt es angenehm leichte, frische, dezent aromatische und keineswegs dumpf süße Desserts. Obligatorisch zum Espresso sind der leckere Kirschbaumblütenzucker im Schmuckkästchen sowie Obst auf Eis. Schön auch der gefrorene Rhabarbersaft mit Honig, Fenchel und Abendmilch vom Dottenfelder Hof. Thierry Felden führt einen sympathischen Service und kann aus einem gut bestückten Weinkeller jeden Gang bestens begleiten, doch empfiehlt er inzwischen auch ausgezeichnete alkoholfreie Drinks, etwa einen aus Apfel und Tanne.
Küchenchef Mathias Schmidt und seine Crew konzentrieren sich sehr besonnen auf das Wesen ihrer Produkte und Rohstoffe und kombinieren überraschend und ingeniös. Es entstehen dabei geschmacklich präzise Speisen mit liebevollen Details, Gerichte von anrührender Tiefe. Viele Köche suchen vergeblich nach einer Unique Selling Proposition, Matthias Schmidt hat sich ein Reich der Regionalität als Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Das eigentliche Wunder dabei ist, dass dies ausgerechnet in der Villa Merton stattfindet, wo nicht wenige ignorante Gäste aus der Geschäftswelt zu Hause sind, die teilweise überfordert sein könnten (ein „normales“ Business-Lunch gibt es deshalb auch noch). Dabei ist es sehr spannend und anregend mit der Küche auf Entdeckungstour zu gehen, um Wald, Wiese und Feld so en passant beim Essen besser begreifen zu können.
Villa Merton, Frankfurt, Leonhardsbrunn 12, Tel. 069 70 30 33. Geöffnet Mo. – Fr. 12 – 14 und 18 – 22 Uhr (Küche), Samstag und Sonntag geschlossen. Menüpreise 85 € (vier Gänge), 105 € (sechs Gänge), alle Gänge sind auch einzeln zu bestellen. Business Lunch drei Gänge für 33 €. Stilvolles Ambiente, schöner kleiner Sommergarten. www.koflerkompanie.de
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