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Der beste Hamburger der Welt

Wie gut kann der denn sein?

Er wird schon jetzt als der beste Hamburger der Welt gehandelt, obwohl es ihn (noch) nicht in einem Lokal gibt. Bislang existiert er in dem famosen fettleibigen Band Modernist Cuisine von Nathan Myhrvold. Bald wird ihn fast jeder haben oder nachmachen wollen, eher die Spitzenköche als der Imbissbudenbetreiber an der Ecke. Was macht diesen Hamburger so besonders? Es ist die Art der Zubereitung mit modernster Technik, es sind aber auch die speziellen und hochwertigen Ingredienzien.

Japanischer Maitake Pilz

Dieser Hamburger wird nicht mit geschmackstoten Tomaten zubereitet, sondern mit Heirloom Tomatos – einer aromatischen, saftigen, leicht süßen alten Sorte, wie sie in San Francisco oder New York in Bioläden zu finden ist. Diese gewellte Fleischtomate ist bei Kennern, Köchen und Prominenten sehr beliebt. Die First Lady der USA, Michelle Obama, baut sie auf dem Gelände des Weißen Hauses im eigenen Gemüsegarten an, politisch und ökologisch korrekt biologisch. Die Heirloom ist nicht nur rot, sondern auch orange, grün, gelb, violett, beige und schwarz. Die samenechten „Erbstück“-Tomaten werden meist von Hand geerntet und kosten mehr als zehn Euro das Kilo. Für den Weltklasse-Burger werden die Heirloom-Tomaten schonend unter Vakuum komprimiert, was auch der Geschmacksverdichtung dient.

Der Hamburger von Nathan Myhrvold ist Schicht für Schicht anders als der herkömmliche, wenngleich er auf den ersten flüchtigen Blick keine wesentlichen Unterschiede aufweist. Einer der großen Unterschiede liegt in der Verwendung von Pilzen, aber nicht irgendwelchen: Die Maitake-Pilze sind von Mystik umflort und werden auch in der chinesischen Medizin eingesetzt – sie sollen der Leber gut tun und Cholesterin sowie Blutdruck senken. Mitaike schmecken ungewöhnlich gut, nussig-aromatisch. Die braungrauen Pilze sind bei uns als Klapperschwamm bekannt und wachsen meist am Stamm von alten Eichen. Bei Nathans Super-Burger wird der Maitake-Pilz in Rinderfett sautiert.

Heirloom Tomaten

Nathans Hamburger-Brötchen wird in Rinderfett geröstet, hat eine leicht krosse Hülle und ist innen eher zart als weich. Unter der oberen Schale sorgt eine kraftvolle Glasur, mehr schon ein Guss, aus Rinderfond, püriertem Tomaten-Confit und geräuchertem Salz für Würze und Saftigkeit. Der mit rauchigem Hickory Smoke sous vide gegarte Romana-Salat zeichnet sich durch Geschmack und Knackigkeit aus. Die hauchdünne Käseschicht besteht aus gereiftem Emmentaler und Comté-Rohmilchkäse.

Trotz der vielen wichtigen Details spielt auch bei diesem Burger das Fleisch die Hauptrolle. Beim Nathan-Burger muss das Fleisch nicht von der Morgan-Ranch kommen. Wichtig ist, dass die Fleischmasse aus der saftigen Flachrippe, den Short Ribs stammt, wie sie gerne beim BBQ verwendet werden.

Küchen-Einstein Nathan Myhrvold

Die Unterschale des Burgers wird bei Nathan mit einer Ketchup-Sauce aus Champignon-ähnlichen chinesischen Crimini-Pilzen bestrichen, in der zudem Meerrettich, Honig, Fischsauce, Ingwer und Piment enthalten ist. Der Geschmack ist deutlich, aber nicht laut, die Haptik wechselt von butterzart bis knackig, die Texturen changieren und erzeugen Spannung. Das Gesamtergebnis ist ein superbes Grill-Erlebnis.

Jetzt will wahrscheinlich jeder diesen Giganten-Burger haben, genau so und nicht anders. Da es ihn aber noch nirgendwo gibt, muss man ihn sich schon selbst machen.

Siehe auch Artikel „Einstein in der Küche“

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Asia-Konfusion im neuen GinYuu

Noch mehr Systemgastronomie  für ganz Deutschland

Wieder ein neues Lokal aus der Reihe „Haben wir nicht vermisst“. Asiatisches wird versprochen, pan-asiatisches sogar. Klingt wichtiger. Ist aber Systemgastronomie. Bislang ohne System und mit viel Verwirrung. Und asiatisch auch nur entfernt. GinYuu hat vor zwei Wochen geöffnet, wurde aber erst jetzt am Donnerstag mit einer Party offiziell in der Frankfurter Junghofstraße gefeiert. In der Nähe der prominenten Goethestraße, wo einst mit dem Vogue einer der besten Clubs der Stadt Feierlaune verbreitete. GinYuu bietet 160 Plätze, die sich auf 450 Quadratmeter verteilen, plus Straßenterrasse.

Die Zeitgeistoptik mit viel Holz und offener Küche kann man noch als Edelkantine verstehen und mögen. Weniger Verständnis haben wir aber für Küchenleistungen, bei denen man sich fragt, was diese Leute eigentlich von Beruf sind. Gibt es dort überhaupt gelernte Köche oder haben wir es hier mit dem Job des Aufwärmers, Herumrührers und Beutelschneiders zu tun? Offenbar wissen diese jungen Burschen noch nicht einmal wie man Reis kocht. Jedenfalls tischen sie Reisbrei auf, ungesalzenen Matsch. Keines unserer Gerichte war korrekt gegart und wies irgendein Aroma auf. Stattdessen versuchte man die allgemeine Geschmacklosigkeit mit reichlich Chili abzudecken. Das Red Curry mit Hühnerbrust, Zuckerschoten, Bambus und Koriander bestand vor allem aus monotoner Schärfe. Dem faden blassen Convenience-Hühnchen fehlten Frische und Würzigkeit. Stümper waren auch beim Indian Curry-Cocos-Rice am Werk. Das matt wirkende Rinderfilet verriet schon optisch pures Desinteresse an Qualität. Das zähe Stuck weigerte sich hartnäckig gekaut zu werden. Als das Gegenteil davon erwies sich der fast schon flüssige Basmatireis. Die Curry-Kokos-Sauce aus der Tüte passte ins Bild der asiatischen Irrtümer. Statt der versprochenen Macadmaia wurden zudem banale Erdnüsse eingesetzt.

Thai Chicken Rice

Als geschmacklich paralysiert entpuppte sich ein Spicy Thai-Chicken-Rice mit der gleichen flauen Hühnchenbrust und einem Gemenge aus Ei, Bambussprossen, Ei und Erdnüssen (sowie glitschigem Reis). Das Carpaccio Ginyuu verspricht Rinderfilet, Limetten-Hoisin-Vinaigrette und Parmesan. Die dünnen Fleischscheiben für sich wären akzeptabel gewesen, doch die Vinaigrette war keine solche, sondern nur ein klebrig-süßer Mix aus der Flasche (von Parmesan keine Spur). Die Küche konnte sich leider nicht bremsen und schüttete die zähflüssige Masse über das Carpaccio, wodurch sie erschlagen wurde und kaum noch zu retten war. Es überraschte nicht, dass beim Tonkabohnen-Panna Cotta mit Mango (Kokosmilch, Tonkabohnen, Sahne, Mango) der gleiche grobe Dilettantismus hervortrat – das Dessert war vor allem sahnig, viel zu dünn und ohne Aussage, das pampige Mango-Mousse schmeckte nur süß und leicht metallisch. Fazit: Schlechter kann man die Weltküchen aus Thailand, China, Japan, Vietnam, Indonesien und Indien nicht präsentieren. Egal, welcher Provenienz dieses asiatische Durcheinander im GinYuu auch entspringen mag, schlechtes Essen besitzt keinen Nationalstolz und gehört ins Reich der entseelten Bedeutungslosigkeit.

Carpaccio

Der Wirklichkeit gegenüber wirkt der Internetauftritt des neuen Lokals noch phrasenhafter. Unglaubwürdig ist außerdem das Werben mit dem Sushi-Meister Ollysan als GinYuu-Berater, der sich in Frankfurt einen Namen machen konnte und in München ein gutes asiatisches Lokal führte. Oliver „Ollysan“ Lange hat kein einziges der Gerichte auf der Speisekarte entworfen und besitzt auch keinen Beratervertrag, wie er auf Nachfrage bestätigte. Er war lediglich kurz im Einsatz und ist nicht verantwortlich, für das was jetzt im GinYuu passiert, zumal in den letzten Wochen die Mitarbeiter häufig wechselten. Vielleicht wird Ollysan beim nächsten Projekt von Anfang an zu Rate gezogen und kann so mehr Einfluss nehmen.

Hinter der Marke Ginyuu steht der Deutsch-Amerikaner Kent Hahne und seine Apeiron AG in München – er war Frenchisepartner von McDonalds und ist Mitbetreiber der italienisch gedachten Vapiano-Kette (allein drei in Frankfurt). Das neue Lokal Ginyuu gilt als Pilotprojekt, weitere neun sollen in ganz Deutschland folgen.

LF

Ginyuu, Frankfurt, Junghofstr. 14, Tel. 069 297 294 90. Geöffnet: So-Do 11-24 Uhr, Fr-Sa. 11-1 Uhr. Gerichte 4,50 – 10 €.

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Einstein in der Küche

Wird Modernist Cuisine den Geschmack revolutionieren?


Die Grundidee von „Modernist Cuisine“ ist: Wissenschaft statt Bluff am Herd. Der Star auf der Paris Cookbook Fair, der Pariser Kochbuchmesse im März, war kein Autor oder Spitzenkoch. Es war das Buch Modernist Cuisine der Autoren Maxime Bilet und Nathan Myhrvold. Ein Wälzer der Superlative, verfasst mit einem Team von bis zu 40 Forschern und gerade im Selbstverlag erschienen, bislang nur in englischer Sprache. Nicht nur ein Buch, gleich fünf Bände, natürlich im Schuber, plus eines zusätzlichen Bands mit allen Rezepten auf wasserfestem Papier, der besonders küchentauglich sein soll.

Bereits in der Subskription wurden im englischen Sprachraum 4000 Exemplare abgesetzt – zum Preis von 625 Dollar. Ob „Modernist Cuisine“ letztendlich Gewinne erwirtschaftet, steht freilich in den Sternen. Die Entwicklungskosten werden auf zwei bis sechs Millionen Dollar geschätzt, Branchenkenner sehen sie eher bei letztgenannter Zahl. Nathan Myhrvold kann sich dieses Kochbuch leisten. Der ehemalige Chief Technology Officer bei Microsoft gilt als zweifacher Milliardär. Und als Genie: Princeton-Absolvent, Postdoktorat in Cambridge unter Stephen Hawking, Erfinder mit Hunderten von Patenten, Gründer des Unternehmens „Intellectual Ventures“, das seinerseits über tausende Patente verfügt. Außerdem ist Myhrvold ein anerkannter Fotograf: „Modernist Cuisine“ hätte wohl kein hauptberuflicher Foodfotograf besser ins Bild setzen können, was dem Leser hier geboten wird, verschlägt den Atem: Grill, Ofen und Mikrowelle wurden teils per Hochdruck-Wasserstrahl entzwei geteilt, einfach um den Leser zu erklären, wie welcher Garvorgang abläuft. Ein Detail hatte ich fast vergessen: Myhrvold hat einmal die Barbecue-Weltmeisterschaften in Memphis, Tennessee gewonnen und ging dem Küchenchef eines französischen Restaurants in Seattle zur Hand. Vielleicht auch deshalb ist „Modernist Cuisine“ kein „Molekularkochbuch“ – Myhrvold selbst lernt den Begriff „Molekularküche“ strikt ab.

Myhrvolds Werk erklärt schlicht und einfach jeden Garvorgang, den wir momentan kennen und räumt mit Vorurteilen auf. Es erklärt, warum Kochen schneller als Dämpfen ist oder wieso man Backen auch als Trocknungsprozess bezeichnen kann, es prangert Lücken in den Regelungen für Bioprodukte an (in den USA dürfen „bio“ rund 200 Additive zugesetzt werden). Und es erklärt jeden Garvorgang, egal ob Grillen, Kochen, Dünsten. Hier und da wird auch mit Zusatzstoffen geliert oder geklebt. Nun ist Myhrvold schließlich Wissenschaftler und lässt bei diesem Thema dieselbe Klarheit und Offenheit walten wie beim Kapitel zum Grill. Wer mit Activa Transglutaminase, Kelcogel oder Genuvisco, alles Handelsnamen von Zusatzstoffen, wirklich kochen möchte, der darf genau das natürlich tun. Nur sollte er das seinen Gästen nicht verschweigen. Dieses Buch beschreibt präzise und beschönigt nichts, da wird kein Zuckerester zur „Textura Sucro“. Aber noch etwas wird bei der Lektüre von Modernist Cuisine klar. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Labor im wissenschaftlichen Sinne und einem „Labor“, das ein Küchenchef betreibt. Das Labor des Wissenschaftlers dient der Forschung. Im Küchenlabor werden Rezepte ausprobiert und Gäste mit ein paar futuristischen Gerätschaften beeindruckt. Nun steht leider zu befürchten, dass einige Küchenstars den Wissenschaftler Myhrvold und sein Team vor den Karren ihrer Pseudoforschung spannen wollen.
JZ 

Die Köche Bilet, Young, Myhrvold (v.l.)

Geniales vom Hexer

Nathan Myhrvold: Koch, Tüftler, Forscher

Ist Modernist Cuisine das größte Kochbuch aller Zeiten? Es ist gewiss ein Magnum Opus. Mit 2400 Seiten, die sich auf sechs Bände verteilen, und einem Gewicht von stattlichen 20 Kilo. Auch der Preis von 625 Dollar verlangt nach einer dicken Geldbörse. Mit teilweise bis zu 40 Mitarbeitern haben der Autor und seine zwei Co-Autoren wie besessen an diesem Standartwerk gearbeitet. Nicht irgendwo, sondern in einer dafür entworfenen Mischung aus High Tech Küche und Physiklabor.Nathan Myhrvold beschreibt sachlich die Wissenschaft hinter der Kochkunst. In verschiedenen Kapiteln, wie Geschichte & Grundlagen, Technik & Ausrüstung, Tiere & Pflanzen, Zutaten & Vorbereitung. Dazu gibt es ein Küchenhandbuch sowie Rezepte. Der Autor erklärt, wie man Gerichte mit neuen Geschmacksrichtungen zubereiten kann, die zudem zu einer anderen Sensorik und Haptik führen. Myhrvold hantiert mit der Naivität des Wissenschaftlers, der sich nicht vorstellen kann, dass seine Praktiken in falsche Hände geraten könnten, mit Zentrifugen, natürlichen Hydrokolloiden, Emulgatoren und Enzymen. Er serviert uns dabei aber auch den ultimativen Hamburger (siehe Bericht „Der beste Hamburger der Welt“) Bei diesem ausgeklügelten und vor allem auf Geschmack setzenden Edelklops wird deutlich, dass Myhrvold kein Molekularkoch ist, sondern im Grunde seines Herzens ein hochsolider High Tech Griller. Das Werk bietet Chancen für die Küche, birgt aber auch Gefahren. Es wird auch hier wieder viele Trittbrettfahrer geben, die sich an einen bekannten Toptüftler anhängen und die neuen Ideen für eigene Zwecke umpolen.

Nathan Myhrvold aus Seattle ist ein ingeniöser Forscher und findiger Koch, der nach neuen Gartechniken sucht und sich für Sous-Vide begeistert (Garmethode für Fleisch, Fisch und Gemüse im Vakuumbeutel im Niedrigtemperatur-Wasserbad). Auch Niedrigtemperatur ist ein wichtiges Thema für ihn. „Ich liebe es, Short Ribs bei 54,4 Grad Celsius für 36 Stunden zu kochen, sagt Myhrvold, „Sie werden sehr aromatisch und haben eine andere Textur als die meisten Schmorbraten.“ Man sollte sich auch nicht von der Farbe beim Fisch täuschen lassen. „Kochen Sie Lachs 20 Minuten bei 40 Grad. Er wird noch roh aussehen, hat aber die Textur eines gekochten Fischs.“ Nach dem Sous-Vide Wasserbad möchte man manches Gericht ja mit einer schönen braunen Kruste versehen. Mit extremer Hitze in einer heißen Pfanne kommt man zu einem guten Ergebnis, doch noch besser ist nach Ansicht von Myhvold ein Bunsenbrenner.In seinem Forschungscamp bei Seattle brütet der schnelle Myhrvold immer wieder neue Ideen und Tricks aus – der Hurrikan-Bremser und der Malaria-Mücken-Laserkiller sind nur zwei auffällige Geistesblitze davon. Der 51 Jahre alte Physiker promovierte bereits mit 23 Jahren. Viel Gedanken hat er sich auch schon um die Beschaffenheit von Wackelpudding gemacht. Das Multitalent mit dem jugendlichen Lausbubengesicht wird sich und die Welt noch weiter überraschen.
PL

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