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In Teufels Küche

Das flammende Inferno eines Restaurantkritikers

Von Jörg Zipprick

Vor etwa 25 Jahren habe ich mich kopfüber in den großen Kessel Gastronomie gestürzt. Schön war es, als die Dinge auf einmal nach dem schmeckten, was sie waren. Für uns in Deutschland war das ja bei weitem noch nicht selbstverständlich, zumindest im Alltag. Freudig löffelte ich mein Süppchen und schaute bewundernd zu ihnen hoch, den Spitzenköchen, Halbgöttern in Weiß. Ich weiß noch wie glücklich ich war, als mir vor zwanzig Jahren der erste Autorenvertrag zugestellt wurde. Es folgte ein Reigen aus Leckereien bei Fredy Girardet in Crissier, Michel Guérard, Alain Ducasse, Gualtiero Marchesi, Joel Robuchon, Dieter Müller, Dieter Kaufmann und wie sie alle heißen, unterbrochen von Besuchen in Metzgereien, Käsereien, Bäckereien und beim Winzer.  Es schmeckte. Sicher, es gab auch Reinfälle: Froschschenkel, gebraten am ganzen Frosch. Entenbeinchen im Vorstadium der Mumifizierung, Rotbarben mit dem Aroma von Stroh, verfehlte Garzeiten, vergammelnde Zutaten… das küchenübliche halt, das in vielen Restaurantkritiken auftaucht.

Molekular-Mogul Ferran Adrià

Es ging mir gut; zumindest bis mein Magen den Appetit und mein Hirn die Lust am Superlativ verlor. Die Zeiten hatten sich geändert: Jungköche drehten plötzlich Filme mit Titeln wie „Wir sind die Revolution“. Auf den Speisekarten wimmelte es von Gerichten mit Namen wie „Falsches Ei“, „unsichtbares Gericht“ und „virtuelle Brombeeren“. Nur die Preisspalte blieb ganz und gar nicht im virtuellen, sondern siedelte sich in der Rubrik „Unverschämtheiten 2.0“ an.

Die Gastronomie von heute lebt von Mythos und Wortgeklingel; was dahinter steckt wird unter diesen beiden Feigenblättern – „Feigentapeten“ wäre der bessere Ausdruck – sorgsam verborgen. Zeitgleich mit dem Virtuellen sickerten nämlich ganz reale  Zusatzstoffe, Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Emulgatoren in die Haute-Cuisine. Einer der Gründe, weshalb ich überhaupt ins Restaurant gehe, ist, dass ich dort handwerklich auf hohem Niveau zubereitete Speisen genießen möchte – und eben nicht die Methoden der Food-Industrie vorgesetzt bekommen möchte, die es in jedem Supermarkt bedeutend günstiger zu genießen gibt. Doch schreibende Kollegen erklärten Additiv-Orgien zur „künstlerischen Ausdrucksform“.  Besonders gern hörte ich, dass „die Industrie Additive zur Kostensenkung nutzt, Köche sie jedoch zur Kreativitätssteigerung einsetzen“. Solch gute Vorsätze sind mir völlig egal. Die Additive wandern nun einmal in meinen Körper. Nicht alle tun mir gut, das hatte ich mehrfach schmerzhaft erfahren.

Spitzenkoch Juan Amador

Gelehrt dozierende Geschmacksphilosophen breiteten sich jetzt im kleinen Kritikervolk aus wie Fußpilz im öffentlichen Hallenbad. Sie verfügen über ihre eigene Nomenklatur. Ihre Sprache gleicht einer alten Star Trek Folge, wenn Bordingenieur Scotty verkündet, man müsse jetzt dringend den Protonenflux umkehren, um die Schutzschilde zu verstärken. Und wenn Scotty das in der Hektik des Phaser-Gefechts erklärt, dann glaubt man ihm das fest. Genauso wie man fast an „kulinarischen Strukturalismus“ glaubt, wenn man solche Wortgebilde in renommierten Zeitungen liest. Ja, mit den neuen Köchen kamen auch die neuen Kritiker. Die waren „anders“. Vor allen Dingen waren sie nicht mehr kritisch. Mit den Jungköchen hatten sie gemeinsam, dass sie bei jeder Gelegenheit herauskrakeelten, jetzt sei ihre Stunde gekommen. Ganz bestimmt. Sicher. Darauf könne man sich verlassen. Entsprechend schrieben sie nicht mehr für die Gäste, sondern für die Köche. Die Anerkennung eines Kochs, das ist heute mehr denn je die Anerkennung in Fachkreisen. Sollen die Leser doch sehen, wo sie bleiben.

Kochlöffelgröße Alfons Schuhbeck

Selbst im altehrwürdigen Michelin hielten kuriose Sitten Einzug: Die Lebensgefährtin von Direktor Jean-Luc Naret hängte schon letztes Jahr ihren Zivilberuf an den Nagel, um Websites und PR-Maßnahmen für Köche zu konzipieren. Gegenwärtig mutiert auch Naret selbst zum Consultant, für Restaurants, Hotels… und den Guide Michelin. Chefredakteurin Juliane Caspar verlieh ihrem ehemaligen Arbeitgeber, dem Koch Joachim Wissler, die legendären drei Himmelskörper. Der ehemalige Frankreich-Direktor Mesplède schenkte Köchin Anne-Sophie Pic so ein Dreigestirn. Mesplède kannte die „Maison Pic“ bestens. Als freier Journalist hatte er mit Frau Pic ein Kochbuch mit dem Titel „Im Namen des Vaters“ verfasst. Klingt das wirklich unabhängig und überparteilich?

Die Gastronomie von heute sieht ganz anders aus, als unsere Starköche es Autoren in den Block diktieren. Statt echter Seezunge (solea solea für den Zoologen) gibt es cynoglossus senegalensis, umgangssprachlich auch eine Seezunge. Man braucht kein großes Latinum, um zu erkennen, dass sich beide Tellertiere unterscheiden, auch beim Preis. Trüffeln kommen aus China, schmecken nach nichts und werden mit Trüffelöl aufgepeppt. Nachgewürzt wird mit Convenience von Großkonzernen. Drei Sterne Koch Gordon Ramsay besaß sogar eine Convenience-Fabrik, die seine Lokale belieferte.

Der Große aus dem Norden, Rene Redzepi

Und ganz neu: Aromen werden einfach auf Gerichte aufgesprüht. Es sind dieselben Aromen, die im Erdbeerjoghurt ohne Erdbeeren stecken. Köche, die sich in dieser Disziplin üben wollen, können bei Sosa in Barcelona ein Set mit 190 verschiedenen Duftrichtungen erwerben.  Wie heißt es so schön in einem der Prospekte:

„Aromen rechnen sich:
Keine Probleme mit Vorratshaltung, Qualität, Jahreszeiten, kein Kleinschneiden, keine Mazeration, keine Haltbarkeitsprobleme, keine Verluste! Alles gewonnene Zeit: Aromen garantieren eine gleichbleibende Qualität von der ersten bis zur letzten Verwendung.“

Sympathieträger Alexander Herrmann

Nur moralisch sehr gefestigte Köche können solchen Versuchungen widerstehen. In Spanien verbündete sich ein Betreiber von Zusatzstoff-Datenbanken mit einer staatlich finanzierten „Küchen- Universität“, Steuermillionen flossen (und fließen) für Zusatzstoff-Gerichte, Avantgardisten kleben Hase und Igel mit Transglutaminase oder „Fibrimex“ zusammen. Da können namhafte Köche noch so häufig Eide auf ökologisch verträgliche, nachhaltige Küchenpraktiken schwören und sich selbst zu „new naturals“ stilisieren. Ich glaube ihnen nicht mehr, ganz einfach weil unter den Unternehmen, die Profiköche mit all dem Additiv- und Aromenzauber versorgen, keine Pleitewelle auftritt. Es geht aufwärts: Etwa bei Sens Gourmet auf dem Großmarkt Rungis, einem Händler, der hauptsächlich Additive, Aromen sowie Pizza- und Bratsprays („gibt Gemüsen Glanz“) führt. Er verzeichnete 2007 und 2008 Umsatzsprünge von mehr als 50 Prozent. Vom TV-Koch, der Unilever-Saucen rühmt, bis zum „Avantgarde-Koch“ der Zusatzstoffe und Aromen einsetzt, bildet sich eine unheimliche Allianz aus Herdmeistern und Food-Industrie.

Top Toque Paul Bocuse

Seit Jahren sang man uns das Lied von den besten Produkten und der absoluten Frische der Zutaten vor. Und jetzt? Zusatzstoffe, Aromen, Zutaten aus der Chemiefabrik. Das System, damit meine ich auch die Gastronomiekritik, hatten versagt: Die Lügner sind oben, bewundert von allen. Die Ehrlichen sind wirklich die Dummen. Denn natürlich gibt es ehrliche Köche, es sind sogar besonders viele, auch wenn ihre Medienpräsenz in den letzten Jahren beständig abgenommen hat. Sie glauben an ihr Hohelied auf erstklassige Zutaten und lassen sie sich etwas kosten. Schließlich existiert eine riesige Grauzone: Köche die hier und da mal ein paar Gerichte mit Additiven aufblähen und mit Aromen „nachwürzen“, ohne gleich eine Philosophie daraus zu machen. All die Unternehmen, die unseren Herdmeister ihre „kleinen Helfer“ verkauften, hatten eine Meisterleistung verbracht. Sie waren von oben in den Markt eingesickert, über die „weltbesten Köche“, die Vorbilder und Modelle einer ganzen Branche. Andere Herdmeister orientierten sich an ihnen… und wurden selbstverständlich Kunden.

Solche Entwicklungen kann man als Einzelperson nicht aufhalten. Man kann sie aber beschreiben – und das war der Grundgedanke für „Teufels Küche“.

Werbe-Ikone Cornelia Poletto

Alle genannten Köche kommen in dem Buch „In Teufels Küche“ vor – positiv und negativ.




Wo sind die Götterspeisen?

Auf der Suche nach der ehrlichen Küche

Wer in Teufels Küche gerät, darf keine Angst vor Hitze haben. Insofern ist Jörg Zipprick ein Teufelsbraten. Er hat jetzt ein ganz heißes Eisen angefasst. Der Restaurantkritiker spießt jene Kochpraktiken auf, die den Gästen etwas vorgaukeln und nahezu unbekannt sind. Seinen Recherchen nach arbeiten viele in der Gastronomie mit Aromen und Zusatzstoffen, die illegal, schädlich und vor allem die reine Heuchelei darstellen. Vor allem Spitzenköche haben eine Vorbildfunktion und sollten sich handwerklich nur auf saubere Qualitäten besinnen. Wenn aber schon diese mit fragwürdigen Stoffen arbeiten, wie soll es dann erst in normalen Lokalen aussehen?  Das neue Buch von Jörg Zipprick, der auch für den stern besonders kritische kulinarische Berichte schreibt, bietet auf  288 Seiten viel Stoff, vor allem Zündstoff.

Jörg Zipprick, Autor der satanischen Gastro-Verse

Jörg Zipprick erzählt in dem Buch auch über seine kulinarische Laufbahn als Gastronomie-Journalist (Vif, Feinschmecker, Wein-Gourmet, Financial Times) Der Autor lebt seit vielen Jahren in Paris, der angeblichen Hauptstadt der Gourmets. Jörg Zipprick liebt seine Wahlstadt zwar, betrachtet sie aber viel kritischer als rosarot verliebte Eiffelturmbesucher. Das 288 Seiten starke Buch beginnt noch recht vergnüglich mit guten Restauranterlebnissen, wird dann aber zunehmend spitzer. Die sogenannte Molekularküche ist offenbar ein hochexplosives Gemisch. Im Zentrum der Kritik steht dabei die damit einhergehende Industrialisierung der Küche. Nach Zippricks Einschätzung wird es auch bei Spitzenköchen immer selbstverständlicher künstliche Aromen, Zusatzstoffe und bequeme Industrieprodukte einzusetzen, einige werben ja auch ganz offen dafür. Sehr viel beschäftigt hat sich der Autor nicht nur mit Johann Lafer oder Alfons Schuhbeck, Gegenstand ist vor allem immer wieder Ferran Adrià, der große spanische Molekular-Mogul.

Viele Köche, die Hilfsmittel oder Texturas einsetzen, betonen immer wieder, dass diese nicht gesundheitsschädlich sind. Jörg Zipprick aber möchte, dass trotzdem auf derlei Gaukelei verzichtet werden soll, weil damit ein Stück ehrliches Handwerk verloren ginge. Jörg Zipprick geht auch mit Kritikern ins Gericht, weil zu viele einfach zu unkritisch wären und sich bei Köchen nur beliebt machen wollten. Auch für die Lobredner der Molekularküche hegt Jörg Zipprick keine Sympathie. Unschwer zu erkennen ist dabei vor allem der frühere Freestylemusiker und jetzige Gastro-Anatom Jürgen Dollase aus dem Ruhrgebiet.

Wenn die Gourmet Guides Gault Millau und Michelin erscheinen, ist das Geschrei bei den Köchen immer groß. Bei dem Buch „In Teufels Küche“, das in diesen Tagen im Frankfurter Eichborn erscheint, wird dies ebenfalls so sein. Laut Zipprick hat es massive Einschüchterungsversuche gegeben, mit dem Ziel das Buch zu verhindern. Beschimpfungen ist er ohnehin gewohnt. Manchmal wird eben doch so heiß gegessen, wie es gekocht wurde.

 

 

Interviev mit Restaurantkritiker

Jörg Zipprick

BISS Zeitung: Bis jetzt hieß es doch immer, man habe noch nie so gut in Deutschland essen können wie heute. Und plötzlich sitzen wir in Teufels Küche?

Jörg Zipprick: Es gibt einen Sittenverfall in der Gastronomie. Gerade Spitzenköche haben als hochrangige Vertreter ihrer Zunft eine Vorbildfunktion. Wenn diese für Industrieprodukte werben und in ihrer Küche Zusatzstoffe, künstliche Aromen und Geschmacksverstärker verwenden, wird sich das weiter nach unten fortsetzen und verbreiten.

BISS Zeitung: Durch Hilfsmittel lässt sich sehr schnell ein Geschmack herstellen, der mit konventionellen Methoden mühsamer ist. Das könnte die Arbeit am Herd grundsätzlich verändern.

Jörg Zipprick: Am Ende dieser Entwicklung steht, dass die Handwerklichkeitverloren geht. Es ist ja viel einfacher in die Trickkiste zu greifen. Es gibt eine spanische Firma, die allein 190 verschiedene Aromastoffe und andere Helferlein verkauft. So geht das Wissen um Produkte verloren.

Fernsehkoch Johann Lafer

BISS Zeitung: Stickstoff  beispielsweise wird inzwischen auch in Szenelokalen und Bars verwendet. Vieles, was gestern undenkbar gewesen wäre, wird unbekümmert auf allen Ebenen eingesetzt.

Jörg Zipprick: Die Nahrungsmittelindustrie versucht über die Topgastronomie Zusatzstoffe salonfähig und für alle vertretbar zu machen.

Pierre Gagnaire

BISS Zeitung Wir haben in Deutschland sehr viele Topküche, deren Können unbestritten ist.

Jörg Zipprick: Aber man muss sich Sorgen um die Produktqualität machen. Große Köche, die beste Zutaten versprechen, kaufen drittklassige Ware oder tricksen ihre Gäste aus. Eine Kliesche (Art Rotzunge) wird als Seezunge serviert, Abfälle werden als Stopfleber verkauft, veredelt wird mit glutamathaltigen Gewürzmischungen. Während früher ein Koch ein guter Handwerker war, muss er heute ein Medienprofi sein, der Kochen vielfach nur noch vorspielt. Köche, die Produktqualität selbst nicht mehr erlebt und zerlegt haben, sind auch leichter Opfer skrupelfreier Lieferanten.

BISS Zeitung: Etikettenschwindel scheint ein beliebter Sport zu sein. Einen falschen Trüffel kann man eher erkennen als versteckte Zusatzstoffe, die bislang auch nicht deklariert werden müssen.

Jörg Zipprick: Es muss eine klare Kennzeichnung aller verwendeten Zusatzstoffe und Labor-Aromen geben, auch und gerade auf den Speisekarten der Spitzengastronomie.

BISS Zeitung: Es ist doch die Aufgabe von Journalisten und vor allem der Restaurantkritik auf solche Missstände hinzuweisen.

Jörg Zipprick: Es gibt zu wenige kundige Vorkoster und zu viele Claqueure gernegroßer Herdmeister, bei denen Private Equity Fonds (außerbörsliches Eigenkapital) eingestiegen sind, die als Anzeigenkunden Einfluss auf die Berichterstattung nehmen wollen. Internationale Hotelketten, die Spitzenköche beschäftigen, oder Industriepartner, – deren Würste, Saucen, Süppchen – der Koch gegen einen ordentlichen Obolus rühmt, drohen bei kritischer Berichterstattung den Redaktionen schnell mit einem Anzeigenboykott.

BISS Zeitung: Malen Sie nicht den Teufel an die Wand? Heißt das sogar am Ende, dass Sie nicht mehr Gourmetrestaurants besuchen und nur noch Würstchenständen vertrauen?

Jörg Zipprick:  Es gibt sie noch, die erstklassige Gourmetküche. Und die muss auch nicht immer teuer sein. Auch das steht in diesem Buch.

Jörg Zipprick

In Teufels Küche

Ein Restaurantkritiker packt aus

Eichborn Verlag

288 Seiten
19.95 €