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Frankfurt wird italienischer

A Casa di Tomilaia

Von Ludwig Fienhold

Ein Frankfurter Lokal mit eigenem Weingut und Olivenhainen in Italien ist schon etwas ganz Besonderes. Aber auch sonst hat das neue A Casa di Tomilaia & Friends Ungewöhnliches zu bieten. Hinter dem epischen Namen steckt ein effektvolles Konzept. Die Pasta wird frisch vor den Augen der Gäste zubereitet, Nudeln, Saucen, Weine, Olivenöl, Grappa und vieles mehr kann man auch für Zuhause mitnehmen. Wegen seiner speziellen Kombination nennet sich die Casa auch Flagship Restaurant & Store. Es ist das erste in Deutschland, weitere sollen in München, Hamburg und London folgen. Man will damit eine ganz neue Art von Weinlokal etablieren.

Tom Bock, Architekt und Spiritus rector der gastronomischen Biancalani-Trilogie in Sachsanhausen am Walther-von-Cronberg-Platz, hat die ehemalige Enoteca völlig neu gestaltet und konzipiert. Kurzum: Deutlich verbessert. Sein Wahlspruch „Architektur ist Musik für die Augen“ wurde hier sehenswert umgesetzt. Der 49 Jahre alte Baumeister, der unter anderem für das Florentinische Viertel und das Loft-Quartier SoHo am südlichen Mainufer verantwortlich ist, tickt genauso frankfurterisch wie italienisch. In der Casa wird Frankfurt vor allem toskanisch. Die meisten Gerichte wurzeln in dieser Region, die Weinberge vom eigenen Gut Tomilaia liegen zwischen Florenz und Siena. Küchenchef Jan Meier hat eine gut strukturierte und animierende Speisekarte entworfen. Die neun Antipasti zu je 2,80 € kann man einzeln oder gemischt bestellen, der Oktopussalat mit Kichererbsen, Zitrone und Staudensellerie sollte dabei sein. Unter Affettati werden sieben Charcuterie-Spezialitäten frisch mit der Maschine geschnitten (je 3 €), darunter Wildschweinsalami, Tiroler Schinkenspeck, schneeweißer Rückenspeck von toskanischen Landschweinen und Fenchelsalami. Alles von erstklassiger Qualität und dünn geschnitten. Vor dem Essen ist nach dem Essen: Jedes banale Weißbrot wird durch das ausgezeichnete Olivenöl zum Leckerbissen, dessen Ernte Tom Bock alljährlich selbst auf seinem 37 Hektar großen Gut einfährt.

Küchenchef Jan Meier

Küchenchef Jan Meier

Die Speisekarte setzt auf ein Baukastensystem, man kann sich individuell seine Gustostückchen zusammenstellen. Es gibt neben Wurst und Schinken noch verschiedene Käse, eigenen Honig und andere Kleinigkeiten, doch die hausgemachte Pasta ist das Herzstück. Die Cappelacci sind mit Kürbis gefüllt und werden von Rinderragout begleitet, zu der Picci-Pasta gibt es feingehacktes Rinderragout. Allenthalben schöner Teig, cremig-flutschig und doch mit Biss, sowie saftiges und gut gewürzte Fleisch. Die Pasta wird an einer einsehbaren fünf Meter langen Theke aus gespachteltem Beton gewalzt, geknetet, geschnitten und gezupft. Hier entsteht eine durch Italienfeeling und solides Handwerk geadelte Landküche, die auf unkomplizierte und doch keineswegs anspruchslose Art viel Freude macht. Zu Fisch und Fleisch, etwa Brasato von der geschmorten Rinderschulter, kann man unter sieben verschiedenen Beilagen wählen – Risotto, gegrilltes Gemüse oder etwa gerührte Polenta. Besonders gut zu den Rotweinen passt das leicht orientalisch gewürzte Wildschweinragout mit prallen Pappardelle und Pilzen. Küchenchef Jan Meier ist für das Biancalani und die neue Casa verantwortlich, hat aber auch mal seinen freien Tag und kann nicht ständig in beiden Lokalen gleichzeitig stehen. Sein Souschef Andreas Helfmann macht seine Arbeit so gut, dass man keinen Unterschied merkt. Es sind einige klassische Desserts zu haben, doch schön sind auch die hausgemachten Cantuccini aus dem Ofen. Dazu passt der Goccia-Dessertwein, der delikat nach Trauben und Rosinen schmeckt und vor allem eher trocken ausfällt.

Weine und Olivenöl vom eigenen Weingut

Auf der kleinen Karte stehen ausschließlich die Tropfen vom eigenen Weingut und einiger befreundeter Winzer. Die Heimatrebe der Toskana ist Sangiovese, die es bei Tomilaia in den Varianten Piccolo und Grosso gibt. Die Weine sind von regionalem Charakter, eher weich, warm und freundlich. Eine interessante Spielart ist die Verbindung von Sangiovese und Syrah, die bei Tomilaia auf Samtpfoten daherkommt und viel Frucht einbringt. Ein Renner, allein schon wegen des Namens, ist der Hash Ish, eine Assemblage von Sangiovese und Merlot. Es heißt, er soll ziemlich lustig machen. Die Weine sind limitiert, von manchen gibt es gerade einmal 5000 Flaschen. Umso überraschender sind die Preise: Der Gast zahlt lediglich ein Korkgeld. Die Flasche Sangiovese kostet im Lokal 37 €, zum Mitnehmen 25 €. Sympathisch ist das Angebot an unterschiedlichen Größen – ein Glas, eine halbe (500ml) und eine ganze Flasche (750ml) sowie Magnumgröße mit 1,5 Litern. Der Rosé von Tomilaia ist ein gefährlich süffiger Tropfen, ganz zart und doch mit einer raffinierten kleinen Würznote im Hintergrund, macht er mit jedem Glas Lust auf das nächste. Tom Bock hat für sein Weingut einen sehr begabten und renommierten Önologen gewinnen können: Sean O´Callaghan. Ein Engländer, der in Sri Lanka geboren wurde, im Rheingau studiert hat und in der Toskana lebt. Dort ist er vor allem für das Weingut Riecine verantwortlich, von dem es ebenfalls zwei sehr gute Weine in der Casa gibt – einen typischen Chianti Classico und den schön nach roten Beeren und Heidekraut duftenden Gioia.

Mein Haus ist dein Haus

Restaurantleiter Davide Demarchi, der zuvor Barchef in der Biancalani-Bar und danach in der Kameha Suite war, ist ein freundlicher Mailänder Charakterkopf. Seine rechte Hand Giuseppe und die übrige Crew sind engagiert im Einsatz, wie schon beim Vorläufer Enoteca. Die markanten und jetzt weißgetünchten Backsteinsäulen und die Stablampen, die wie Höhlen-Stalaktiten von der Decke hängen, geben dem Weinlokal einen unterschwelligen Loftauftritt. Während rötlichen Fußbodenkacheln, die aus über 200 Jahre alten Häusern aus der Toskana stammen, allem eine gewisse Patina einhauchen. Die gab es auch zuvor und doch erscheint das Lokal in jeder Hinsicht in neuem Licht. Die drei Barhocker an der Pasta-Theke sind beliebt, wobei das ganze Lokal sehr einladend wirkt. Die geölten und die naturbelassenen Eichenholztische sind von robustem Charme. Gute Idee: Mit dem passendem Ansatzstück lässt sich aus einem Zweiertisch im Handumdrehen einer für drei Gäste machen. Die kunstvoll gestaltete Weinwand wirkt wie ein Stillleben für ein Hochglanz-Wohn-Magazin. Bei abendlichem Kerzenlicht taucht man in eine warme behagliche italienische Weinstube ein. Mi Casa Su Casa, wie zu Hause fühlen. Auch die rauchenden Gäste werden nicht im Regen stehengelassen, vor der Tür können sie auf der beheizten und überdachten Terrasse sogar an Tischen sitzen.

A casa di Tomilaia & Friends, Florentinisches Viertel, Walther-von-Cronberg-Platz 9, Tel. 069 68977625. Pasta/Risotto 6 – 15 €, Hauptgerichte 14 – 28 €.                                                                                                          www.acasadi.de www.tomilaia.it www.tomilaia.de www.biancalani.de
Die Raucher vor der Tür haben es gemütlich und warm

Italienische Trilogie

Alle drei Lokale – Biancalani, Casa und die Bar – liegen Tür an Tür. Im Restaurant Biancalani bietet Jan Meier eine kreative italienisch-europäische Küche. Im Gegensatz zur Casa ändert sich die Karte häufig und will stets mit neuen Kombinationen überraschen. Das Lokal zeigt seit vielen Jahren gute konstante Leistungen. Bar und Lounge nebenan sind eine amüsante Basis für Pre- und After-Dinner-Drinks. Die Bar hatte von Anfang an immer gute Barkeeper. Inzwischen ist mit Roberto Cellot wieder ein Talent eingezogen, der wie Davide Demarchi zuvor in der Kameha Suite arbeitete. Cellot liest James Joyce und Italo Svevo und mixt dazwischen flüssige Gedichte.




Die Perle unter den Weinen

Champagner-Trend

Bio und Rosé

Wenn auch Champagner für Luxus und Lebensfreude steht, so schwankt doch seine Qualität wie bei jedem anderen Wein auch. Mal ist er Edelperle, mal nur ein Ballermann. Grundsätzlich gilt: So wenig wie es einen Porsche zum VW-Preis gibt, so wenig wird man einen anspruchsvollen Billigschampus erstehen können. Krug, Roederer Cristal und Dom Pérignon bilden das Dreigestirn am Champagner-Firmament. Jeder von ihnen ist groß, doch es ist ganz entscheidend herauszufinden, welcher am besten zum eigenen Temperament passt – der chevalereske Krug, der spitzfindige Roederer oder der faunische Dom Pérignon. Die einen mögen die seidige Frische eines Blanc de Blancs von Pierre Gimonnet, die anderen suchen das Barocke von Bollinger. Wer viel Statur braucht, freut sich an der Üppigkeit der Prestige-Cuvée Grande Sendree von Drappier. Wunderbar nach Leichtsinn schmeckt Charles Heidsieck, während Deutz stets zuverlässig den Grandseigneur unter den schäumenden Weinen vertritt.

Einer der ganz Großen unter den kleinen Champagner-Winzer ist der Mystiker Anselme Selosse, der als einer der ganz wenigen seine Grundweine in neuen Eichenholzfässern ausbaut. Seine Erzeugnisse entfachen Düfte aus Vanille, Zimt, Haselnuss und geröstetem Weißbrot. Gerade Biowinzer wie Selosse genießen das Vertrauen vieler Champagnerfreunde. Das Weinhandelshaus Vinaturel am Starnberger See hat sich auf biodynamische Produkte spezialisiert. Die Champagner von Franck Pascal, Francoise Bedel und Jérôme Prevost sind erstklassig und fair im Preis. Die Weine der kleinen Domaine von Prevost reifen in alten Eichenholzfässern in einem tiefen Luftschutzkeller aus dem 1. Weltkrieg. Die Champagner geraten authentisch und betörend leichtlebig, man muss sich stets schnell eine der raren 13.000 Flaschen sichern. Franck Pascals Brut Nature Cuvée de Réserve braucht viel Sauerstoff und zeigt erst dann seine ganze Qualität. Vanille und Brioche hat man oft als Aroma im Champagner, doch dieser erfrischt durch einen fein salzigen Abgang.

Auch unter den Öko-Winzern gibt es starke Unterschiede. Der Blanc de Blancs Extra Brut von Larmandier-Bernier, der delikat nach Vanille, Mandeln und Brioche duftet, ist zwar ein Kenner-Champagner, eignet sich aber auch geschmacklich und preislich bestens für Einsteiger. Die herausragenden Erzeugnisse von De Sousa lassen mit ihrer kernigen Frische die kalkhaltigen und mineralischen Böden der Champagne spüren und sind eher etwas für Kenner. Eine der großen Entdeckungen ist Egly-Ouriet aus der Grand Cru Lage Ambonnay. Michel Egly betreibt biodynamischen Anbau, baut dezent in Eichenfässern aus und setzt wie Anselme Selosse auf ungefilterte Weine. Das Ergebnis sind vitale, vielschichtige und harmonische Champagner mit zarter Perlage, die von einem feinen Vanilleton begleitet werden. Unter den fünf Sorten ist der Brut Tradition für Endverbraucher mit knapp 40 Euro der preiswerteste. Der Brut Millésime 2004 von Laherte Frères liegt sogar noch darunter und gefällt durch Extrakt, eine cremige Textur und Aromen von Vanille, exotischen Früchten und Rumtopf. Noch extravaganter ist der Brut Les Clos von Aurélien Laherte. Er verbindet die Rassigkeit der Champagne mit der Exotik der Karibik. Von Jacquesson kommen reintönige, feinperlende, finessenreiche und handwerklich präzise gearbeitete Champagner. Der Millésime 2000 ist vielschichtig und braucht viel Sauerstoff. Man sollte ihn in sehr großen bauchigen Weingläsern trinken oder sogar dekantieren. Oft heißt es, das letzte Glas ist das Beste. Das stimmt auch deshalb, weil viele Champagner sofort nach dem Öffnen getrunken werden und das letzte Glas am meisten Luft zum Entfalten bekommen hat. Also nach dem Plopp ruhig mit dem ersten Schluck etwas warten, dann schmecken alle Gläser gut.

Flüssige Antiquitäten

Rosé-Champagner vermitteln noch mehr als andere einen Hauch Verruchtheit. Sie sind wieder im Trend, weil ihre Qualität deutlich zugenommen hat und den Begriff Puffbrause vergessen lässt. Wegen ihrer hübschen Farbe sind Rosé-Champagner seit jeher bei Frauen besonders beliebt. Das ist mehr denn je der Fall, doch inzwischen wird er auch von Männern verstärkt akzeptiert und getrunken. Vor allem, wenn es sich dabei um Spitzenerzeugnisse handelt. Billecart-Salmon, Chartogne-Taillet, Selosse und Gosset sorgen mit Frische und Finesse sowie dezenten Aromen von Himbeeren, Waldbeeren und Mandeln für großes Trinkvergnügen.

Erstklassige Restaurants gönnen ihren Gästen gerne Außergewöhnliches. Dazu gehören auch gereifte alte Champagner und solche aus raren Rebsorten. Ein Edeltrunk von beinahe unwirklicher Finesse und feinstem Mousseux ist der Moutard, welcher in kleinster Edition aus der heute vergessenen und kaum noch vorhandenen Rebsorte Arbanne erzeugt wird. Für eine solch exzellente Spezialität sind knapp 50 Euro im Handel keineswegs zuviel. Auch sonst kommen von Moutard sehr gelungene und noch preiswertere Champagner. Ausgezeichnete Qualitäten sind bei zwei weiteren Familienbetrieben zu bekommen, die in Deutschland weitgehend unbekannt sind. Zu Aubry et Fils greifen Insider, welche keinen Allerweltsschaumwein, sondern exquisite Ware wollen. Die mit Künstleretikett ausgestattete und sehr duftige Cuvée Nicolas Francois Aubry reift 60 Monate auf der Hefe und wird nur in außergewöhnlich guten Jahren in limitierter Auflage erzeugt. Kräftiger, da in kleinen Eichenholzfässern ausgebaut, präsentiert sich der Brut Tradition, wogegen die Prestige-Cuvée Aubry de Humbert der Primus ist. Zudem können die Brüder Aubry mit weiteren in kleinsten Mengen abgefüllten Flaschen glänzen, von denen unter dem Etikett Le Nombre d´Or nur etwas 1000 bis 2000 Flaschen auf dem Markt sind und unter anderem aus den alten und seltenen Rebsorten Arbanne, Petit Meslier, Enfumé und Fromenteau erzeugt werden. Da Champagner letztendlich ein Wein ist, schmeckt er nicht nur in jungen Jahren, sondern auch in betagtem Zustand. Beim Fachhändler Jürgen Drawert vom Cave du Connaisseur in Berlin findet man viele großartige Edelperlen, die noch zu Großvaters Zeit abgefüllt wurden. Gereifte Champagner und ihre unvergleichlichen Aromen sind nur etwas für aufmerksame Genießer, die eher eine Kerze der Andacht als ein Feuerwerk zünden wollen.

Die Vorzüge des Alters

Nicht überall herrscht Jugendwahn. Beim Wein war schon immer das Alter gefragt, doch auch Champagner kann durch Reife überzeugen. Füssige Antiquitäten stehen bei Kennern hoch im Kurs. Moet & Chandon hat mit seiner Spitzenmarke Dom Pérignon die Oenothèque-Idee geboren, mit der auf einmalige Weise die Entwicklungsphasen und die Ebene der Reife dokumentiert wird. Angesprochen fühlt sich durch die Trouvaillen die Top-Hotellerie und -Gastronomie, beispielsweise Traube-Tonbach Baiersbronn, Schlosshotel Leerbach und Schloss Bensberg in Bergisch-Gladbach oder das Adlon in Berlin. Der seidig-elegante Dom Pérignon aus dem Jahr 1985 besticht mit Aromen von reifem Obst, Feigen, Mandeln und Zitrusfrüchten, die harmonisch zueinanderfinden. Der Dom Pérignon aus dem sonnigen Jahr 1973 zeichnet sich durch cremige Karamelltöne, einen Hauch Schokolade und eine nahezu erotische „Fruchtbarkeit“ aus. Der goldfarbene 64er verführt mit einem intensiven Aromenbukett aus Mango, Pfirsich, Sandelholz, Vanille, Rosinen und Trüffel. Beim bernsteinfarbenen Jahrgang 59, der schon seinerzeit die besten Voraussetzungen durch ideale Wetterbedingungen mitbrachte, breiten sich neben Karamell, Vanille und Honig orientalische Gewürze aus, die sich zu einem lang anhaltenden Geschmack verdichten. Die seltenen Kollektionsflaschen lagern in den Kellern von Epernay und Hautvillers. Die Anzahl ist äußerst limitiert, zudem haben die Raritäten ihren Preis. Je nach Jahrgang zwischen 125 und 500 Euro (Abgabepreis von Moet & Chandon an die Gastronomie). Die Lieferzeiten betragen zirka sechs Wochen, da die Flaschen nur auf Anfrage frisch degorgiert und vom Hefesatz befreit werden, der die Konservierung dieser kostbaren Cuvées über die Jahre sichergestellt hat.

Nobles und Deftiges

Ein großes Missverständnis ist der Glaube, dass Champagner zu allem passt. Gänseleber ist eine klassische Mesalliance, Schokolade erweist sich als wahrer Champagner-Killer. Und es muss wahrlich auch nicht immer Kaviar sein, zumal gerade dieser mit nur ganz ausgesuchten Edelperlen korrespondiert, die sich durch Körper und eine gewisse Süße hervorheben. Ausgezeichnet harmonieren jene regionalen Gerichte, wie sie die Winzer in der Champagne selbst bevorzugen: gefüllter Gänsehals, Schweinskopfsülze oder Potee champenoise – ein Pot au feu aus Kartoffeln, weißen Bohnen und Wurst oder Schweinefleisch. Fernsehkoch Stefan Marquard schwört auf Leberwurstbrot mit Löwensenf, fein geschnittenen Schalotten und Essiggurken zum Champagner. Und Thomas Martin vom Hamburger Restaurant Louis C. Jakob weiß, dass sich fruchtiger Champagner wunderbar mit der leicht süßlichen Sauce der Currywurst verträgt.

Ludwig Fienhold

 

Bezugsquellen

Champagner-Club, Kelkheim, Tel. 06195 725524. www.champagner-genuss.de

Extraprima, Mannheim, Tel. 0621 28652. www.extraprima-weinversand.de

Weinhalle, Nürnberg, Tel. 0911 525153. www.weinhalle.de

Vinaturel, Berg, Tel. 08151 908428. www.vinaturel.de

Wein-Art, Geisenheim, Winkeler Str. 93, Tel. 06722 71080. www.weinart.de

Cave du Connaisseur, Jürgen Drawert, Berlin, Tel. 030 49893543. www.caduco.de

Frankfurt Wein, Frankfurt, Wittelsbacher Allee 153, Tel. 069 40353086. www.frankfurt-wein.com

Weinhaus, Frankfurt, Grüneburgweg 49, Tel. 069 722780.

Wein-Teufel, Frankfurt, Im Trutz 51, Tel. 069 448989. Kleiner Hirschgraben 4, Tel. 069 448989. www.weinteufel.de

Aktuelle Weine, Frankfurt, Kettenhofweg 1, Tel. 069 71707601.

 

 

 

 

 

 




Wohnzimmer-Lokale

Trend zur Gemütlichkeit

Man geht öfter aus, um bei sich anzukommen. Immer mehr Gäste entwickeln eine Sehnsucht nach Individualität und Gemütlichkeit. Mehr noch: nach einer Heimat. Durch die Ablehnung der sich stark angleichenden gesichtslosen Lokale und der gleichzeitigen Suche nach persönlichem Stil, hat sich ein neuer Gesellschaftsraum entwickelt – das Wohnzimmerlokal. Der Hangout mit dem schönen Namen „Vierzimmerküchebar“ zeichnet sich durch die Charakteristika dieses neuen Genres aus: Entspannte Atmosphäre, amüsantes Trödel-Ambiente, individuelle Musik, lässiger Service. Dazu Kaffee, Espresso und Cappuccino von guter Qualität, Apfelwein von Uhl aus der Wetterau und ein Lambrusco Concerto von Medici Ermete, der zart nach Kirsche und Holunder duftet. Aus der Küche kommen Kleinigkeiten wie die Vogelsberger Kartoffelbratwurst. Sonntags kann man von 10 bis 15 Uhr frühstücken – auf Großmutters Couch oder im Hinterhofgarten. Die Puppenstube „The place to be“ in der Weißadlergasse ist eine friedliche Kampfansage an die gleich tönende, konstruierte Designerkühle unserer Zeit. Hier ist alles handgestrickt, wie in einem Wohnzimmer studentischer Vorzeit, und doch liebevoll und mit Witz entworfen. Mehr als 20 Gäste – die meisten von ihnen sind schon Bewohner – passen nicht rein.

Kaum jemand hat ein so gemischtes Publikum wie die Trinkhalle an der Obermainanlage, doch trifft man vor allem Individualisten. Unter der Woche geht es noch übersichtlich zu, freitags und samstags brummt die Bude. In dieser Retro-Stube sieht es aus wie in einem Wohnzimmer aus den fünfziger Jahren. Auf den Sofas ist Herumlümmeln erwünscht, die Atmosphäre regt zu Gesprächen an. Die Bar wurde mit sehr kommoden Hockern mit Rückenlehne ausgestattet, weshalb man dort gerne länger bleibt. Betreiber Patrik Shahabi hat aus der Trinkhalle auch so etwas wie seine eigene Wohnung gemacht. Unter dem Stichwort „Gute Vorsätze“ stehen auf der Karte alkoholfreie Drinks. Als Herrengedeck werden frisches Pils und Jägermeister aufgetischt. Außerdem gibt sogar noch den Hit aus den 60er Jahren: Lumumba, Kakao mit Rum. Retro zum Trinken.

Trinkhalle, Obermainanlage 24, Tel. 0177 5533323. Mo – Do 18 – 1 Uhr, Fr. + Sa 18 – 2 Uhr. Sonntag geschlossen. The place to be, Weißadlergasse 3, Tel. 069 29724545. Mo – Do 12 – 1, Fr. + Sa 12 – 2 Uhr. Vierzimmerküchebar (Maingold), Zeil 1, Tel. 069 28 33 27. Mo – Do 12 – 1 Uhr, Fr. + Sa 12 – 2 Uhr, So 10 – 21 Uhr.




Die Entdeckung der Langsamkeit

Im Schneckenhaus Caracol

Von Ludwig Fienhold

Freddy Gustavo Ochoa stand drei Jahre in Erno´s Bistro in Frankfurt am Herd und hat sich vor wenigen Wochen mit einem eigenen Restaurant selbständig gemacht. In seinem intimen Wohnzimmerlokal Caracol kocht er modern europäisch und bevorzug regionale Bio-Produkte.

Wenn auch das neue Lokal in der Schneckenhofstraße in Sachsenhausen dem Straßennamen entsprechend Caracol heißt, so darf man nicht zwangsläufig Schnecken auf dem Teller erwarten, die es nur hin und wieder gibt. Der Argentinier Freddy Gustavo Ochoa ist als Koch in der Welt herumgekommen, hat in Genf, in Maputo in Mosambik und Buenos Aires gearbeitet, und bringt viel Internationalität ein, ohne mit einer Allerweltsküche zu langweilen. Französisches, Südamerikanisches, Asiatisches und Deutsches werden wie selbstverständlich und nicht angestrengt oder überzogen kombiniert. Die Karotten-Pastinaken-Suppe mit in Ingwer marinierten Jakobsmuscheln und Koriander ist das gut abgeschmeckte Ergebnis eines Weitgereisten. Keine stechende Schärfe, sondern wohldosierte Würzung, gibt den gebratenen Jakobsmuscheln auf Süßkartoffel-Kürbis-Chutney und gelbem Thai-Curry den richtigen Pep. Handwerklich stimmt beim Lamm- Couscous alles – Geschmortes, Gebratenes und Merguez vom Lamm nebst Gemüse sind Stück für Stück perfekt gegart. Der Couscous aber hätte mehr „Tango“ vertragen können. Ein solches Gericht sollte auch nicht im zu tiefen Teller serviert werden, was das Essen mühsam macht und die Optik stört, weil alles ein wenig Durcheinander erscheint. Highlight: Erstklassiger gebratener Waller, in Parma-Schinken gehüllt, mit Risotto und Salbei-Kapern-Butter. Saftig-praller Fisch, hauchdünner und nicht etwa trockner Schinken, wie so oft. Die Produktauswahl ist überlegt. Das Lamm entspringt der Rhönschaf-Rasse und kommt vom Berbalk-Hof aus dem Taunus. Das Gemüse liefert die Bio-Gärtnerei Bärenland aus Niederrad. Und das Rindfleisch wird von der Metzgerei Elzenheimer aus Unterliederbach bezogen, die sich Charolais-Rindern vom Hofgut Rehbachtal bedient.

Freddy G. Orchoa (rechts) und sein Souschef Junior Erasmo Da Silva aus Brasilien

Manches im Caracol hat man vielleicht an anderer Stelle ähnlich gegessen, eventuell auch besser, doch hier steht alles in einem anderen Kontext. Hinter dieser Adresse verbirgt sich kein Wichtigtuerlokal. Nerven keine observierenden befrackten Kellner. Man isst gut, fühlt sich wohl, beinahe wie bei Freunden zu Hause. Entsprechend angenehm fällt auch das Publikum aus. Viele kommen aus der unmittelbaren Nachbarschaft, wo die etablierte und dabei doch dezent gebliebene Gesellschaft zu Hause ist. Aber: Kann man aber überhaupt eine Aussage über die Gästeart machen? Ja, selbstverständlich. Jedes Lokal hat eine gewisse Struktur an Gästen, weil sich nur ganz bestimmte Menschen von einem ganz bestimmten Lokal angezogen fühlen. Küchenchef Freddy Gustavo Ochoa ist ein Sonnenschein, einer, der einen aus großen leuchtenden Augen ansieht und die pure Freude an seiner Arbeit ausstrahlt. Die spezielle Atmosphäre im Caracol ist auch nichts für Menschen mit Berührungsängsten, die wenigen Tische stehen recht eng. Die 20 Gäste sind meist unter sich, wie bei einer privaten Feier. Es ist daher auch nicht ungewöhnlich, wenn sich Gespräche von Tisch zu Tisch ergeben.  Im Restaurant und in der Küche herrschen keine Hektik, die Gäste nehmen sich Zeit für ihr Essen. Deswegen arbeitet der aufmerksame Service aber nicht im Schneckentempo.

Freddy G. Ochoa und Restaurantleiterin Sabrina Runkel

Das Lokal Caracol ist so sympathisch, dass man dazu neigt, Fehler leichter übersehen zu wollen. Wir möchten hier auch niemanden zur Schnecke machen, sondern nur einige Verbesserungsvorschläge einbringen. Manche Gerichte könnten mehr Aussage und ein klares Thema haben – weniger ist mehr. Schicke Teller sind oft nur schick, aber nicht praxisnah für den Gast. Wenn man schon eine kleine und etwas willkürliche Weinauswahl hat, sollte man zumindest auf die korrekte Temperierung der Weine achten – gerade warme Rotweine machen einfach keinen Spaß. Die Weinauswahl könnte grundsätzlich noch überdacht, erweitert und auf die Küche abgestimmt werden. Insgesamt will man es bei den Gerichten und den Weinen zu vielen recht machen. Zu einem eigenen Profil kommt man aber nur mit Ecken und Kanten. Nur Mut!

Caracol, Frankfurt, Schneckenhofstr. 11, Tel 069 976 91676. Hauptgerichte 22 – 27 €.  www.restaurantcaracol.com



Ekstasestoff Trüffel

Die Trüffelsaison geht langsam zu Ende, doch noch kann man gute Produkte für ein letztes Mahl bekommen. Mit 4 bis 5 € für das Gramm sind die Preise in diesem Jahr moderater als im letzten. Es ist wichtig, ein Restaurant oder einen Händler seines Vertrauens zu haben, denn überall begegnet man schlechter Ware und Fälschungen. Guido Giovo kommt aus dem Piemont, betreibt  sachkundig einen Handel mit italienischen Spezialitäten und Wein in Mühlheim am Main und beliefert einige Spitzenrestaurants in der Region. Zudem initiiert er jedes Jahr eine Trüffelmesse in Frankfurt, bei der man sich die sehr gut über das Thema informieren kann. Den wahrscheinlich dicksten Alba-Trüffel in Europa ergatterten Leo Caporale und Mario Borazio vom Restaurant Brighella in Frankfurt: 560 Gramm wog die Knolle, normal sind etwa 60 Gramm. 2800 € kostete das gute Stück. Für eine ordentliche Portion Pasta sollte man 20 Gramm verwenden. Es gilt der Grundsatz, dass man die Pasta unter der Trüffelschicht nicht mehr sehen darf.

Die Redaktionsjury hat getagt und die Restaurants mit den besten Trüffel-Pasta-Gerichten gewählt:

1. Dal Pescatore, Frankfurt

2. Lohninger, Frankfurt

3. Carmelo Greco, Frankfurt

4. La Villa, Rüsselsheim

5. Brighella, Frankfurt

Die Tagliarini im Pescatore waren ungemein saftig und wurden durch einen Trüffelfond geschmeidig gehalten. Die weißen Trüffel waren von ausgezeichneter Qualität und wurden großzügig eingesetzt. Der Teller war mit 29 € sehr gastfreundlich kalkuliert.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Dal Pescatore, Frankfurt, Westendplatz 42, Tel 069 17 20 28. www.dal-pescatore.de
Lohninger, Frankfurt, Schweizer Str. 2, Tel. 069 247 557 860. www.sehen-hoeren-schmecken.net
Ristorante Carmelo Greco, Frankfurt, Ziegelhüttenweg 1-3, Tel. 069 606 089 67, www.carmelo-greco.de.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Ristorante Brighella, Eschersheimer Landstr. 442, Tel. 069 53 39 92.
www.ristorante-brighella.de
La Villa, Rüsselsheim, Ludwig-Dörfler-Allee 9, Tel. 06142  210 0955.
www.lavilla-russelsheim.de
Guido Giovo, italienische Delikatessen und Weine, Mühlheim am Main, Borsigstr. 17, Tel. 06108 90080. www.giovo.de
 
 



Ach Du lieber Service

Liebe Servicemitarbeiter,

Ihr habt keinen leichten Job, aber wer hat den schon. Warum aber macht Ihr vielfach etwas, das Ihr gar nicht wollt und – noch schlimmer – gar nicht könnt. Vor allem aber: lächelt doch einfach mal. Ihr habt Euch doch hoffentlich die Lachfalten noch nicht wegliften lassen. Wenn Ihr schon kaum von innen heraus lächeln könnt, denkt einfach an eine komische Situation – wie Ihr Euren Partner kennen gelernt habt oder, wie die Gäste in Blümchenshorts aussehen. Mit Lächeln zaubert man jeden Ärger weg, den der Gäste und damit auch den eigenen. Natürlich wäre es besser, erst gar keine Kalamitäten aufkommen zu lassen, doch wenn sie schon mal da sind, bleibt gelassen und werdet nicht zickig, nur weil Ihr überfordert seid. Wer seinen Beruf so wenig mag, wie manche von Euch, dem muss man raten: sattelt doch um, werdet Gurkenzüchter im Spreewald oder Latzhosennäherinnen bei den Mennoniten in Manitoba.

Liebe Servicemitarbeiter, die Ihr oft aushilfsweise arbeitet, begrüßt die Gäste freundlich und nicht mit einem kurzen „Ja“ oder einem platten „Was soll´s denn sein?“ Legt doch erst einmal die Speise- und Getränkekarte vor und wartet, bis der Gast zu einer Entscheidung gekommen ist. Aber bitte nicht zu lange. Rennt nicht dauernd auf die Toilette, um den Lippenstift nachzuziehen, irgendwen mit dem Handy zu erreichen oder die Nase zu richten. Es macht auch wenig Sinn, in den kurzen Momenten der Präsenz, die Gläser bis zum Anschlag voll zu füllen.

Werte Servicemitarbeiter, wahrscheinlich fliegt Ihr von Eurem Trinkgeld zu viel durch die Welt und habt Euch den sturmerprobten Stewardessen-Blick abgeschaut – der ist gerne nach unten gerichtet und signalisiert ein Nicht-blicken-lassen: Wenn ich niemanden sehe, sieht mich auch niemand. Blickt lieber durch und seht Euren Gästen unerschrocken in die Augen. Die wollen ja nichts Böses, die möchten nur etwas bestellen. Hetzt auch nicht durch das Lokal, das macht eine schlechte Figur, lässt den Boden beben und erschreckt die Mäuse in der Speisekammer. Geachtete Servicemitarbeiter, unterbrecht Gäste nicht, die sich angeregt unterhalten, nur, weil Ihr ihnen erklären wollt, in welcher Richtung sie ihren Kaffee umzurühren haben.

Bitte, bitte, lieber Service, erspare uns Floskeln à la „das wird gerne gegessen“ oder „das mag ich auch“. Solche Banalitäten sind keine Empfehlung, sondern ein Strafgericht vor dem Essen. Auch die zustimmend kumpelhafte Wortwahl, dass unsere Bestellung eine „gute Wahl“ sei, gehört ins Schattenreich der seligen Wienerwald-Kette. Und bitteschön, Service, verschone uns mit brühwarmen Rotweinen und den Antworten auf die zwingend notwendige Reklamation, dass dies der Zimmertemperatur entspreche – welcher denn – der auf der Furnace Creek Ranch im kalifornischen Death Valley, wo es schon mal 56 Grad Celsius werden kann?

Geschätzte Servicemitarbeiter, behandelt auch Gäste freundlich, die zu wenig oder kein Trinkgeld geben. Vielleicht haben sie ja einen Grund dazu gehabt, der nichts mit Geiz, sondern Eurer eigenen Leistung zu tun hat. Ausgerechnet Ihr, geehrte Servicemitarbeiter, seid wiederum die schlimmsten Tyrannen, wenn Ihr andere Lokale aufsucht und scheucht Eure Kollegen und Kolleginnen von Küche zu Keller. Ja, liebe Servicemitarbeiter, nicht selten sind auch die Gäste unhöflich. Lächelt sie einfach in Grund und Boden, herzt sie in die Flucht.




Der Koch des Jahres

Alpenküche Reloaded

Von der Alm an die Spitze

Von Ludwig Fienhold

Nach Stationen in Paris, Los Angeles und New York hat sich Mario Lohninger bei uns in sechs Jahren an die Spitze gekocht, führt inzwischen drei Restaurants in Frankfurt und will vor allem eines: Hemmungslos kochen.

Es gibt kein Erfolgsrezept, aber eine Matrix, eine Urmaterie im Leben eines Kochs. Dieser Mutterstoff heißt Geschmackstalent und entwickelt sich innerhalb einer Umgebung und Familie, in der Sinnlichkeit erfahrbar wird. So war es bei Mario Lohninger, der wie Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann im Salzburger Land aufwuchs. Lohningers Eltern führten in der Bergwelt von Leogang das Lokal Sonnrain. Eingebettet in ein beschauliches Alpenpanorama, belebt durch den Duft von saftigen Wiesen und frisch gebackenem Brot, und gestärkt durch einen Vater und eine Mutter, die Qualitätsstreben mit Gefühl vorlebten, lernte Mario früh seine Sinne zu schärfen. Sein erster Lehrmeister war Vater Paul, der immer noch gemeinsam mit ihm am Herd steht. Das bodenständige Fundament prägte Mario Lohninger, bei Meistern wie den Obauers in Werfen bei Salzburg, Guy Savoy in Paris, Wolfgang Puck in Los Angeles und Hans Haas im Münchner Tantris kultivierte er sein Können. Wenngleich er nicht davon beherrscht wurde, so muss Lohninger doch der Gedanke gefallen haben, weit mehr als nur ein sehr guter Küchenchef zu werden – ein Starkoch etwa. Das schaffte er dann auch in New York, wo er im superschicken Restaurant Danube von David Bouley mit Kavalierspitz, Schlutzkrapfen und Rinderbäckchen in Zweigelt-Sauce zum Liebling der Society wurde. „Die New Yorker Gourmets weinen Freudentränen in ihre Schnitzel“ dichtete damals die Presse. Lohningers Küche allein hätte den nimmersatten Celebrities der Stadt vielleicht nicht genügt. Es bedurfte noch seiner ureigenen Qualitäten: Charme, Gewitztheit und einer Prise Showtalent. Dass Mario Lohninger mit seinem modischen Zopf und teurer Designergarderobe auffiel, unterfütterte seinen Ruf als Kreativer. Caterings für US-Präsident Bill Clinton gehörten fast schon zum Alltag. Ungewöhnlicher war sein Einsatz am 11. September 2001 mit Gasmaske am Ground Zero, wo er mit 200 Helfern 30.000 Essen am Tag für die Rettungsmannschaften kochte.

Gemeinsam mit seinen Eltern Erika und Paul sowie dem DJ und Danube-Stammgast Sven Väth wagte er sich dann an das ungewöhnlichste gastronomische Objekt in Deutschland und eröffnete im Sommer 2004 in Frankfurt den gigantischen Musikpalast Cocoon-Club mit seinen Restaurants Silk und Micro. Im Silk, wo der Gast in milchigem Mondscheinlicht mit dezent sphärischer DJ-Musik auf eine genussvolle Space Odyssey geschickt wird, hat Lohninger seine Vision von einem modernen Restaurant konsequent umgesetzt. Nicht an Tischen, sondern auf lümmeltauglichen weißen Ledergarnituren wird eine extrovertierte Küche serviert, die Gang für Gang mit präzisen, ausgefeilten und bestens abgeschmeckten Miniaturen verblüfft – Gänseleber mit Geröstel von Carabinero-Garnelen, karamellisierte Jakobsmuschel mit Babycalamari in Ananas-Kapern-Sud oder Mispelstrudel und Fichtensprossen-Eis. Mario Lohninger fehlt es bei aller Exzentrik nicht an Geschmackstiefe. Das Silk spricht keineswegs nur feinsinnige Gourmets und juvenile Künstler an, sondern auch nach nonkonformistischen Menüs und unkonventioneller Atmosphäre lechzende Geschäftsleute. Im Restaurant Mikro nebenan ist es auch nicht so, dass tanzende Kellner zu dröhnenden Hip-Hop-Beats Speisen servieren, die vom Discjockey auf dem Plattenteller angerichtet wurden. Die Gäste tafeln an großen Edelholztischen oder Schauplätzen unmittelbar an der Küche. Serviert werden die Lieblingsspeisen von Mario Lohninger aus aller Welt, von filigranem Sushi bis zum kraftvollen US-Steak von der Morgan Ranch mit hausgemachten Pommes Frites und Sauce Béarnaise.

Trotz polyglotter Speisenwelt besinnt sich Mario Lohninger auf seine Wurzeln und hat vor einigen Monaten ebenfalls in Frankfurt eine Edelbeisl eröffnet, die schlicht den Familiennamen trägt. Auch dort möchte er „hemmungslos kochen“. Dabei stehen vor allem die Gerichte seiner Heimat Österreich auf der Karte. Umwerfend schlotziges Ochsenbackerl-Gulasch mit Topfenspätzle, luftig souffliertes butterzartes Wiener Schnitzel sowie prächtiges Ochsenfilet aus dem Bergheu. Jetzt wurde der 37 Jahre alte Mario Lohninger vom Gourmet Guide Gault Millau zum Koch des Jahres 2011 gekürt. Eine Auszeichnung, die ihn „wahnsinnig stolz“ macht. Doch unter „hemmungslos kochen“ versteht Lohninger auch, sich frei machen von Kritikern und Gästen. Er will vor allem das ungehindert und ungebremst kochen, was ihm selbst am besten schmeckt.

Die Adressen:
Lohninger, Frankfurt, Schweizer Str. 1, Tel. (069) 24 75 57 860.
www.lohninger-restaurant.net

Cocoon Club, Restaurant Micro und Silk, Frankfurt, Carl-Benz-Str. 21, Tel. (069) 90 02 00.
www.cocoonclub.net




Maria jetzt schmeckt’s ihm

Das neue Restaurant von Carmelo Greco hat Biss

Von Ludwig Fienhold

Frankfurts bester Italiener, Carmelo Greco, verließ nach über 18 Jahren überraschend die Osteria Enoteca. Was hat sein neues Restaurant an Überraschungen zu bieten?

Carmelo Greco haut nicht gerne auf die Pauke, sein Instrument ist eher das tiefgreifende Violoncello. An dieser Tonart hat sich nichts geändert, und doch spielt jetzt hier eine andere Musik. Vor allem öffnet sich der Feinmotoriker nun mit Spagat mehr zur Mitte hin und ist noch Italienischer geworden. Damit wird er auch für die Traditionalisten interessanter, denen er zuvor ein wenig zu extravagant erschien. Populistisch ist die Küche Grecos keineswegs, dazu baut er zu viel auf Ecken und Kanten. Mit Tagliolini al Tartufo und Spaghetti alle Vongole veraci schafft sich Carmelo Greco in allen Lagern Freunde. Eines der schönsten Gerichte auf der neuen Karte sind die cremigen Blutwurstravioli mit Gänsestopfleber und Sauerkraut. Der saftige Steinbutt wird von Pinienkernen, Rosinen und kandierten Tomaten elegant eskortiert, wobei die Süße dezent ausfällt und nicht überlagert. Delikat auch die gebratenen Jakobsmuscheln auf einer feinen Sauce vom Epoisse-Käse. Für eine moderne italienische Küche steht das Carpaccio vom Loup de Mer auf Scampi-Polenta mit Petersilienöl und einigen Tupfern Rotwein-Balsamico-Reduktion. Carne su Carne ist ein alter Schlager aus Osteria-Zeiten, der immer gefällt: Carpaccio und Tatar vom Simmentaler Rinderfilet mit Sbrisolona, Krümelkuchen aus Mandeln und Parmesan. Die Paccheri-Pasta mit in Rotwein geschmortem Perlhuhn-Ragout und Artischocken ist bestens gewürzt. Nudeln und Risotto fallen sehr al dente aus. Grundsätzlich darf man Gerichte mit Schmackes erwarten. Nur dem Milanese vom Milchkalbskotelett am Knochen hätte man mehr Temperament gewünscht und eine weniger dicke und fade Panade. Am meisten tüftelt Carmelo Greco beim Amuse bouche und den Vorspeisen. Da gibt es dann einen sehr gut abgestimmten Suppencocktail aus Rucola, Ingwer und Limone, Tunfisch mit einem Kranz aus gestutzten Röhrennudeln, Mozzarella-Jakobsmuschelkugel mit Ananas oder ein wachsweiches Ei mit Fleur de Sel und weißem Trüffel. Wo es gutes Brot gibt, muss man sich zügeln, um nicht schon gleich satt zu sein. Bei Carmelo Greco liegt neben den hausgemachten Grissini viel Gutes im Körbchen, doch die stets frisch zubereiteten Mozzarella-Brötchen sind so lecker, dass es kein Halten gibt. Carmelo Greco kocht derzeit vielleicht weniger komplex und sehr moderat, doch auch weit unangestrengter und entspannter als in der Osteria Enoteca. Es scheint, als bringe er noch mehr das auf die Teller, was ihm auch selbst gut schmeckt. In der Induktionsküche arbeitet Carmelo Deiana als Souschef, der früher das gleichnamige Ristorante in Oberursel führte. Geschäftspartner von Carmelo Greco sind Chester Sauri, der die Leiter und das Gallo Nero in Frankfurt sowie die Fattoria in Mörfelden-Waldorf betreibt. Und Guido Giovo, dessen Wein-, Lebensmittel- und Delikatessenhandel in Mühlheim am Main eine feste italienische Größe im Rhein-Main-Gebiet ist.

Die Speisekarte im neuen Lokal von Carmelo Greco ist angenehm kompakt, alles andere wäre gerade in der Anfangsphase auch fahrlässig. Man kann insgesamt unter 23 Gerichten wählen, wobei das Degustationsmenü (5 Gänge für 74 €) dem Angebot à la carte entspricht. Das Mittagsmenü für 29 Euro ist sozialverträglich – drei Gänge und sogar noch ein Amuse gueule. Die überschaubare Weinkarte bietet viel bezahlbare und gefällige Mittelklasse, mit 24 Euro wird der Einstieg zur Flasche leicht gemacht. Sieht man vom Hauschampagner Ruinart und einigen schäumenden Verwandten ab, sind ausschließlich italienische Weine zu haben. Die Preise bereiten wenig Kopfzerbrechen, für 68 Euro erhält man auch einen sehr guten Terre Brune aus Sardinien, der für Endverbraucher auch schon über 35 Euro im Geschäft kostet. Die Weinauswahl muss nicht mehr in die Breite gehen, aber in die Tiefe. Für Individuelles ist jedenfalls noch viel Platz. Für einen persönlichen, munteren und aufmerksamen Service sorgen Peggy Braun und ihr italienisches Team, zuvor war sie unter anderem bei Juan Amador in Langen. Das Ambiente in Grecos neuem Domizil mit 48 Plätzen wird durch edles Grau und mächtige schwarz-güldene Lampen bestimmt. Die Zink-Theke und der begehbare Weinklimaschrank zeigen Stil, aber auch die silbergrauen weichen Tischdecken und Servietten. Die kleine Raucherlounge wurde hübsch mit Sessel und Couch ausgestattet. Nette Details, wie die Kala in der Zimtstange auf dem Tisch,  fallen ebenfalls angenehm auf. Schon gleich vom Start weg eines der schönsten und besten Lokale der Stadt.

Ristorante Carmelo Greco, Frankfurt
Ziegelhüttenweg 1-3
Tel. 069 606 089 67
www.carmelo-greco.de.
Küche: Montag-Freitag, 12-14 Uhr, 18.30-22 Uhr, Samstag, 18.30-22 Uhr. Vorspeisen 14-18 €, Hauptgerichte 26-32 €.

Carmelo Greco

Carmelo Greco in seinem neuen Ristorante

Aus Frankreich wird Italien

Vom Bistrot 77 zu Carmelo Greco

Es war nur eine Frage der Zeit, wann Küchenchef Carmelo Greco und Patron Roland Brzezinski getrennte Wege gehen würden. Bei beiden hatte sich in letzter Zeit eine gewisse Müdigkeit bemerkbar gemacht, die nur durch einen professionellen Einsatz überdeckt wurde.

Die Geschäftspartner betrieben die Osteria Enoteca seit 1992 gemeinsam. Die Osteria ist mit einem Stern im Michelin und 17 Punkten im Gault Millau das bestbewertete italienische Lokal in Frankfurt und durfte sich rein mathematisch auch als Primus inter pares in ganz Deutschland fühlen. Nicht wenige meinten, dass viele wegen der Küche von Carmelo Greco zu Gast waren, aber weit mehr wegen des als eigenwillig empfundenen Auftritts von Roland Brzezinski fernblieben. Das aber wird der Geschichte dieses Ausnahmelokals nicht gerecht. Roland Brzezinski war der unverzichtbare Coach von Carmelo Greco und hat diesen gerade in den ersten Jahren in Frankfurt erst auf den richtigen Weg gebracht. Auch sein außergewöhnliches Verständnis für italienische Weine und eine Kenntnis, die weit über das hinausgeht, was sonst Lokale dieser Spezies bieten, zeichnen Brzezinski und die Weinkarte der Osteria aus. Roland Brzezinski arbeitet inzwischen mit Farrokh Okhovat-Esfehani als Küchenchef weiter und setzt nach wie vor auf eine hochwertige Küche. Der neue Mann am Herd arbeitete zuvor unter anderem in der Villa Kennedy und im Gargantua in Frankfurt sowie in der Villa Philippe in Kronberg. Die Osteria wird es weit schwerer haben, an die großen Jahre anzuknüpfen. Ex-Partner Greco kann  unbeschwerter in neuem Ambiente bei günstigerer Lage agieren – wenngleich beide Lokale Lichtblicke in einer eher öden Umgebung sind.

Die neue Konstellation von Guido Giovo und Carmelo Greco ist im Grunde eine alte Konstante. Die beiden sind im selben Dorf im Piemont groß geworden, wobei der väterliche Giovo das Talent von Greco schon früh erkannte und ihn vor zwanzig Jahren nach Frankfurt holte. Durch das neue Restaurant von Carmelo Greco wird das über sieben Jahre leerstehende Bistrot 77 wiederbelebt. Sieht man einmal vom Boden ab, erinnert nichts mehr an das einstige, von manchen als Badezimmerlokal empfundene Domizil, das seinerzeit Dernier cri war. Die früheren Betreiber des Bistrot 77, Guy und Dominique Mosbach, führten ihr Lokal über 20 Jahre und gehören zu den Pionieren des Küchenwunders in Deutschland. Längst haben sich die beiden mit dem Grünen Baum in Neu-Isenburg etabliert. Der Wechsel von der Gourmetküche zum gutbürgerlichen Lager war von Anfang an recht erfolgreich. Die Mischung aus hessisch und elsässisch ist bemerkenswert, man darf Austern und Foie Gras erwarten, aber auch Ochsenbrust mit Frankfurter Grüner Soße.




Ein kugelrunder Weltbürger

Der Knödel

Von August F. Winkler

Eine Zeitlang hatte es den Anschein, als leide der Knödel unter einem ähnlichen Imageproblem wie die Operette. Jeder hört diese gesungenen Sachertorten gerne, aber kaum einer mag sich dazu bekennen. Auch dem Knödel ermangelte es über viele Jahre hinweg an öffentlichem Zuspruch; speziell frankophile Restaurantkritiker ignorierten diesen Klassiker. Hinzu kam das Vorurteil, er sei schwer und mache dick. Doch auf einmal, gleichsam über Nacht, eroberte sich der Knödel die Speisekarten selbst der feinsten Restaurants. Seine kulinarische Majestät, der Knödel, ist rund, wohlschmeckend und der originellste Beitrag zur Küche, also ein echtes Kulturgut wie etwa der Tiroler Speckknödel, der unwiderstehlich gen Himmel dampft.

Erstaunlich an der Geschichte ist, dass sich der Aufstieg des Knödels vom Trauerkloß zum Wonneproppen des 21.Jahrhunderts sachlich nicht exakt begründen lässt. Ein auslösendes Moment war gewiss der Trend zu Omas Küche, genauer: die zeitgemäße Reform der klassischen gutbürgerlichen Rezepturen. Dass Köche heute sparsamer wirtschaften und im Knödel ein ideales Gericht zur Resteverwertung sehen, mag ebenfalls die Renaissance begünstigt haben. Viele Gerichte entstanden, wie man weiß, als Antwort auf die Frage: Was tun mit den Überbleibseln?

Allerdings reichen weder Ökonomie noch kulinarischer Regionalismus für sich allein aus, um die triumphale und vor allem urplötzliche Wiederkehr des Knödels zu belegen. Sogenannte Füllgerichte gibt es zuhauf auch in anderer Form. Jedenfalls kommt heute kein Koch, der etwas auf sich hält, am Knödel vorbei. Wir begegnen dem Semmelknödel, dem Serviettenknödel, dem Erdäpfelknödel, dem Griesknödel, dem Germknödel, dem Krebsknödel, dem Brennesselknödel, dem Grammelknödel, dem Polentaknödel, dem Kasknödel, dem Fleischknödel, dem Leberknödel, dem Topfenknödel, dem Mohnknödel und weiteren Knödelgenossen.

Das sind alles Klassiker, ehrenwert und ausgereift. Die kann man nicht mehr verbessern, allenfalls verändern, was spielfreudige Köche auch tun. So gibt es beispielsweise Gemüseknödel (in feiner Rindsuppe mit Sherry), Entenknödel (mit Morcheln), Lammfleischknödel (auf Gabelkraut), Hummerknödel (in Safransauce). Auffallend an diesen modernen Designer-Knödeln ist, dass ihre Größe sich umgekehrt proportional zum Ansehen des Lokals verhält. Bündiger gesagt: je feiner das Haus, desto kleiner die Knödel. Auf der Karte stehen sie niedlich als Klösschen oder Knöderl.

Erfahrene Feinschmecker erinnern sich des „Wiesbadener Knödels“, den Hans-Peter Wodarz vor über zwanzig Jahren zusammen mit Herbert Langendorf, seinem langjährigen Küchenchef, in der „Ente vom Lehel“ entwickelt hat. Das Ding, zusammengesetzt aus Semmeln, Eiern, Kalbskopf, Bries und Hummer, wurde in Mineralwasser gekocht und mit der Frankfurter Kräutersauce serviert – ein bisserl prätentiös, aber ungemein delikat. Apart schmeckt nach wie vor bei Schuhbeck in München der Brezenknödel, der, wie’s der Name suggeriert, eben mit Brezeln anstelle von Semmeln zubereitet wird – eine allseits bestaunte Kreation, die dem Schuhbeck zurecht den Ehrentitel eines „Dr. Knödel“ eingebracht hat.

Historisch gesehen ist der Knödel eine eher unbekannte Größe. Niemand weiß genau, wann und wo von wem der erste Knödel geformt worden ist. Die älteste bildliche Darstellung eines Knödels befindet sich in der Burgkapelle von Hocheppan nahe Bozen. Das Fresko aus dem 12. Jahrhundert zeigt neben dem Wochenbett Marias eine Wehmutter, die in der einen Hand ein Kochgeschirr mit fünf kugelrunden Knödeln hält und mit der anderen einen Knödel zum Mund führt. Mit Sicherheit ist anzunehmen, dass es weit früher knödelähnliche Speisen gegeben hat. Die runde, mit Händen leicht formbare Gestalt lud geradezu zwingend zur Erfindung der Teigkugel ein. Jedenfalls tauchte der Urknödel aus den Töpfen des Mittelalters scheinbar plötzlich und ohne Vorwarnung in der böhmischen, bayerischen und österreichischen Küchengeschichte auf, wahrhaft, nahrhaft und vor allem rund.

Präziser lässt sich die etymologische Wurzel bestimmen. Danach leitet sich der Knödel vom Althochdeutschen „chnodo“ übers mittelhochdeutsche „knode“ oder „knote“ her. Als „Knoten“ bezeichneten die alten Deutschen eine kleine Bergform, mit der die Knödel verglichen wurden. Küchengeschichtlich dürfte der Knödel zwischen Brei und Brot liegen. Urmutter der Klöße und Klümpe (Dumpling sagt der Engländer, Quenelle der Franzose) ist der Mehlknödel, gefolgt vom Brotknödel, wohingegen der Kartoffelknödel logischerweise die jüngste Variante ist: besonders beliebt in seiner Form als süßer Früchteknödel, gefüllt mit Pflaumen, Erdbeeren oder Aprikosen, gewälzt in heißer Butter und Semmelbröseln, bestäubt mit Puderzucker.

Im „Lexikon der Ernährungskunde“, 1926 im Wiener Verlag Julius Springer herausgegeben, werden Knödel schlicht so definiert: „… sind gesottene oder gebackene Ballen von sehr verschiedener Zusammensetzung und Größe, die in der Küche aus freier Hand geformt werden und nach ihren Hauptbestandteilen mannigfache Spezialnamen führen. Knödel schlechtweg sind in Wasser oder mit dem Gemüse zusammen gekochte Kugeln aus Weizenmehl mit Milch, Butter und Eiern.“ Dass ist korrekt definiert, vermittelt aber nicht den Hauch jenes Glücksgefühls, das Knödelianer immer wieder aufs Neue empfinden, wenn das Objekt ihrer sinnlichen Sehnsucht verheißungsvoll dampfend in der Schüssel zu Tisch getragen wird.

Ein Knödel ist gewiss nur ein Knödel, was die Form betrifft. Der Inhalt jedoch ist variantenreich wie kaum eine andere Speise. Die Wiener bereiten die nach ihrer Stadt benannten Semmelknödel mit Semmeln, Butter, Eier, Milch, Zwiebeln, Petersilie und Salz zu, während andernorts zusätzlich oder anstelle der Butter auch durchwachsener Speck beigemengt wird. Die Frage, ob es auch Schnittlauch sein darf, ferner ein Stäubchen Muskat, wird leidenschaftlich diskutiert. Tiroler Knödel werden laut der alten Frau Sacher auf der Basis von Semmelknödeln gemacht, mit Fett statt Butter geschmiert und mit Selchfleisch gefüllt. Daneben gibt es Bauernrezepte, die ausdrücklich Speck vorsehen.

Im „Kochbuch für Alle“ von Küchenchef Franz Ruhm, dem berühmten österreichischen Koch, findet sich auf Seite 12 ein Hirnknöderl: „In 50 Gramm Butter rührt man nach und nach ein ganzes Ei und einen Dotter recht schaumig ein, bringt ein halbes passiertes Kalbshirn dazu und würzt mit Salz und Pfeffer. Das Ganze wird mit weißen Semmelbröseln zu einer halbfesten Masse vermischt, aus der man nach kurzem, Anziehenlassen kleine Knöderl formt, die in Salzwasser sechs bis acht Minuten langsam gekocht werden. Nachdem sie abgeseiht und überkühlt wurden, dienen sie als Einlage in eine Rinderkraftbrühe.“

Von Ruhm stammt auch das heute weitgehend vergessene Rezept für Farceknöderl: „Man lässt 2 Eßlöffel Wasser mit ein wenig Fett aufkochen, verrührt darin einen Esslöffel Mehl und röstet dies, bis sich die Masse vom Geschirr löst. Nach dem Auskühlen vermischt man die Panade mit 150 Gramm sehnenfreiem Kalbfleisch, um beides zusammen ein paar Mal recht fein zu faschieren. Die Farce wird hernach mit 2 Eidottern, etwas Salz, Pfeffer und geriebener Muskatnuss tüchtig abgerührt und zum Schluss mit 1 Teelöffel Kognak verbessert. Diese Masse formt man zu Knöderln, setzt die in eine wenig gefettete Kasserolle, bringt ganz wenig Suppe daran und lässt die Kugeln zugedeckt sehr langsam 10-12 Minuten mehr ziehen als kochen, um sodann mit der entsprechenden Suppe überbrüht zu Tisch zu kommen. Je nach Art und Bezeichnung der Suppe findet entweder Rind-, Kalb- oder Schweinefleisch, bei Schinkenfarceknöderl rohes mageres Selchfleisch Verwendung.“

Weitere Spezialitäten sind Leber-, Pilz- und Fischknödel. Selten wird einem heute noch der Heidenknödel vorgesetzt, zubereitet aus Buchweizenmehl, Weißbrotwürfel, Fett, Zwiebel, Wasser, Ei, Salz, gesotten in einer Rindssuppe. Aus gekochten und rohen Kartoffeln werden die Waldviertler Knödel gemacht, auch „Grüne Knödel“ genannt. Zahlreiche Varianten gibt es vom Serviettenknödel, der in seiner klassischen Version eigentlich eine Semmelknödelmasse (ohne Mehl, viel Butter und etwas Muskat) ist, die als Rolle und umhüllt von einer Serviette in Salzwasser gegart wird. Der Palffy-Knödel wiederum wird, angereichert mit Speck, als Riesenknödel in der selbstverständlich bebutterten Serviette gekocht.

Der Phantasie sind beim Knödelmachen also kaum Grenzen gesetzt. Andererseits sollte man nicht zu kühn experimentierten. Ein Klassiker wie der Wiener Semmelknödel ist vollendet komponiert und bedarf keiner neuen Töne. Er schmeckt frisch vom Herd zu gekochtem Rindfleisch ebenso gut wie zu Geselchtem oder einem großem Braten. Und wenn ein Knödel übrig bleibt, freue man sich auf den nächsten Tag: Kalte Semmelknödel, dünnblätterig geschnitten und in der schweren Eisenpfanne in heißer Butter knusprig geröstet, sind, gewürzt mit Salz sowie Schnittlauch und eventuell übergossen mit verquirltem Ei, eine köstliche Vulgarität, basierend auf dem Motto von Tante Therese: „Jeder Knödel ist rund, aber nicht alles Runde ist ein Knödel.“

Ein Semmelknödel-Grundrezept

(Zwölf Knödel)

  • 12 altbackene Semmeln („Knödelbrot“)
  • 20 cl Milch
  • 2 Schalotten, fein geschnitten
  • 60 g Butter
  • 3 EL Speck, durchwachsen
  • 3 Eier
  • Salz, Pfeffer, Muskat

Die Semmeln in Scheiben schneiden und mit der lauwarmen Milch übergießen. Die Schalotten in Butter andünsten, den Speck auslassen und beide zu den Semmeln geben. Die Eier verquirlen, über die Semmeln gießen und zu einer homogenen Masse kneten. Mit Salz, Pfeffer und Muskat nach individuellem Gusto abschmecken. Knödel formen und in siedendem Salzwasser garen. Je nach persönlichem Geschmack kann man die Masse mit zerhackter Petersilie oder etwas frischem Liebstöckelkraut aromatisieren.

Für Serviettenknödel die Masse in ein Tuch einrollen und in Salzwasser 20 bis 30 Minuten pochieren.

Gemüseknödel:

Von zwei Semmeln die Rinde abschneiden. Zwei Eidotter nebst 1/8 Liter Milch sowie Muskatnuss, Salz und Pfeffer über die Semmeln geben und alles tüchtig miteinander vermengen. Das Gemüse (eine Karotte, eine gelbe Rübe, eine Broccolirose) klein schneiden, aus zwei Eiklar einen Schnee schlagen und beides unter die gut durchweichten Semmeln mischen. Die Knödel in einer Rindsuppe fertig garen und in dieser Suppe, die mit trockenem Sherry nach Gusto abgeschmeckt worden ist, servieren.

Lammfleischknödel im Polentateig auf Gabelkraut:

Ein halbes Kilo mageres Lammfleisch faschieren und mit Zwiebel, Knoblauch sowie frischem, klein gehacktem Thymian, Salz und Pfeffer kurz anrösten. Die Masse erkalten lassen und daraus kleine Knödel formen. Anschließend 15 Dekagramm Butter mit drei ganzen Eiern schaumig rühren. Mit 15 Dekagramm Maisgrieß gut durchmengen und nach Geschmack würzen. Die Lammfleischknödel mit der Polentateigmasse umhüllen, in kochendes Wasser einlegen und cirka eine halbe Stunde köcheln lassen. Sauerkraut (Menge nach Belieben) waschen und kurz aufkochen lassen, danach mit Speckwürfel und zerdrückten Knoblauchzehen vollenden, mit den Knödeln servieren.

Bärlauchknödel: (vier Portionen)

Sechzig Gramm Butter mit drei Eigelb schaumig rühren. 150 Gramm Grieß, 60 Gramm Semmelbrösel, ein halbes Päckchen Backpulver, 500 Gramm Topfen mit Salz, Muskat und Pfeffer würzen. Drei Eiklar zu Schnee schlagen und unter die Masse heben. Eine Handvoll (nach Belieben auch mehr) Bärlauch blanchieren, ausdrücken, hacken und ebenfalls untermischen. Aus der Masse nun Knödel formen und die ca. 15 Minuten lang in Salzwasser leise köcheln lassen. Herausnehmen, mit brauner Butter betröpfeln, geriebenen Parmesan darüber überstreuen – und genießen.

Polentaknödel: (vier Portionen)

Kleinwürfelig geschnittener Selchspeck (50 Gramm) wird in einer Rein goldgelb geröstet, mit ¼ Liter Milch aufgegossen und gesalzen. In die kochende Milch unter ständigem Rühren 100 Gramm Maisgrieß einfließen lassen und so lange unter weiterem Rühren ausdünsten, bis sich die Masse vom Boden löst. Erkaltet mit einem Ei vermengen und daraus Knödel formen. Sollte sich die Masse nicht oder nur schwer formen lassen, ein bis zwei Esslöffel heißes Wasser untermischen. Die Knödel nun in siedendes Salzwasser einlegen und nicht zugedeckt 15 Minuten langsam bis zur Vollendung kochen lassen.

August F. Winkler

August F. Winkler

August F. Winkler schreibt so gerne wie er liest, zuletzt erschienen seine Bücher „100 beste Köche“ im Umschau Buchverlag und das „Genusslexikon“ im B3 Verlag




Bloody Hell!

Helgo Karrer musste seine Wein-Kost-Bar in der Wiesenstraße im Frankfurter Nordend aufgeben. Nicht einmal ein Jahr ging es gut. Seine rechte Hand Stefan Brum strich schon vor einigen Monaten die Segel und arbeitet wieder als Sommelier im Jasper´s in Sachsenhausen. Karrer übernahm das schlichte Weinlokal von Fernsehkoch Mirko Reeh, der dort ebenfalls scheiterte. An den Weinen kann es nicht gelegen haben, die hatte der gelernte Konditor, Hotelfachmann und Weinhändler Karrer überlegt ausgesucht. Auch das Essen, das André Großfeld aus seinem Restaurant in Friedberg anfänglich vorgefertigt lieferte, war völlig in Ordnung. Insgesamt fielen die Preise moderat aus. Aber: Es mangelte es an der Präsenz von Karrer in seinem eigenen Lokal. Auch die Lage, die fehlende Terrasse und die Parkplatzsituation waren nicht günstig. Vor allem aber entstand in der kärglichen Atmosphäre keine gute Stimmung, die zu erhöhtem Konsum und längerem Verweilen eingeladen hätte. Geld für neues Mobiliar und eine Umgestaltung war offenbar nicht vorhanden. Helgo Karrer steht jetzt in den Diensten von Sterne- und Fernsehkoch Alexander Herrmann im fränkischen Wirsberg bei Bayreuth.