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Harald Wohlfahrt: Kein Nachruf

Wohin steuert die

Top-Gastronomie?

 

Im Gespräch mit

Harald Wohlfahrt

 

Harald Wohlfahrt ist gesund, Harald Wohlfahrt kocht weiter. Er zieht sich auch nicht ganz aus der Schwarwaldstube der Traube Tonbach zurück. Was sollen also jetzt diese ganzen eiligen Elogen, die wie Nachrufe klingen? Torsten Michel ist seit über zwölf Jahren Küchenchef in dem 3-Sterne-Restaurant, der weltbekannten Schwarzwaldstube. Der langsame Abschied von Harald Wohlfahrt steht seit Jahren fest, jetzt übergibt er im Juni nun eben ganz offiziell an seine langjährige rechte Hand. Dennoch liegen 40 bemerkenswerte Jahre in der Traube Tonbach hinter ihm – kein Küchenchef hat mehr ein Restaurant geformt und geprägt. Darin liegt vielleicht das einzige Problem, denn wie könnte jetzt Torsten Michel noch deutlicher seine eigene Handschrift einbringen, ohne Bewährtes aufzugeben?

Amuse

Amuse

Harald Wohlfahrt wird sich jetzt mehr um das Palazzo-Ess-Theater kümmern, das in verschiedenen Städten mit jeweiligen prominenten Köchen gastiert und ab Herbst auch wieder in Stuttgart zu sehen sein wird, wo er kochlöffelführend ist. So ganz raus aus der Traube Tonbach ist er ebenfalls noch nicht, dazu sind er und sein Patron Heiner Finkbeiner auch viel zu sehr vereint. Das Wort „Aufhören“ will auch nicht so recht zu ihm passen, zu einem disziplinierten Hardworker, der selbst noch mit Gipsbein am Herd stand. Von Rente also noch lange keine Spur. Es wäre aber vielleicht besser gewesen, das 40. Jubiläum von Harald Wohlfahrt zum Anlass einer großen Feier zu nehmen und bei dieser Gelegenheit en passant eine Übergabe zu inszenieren.

In unserem letzten Gespräch mit Harald Wohlfahrt war oft zu hören, wie stark Torsten Michel bereits seit Jahren die Geschicke des 3-Sterne-Restaurants Schwarzwaldstube mitbestimmte, weshalb er einem endgültigen Wechsel zuversichtlich gegenüberstehen konnte. 3 Sterne im Michelin und 19,5 Punkte im Gault & Millau sowie Höchstbewertungen in allen anderen Restaurantführern sind indes eine große Verpflichtung. Selbst wenn der Großmeister nicht mit am Herd stand und die Mannschaft ihren Aufgaben überließ, so schwebte sein Geist doch wie eine Aureole über dem Geschehen.

Tunfischbauch

Tunfischbauch

Harald Wohlfahrt ist sich sicher, kritische Gäste zu haben. „Wir stehen jeden Tag auf dem Prüfstand.“ Das Publikum versinkt nicht vor Ehrfurcht. „Ich lasse mich nicht feiern und bekomme ein ehrliches Feedback.“ Wenn es mal Kritik gab, so erinnert sich der Meister an die einigen Male, dann hatte das weniger mit der Küche und mehr mit dem Tempo zu tun.

Die Traube Tonbach und die Schwarzwaldstube werden sich nur behutsam verändern, grundsätzlich aber glaubt Harald Wohlfahrt an eine Wende vom Formellen zum Legeren. Mittags geht es auch in der Schwarzwaldstube ein wenig munterer zu, abends herrscht eher Candle Light Stimmung. Immerhin werden 40% des Gesamtumsatzes sogar mittags gemacht. Das vermögen nur wenige Toprestaurants, wie etwa das Tantris in München, denn sonst haben ja gerade von den hochdekorierten Restaurants immer mehr mittags geschlossen. So oder so: Grundsätzlich gibt es weltweit einen Trend zu großer Küche in lässiger Atmosphäre.

Saloppe Atmosphäre schätzt auch Harald Wohlfahrt, wobei für ihn in der Schwarzwaldstube nur eine gehobene Tischkultur vorstellbar ist. Beeindruckt haben ihn dennoch die Leistungen des Restaurants L´Astrance in Paris, das ebenfalls mit drei Sternen im Michelin ausgezeichnet ist. Dort trifft man auf ein Bistro-Dekor mit einfachem Mobiliar und schlichtem Besteck. „Es ist gut, wenn nur die Küche bewertet wird und nicht das Ambiente“, meint Wohlfahrt.

Ludwig Fienhold

 

Traube Tonbach:SchwarzwaldstubeDer scheidende Herausgeber und ehemalige Chefredakteur des Gault & Millau Deutschland, Manfred Kohnke, hat wie kein anderer Harald Wohlfahrt begleitet und seit 1985 bewertet. Sein kulinarisches Statement: Der Kochkünstler Harald Wohlfahrt ließ als Koch sich und seinen Mitarbeitern nicht die leiseste Unsicherheit, die kleinste Schwäche, das geringste Abweichen von seiner Idealvorstellung durchgehen und er grübelte als Künstler unablässig darüber, bei aller kulinarischer Opulenz noch puristischer zu werden, um prägnantere Aromen zu erreichen und größere geschmackliche Wirkung zu entfalten. So schuf er Gerichte (und mit denen Menüs), die so komplex und substanziell waren, wie sie nur die Weltklasse bietet. Hyperkreativität war ihm fremd, Modisches integrierte er nur, wenn es Geschmackserlebnisse bereicherte, ohne plakativ zu wirken. Dass er über 20 Jahre lang in allen großen Guides die Höchstbewertung bekam, resultiert auch daraus, dass Wohlfahrt als einziger deutscher Spitzenkoch einen kongenialen Sparringspartner und potenten Finanzier hatte, denn der erfolgreiche Hotelier Heiner Finkbeiner war mal Chef de Partie bei einem gewissen Eckart Witzigmann.

 

Foto oben rechts: Harald Wohlfahrt (l.) und Torsten Michel

Photocredit: Barbara Fienhold