Frankfurt: Make Bahnhofsviertel Great Again
Trash as Trash can:
Engagierte Gastronomen,
lahme Politiker
Es sah einmal so aus, als würde das Frankfurter Bahnhofsviertel als Vorzeigeprojekt gastronomischer Entwicklungen für ganz Deutschland und darüber hinaus ein Vorbild sein können. Auch die New York Times hatte es als spannenden Hot Spot ausfindig gemacht. Viele Gastronomen haben sich engagiert und wurden letztendlich von der Politik im Stich gelassen. Stellenweise versinkt das Viertel in unerträglichem Dreck, hie und da blühen aus dem Morast aber auch schöne und seltene Pflänzchen auf. Das neue Ciccione ist ein gutes Beispiel dafür.
Es ist mutig in einem Viertel, das durch die Stadt hoffnungslos vernachlässigt wird, ein neues Lokal zu eröffnen. Andrei Lipan hat es mit seinem Ciccione getan (siehe BISS-Artikel „Pizza unplugged mit Top-Weinen“). Genau gegenüber ist das Yaldy zu Hause eine besonders bemerkenswerte Adresse, die umgeben von Bierschwemmen gute Weine anbietet, zudem spannende Cocktails und eine sympathische Küche. Die Kombination aus Wein & Cocktail-Bar und Restaurant ist einzigartig, das Ambiente hat rustikalen Vintage-Charme. Solche wackeren Adressen halten das Bahnhofsviertel noch aufrecht.
Kaum zu glauben, dass im Bahnhofsviertel einmal ein Toprestaurant wie das Stanley Diamond entstehen konnte. Die Betreiber James und David Ardinast hatten es geschafft, Gäste anzulocken, denen es zwar ziemlich Mühe machte sich durch das Drogenmilieu zu kämpfen, doch als Ziel unerschütterlich dieses außergewöhnliche Restaurant vor Augen hatten. Das Stanley Diamond konnte vom Start weg mit einem engagierten Team überzeugen. Die Chefs de Cuisine Alex Nixdorf und danach Beate Braun sowie die muntere Sommelière Nina Birk leisteten im Quartier Pionierarbeit erster Klasse. Nicht zu vergessen die großartigen Barkeeper, die hier mitten im Lokal an ihrer halbrunden Theke sogar mitunter vom guten Wein ablenken konnten. Heute wird das Lokal nur noch als Eventlocation genutzt.
Auch das von den Ardinast-Brüdern geführte heitere und hübsche Maxie Eisen in der Münchner Straße ist nicht mehr und wurde inzwischen zu einem Edel-Döner. Ungeachtet dessen bleibt die Münchner Straße die originellste, wuseligste und interessanteste Zeile im Bahnhofsviertel. Die liebenswerte intime Mey Weinbar in der Elbestraße, die einst eine Bar mit Puff-Separee war, hat den Besitzer gewechselt. Cemal Aksan, der gute Weine und sogar einen mehr als ordentlichen türkischen Sekt anbieten konnte, führt jetzt nur noch das gleich um die Ecke liegende und einen Besuch werte Fischlokal Hamsilos. Jetzt haben jüngere Betreiber übernommen, die am Wochenende mit DJ-Abenden punkten wollen, aber weniger mit Weinwissen.
Im Nana´s Ramen (gleich um die Ecke vom Stanley) gibt es leider keinen Wein, aber gute Küche und einen gutgelaunten Service. Bei den Einstiegshappen hat uns am besten Takoyaki gefallen, drei gegrillte und mit Gemüse und Oktopus gefüllte Weizenteigbällchen. Ramen gibt es in drei Varianten, von klassisch bis sehr würzig. Wir fanden die Tantan-Variante „Tokio Art“ herausragend, saftige dicke Nudeln mit leichtem Biss in einem delikaten Sud, der von Walnuss- und Sesamtgeschmack dominiert wurde. Mitgetragen wurde die mächtige Riesenschüssel geschmacklich zudem von Hackfleisch, gekochtem Gemüse, Sojasprossen und Frühlingszwiebeln. Zuvor war an gleicher Stelle das Restaurant Imori Kaiseki zu Hause, das sich nicht lange hielt, weil es einfach zu teuer war für diese Gegend.
Plan der Stadt war es, durch gute, junge und lebendige Gastronomie ein Korrektiv zur Verwahrlosung des Viertels zu installieren. Müll erzeugt Müll, Gastronomie mit vielen Gästen aber nicht unbedingt Sauberkeit und Ordnung. Das Vorhaben ging jedenfalls nicht auf. Die Gastronomen, die jeden Abend und jeden Morgen übelsten Unrat vor ihrer Tür und anderes mehr beseitigen mussten, wurden mit ihren Problemen allein gelassen. Noch immer stinkt es an vielen Stellen so gewaltig, dass man sich mit Schrecken und zugehaltener Nase abwendet. Mehr Polizei und verstärkter Einsatz von Müllfahrzeugen, Überwachungskameras? Ein Ansatz. Die Probleme sind seit Jahren bekannt, die Überlegungen dazu kümmerlich. Soll jetzt nur noch niemand auf die Idee kommen, die millionenfach vergeudeten Corona-Masken als Mundschutz für das Bahnhofsviertel einzusetzen.
Ludwig Fienhold
Fotos: Barbara Fienhold
Weitere Bahnhofsviertel Adressen
Kinly Bar, Lichtblick in der düster umwölkten Elbestraße. Klassiker und fabelhafte kreative Eigenkreationen.
Bar Shuka, Niddastraße 56. Ein Teller voll Tel Aviv und lebhafte Stimmung.
Yok Yok, Kiosk für Standhafte, man steht mit Bierdosen und Flaschen so herum und amüsiert sich. Wird bald von der Münchner Straße gegenüber vom Hauptbahnhof einziehen.
Neckarvillen, sehenswertes historisches Hotel-Juwel in der Neckarstraße mit Grill-Restaurant und attraktiver Bar.
7 Bello, Niddastraße 82, Kult-Pizzeria, eng, laut und immer in Feierlaune. Aber die Pizza ist einfach gut.
GO by Henssler, Düsseldorfer Straße 1-7, schicke kalifornische Sushi und unschicker Umgebung.
Toh-Thong, gutes Thai-Lokal mit Klassikern wie Phad Graphao, Düsseldorfer Straße 23.
Fontanella, Kaiserstr. 35, einer der besten Eissalons in der Stadt.
Eventlocation Alte Textilfabrik von Cooking Ape, Taunusstraße 19, sehenswert und denkmalgeschützt, Fabrik-Loft-Atmosphäre (Bild ganz oben).