Das Restaurant Esszimmer adelt das Hotel Adlon
Berlins bestes Stück?
Stilvoll speisen in der rauen Stadt
Eine Restaurant-Kritik von Ludwig Fienhold
Spätestens seit der erfolgreichen TV-Serie über das Adlon will jeder einmal in Berlins berühmtesten Hotel gewesen sein. Und sei es nur auf einen Drink in der Bar. Der beste Platz aber ist das Restaurant Esszimmer, dessen Luxusküche sich nicht mit Kleingeld bezahlen lässt.
Vergessen wir das hektische Entree, die nervöse Rezeption und das touristische Frühstück und kommen lieber gleich zu dem, was das Adlon auszeichnet: Das Restaurant Lorenz Adlon Esszimmer. Mit knapp 40 Plätzen erscheint es doch mehr als ein Esszimmer, weil es sich in zwei Bereiche teilt. Bei einer Reservierung wird man selbst als Hotelgast leider nicht darauf hingewiesen, doch der vordere Bereich mit Blick auf das Brandenburger Tor ist der weit schönere Part, während die durchaus auch recht nette Bibliothek letztlich wie die zweite Klasse wirkt. Dass der Restaurantleiter meint, man könnte zuvor seine Wünsche äußern, ignoriert die Tatsache, dass man ja von einer solchen Teilung nicht zwangsläufig wissen kann, wobei auch an keiner Stelle bei den Hotelinformationen darauf hingewiesen wird.
Der Blick vom Restaurant auf das abendlich illuminierte Brandenburger Tor ist einzigartig. Das hat etwas Historisches, wenngleich man das nicht schmecken kann. Der Blick mag in die Geschichte gehen, trägt aber nur nebenbei zur Genuss-Optimierung bei. Dafür sorgt in ganzer Breite Küchenchef Hendrik Otto, der nie besser war als heute. Nach Stationen im Hamburger Haerlin, Brenner´s Park Hotel in Baden Baden und Harald Wohlfahrts Traube in Tonbach, verdiente er sich seine ersten Lorbeeren im Restaurant La Vision im Kölner Wasserturm (das jetzt leider schließt) sowie im Vitrum im Ritz-Carlton Berlin. Seit 2010 ist Hendrik Otto nun Küchenchef im Adlon, was ihm bislang zwei Sterne im Michelin und 17 Punkte im Gault Millau einbrachte.
Restaurantleiter Boris Häbel wirkt immer ein wenig staatstragend, ist aber nun mal so eine Art Musterknabe unter den Servicekräften des Landes. Der 43 Jahre alte Süd-Schwarzwälder bietet solide Bareiss-Schule, in Frankfurt kennt man ihn noch aus den seligen Restaurants Humperdinck und Brick sowie der Kameha Suite. Nach einigen Jahren bei Dieter Müller im Schlosshotel Lerbach und dem Burj al Arab in Dubai, wechselte er 2009 ins Adlon nach Berlin. Während er bedächtige Korrektheit pflegt, sorgt der bestens gelaunte Sommelier Shahab Jalali für die heiteren Erlebnisse – so sind die Rollen gut aufgeteilt. Jalali verbreitet aber nicht nur eine konsumfreudige und legere Stimmung, er berät so profund und mit auf den Gast abgestimmter Individualität, dass es eine Freude ist jeder Empfehlung nachzukommen. Insgesamt hat man es mit einem tadellos aufgestellten Service der Extraklasse zu tun, auch die jungen Mitarbeiterinnen sind mit viel Charme und Einsatzfreude dabei.
Die Erwartungen an Küchenchef Hendrik Otto sind hoch, zumal er nach noch höheren Weihen strebt. Wir haben es mit einer moderat modernisierten Haute Cuisine zu tun, die ganz klar und ruhig, aber auch sehr detailverliebt ausfallen kann. Alles ist ausdrucksvoll, nichts beliebig. Phänomenal sind die Saucen, ob Kalbsfuß-Lorbeerextrakt, Gulaschsaft, Olivensauce, Hummerglace, Pilzsaft oder Gewürzsud – so schmecken Destillate der Sinnlichkeit. Manchmal gelingt der Küche Großes mit vier Komponenten auf dem Teller, mitunter erreicht sie trotz vieler unruhig erscheinender Mosaike eine wunderbare Ausgewogenheit.
Die Fischgerichte fallen stets eine Spur raffinierter aus. Die formidable südfranzösisch inspirierte Seezunge im duftigen Fenchel-Gewürzsud wird aufwendig eskortiert von Auberginen-Lasagne mit Tomatengelee, Pulpo, Olivensalsa, Sardelle im Tomatenhemd, gebratenem Fenchel in der Knusperhülle und Kichererbsen-Kroketten im Pommes-frites-Look mit Aioli und Curry. Der pralle Zander mit hinreißendem Kalbsfuß-Lorbeerextrakt und der Kaisergarant in feiner Krustentiersauce sind treffsichere Exemplare einer durchdachten, auf besten Produkten und hervorragendem Handwerk basierenden Küche.
Das Kaninchen aus der Vulkaneifel in delikater Estragonsauce erhält durch Chorizo, Kapern und Speck einen emotionalen Kick, die Flusskrebse in warmer Cocktailsauce mögen merkwürdig nach Retroküche klingen, schmecken aber durch eine hervorragend mit Kräutern und Aprikosen abgestimmte Sauce besonders aufregend. Charakterfest und zartknackig: Langostino & Calamaretti in klassischer Sauce Dugléré (eingekochter Fond mit Weißwein, Schalotten, Tomaten und Kräutern), durch Staudensellerie, Apfel und Koriander pointiert. Ausgereift kombiniert: Gänseleber, Pfeffercreme, Orangenschale, Kaffee und Trüffel. Die Patisserie zaubert aus Schokolade, Kokos-Eis, Ganache-Sahnecreme, Tee und gefrorenem Kräuterschnee leichtlebige Köstlichkeiten. Jeder Teller flirtet mit der Zunge und erobert das Herz.
Schön, dass sich das Adlon auch auf seine Klassiker aus früheren Tagen besinnt und etwa Caneton à la presse und sogar Pfirsich Melba offeriert. Die Preise im Adlon sind progressiv, für Hauptgerichte muss man 62 Euro zahlen. Besser fährt man mit den Menüs, die bereits ab 110 Euro zu haben sind (4 Gänge). Es gibt nicht allzu viele Restaurants, wo die entscheidenden Parameter aus Küche, Keller, Service und Ambiente so im Gleichgewicht sind wie im Lorenz Adlon Esszimmer. Und obendrein mit einer Prise Snobismus gewürzt werden.
Hotel Adlon Kempinski, Lorenz Adlon Esszimmer, Berlin, Unter den Linden 77, Tel. 030 2261 1960. Geöffnet Dienstag – Samstag, 19 – 22.30 Uhr (Küche).