Schweizer Stuben reloaded: Riesling-Gala erinnert an das deutsche Küchenwunder | BISS

Schweizer Stuben reloaded: Riesling-Gala erinnert an das deutsche Küchenwunder

Riesling-Gala

Großes Fest im Kloster Eberbach im Rheingau

 

Eine großartige Idee, die seligen und leider fast vergessenen Schweizer Stuben mit einer Gala wieder für einen Abend aufleben zu lassen. Die erste alte Garde der damaligen Köche war vertreten: Jörg und Dieter Müller, Hans Stefan Steinheuer und Johann Lafer sowie Egbert Engelhardt und Burkhard Schork, der im Restaurant seine Ausbildung machte. Egbert Engelhardt, der zwei Jahre in den Schweizer Stuben in Wertheim am Herd stand, band sich für ein letztes Gastspiel noch einmal die Schürze um. Engelhardt, der im Rheingau durch sein Graues Haus in guter Erinnerung bleibt, war mit seiner Consortium Gastronomie viele Jahre für die kulinarische Seite der Riesling-Gala verantwortlich und übergab Anfang des Jahres die Geschäftsführung an Cem Yoldas vom Nassauer Hof in Wiesbaden, der bei der Riesling-Gala im Kloster Eberbach als guter Geist und Gastgeber allgegenwärtig war.

Wilhelm Weil begrüßt die Gäste

Wilhelm Weil begrüßt die Gäste

657 Gäste kamen zur großen Riesling-Gala ins Dormatorium des Klosters Eberbach. Im einstigen monumentalen Schlafsaal ging es  quicklebendig zu. Die festliche Stimmung war dem Ereignis angemessen, denn diese Gala ist auch ein gesellschaftliches Ereignis, zu dem einige von weit her anreisen. Man erinnerte nicht nur mit manchem Gericht an Adalbert Schmitt und seine Schweizer Stuben, die Bühne gehörte auch den Erinnerungen an diesen außergewöhnlichen Fabrikanten und Gastronom. Den Köchen blieb er vor allem als „Motivator“ und „Visionär“ sowie „strenger, aber auch freundschaftlicher Hausherr“ in Erinnerung, wie Jörg und Dieter Müller meinten. Bilder vom jungen Charmeur Adalbert Schmitt machten die Runde, aber auch solche vom famosen und jung verstorbenen Sommelier Pedro Sandvoss. Jörg Müller servierte getrüffeltes Gänseleberparfait im Baumkuchenmantel mit Apfelsalat und Riesling-Gelee. Unglaublich, dass man seinerzeit in den siebziger Jahren in den Schweizer Stuben damit Furore machen konnte. Damals gab es aber neben Witzigmanns Aubergine und dem Tantris in München, der Schwarzwaldstube in Baiersbronn sowie der Ente in Wiesbaden auch nur eine Handvoll Spitzenadressen in Deutschland. Die Schweizer Stuben haben so oder so das deutsche Küchenwunder möglich gemacht und die gesamte Gastronomie des Landes bewegt und nach vorne gebracht.

Dirk Würtz & sein dickes Bottle-Baby

Dirk Würtz & sein dickes Bottle-Baby

Die leicht nostalgische Riesling-Gala war vor allem ein Ereignis für Weinfreunde. So viel herausragende Tropfen an einem Abend kann man nur selten erleben. An jedem Tisch waren andere Winzer mit ihren Erzeugnissen vertreten, meist Große Gewächse und andere Spezialitäten, auch aus der Doppelmagnum oder der übergroßen Salmanasar-Bottle mit 9 Litern. An unserer Tafel wurde das sechs Gänge-Menü von wunderbaren Weinen von Wilhelm Weil (Rheingau) und Ernst Loosen (Mosel) serviert. Die größte Flasche des Abends tischte Dirk Würtz vom Rheingauer Weingut Balthasar Ress auf. Ganz passend eine Balthasar mit einem Fassungsvermögen von 12 Litern (Rüdesheimer Riesling, Jahrgang 2013). Man konnte auch an anderen Stationen probieren und viel Gutes vom Schlossgut  Diel (Nahe) und den Rheingauer Weingütern Leitz und Spreitzer entdecken. Der Event wurde zum Fass ohne Boden.  Die Service-Brigade der Consortium Gastronomie Wiesbaden vollbrachte schwungvoll eine logistische Meisterleistung. Die erste Riesling-Gala fand vor fast 30 Jahren statt, zweimal fand sie nicht statt. Zum 30. Jubiläum im übernächsten Jahr darf man ein Highlight erwarten.

LF

Riesling GalaIm Tickets-Preis von 230 € enthalten: Aperitif, Gala-Menü mit begleitenden Weinen, Dessert, Kaffee und Weinbar mit weiteren Herzhaftigkeiten. Zeit: 11 – 18 Uhr Gala, danach open end. Insgesamt über 30 Weingüter vertreten. Weitere Infos: Verband deutscher Prädikatsweingüter (VdP) Rheingau, Kiedrich, Tel. 06123 / 67 68 12 . www.vdp-rheingau.de

 

Photocredit: Barbara Fienhold

 

 

 

 

 

Historischer Nachschlag aus dem Archiv

Das Ende einer Legende

 

Abschied von Adalbert Schmitt

und den Schweizer Stuben

 

Unvergessen, wie er mit dem Blick des Künstlers unterm Strohhut rastlos übers Gelände streifte, als sei er auf der Suche nach einem Motiv. Die Schweizer Stuben waren seine Inspiration, die ihn zu einer kulinarischen Palette greifen ließ, mit der er immer wieder neue Farben hintuschte – vor allem aber das Lavendellila Südfrankreichs und die Erdtöne Italiens. Jetzt ist die Leinwand weiß und trägt einen Trauerrand. Adalbert Schmidt wurde zu Grabe getragen, die Legende Schweizer Stuben ebenso.

Den 70. Geburtstag hatte er noch in seinem Hotel in Wertheim am Main gefeiert, in der ihm eigenen Mischung aus Lebensfreude, Schnodderigkeit und Ironie. Zu diesem Zeitpunkt hatte Schmitt gar gehofft, dass die Outlet-Factory-Stores des neu entstehenden „Wertheim Village“ zusätzliche Gäste bescheren würden, doch die Insolvenz war nicht mehr aufzuhalten. Adalbert Schmitt, dessen Privathaus nur wenige Schritte von den Schweizer Stuben entfernt stand, glitten nach einem Jahre währenden Krisengalopp die Zügel vollends aus der Hand. Dass ein solch vitaler Mann mit 73 Jahren durch einen Schlaganfall aus dem Leben scheidet, hängt mit dem Verlust seines Lebenswerkes zusammen, denn die Schweizer Stuben waren weit mehr als eine herkömmliche Hotelanlage: Hier fand vor 33 Jahren die Geburtsstunde eines deutschen Küchenwunders statt. In dieser Talentschmiede wurden viele spätere Sterneköche geformt und gefördert: Dieter und Jörg Müller, Fritz Schilling, Hans Stefan Steinheuer, Stefan Marquard, Ingo Holland, Harald Rüssel und Johann Lafer. Als Spiritus rector sorgte Adalbert Schmitt für jene Prise Geschmacksgenialität, aus der Gutes zu Großem zu werden vermag. Mit untrüglicher Sensorik und kompromissloser Strenge war er der Coach seiner Köche und entwickelte sich dabei selbst zu einer der schillerndsten und maßgebendsten Figuren der deutschen Gastronomie. Er schimpfte auch nach 30 Jahren im politisch baden-württembergischen und lokalkoloriert fränkischen Wertheim noch in bester hessischer Mundart, denn er wuchs in der Bornheimer Heiligkreuzgemeinde im unweiten Frankfurt auf, wo der auch in ihm sitzende Schalk schon immer zu Hause war. Alles, was Schmitt einst als Kunststofffabrikant an einem Millionenvermögen verdient hatte, steckte er in seine Schweizer Stuben, zumal sie ganz im Gegensatz zum Plastik genau die Lebendigkeit versprachen, die er wirklich suchte.

Durch gleich drei Restaurants, die sich zwischen feudalen Chalets auf grüner Wiese in Wertheim-Bettingen am Main verteilten, erwuchs aus den Schweizer Stuben ein Feinschmeckerdorf. Hier erblühte im Hauptrestaurant die Aromenküche Südfrankreichs, ließ die Taverna La Vigna Italien kaum vermissen, zeigte der Landgasthof Schober wie gut fränkische Dorfküche sein kann. Auch das Frühstück geriet stets besser als in den meisten Hotels und wurde à la carte serviert. Das Relais- & Châteaux-Haus hatte insgesamt 33 Wohneinheiten (22 DZ, 3 Suiten, 8 Appartements), wobei die im Landhaus schon eher bungalowartig ausfielen. Schwimmbad, Tennisplätze und Beautyfarm verschafften Urlaubsgefühle, welche durch die Lage in heiler Natur verstärkt wurde. In den siebziger und achtziger Jahren reisten die Gäste zu einem solchen Hort der Glückseligkeit selbst von weit an, Anfang der neunziger hatten sie irgendwo auf der Welt längst auch andere schöne Plätze erkundet. Den Schweizer Stuben haftete trotz aller kulinarischen Anstrengungen und Erfolge plötzlich das negative Bild des Verstaubten an.

Nach dem (vorläufigen) Ende der Schweizer Stuben vor drei Jahren – die besten Köche befanden sich bereits in anderen Hotels – übernahmen zwei neue, gastronomisch unkundige Betreiber aus Leipzig das Unternehmen. Helmut Materna und Siegmar Sasek (GbR) führten die Anlage ohne Konzept und Fortune und mussten Ende letzten Jahres ebenfalls in die Insolvenz gehen. Mit einem Schlag standen die verbliebenen Mitarbeiter des Hotels ohne Arbeitgeber da, wobei sich die vorausschauenden der einst 80 Angestellten ohnedies schon längst abgesetzt hatten. Inzwischen haben die Gläubigerbanken den Besitz an eine gewisse East Western Real Estate Company verkauft, dem Vernehmen nach für einen Schnäppchenpreis von 1,3 Millionen Euro. Langfristig will das Unternehmen aus dem ehemaligen Resort Miet- und Eigentumswohnungen machen, wobei im hinteren Bereich, wo einst das italienische Lokal war, ein nobles Altenwohnheim entstehen soll. Bis dieses, von der Stadt Wertheim abzusegnende Vorhaben umgesetzt werden kann, herrscht eine eher gespenstische Situation. Derzeit sind die schönen Zimmer bereits ab 55 Euro zu haben. Im einstigen Gourmetrestaurant werden Billig-Schnitzel in allen Varianten serviert, auf dem gleichen feinen Porzellan wie in den großen Zeiten des Hotels. Wer heute über das wie ausgestorben wirkende Gelände in Wertheim streift, den ergreift ein Gefühl der Beklemmung. Aber auch der Dankbarkeit, dass es so etwas wie die Schweizer Stuben überhaupt gegeben hat.

Ludwig Fienhold

 

Nachtrag

Zur Beerdigung von Adalbert Schmitt kamen 350 Menschen, darunter fast alle Spitzenküche aus seiner einstigen Brigade, wie die Brüder Dieter und Jörg Müller. Der Chefredakteur des Restaurantführers Gault Millau Manfred Kohnke nannte Schmitt in einer bewegenden Grabrede einen leidenschaftlichen, phantasievollen und hochsensiblen Schöngeist, der mit dazu beigetragen habe, dass Deutschland nicht nur als Land der Dichter und Denker, sondern auch der Genießer bekannt wurde. Adalbert Schmitts Frau Petra leitet nach wie vor das Vier-Sterne-Seehotel Niedernberg bei Aschaffenburg, Sohn Andreas ist Wirtschaftsdirektor bei Privathotelier Althoff und für die gastronomischen Belange aller Häuser verantwortlich, Sohn Roman führt das Upstalboom Strandhotel auf Wangerooge

Dieser einzige größere Nachruf in Deutschland erschien am 30. Juli 2005 in der Frankfurter Neue Presse

 

 

 

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