Michelin 2014: Die Sterne verlieren ihren Glanz | BISS

Kategorie | Aktuelles, Februar 2014

Michelin 2014: Die Sterne verlieren ihren Glanz

Sterne

Überraschungen bleiben aus

Die Redaktion trottet den Trends tapfer nach

 

Bernard Naegellen, Direktor des Michelin France von 1985 bis zum Jahr 2000, war für sein klare Meinung bekannt: „Geld von Köchen zu nehmen“ erklärte er gern in Interviews „gehört zu den Methoden kleiner Guides.“ Nicht einmal 13 Jahre später wendet der Michelin selbst die Methoden kleiner Guides an, bittet Köche für Reservierungen zur Kasse und verkauft „Sichtbarkeitspakete“ auf seiner Website. Die Tatsache, dass sich die Lebenspartnerin von Ex-Direktor Naret zur Gastronomieberaterin ernannte, die „Köche in ihrem kreativen Prozess begleitet“, fiel da kaum noch auf. Erlaubt ist jetzt, was Geld in die Kasse bringt. Egal in welche.

So verlässt sich der Michelin France 2014 dann auch nur noch auf seinen guten Namen. Neben einer einzigen Überraschung (zweiter Stern für „La Table du Connétable“ in Chantilly) sind die Testresultate beliebig und mit allen anderen Guides austauschbar: Da gibt es zunächst einmal viele, viele Sterne für junge Köche, die im letzten Jahr in so gut wie allen Blogs, Zeitschriften, Zeitungen und Führern gebührend gelobt wurden.

Der ehemalige britische Drei-Sterne Koch Marco Pierre White kommentierte die neue Politik des Überflusses im „Daily Telegraph“: „Als ich ein Junge war, glich der Gewinn eines Sterns dem eines Oskars. Heute verteilen sie Sterne wie Konfetti…. Ich glaube nicht, dass man bei Michelin versteht, was man dort tut. Der Guide ist aus den Angeln gehoben. “

Selbst die vermeintliche Sensation, ein dritter Stern für „L’Assiette Champenoise“ in Reims und Cuisinier Arnaud Lallement wollte in Frankreich kaum jemand so richtig goutieren. Francois-Régis Gaudry, der Kritiker des „L’Express“, bemängelte schwache Leistungen. Gilles Pudlowski, der langjährige Gastronomie-Experte von „Le Point“ meinte gar, laut Michelin könne man jetzt „der beste Koch Frankreichs sein ohne der beste Koch seiner Stadt zu sein“. Tatsächlich hat die „Assiette Champenoise“ mit dem glamourösen „Les Crayères“ nebst Chefkoch Philippe Mille einen sehr, sehr starken Lokalrivalen.

Längst fällige Abwertungen diverser Altstars werden in Frankreich seit Jahren geflissentlich vermieden. Wer bei drei Sternen an das Versprechen glaubt, die Küche sei „eine Reise wert“, riskiert schon seit Jahren kostspielige Enttäuschungen. Mit voller Wucht abgestraft werden hingegen ältere Köche, die es nicht bis nach ganz oben in der Gunst des Guides geschafft hatten: Diesmal traf es etwa den bewährten Bruno Cirino von der Hostellerie Jérôme, einen zuverlässigen, erstklassigen Koch, der etliche bekannte „Youngster“ ausgebildet hat.

Wer tatsächlich den Empfehlungen des Michelin folgt, stellt schnell fest, dass starke „Ein-Sterner“ so manchem Drei-Sterne-Star abseits der Kategorien Weinkarte, Interieur und Tafelsilber durchaus Konkurrenz machen können. Schnelles Vorpreschen bei einem Maximum an  jungen Köchen in Tateinheit mit schneckengleichem Zögern bezüglich Sanktionen von Altstars sorgen letztendlich dafür, dass sich die Wertungen selbst ad absurdum führen.

Doch Kunde des Michelin ist ja nicht mehr der Gast. Es ist der Koch, der brav für die Präsenz auf der Website und die Reservierungen zahlt. Finanziell wird sich die Konfetti-Politik deshalb lohnen. Sterne für alle! Und dann bitte an die Michelin-Kasse.

Jörg Zipprick

 

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