Landgasthöfe sterben nicht überall aus | BISS

Kategorie | 2018, Aktuelles, Archiv, Mai 2018

Landgasthöfe sterben nicht überall aus

Jagstmühle Hofgut-Menü Dessert Topfenschaum

Aber ohne kulinarische Identität und gute Köche hat man keine Chance

 

Wenn selbst in der als bodenständig geltenden schwäbischen Spätzle-Provinz Asia-Imbisse, Dönerbuden und Fastfood-Ketten die bürgerliche Küche verdrängen, ist die gastronomische Lage ernst. Die ist es aber nicht erst seit heute, denn die Entwicklung dazu hat schon vor über drei Jahrzehnten begonnen. Dennoch gibt es  genügend Beispiele für das Überleben von Landgasthöfen. Aber auch das Verschwinden der regionalen und gutbürgerlichen Küche hat seinen Grund.

Jagstmühle Mulfingen

Jagstmühle

In den meisten ländlichen Regionen in Deutschland existieren immer weniger Gasthäuser. Dafür gibt es wirtschaftliche und soziale Gründe. Das Wirtshaus war einst eine unerschütterliche Institution. Die Gäste suchten mehr als Essen und Trinken und fanden eine Heimat, ein Zuhause neben den eigenen vier Wänden. Gasthäuser waren Kirchen mit Trinkerlaubnis. Göttliches Bier und Schnitzel-Manna für alle. Zu einem Preis, der nur zu preisen war. Irgendwann war das Gasthaus nur ein guter Ersatz für das Altersheim, die Jungen zog es woanders hin. Und irgendwann probierten selbst die Großväter mal einen Döner oder blieben ganz Zuhause. So war es und so wird es noch mehr sein. Allein in Hessen gab es vor zehn Jahren noch 3000 Gastwirtschaften, inzwischen sind es nur noch 1200. Das Gasthaus Treuschs Schwanen in Reichelsheim im Odenwald ist seit über 560 Jahren im Familienbesitz und hat sich mit seiner starken regionalen Identität behaupten können. Es wird selbstgekelteter Apfelwein ausgeschenkt und man darf sich sogar noch auf ausgestorben geglaubte Gerichte wie die Grünkernsuppe mit Griesklößchen freuen. In den Städten muss man lange nach einer Rinderroulade suchen, im Schwanen ist sie meist zu bekommen. Der immer noch aktive Armin Treusch hatte das Glück, dass sein Sohn Thomas die Nachfolge in der Küche übernehmen konnte.

Jagstmühle Mulfingen mit Hohenloher Landküche

Jagstmühle

Ein Wirtshaus vererbt sich nicht von selbst. Die Betreiber haben oft keine Nachkommen oder solche, die an einem derartigen Betrieb nicht mehr interessiert sind. Es wird vor allem immer schwieriger gute Fachkräfte für Küche und Service zu finden. Selbst für gute Adressen in den Städten ist dies so, aber aufs Land wollen die wenigsten. Köche und Kellner werden zudem für ihren Einsatz mehr schlecht als recht bezahlt. Auf der anderen Seite scheuen auch immer mehr junge Menschen den Einsatz in der Gastronomie, weil er zu wenig Freizeit möglich macht oder gar Familienplanungen verhindert. Bankkredite für auftauchende finanzielle Engpässe sind auch kaum noch zu erhalten. Nicht zu unterschätzen sind außerdem die bürokratischen Zwänge, die längst kafkaeske Formen angenommen haben und so arbeitsintensiv ausfallen, dass man dafür eigentlich eine eigene Arbeitskraft einstellen könnte.

Jagstmühle

Jagstmühle

Man muss eine kulinarische Identität haben. Wer internationale Belanglosigkeiten mit heimischen Nichtigkeiten verbindet, bleibt austauschbar. Die meisten Menschen in Deutschland fragen nicht danach, wo es den feinsten Hummer gibt, sondern wollen wissen, wer die beste Rouladen oder Knödel serviert. Im Hohenloher Land, dem interessantesten Biotop für Wein und Regionalküche in Baden-Württemberg, ist die Welt trotz mancher Mangelerscheinungen noch weitgehend in Ordnung. Der Hotelier, Gastronom und Weinexperte Otto Geisel hat sich stets mit Leidenschaft für seine Heimatregion eingesetzt und viele gute Projekte entwickelt oder vorangetrieben. Sein Hotel Victoria gibt es leider nicht mehr, aber immer noch eine wunderbare Mischung aus Landhausküchen und Gourmetrestaurants. Das 2-Sterne-Restaurant Le Cerf im Schlosshotel Friedrichsruhe ist eine herausragende Adresse, aber auch das Alte Amtshaus in Ailringen zeigt mit regionalen Finessen große Klasse. Die Jagstmühle in Heimhausen wiederum ist ein Bilderbuch-Gasthaus. Optisch und kulinarisch angenehm verfeinert, ohne volkstümliche Folklore oder anbiedernden Provinzschick. Ein Wohlfühl-Refugium mit nettem Service und sehr guten Weinen, wobei man hier die Württemberger trinken sollte. Da es mehr als ein Glas sein darf, wäre es ratsam, gleich eines der schönen Zimmer im rundum erneuerten Hotel zu buchen.

Hubert Retzbach

Hubert Retzbach

Küchenchef Hubert Retzbach und seine rechte Hand Markus Reinert bewiesen einst in Otto Geisels Hotel Victoria wie fabelhaft moderne Regionalküche sein kann. Auch in der Jagstmühle erlebt man trotz mehr Bodenständigkeit ihre  sinnlichen Gerichte voll enthusiastischer Kraft: Mäusdorfer Landgockel, in Gewürzrotwein pochierte Filet vom Hohenloher Weiderind oder Kotelette vom Mohrenköpfle-Landschwein. Die Küche hat im Grunde nicht an Feinheit und Qualität verloren, stellt sich jedoch mehr in der Breite für ein größeres Publikum auf. Zwiebelrostbraten, auf Rebholz geräucherter Bachsaibling mit Alblinsen oder Filetspitzen vom Hohenloher Landschwein und Hohenloher Weiderind in Champignonrahmsoße mit handgeschabten Spätzle, sind einige der Renner. Aktuell ein Must-have ist Rhabarber im eigen Saft geschmort mit hausgemachtem Waldmeister-Schaumeis. Als Streifzug durch die Küche gibt auch ein regionales Tapas-Menü (4-7 Gänge für 48 -75 €).

In der Jagstmühle lebt die Landhausküche weiter. Sie hat es geschafft, sich nicht nur in der näheren Umgebung und in der Region beliebt zu machen, sondern über die Grenzen hinaus. Eine Reise dorthin lohnt aus jedem Winkel des Landes.

Jagstmühle, Heimhausen,  Jagstmühlenweg 10, Tel. 0 79 38/90 300. www.jagstmuehle.de

Treuschs Schwanen, Reichelsheim, Rathausplatz 2, Tel. 06164/2226. www.treuschs-schwanen.com

 

 

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