Ein letzter Drink mit Whitney Houston | BISS

Kategorie | 2013, Aktuelles, August 2013

Ein letzter Drink mit Whitney Houston

Whitney Houston in Concert

Das intimste Konzert

ihres Lebens

 

Die Sängerin wäre am 9. August 50 Jahre alt geworden

 

Sie war immer die erste, die vom Tisch aufstand. Oft bockig wie ein Kind, das seinen Brei nicht essen will. Wir, eine Handvoll Journalisten, saßen in unmittelbarer Nähe und hatten jeden Abend Blick auf Whitney Houston und ihre Gesellschaft. Obwohl neben ihr der frisch angetraute Ehemann Bobby Brown sowie ein Dutzend anderer Gäste aus ihrer Entourage mit am Tisch saßen, wurde meist wenig gesprochen. Whitney stocherte auffällig gelangweilt in ihrem Essen herum. Sie hielt Messer und Gabel eigenartig verrenkt, als ob sich alle Gelenke dagegen sträuben würden. Wir alle tafelten im Windward Dining Room der SS Norway, die auf ihrer Kreuzfahrt zu den Karbik-Inseln St. Thomas, St. Martin und Puerto Rico in ruhigen Gewässern unterwegs war. Auf dem Entertainment-Schiff selbst schlug ein massives Unterhaltungsprogramm mit 80 Veranstaltungen am Tag hohe Wellen. Whitney Houston trat hier jedoch nicht auf und reiste auch nur als Passagier. Ein recht unauffälliger, im Benehmen und bei der Garderobe. Schwarz, Beige und Braun schienen ihre Lieblingsfarben zu sein, hin und wieder überraschte sie mit einem beherzten Dekollete.

Es war das Jahr 1992 als Whitney Houston den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht hatte. In diese Zeit fielen einige entscheidende Ereignisse: Die Heirat mit Bobby Brown, der Film The Bodyguard mit Kevin Costner und ihr größter Welthit I will always love you. Auf dem Kreuzfahrtschiff machte Whitney Houston weder einen glücklichen noch unglücklichen Eindruck, schien sich aber wenig zu amüsieren. Wer nicht wusste, dass Bobby Brown ihr Mann war, hätte ihn auch für ihren Leibwächter oder Manager halten können, so neutral gingen beide in der Öffentlichkeit miteinander um. Bis dahin war Whitney Houston nur eine interessante Beigabe zu einer Kreuzfahrt, aber das sollte sich an einem späten Abend nach Mitternacht ändern.

Am vierten Tag der Kreuzfahrt waren zwei Kollegen und ich der Dauerbeschallung, den Modeschauen und Musicals und der grellen Shorts der meist amerikanischen Gäste überdrüssig und wählten unter den acht Bars die einzige aus, die leer war. Die Türen vom International Club standen offen, auf der kleinen Bühne waren nur noch die Mikrophone und andere Überreste einer Band zu sehen, die dort zuvor spielte. Wir hatten ein paar Dosen Bier dabei und freuten uns über die Ruhe. Plötzlich tauchte Whitney Houston auf, ohne Bodyguard und Bobby Brown, nur begleitet von zwei jungen Mädchen. Sie lächelte uns im Vorbeigehen kurz an und meinte, wir könnten ruhig bleiben. Man hätte uns auch schon heraustragen müssen, denn niemand von uns wäre jetzt freiwillig gegangen. Dennoch saßen wir sehr entspannt beisammen und gaben Whitney ungewollt das Signal, dass wir nicht lästig fallen würden. Solche wortlosen Abmachungen kann man nicht aushandeln, sie ergeben sich. Whitney ging allein auf die Bühne, die Anlage schien für sie zu einer Probe vorbereitet. Aus dem Stand heraus sang sie völlig unbegleitet und ohne Playback. Von der ersten Sekunde füllte ihre Stimme den Raum, eindringlich und seelenvoll, aber dabei so leicht und unbekümmert, als sänge sie allein in einer leeren Kirche. Whitney lächelte und schien zum ersten Mal während der Kreuzfahrt glücklich. Wir alle segelten gemeinsam auf einer großen Welle. Wenn es passte, applaudierten wir bedächtig – und Whitney bedankte sich freundlich. Einige der Songs kannten wir, andere nicht. Doch vor allem ein Lied war von einer ergreifenden Magie, beim Refrain And I will always love you wollten wir nicht einmal durchs Atmen stören. Niemand von uns Zuhörern kannte damals den Titelsong aus dem Film The Bodyguard, der erst später in die Kinos kommen und veröffentlicht werden sollte.

Nach einer guten halben Stunde sprach sich die Nachricht von Whitney Houstons Auftritt herum. Doch bevor noch mehr als Hundert der 2000 Passagiere aufkreuzten, entschwand sie mit schnellen Schritten. Es sollte das intimste Konzert bleiben, das Whitney Houston wohl je gab. Die Einzigartigkeit wurde durch ihren Tod endgültig.

Ludwig Fienhold

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