Best of Siebeck | BISS

Kategorie | 2016, Aktuelles, Archiv, Juli 2016

Best of Siebeck

Siebeck

Statt eines Nachrufs einige besondere

Rezensionen des verstorbenen

Gastronomiekritikers

Wolfram Siebeck (87)

 

 

 

Molekularküche

Das Prinzip dieser Molekularküche finde ich im Grunde idiotisch. Es ist wie die Erfindung des Esperanto. Das war eine Kunstsprache, die keine Wurzeln hat, keine Herkunft, keine Tradition, nichts. Die wurde einfach so aus dem Blauen heraus erfunden, weil da irgendjemand kreativ war und glaubte, dass sich alle Menschen in dieser gemeinsamen Sprache unterhalten würden, was natürlich Quatsch war. Wir müssen nur aufpassen, dass diese Molekularküche nicht die Oberhand gewinnt, nicht zu einem Dogma wird. Obwohl, die Chance hat sie ja gar nicht, weil sie viel zu unbeliebt ist – genau wie die zehn Gebote. Kein Mensch hält sich an die zehn Gebote.

Es sind Physiker, die sich diesen Gimmick ausgedacht haben und einige Köche, allen voran Ferrand Adrià, davon überzeugen konnten, dass darin die Zukunft der Kochkunst liege. Ungefähr zur Zeit der ersten Mondlandung glaubten alle, dass unsere künftige Ernährung aus Pillen und Pasten bestehen würde. Das ist gerade mal 40 Jahre her. Ob in weiteren 40 Jahren an den Küchenherden verkrachte Chemiestudenten mit Injektionsspritzen stehen und den Schweinebraten impfen werden, damit die Moleküle was zu lachen haben, ist wieder eine Frage ohne Antwort. Da aber der Nobelpreis ungeduldig mit den Hufen scharrt, wird schon jemand herausfinden, wie man Schokoladenpudding mit Hilfe der Neutronenbeschleunigung an die Wand nagelt und gleichzeitig die Gletscherschmelze in den Alpen nach Lavendel duften lässt. Das nenne ich Fortschritt. Andere nennen es Nanotechnik und versprechen sich davon kostenlose Werbung in überregionalen Tageszeitungen.

http://www.zeit.de/2005/22/Siebeck_2fKolumne_Voodoo/seite-2

Siebeck

Heston Blumenthal

The Fat Duck

In der „Fetten Ente“ (3 Michelin-Sterne) wird gekocht, dass man sich in Doktor Frankensteins Labor versetzt fühlt. Dass das Garen bei 60 Grad Celsius dabei eine Grundregel ist und Blumenthal das Anbraten bei großer Hitze als schädlich erkannt hat, überrascht nicht. Darauf sind auch schon andere gekommen. Aber Speiseeis bei 80 Grad zu servieren und eine Limonentee-Mousse in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad unter den Augen der Gäste entstehen zu lassen, solche Zauberkunststücke sind bei Heston Blumenthal das Normale. Zu seinen Spezialitäten zählt alles, was nicht naturbelassen werden muss, um Gastro-Snobs zu gefallen. Wer da nicht wenigstens ein paar Semester Chemie studiert hat und außerdem Einsteins Relativitätstheorie auswendig zitieren kann, der wird das Lokal wahrscheinlich in einer Zwangsjacke verlassen.

Danach wurden zwei riesige Teller aufgetragen, in deren Mitte ein nur nussgroßes Klößchen in violetter Sauce lag, angeblich Speiseeis von Senf. Spätestens bei diesem Furz von Nichtigkeit wurde das Leitmotiv dieser Küche deutlich. Es war die alte Nouvelle Cuisine. In einem speziell angefertigten Porzellan-Ei gab es nochmals Gelee und Creme sowie ein Foie-gras-Parfait. Nach diesen Appetithappen ging es weiter: drei Schnecken auf Porridge, der petersiliengrün war und Jabugo-Schinken enthalten sollte, was aber nicht zu schmecken war. Geschmack hatten dann die beiden kleinen Würfel Foie gras in Begleitung eines Mandelgels. Die folgende Sardine war so groß wie ein Fingernagel und verschwand unerkannt in der Versenkung. Ihr folgte ein Stück Lachs in einem Überzug aus Lakritze, und das war nicht nur originell, sondern so delikat, dass ich mir davon ein größeres Stück gewünscht hätte. Das Gleiche dachte ich bei einem Stückchen fabelhaft gewürzter Taubenbrust. Danach begann die Serie der süßen Sachen, welche ebenfalls unter ihrer Winzigkeit litten. Sie wurden ebenso bedeutungsschwer wie albern serviert. Unter anderem sollte man an einem winzigen Flakon riechen, nur riechen, um wahrscheinlich die Engel im Himmel singen zu hören. Das funktionierte aber ebenso wenig wie das Tütchen mit Müsli, dessen Inhalt man mit milchähnlicher Flüssigkeit übergießen musste. Was meine Tischdame knurrend kommentierte: „Wollen die mich hier verarschen?“

http://www.zeit.de/2005/24/Siebeck_2fKolumne_London_1/seite-3

 

3-SternekochClaus-Peter Lumpp (l.) und Wolfram Siebeck

3-Sternekoch Claus-Peter Lump vom Bareiss (l.) und Wolfram Siebeck

Paul Bocuse

Da wird auch schon das unvermeidliche Brot vor uns abgestellt, und der Unterschied zur deutschen Spitzenküche könnte drastischer nicht sein: Anstelle von mehreren Brötchensorten plus Grau- und Schwarzbrot enthält der Lyonnaiser Brotkorb nur ein rustikales Brötchen, welches den leichtsinnigen Esser zwingt, anschließend in die HNO-Abteilung eines Spitals zu eilen, um die in Fetzen herabhängende Gaumentapete reparieren zu lassen. Die gleiche Schockbehandlung kenne ich aus anderen Drei-Sterne-Restaurants in Frankreich. Wahrscheinlich handelt es sich um eine interprofessionelle Abmachung nach dem Motto: Die Leute sollen sich nicht am Brot satt essen, sondern an Jakobsmuscheln. Immerhin gönnt uns der Meister zwei Appetitmacher. Als Erstes eine fade Kürbissuppe, wie sie in dieser Minute in tausend Restaurants serviert wird. Dazu gab es ein wunderbares, altmodisches Gebäck, ein Brandteig-Brötchen, wie es kein Patissier mehr herstellt in unserer Vollkorn-Epoche. Diesem Gruß aus der Küche folgte ein Klassiker der Haute Cuisine: gebratene Foie gras auf einer Polenta-Unterlage. Sie ist nicht größer als eine Minifrikadelle, perfekt gebraten und wegen ihrer köstlichen Apfelsirupsauce unwiderstehlich.

La Soupe VGE. Das sind die Initialen des damaligen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing, der als französisches Staatsoberhaupt in die Geschichte eingehen wird, weil er einen Koch in die Ehrenlegion aufnahm. Die Suppe enthält winzig kleine Gemüsepartikel, ebenso kleine Stücke von der Rinderzunge und einer Foie gras sowie dünn geschnittene schwarze Trüffelscheiben. In einer feuerfesten Form, aufgegossen mit einer konzentrierten Rinderbrühe und mit einem Deckel aus rohem Blätterteig verschlossen, wird die 1-Person-Suppenschüssel 18 Minuten bei 220 °C im Ofen erhitzt. Der Gast schlägt den knusprig braunen Deckel ein und hofft auf die ausströmende Duftwolke. Als Nächstes verbrennt er sich das Maul, muss aber feststellen, dass sie wirklich großartig schmeckt, die berühmte Suppe VGE.

Als Bocuse an unseren Tisch kam, unterhielten wir uns über die Malaisen des Alters. Man merkte ihm an, dass das Leben ihn mehr mitgenommen hat als mich (wir sind fast gleichaltrig). Er wirkte tatsächlich nicht sehr fit, und sein Machismo war einer fast rührenden Freundlichkeit gewichen, welche von dem gekräuselten Grauhaar unterstrichen wurde, das seine einstmals straff gekämmten dunklen Strähnen ersetzt hat. Seine Köche ließen ihm wenig Zeit zum Plaudern; die Kellner brachten den Zwischengang. Dabei triumphierte wiederum die Klassik. Barbara, meine Gefährtin, wurde mit einem Krebsgratin konfrontiert, wie es in Lyon schon vor dem letzten Krieg serviert wurde: ohne Panzer in einer dicken Sahnesauce, die nach der Stadt Nantua benannt ist.

Siebecks Maskottchen

Siebecks Maskottchen

Mein Fischgang war nicht weniger nostalgisch. Da lag ein großer Hechtkloß, ebenfalls in der rosafarbenen Sahnesauce Nantua: Regionaler ging’s nicht; vor einem halben Jahrhundert verkörperten im Burgund Krebsschwänze in einer aus den Schalen der Krebse gezogenen rosa Sahnesauce das Schlemmen auf großbürgerlichem Niveau, wie heute in Berlin die elenden an der Haut gebratenen Zanderfilets. Hechtklöße waren auf Ostfrankreich beschränkt. Meiner war faustgroß und comme il fault. Das heißt, er besaß den richtigen Grad von Lockerheit, sodass er nicht zerfiel, wenn man ihn anschnitt, und hatte den spezifischen eleganten Eigengeschmack, den kein anderer Fisch zustande bringt.

Wo es dreisternemäßig zugehen soll, darf jedoch nicht passieren, was jetzt geschah: Mein Kalbsbries lag in einer hellrosa Krebssauce vom Stamme Nantua. Also wieder Sahne, und wieder unendlich viele kleine Krebsschwänze. Vor dieser Wiederholung hätte mich der Oberkellner, der die Bestellung aufnahm, warnen müssen. Mir taten die Krebse leid, die ich an diesem sonnigen Herbsttag an der Saône vernichtete, mir tat mein Magen leid, der mit den Sahnemengen fertigwerden musste, und mir tat sogar Bocuse leid, dessen Personal nicht auf dem Niveau agierte, das seinem Ruf entsprochen hätte.Barbara hatte Glück. Sie hatte eine Taube bestellt. Es war ein ziemlich großer Vogel, er war einfach am Spieß gebraten und absolut köstlich.

http://www.zeit.de/2013/26/sternekoch-siebeck-paul-bocuse-restaurant/seite-2

 

Alle Auszüge stammen aus der „Zeit“. Photocredit: Barbara Siebeck

 

 

 

 

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