Die einzig wahre Diät | BISS

Die einzig wahre Diät

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Wie man aus der Genussfalle kommt

Von Ludwig Fienhold

Wie schafft es jemand, der das ganze Jahr über fortwährend Restaurants besucht und Weine verkostet, gesund und schlank zu bleiben?  Dies ist die mir am häufigsten gestellte Frage, wobei danach gleich kommt, ob man dieses Gourmetleben nicht auch mal satt habe. Die Antwort ist komplex und doch keineswegs schwierig. Im Sinne des altgriechischen Philosophen Aristipp ist Genussfähigkeit das höchste Glück des Menschen, die jedoch wahrhaftig und dauerhaft nur dem Weisen beschieden sein kann, der seinem Lustempfinden nicht blindlings folgt, sondern über es zu herrschen vermag. In der Praxis bedeutet das Karenzzeiten einhalten, bei denen man auf jeglichen Alkohol und viele andere Alltagsgifte wie Kaffee oder Zucker verzichtet und einen Speiseplan entwirft, der mehr oder weniger aus bestimmten Gemüsen, Suppen und anderen magenfreundlichen Leichtgewichten besteht. Dass zudem der Körper bewegt werden will, sollte das ganze Jahr über eine Selbstverständlichkeit sein, eine halbe Stunde Joggen oder ähnliche Aktivitäten reichen meist aus.

Entscheidend aber ist es, sich einen ganzen Monat lang eine neue Erfahrung zu gönnen. Für Gourmets bedeutet dies den kompletten Ausstieg aus dem bisherigen Genussleben und die Hinwendung zu einer ungewohnten Askese. Zu Hause kann man auch fasten, doch abseits der gewohnten und arbeitsreichen Umgebung gelingt dies besser, wobei Heilfasten auch vernünftiger unter medizinischer Anleitung und Aufsicht geschieht. Ich habe mich vor vielen Jahren für die Mayr-Kur entschieden, weil sie am tiefgreifendsten ist und mit ihren Grundideen das ganze Jahr über funktioniert. Es handelt sich dabei im Grunde um keine Diät, wenn auch dadurch die Pfunde purzeln. Es geht um eine Entgiftung und Reinigung von Körper, Geist und Seele. Ich kenne viele Häuser, die eine Mayr-Kur anbieten und habe dort auch meist eine Woche gelebt und dann die restlichen drei Wochen in diesem Sinne zu Hause weiter gefastet. Ich schätze hochprofessionelle feudale medizinische Wellness-Institute wie Viva, das Zentrum für moderne Mayr-Medizin am Wörthersee. Aber auch familiäre Betriebe, wie das Landhaus König in Grünenbach im Allgäu, mit dem jetzt das Fasten-Tagebuch beginnt.

1. Tag

Anreise noch rechtzeitig zum Abendessen um 18 Uhr. Es gibt einen trockenen Dinkelfladen, dazu Frischkäse. Ich habe einen Tisch im separaten Bücherzimmer. Dort gibt es immerhin mit Rita Mae Browns „Mord auf Rezept“ auf 287 Seiten eine üppige Lektüre.

2. Tag

Um 8 Uhr ist Frühsport im Freien, bei jedem Wetter, um 8.30 Uhr Frühstück. Es gibt einen knochentrocknen flachen hefefreien Dinkel-Fladen (mit Joghurt oder einer Tasse heißer Milch)), der kaum der Sättigung und weit mehr als Kautrainer dient. Das gute Stück kann gar nicht anders als 33 bis 50 Mal gekaut werden, die Almkühe sind darin vorbildlich. Auf diese Weise sollen wir wieder richtig zu essen lernen, denn meist sind wir zu hastig und schlingen mehr als zu kauen. Diese Semmel wird mein ständiger Begleiter sein. Die Tische in der adretten Bauernstube sind jedoch so eingedeckt, als würde es mehr und Besseres geben. Als Serviettenringe dienen silberne Enten, die an das Sternerestaurant im Nassauer Hof in Wiesbaden erinnern. Die Tassen ziert ein Krönchen, wir sind schließlich im Landhaus König.

Um 11 Uhr wird Brühe serviert, nicht zum Trinken, sondern zum langsamen Löffeln. Entschleunigen gehört auch zur Mayr-Kur. Das dünne Süppchen wird mit Stücken von Fenchel und Karotten angereichert. Wer mag, bekommt sogar einen Nachschlag. Der Mayr-Arzt nennt die Basenbrühe das „kulinarische Highlight“ der Kur. Und soll damit Recht behalten. Die Umstellung vom normalen Essen auf ein Hungerminimum macht vielen nicht nur psychische Probleme. Kopfschmerzen und Schlafstörungen sind deshalb eine normale Reaktion, auch anderes, was als „Rückvergiftung“ gilt. Dagegen helfen viel Flüssigkeit, mindestens drei Liter Wasser täglich, sowie das großzügig verabreichte Basenpulver. Dieser weiße Schlamm gehört zu den übelsten Erscheinungen der May-Kur, ist aber zwingend notwendig. Gäste, denen auch das nicht gegen Kopfschmerzen hilft, bekommen ausnahmsweise einen Espresso mit einem Schuss Zitrone. Gegen das Basenpulver ist das morgendlich verabreichte Glaubersalz zur Entschlackung fast schon lecker.

Das Mittagessen um 13 Uhr besteht aus dem immergleichen Dinkel-Taler nebst Joghurt (wahlweise Milch oder Frischkäse). Viele Gäste sind konzentriert und zählen ihre Kaubewegungen. Beim 50zigsten Mal ist der Fladen fast flüssig. Und so soll es auch sein. Den Tee in der Thermokanne darf man nicht dazu trinken, damit die Magensäfte nicht unnötig verflüssigt werden und besser arbeiten können. Man nimmt ihn mit aufs Zimmer und trinkt ihn eine Stunde später. Heute ist es ein Tee mit dem Geschmack von Gingko, Orange und Sahne. Man wird bei einer Fastenkur sehr schnell bescheiden in den Ansprüchen.

Abendessen, 18 Uhr. Alle schweigen, nur der Magen knurrt. Und wenn gesprochen wird, dann vor allem übers Essen und Trinken. Schnitzel, Pizza, Haxen, die Markthallen in den jeweiligen Städten, gute Weine. Rezepte machen die Runde. Ein Paar fährt an den Bodensee, um beim Weingut Aufricht einzukaufen. Im Grunde eine sehr gute Idee, aber nicht gerade zur Fastenzeit.

Die Disziplinierten kaufen erst am letzten Tag bei der sehr guten Käserei und dem netten Metzger nebenan für Zuhause ein.

Der Kur-Arzt meint, dass Fasten den Seratonin-Spiegel auf natürliche Weise hebe, was zu einer sehr positiven Stimmung verhelfen würde. Fasten könne aber durchaus auch eine halluzinogene Wirkung haben, die aber keineswegs Wahnvorstellungen entspräche. Die Brathähnchen, die das Auge ständig vorbeifliegen lässt, gehören in den normalen Bereich der bloßen Wunschvorstellung.

3. Tag

Dass Prozedere ist vom Essen her stets gleich. Abwechslung bringen Anwendungen (Massagen, Heilbäder, Kosmetik etc.) oder Besuche im Schwimmbad. Dort liegen viele Hochglanzmagazine aus, auch Gourmetjournale. In einem Hunger-Camp eine Herausforderung.

4. Tag

Nichts Neues beim Essen. Wieso auch. Das Zimmer ist solide, Landhaus-like. Die Ruhe schreckt nur anfangs auf. Mutter König ist stolz auf ihre neuste Errungenschaft: Ein von ihr in Japan entdecktes hoch technisiertes Toilettensystem. Ein Wunderwerk, bei dem jeder Gang mit Dusche, Föhn und anderen Raffinessen begleitet wird. Diese High-Tech-Toilette ist mit einem automatischen Licht ausgerüstet, das bei Dunkelheit angeht. Dass ein kleines Landhotel derart gut gerüstet ist, sollte die Tophotellerie zur Nachahmung anregen.

5. Tag

Nichts Neues beim Essen. Man hört noch das fast vergessene „Mahlzeit“. Wer mag das erwidern, weil es ja eigentlich Kauzeit heißen müsste.

Termin bei der Kosmetikerin. Eine ehrliche Haut. Nicht so gekünstelt wie viele in dieser Branche. Während sie eine Maske einwirken lässt gibt´s eine Fußmassage – die meisten Kolleginnen wenden sich in dieser Zeit vom Kunden ab und beschäftigen sich anderweitig. Das Landhaus König ist bei aller gebotenen Schlichtheit professionell.

Der Dinkel-Thaler soll auch Meersalz enthalten. Anfangs ist er dein Feind, am Ende eher ein Freund. Die Tees wirken geschmacklich ermüdend. Man freut sich aber über den Klosterkräuter-Tee aus ökologischem Landbau: Zitronenverbene, Sanddorn, Holunderblüten, Brombeerblätter, Hopfenzapfen, Hibiskusblüten, Apfel.  Die Chefin geht von Tisch zu Tisch: Wie geht´s, das Wetter wird besser. Eigentlich wie in der Traube Tonbach und bei Bareiss im Schwarzwald, wo die beiden Hausherren Finkbeiner und Bareiss ähnlich ihre Runden ziehen. Auch die Automobile vor der Tür gleichen sich – gehobene Mittelklasse und manche Luxuslimousine.

6. Tag

Nichts Neues beim Essen? Doch, zum Abschluss gibt es nahezu Unglaubliches: Kartoffeln mit Quark, Karotten-Ingwer-Suppe und sogar ein Glas Pfälzer Riesling (das ich wegen meiner einen Monat dauernden Abstinenz aber nicht trinke). Nach vier Wochen wiege ich knapp fünf Kilo weniger. Das aber ist gar nicht wichtig. Entscheidend sind die gesundheitlichen Ergebnisse. Die Fastenkur wirkt sich sehr positiv auf Haut, Haare, Knochen und innere Organe aus. Man lernt wieder richtig zu kauen und nicht zu schnell zu essen. Man hält zwischen den Mahlzeiten vier Stunden Pause ein und nascht nicht zwischendurch. Und man isst Salate, Rohkost, Früchte und andere Gärstoffe ganz gewiss nicht mehr abends. Am Ende der Fastenkur fühlt man sich besser, vitaler, wacher, energievoller. Warum lebt man nicht länger so? Allein schon, weil man so länger leben würde.

www.mayrkur.de

www.viva-mayr.com

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